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MARXISTISCHE BLÄTTER/615: James Connolly und die erweiterte Klassenpolitik des Jahres 1916


Marxistische Blätter Heft 2-16

James Connolly und die erweiterte Klassenpolitik des Jahres 1916(1)
100 Jahre irischer Osteraufstand

Von Priscilla Metscher


Der bevorstehende hundertste Jahrestag des irischen Osteraufstandes im April 1916 bietet uns die Möglichkeit, die Bedeutung dieses Ereignisses im Kontext seiner Zeit zu reflektieren. Zugleich bietet sich die Gelegenheit, seine Relevanz für die gegenwärtige Situation, insbesondere mit Hinblick auf das dringende Problem des Verhältnisses von Sozialismus und nationaler Frage, zu untersuchen. Mein Ansatz ist es, zu zeigen, dass der irische sozialistische Führer James Connolly (1868-1916) sich nicht deswegen am Osteraufstand beteiligte, weil er den Sozialismus durch den Nationalismus ersetzt hätte, sondern weil er die Befreiung Irlands von der kolonialen Unterdrückung durch Großbritannien als den ersten Schritt auf dem Weg zur Errichtung einer irischen sozialistischen Republik begriff. Für ihn waren Sozialismus und nationale Befreiungsbewegung(2) zwei Seiten einer Medaille. Er behauptete, dass der Sozialismus in Irland bodenständig sei und die Tradition des Republikanismus, der von der Gesellschaft der Vereinigten Iren (United Irishmen) begründet worden war, miteinbeziehen müsse. Die nationale Befreiungsbewegung in Irland, wie sie Connolly verstand, war mit den demokratischen Idealen des Republikanismus verbunden.

Außerdem glaube ich, dass es entscheidend ist, den Osteraufstand in einem europäischen und internationalen Kontext und nicht bloß als ein isoliertes irisches Ereignis zu betrachten. Der Aufstand ereignete sich in der Mitte des Ersten Weltkrieges, einer Periode der revolutionären Umbrüche nicht nur in Europa, sondern in der gesamten Welt. Tatsächlich war der irische Aufstand der erste Versuch, die Weltkarte des Imperialismus zu verändern - in einem Zeitabschnitt, dessen krönender Abschluss die erfolgreiche Russische Revolution von 1917 darstellt. Indem wir die Frage von Sozialismus und nationaler Befreiungsbewegung im Zusammenhang mit Irland im Jahr 1916 reflektieren, werden wir notwendigerweise mit dem Problem des Verhältnisses zwischen nationalen und sozialistischen Kämpfen in der heutigen Zeit konfrontiert. Müssen wir das Feld der nationalen Befreiungsbewegung der radikalen Rechten überlassen und uns auf Klassenkämpfe alleine konzentrieren, oder sind wir dazu in der Lage, die nationale Dimension in ein integratives Konzept des Sozialismus einzubringen?

Sozialistischer Republikanismus

Der Teilnahme des sozialistischen Führers James Connolly am Osteraufstand begegneten viele seiner Zeitgenossen in der irischen und britischen Arbeiterbewegung mit Unverständnis. Kurz vor seiner Hinrichtung am 12. Mai 1916 äußerte er gegenüber seiner Tochter Nora: "Sie [die britischen Sozialisten - P.M.] werden niemals verstehen, warum ich hier bin. [...] Sie vergessen, dass ich ein Ire bin."(3) Die Führer der irischen Labour Party, William O'Brien, Thomas Foran und P.T. Daly, lehnten die Allianz, die Connolly mit der fortschrittlichen nationalen Befreiungsbewegung geschlossen hatte, ab. Sie standen in der Osterwoche 1916 nicht an seiner Seite. Obwohl einzelne Gewerkschafter die Forderung nach einer selbstständigen Regierung für Irland unterstützten, enthielt sich der Gewerkschaftsbund in dieser Frage, um die Einheit mit den protestantischen Arbeitern in Belfast, die eine katholische Vorherrschaft für den Fall der Selbstverwaltung befürchteten, nicht zu gefährden. Die Labour-Führer waren in erster Linie Gewerkschafter, die glaubten, dass ihre Hauptaufgabe in der Wiederbelebung der Gewerkschaftsbewegung läge und deshalb keine Versuche unternahmen, die Verbindungen mit den militanten nationalen Befreiungskämpfern zu erneuern.(4) Labours Verzicht auf den nationalen Kampf sollte ernste Konsequenzen für die folgende Entwicklung der nationalrevolutionären Bewegung in Irland haben. Noch in den späten 1970er Jahren sollte Desmond Greaves, Autor von "The Life and Times of James Connolly", Schwierigkeiten damit haben, britische Sozialisten davon zu überzeugen, den fortdauernden Kampf für die irische Unabhängigkeit zu unterstützen.(5) In seiner politischen Biographie über Connolly stellt Austen Morgan die Frage, warum ein Mann, der als Sozialist gelebt hatte, als irischer Nationalist starb, und nimmt an, dass Connolly mit seinen Füßen in zwei sehr verschiedenen Bewegungen stand: dem "internationalen Sozialismus", der Irland fremd war, und dem "militanten Nationalismus", der die Idee des Internationalismus tilgen würde.(6)

Dieses mangelnde Verständnis für Connollys Teilnahme am Aufstand resultiert aus einer ausschließlichen Berücksichtigung des irischen Kontextes - die Befreiung des kolonialen Irland von britischer Herrschaft. Aber der Aufstand ereignete sich vor einem umfassenderen Hintergrund, nämlich im Kontext des aufflammenden Imperialismus, des Krieges und der Klassenkämpfe dieser Periode.(7) Connollys Hauptanliegen war die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Durch das Studium der Schriften von Marx, die zum damaligen Zeitpunkt in englischer Sprache verfügbar waren, gelangte er zu einem Verständnis der Entwicklung des Kapitalismus und zu der Erkenntnis, dass das britische Empire ein Teil dieses Systems war. Außerdem war seine Beteiligung am Aufstand verbunden mit seinem in seinen politischen Schriften entwickelten Konzept eines sozialistischen Republikanismus, der den Internationalismus mit einschließt.

Obwohl Connolly politisch in der britischen Arbeiterbewegung getauft wurde, verbrachte er den Großteil seiner politischen Laufbahn in Irland. Während die großen europäischen Staaten ihre nationale Frage bis zur Jahrhundertwende gelöst hatten, war Irland immer noch eine Kolonie mit einer ungelösten nationalen Frage. Aus Connollys Sicht muss jede sozialistische Strategie in Irland notwendigerweise den Status des Landes als Kolonie in Rechnung stellen. Deshalb muss die Grundlage des Sozialismus in Irland als mit der nationalen Befreiungsbewegung untrennbar verbunden betrachtet und eine Strategie ausgearbeitet werden, durch die der Sozialismus im Kontext der nationalen Unabhängigkeit verwirklicht werden kann. Connolly weist darauf hin: Die Sozialisten müssen erkennen, dass "eine sozialistische Bewegung auf den historischen und aktuellen Gegebenheiten des Landes, in dem sie wirkt, fußen und sich von diesen inspirieren lassen muss" und dass sie sich "nicht bloß in einem abstrakten 'Internationalismus' verlieren [sollen], der keine Beziehung zum echten Internationalismus der sozialistischen Bewegung hat."(8) Dies setzt nicht nur ein Verständnis der Entwicklung der Befreiungsbewegung in Irland mit all ihren Widersprüchen voraus, sondern auch die Fähigkeit, die progressiven Elemente in der republikanischen Bewegung auszumachen, die die Errichtung des Sozialismus in Irland unterstützen können. Es war, so glaubte Connolly, eine historische Notwendigkeit für die revolutionären Elemente in der nationalen Bewegung, sich mit der irischen Arbeiterklasse zusammenzutun.

Nachdem er 1896 zum hauptamtlichen Organisator der Dubliner Socialist Society ernannt wurde, erachtete es Connolly als seine Hauptaufgabe, eine echte irische sozialistische Partei zu etablieren, die die Bedürfnisse der irischen Nation als von Großbritannien zu unterscheidende Interessen anerkennen sollte. Die Irische Sozialistische Republikanische Partei (ISRP) wurde 1896 als eine unabhängige nationale Arbeiterpartei im Interesse der irischen Arbeiterklasse gegründet. Die Beziehung zwischen dem Sozialismus in Irland und Großbritannien sollte auf "Kameradschaftlichkeit und gegenseitiger Unterstützung" basieren und "brüderlich und nicht organisch [sein] und durch den Austausch von Literatur und Rednern gehandhabt werden anstatt zwei Völker, von denen eins 600 Jahre lang ein nicht endendes Martyrium ertragen und seine nationale Identität nicht aufgegeben hat, wie eins zu behandeln."(9)

Im Manifest der IRSP schrieb Connolly den Zweck der Partei nieder: "Die Errichtung einer irischen sozialistischen Republik auf der Grundlage des öffentlichen Eigentums des irischen Volkes an Land und Produktions-, Verteilungs- und Austauschmitteln."(10) Connolly unterstrich die wesentliche Verbindung zwischen Sozialismus und revolutionärer nationalen Befreiungsbewegung: "Die Sache der Arbeiterbewegung ist die Sache Irlands, die Sache Irlands ist die Sache der Arbeiterbewegung. Sie können nicht voneinander getrennt werden. Die Arbeiterbewegung strebt danach, dass ein freies Irland, die einzige Herrin ihres Schicksals und die höchste Besitzerin aller materiellen Dinge in und auf ihrem Boden sein soll. Die Arbeiterbewegung strebt danach, die freie irische Nation zur Hüterin der Interessen der Menschen in Irland zu machen. Um dies sicherzustellen, müssen alle Eigentumsrechte gegen die Ansprüche der Individuen dieser freien irischen Nation übertragen werden, mit dem Ziel vor Augen, dass das Individuum durch die Nation und nicht durch die Beeinträchtigung seiner Mitmenschen bereichert wird."(11)

Bei einer anderen Gelegenheit bemerkte er, dass die beiden Strömungen revolutionären Denkens in Irland - die sozialistische und die nationale - "nicht antagonistisch, sondern komplementär waren und [...] der irische Sozialist in Wahrheit der beste Patriot war."(12)

Ein Schwerpunkt von Connollys Schriften lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die republikanische Tradition der Vereinigten Iren unter Theobald Wolfe Tone.(13) In einem Artikel in der Workers' Republic vom 5. August 1899 unter der Überschrift "Wolfe Tone und seine Bewunderer" spricht Connolly von den irischen sozialistischen Republikanern, die für "die Verwirklichung der Freiheit [kämpfen], für die schon die Vereinigten Iren kämpften." In einem späteren Artikel (23. Juni 1900) schreibt er über sozialistische Republikaner, die über das von den Vereinigten Iren erdachte Ideal der nationalen Freiheit hinaus "zu einem volleren Ideal übergehen, das der nationalen Freiheit als natürliche und notwendige Konsequenz entspringt." Er erkennt außerdem eine Verbindung zwischen dem Sozialismus und den Vereinigten Iren. Mit Hinblick auf deren Manifest behauptet er: "Es ist schwer, in der modernen sozialistischen Literatur etwas in seiner Reichweite und Zielstellung internationaleres, in seinen Methoden stärker von einem Klassencharakter bestimmtes oder in seinem Wesen erklärtermaßen demokratischeres zu finden als dieses Manifest. Und obwohl es die Inspiration und die Methoden eines Revolutionäres offenbart, der als der erfolgreichste Organisator einer Revolte in Irland seit den Tagen von Rory O'More anerkannt ist, trampeln alle seine heutigen angeblichen Nachfolger ständig auf diesen Prinzipien, verleugnen jedes einzelne von diesen und lehnen sie als eine mögliche Orientierung für ihre politische Aktivität ab. Allein der irische Sozialist steht in einer Linie mit dem Denken dieses revolutionären Apostels der Vereinigten Iren."(14)

Anlässlich des 100. Jahrestags des Aufstandes von 1798 veröffentlichte Connolly die Schriften der Vereinigten Iren neu und gründete den '98 Club, der das Wissen über die wahren Ziele der historischen Gesellschaft der Vereinigten Iren verbreiten sollte.(15) In seinem Hauptwerk "Labour in Irish History" von 1910 bilden die Kapitel über die Vereinigten Iren den Kern des Buches. Connolly zitiert ausführlich aus ihren Dokumenten um das Grundprinzip der Demokratie zu unterstreichen. Wolfe Tone, so behauptet er, war ein Internationalist, weswegen er für die herrschende Klasse noch gefährlicher wurde, da er seine Ziele als Teil eines Bekenntnisses zu einer "Demokratie der Welt" verfolgte. In diesem Zusammenhang verweist Connolly auch auf die sozialistische Tradition in Irland. Willam Thompson, der erste irische Sozialist, wurde zur damaligen Zeit von Historikern vollkommen ignoriert. Connolly positioniert ihn als "halbe Wegstrecke zwischen dem Utopismus der frühen Idealisten und dem historischen Materialismus von Marx." Thompson hatte den Klassenkampf als einen Fakt anerkannt, aber "er erkannte ihn nicht als Faktor an, als den Faktor in der Entwicklung der Gesellschaft in Richtung Freiheit. Dies war Marx vorbehalten und dies ist unserer Meinung nach der krönende Höhepunkt seiner Arbeit."(16)

Connolly lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf die Schriften des radikalen Mitglieds von Junges Irland, James Fintan Lalor, der darauf bestand, dass Irland die völlige Unabhängigkeit und die Eigentümerschaft des Bodens für das gesamte Volk und nicht nur für eine kleine Klasse von Grundherren benötige: "Ich stehe auf dem Grundsatz, dass das Volk Irlands zum gesamten Besitz Irlands, moralische und materiell, bis hinauf zur Sonne und bis hinunter zum Erdkern, berechtigt ist. [...] Ich behaupte, dass der gesamte Boden eines Landes dem gesamten Volk des betreffenden Landes gehört und das rechtmäßige Eigentum nicht einer bestimmten Klasse, sondern der Nation insgesamt ist."(17)

Im frühen Stadium seiner politischen Laufbahn in Irland war Connolly davon überzeugt, dass die irische Arbeiterklasse alleine dazu imstande war, die revolutionäre republikanische Tradition fortzusetzen und die Grundsätze von Republikanismus und Sozialismus zu vereinen. Nachdem er 1910 aus den USA, in die er 1903 übergesiedelt war, nach Irland zurückkehrte, wurde ihm klar, dass seine Vision einer irischen sozialistischen Republik nur dann erreicht werden könnte, wenn die Arbeiterklasse sich mit den revolutionären Elementen innerhalb der nationalen Bewegung zusammenschließt.

Sozialismus und Krieg

Im Rahmen seiner politischen Aktivitäten beschäftigte sich Connolly nicht nur mit Entwicklungen in Irland. Er erkannte, dass Irlands Schicksal mit den Problemen des Imperialismus insgesamt verbunden war. Wie bereits erwähnt, entfaltet sich seine politische Laufbahn in der frühen Phase der Epoche des Imperialismus, einer Zeit, die durch die Aufteilung der Welt unter den mächtigsten Staaten charakterisiert war. Es war eine Periode, die von einer aggressiven Kolonialpolitik und ständig zunehmenden militärischen Konflikten zwischen den Großmächten überschattet wurde. Der Imperialismus und die nationale Frage waren die drängendsten Probleme, mit denen Sozialisten in dieser Zeit konfrontiert waren. Connollys Standpunkt zum Krieg ist klar: "Krieg ist immer der Feind des Fortschritts. Er ist nur möglich, wenn die Menschlichkeit unterdrückt wird, wenn die gemeinsamen Interessen der Menschheit geleugnet werden. Das erste Blasen des Kriegshorns ist zugleich der Klang der Totenmesse der menschlichen Brüderlichkeit."(18) An anderer Stelle schreibt er: "Es gibt keine humanen Methoden der Kriegsführung, so etwas wie zivilisierte Kriegsführung gibt es nicht, jeder Krieg ist barbarisch."(19) Der Burenkrieg (1899-1902) bot Connolly Gelegenheit, um über die Wurzeln des modernen Krieges nachzudenken: "Der Einfluss, der heutzutage zum Krieg treibt, ist der Einfluss des Kapitalismus. Heute ist jeder Krieg ein kapitalistischer Schritt hin zu neuen Märkten, ein Schritt, den der Kapitalismus gehen muss, da er ansonsten untergehen würde."(20) Connolly unterscheidet zwischen den imperialistischen Kriegen der Kapitalistenklasse und dem Kampf der kleineren Nationen für Selbstbestimmung. "Den Krieg einer unterworfenen Nation für Unabhängigkeit und für das Recht, sein eigenes Leben auf eigene Weise zu führen, darf und kann man als heilig und gerecht legitimieren, [...] Aber der Krieg einer Nation gegen eine andere Nation im Interesse royaler Freibeuter und kosmopolitischer Diebe ist eine verfluchte Sache."(21) Connollys Standpunkt ist der Sicht Lenins auf die nationale Frage sehr ähnlich, der ebenfalls mit starken Argumenten für das Recht der Selbstbestimmung für unterdrückte Nationen eintrat: "Denn zu glauben, daß die soziale Revolution denkbar ist ohne Aufstände kleiner Nationen in den Kolonien und in Europa, ohne revolutionäre Ausbrüche eines Teils des Kleinbürgertums mit allen seinen Vorurteilen, ohne die Bewegung unaufgeklärter proletarischer und halbproletarischer Massen gegen das Joch der Gutsbesitzer und der Kirche, gegen die monarchistische, nationale usw. Unterdrückung - das zu glauben heißt der sozialen Revolution entsagen. [...] Wer eine 'reine' soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben."(22)

Im spezifischen irischen Kontext erarbeitete Connolly, mit Hilfe seiner eigenen Erfahrungen in der dortigen sozialistischen und nationalen Befreiungsbewegung, eine Strategie für die Errichtung einer sozialistischen Republik. Sein Verständnis von der Bedeutung der nationalen Befreiungsbewegungen in der Epoche des Imperialismus als einem Faktor beim Sturz des Kapitalismus rührt aus der spezifischen Erfahrung Irlands. Connollys Haltung beim Ausbruch des europäischen Krieges im August 1914 entsprach der des linken Flügels der Zweiten Internationale. Die sozialdemokratischen Parteien in den kriegsführenden Ländern waren unfähig gewesen, den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Da der Großteil der Sozialisten den Krieg unterstützte, war der ideologische und politische Kollaps der Internationale unausweichlich. Connolly hielt unzweifelhaft am linkssozialistischen Standpunkt in der Kriegsfrage fest: "Ich glaube, dass sich das sozialistische Proletariat Europas in allen kriegsführenden Ländern hätte weigern sollen, gegen seine Brüder jenseits der Grenzen zu marschieren. Und ich glaube, dass solch eine Weigerung den Krieg und all seine Schrecken hätte verhindern können, auch wenn dies zu einem Bürgerkrieg geführt hätte."(23) "Wenn diese Männer schon sterben müssen", argumentiert er, "wäre es nicht besser, in ihrem eigenen Land für die Freiheit ihrer Klasse kämpfend zu sterben"? Schließlich wäre "selbst der erfolglose Versuch einer bewaffneten sozialen. Revolution, im Anschluss an die Lähmung des wirtschaftlichen Lebens des Militarismus, [...] weniger desaströs für die sozialistische Sache als das Handeln von Sozialisten, die zulassen, dass sie für das Abschlachten ihrer Klassenbrüder benutzt werden."(24) Sein praktischer Vorschlag war, dass die Arbeiterbewegung in Irland sofortige Aktionen wie den Stopp von Nahrungsmittelexporten in Angriff nehmen sollte, um Profitmacherei zu verhindern. Das "Essen unseres Volkes" im Land zu behalten, könnte die bewaffnete Auseinandersetzung auf den Straßen bedeuten.(25)

Arbeitskämpfe und Klassenkonflikt im Vorfeld des Osteraufstandes

Der Vorlauf der Ereignisse, die unmittelbar zum Aufstand führten, war geprägt durch allgemeine soziale Unruhen. Die Einführung des als gesetzliche Grundlage zur Durchführung von außerordentlichen Regierungsmaßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung konzipierten Realm Consolidation Act 1914, die Einschränkung von Bürgerrechten und die ständig wachsende Gefahr, dass das Einberufungsgesetz nach Kriegsausbruch auch in Irland angewandt werden könnte, ließen in Connolly den Glauben reifen, dass er in außergewöhnlichen Zeiten" lebte. im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kam es in ganz Großbritannien und Irland zu Arbeitskämpfen: 1907 ergriffen die in der National Union of Dock Labourers organisierten Belfaster Dockarbeiter unter der Führung von Jim Larkin Streikmaßnahmen. Am 4. Januar 1909 wurde die Irish Transport and General Workers' Union formell in Dublin als "die eine große Gewerkschaft" für die Masse der ungelernten Arbeiter gegründet. Das Endziel war die Errichtung eines industriellen Gemeinwesens, in dem "alle Menschen arbeiten und sich der Früchte ihrer Arbeit erfreuen und so ein Recht auf die Fülle der Erde und ihres Reichtums erwerben sollten."(26) Larkins Propagierung von Solidaritätsstreiks, sein Slogan "Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle" und seine Politik des Bestreikens "unreiner Waren" verbreiteten sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land. Die Transportgewerkschaft war stark involviert in die Arbeitskämpfe ab 1911, die ihren Höhepunkt im Dubliner Streik und der Aussperrung von 1913 fanden.

Einer der Hauptfaktoren, der die ausgesperrten Arbeiter monatelang fest hinter ihrer Gewerkschaft stehen ließ, war die phänomenale finanzielle und materielle Hilfe der irischen und britischen Arbeiterbewegung. Die Genossenschaftsbewegung in Großbritannien schickte zwei Schiffe mit Nahrung nach Dublin.(27) In der Liberty Hall, dem Hauptquartier der Transportgewerkschaft, wurden Suppenküchen errichtet. Constance Markievicz und Hanna Sheehy-Skeffington von der Women's Franchise League boten ihre Dienste in dieser Angelegenheit an. Ein weiterer wichtiger Faktor war die Unterstützung, die die Arbeiter von Republikanern erhielten, die später zu den Unterzeichnern der Oster-Proklamation der irischen Unabhängigkeit gehören sollten. Thomas MacDonagh und Joseph Mary Plunkett öffneten die Spalten ihrer Zeitschrift Irish Review für Connollys Verteidigung der Arbeiter.(28) Éamonn Ceannt, ebenfalls ein späterer Unterzeichner, zeigte seine Sympathie mit der Arbeiterbewegung, indem er öffentlich Arthur Griffiths Attacken auf den Larkinismus kritisierte. "Warum verurteilen Sie nicht auch den Verband der Arbeitgeber, oder gelten besondere Vorschriften für diese, aber andere für die Diener?"(29) Padraic Pearse nutzte die Zeitschrift Irish Freedom, um seine Meinung über die Situation im Jahre 1913 kundzutun: "Ich stehe instinktiv auf der Seite der landlosen Menschen gegen die Grundbesitzer und auf der Seite der Menschen ohne Brot gegen die Herrscher über Millionen. Ich könnte falsch liegen, aber ich halte es für die schrecklichste Sünde, dass es landlose Menschen auf dieser Insel mit ihren riesigen und doch fruchtbaren Tälern sowie Menschen ohne Nahrung in dieser Stadt, in der große Reichtümer produziert und genossen werden, geben sollte." Er schlussfolgert: "Dies sind die Missstände, gegen die die Menschen in Dublin begonnen haben, zu protestieren. Darf man sich darüber wundern, dass der Protest roh und blutig ist? Ich weiß nicht, ob die Methoden des Herrn James Larkin weise oder unweise gewählt sind (unweise sind sie, so denke ich, in mancher Hinsicht), aber ich weiß, dass hier ein abscheuliches Unrecht berichtigt werden soll und dass ein Mann, der dies ehrlicherweise versucht, ein guter und tapferer Mann ist."(30)

Am 13. November 1913 wurde die Bildung der Irischen Bürgerarmee verkündet, einer Arbeiterarmee als der schützende Arm der Arbeiterbewegung. Zwei Tage zuvor wurden die Irischen Freiwilligen auf einem Treffen. das von der Irischen Republikanischen Bruderschaft organisiert wurde, gegründet. Die propagandistischen Versammlungen, die Aufmärsche und die Paraden der Freiwilligen und der Bürgerarmee sowie die Vorbereitung des öffentlichen Bewusstseins auf einen Aufstand waren so beeindruckend, dass der britische Staatsminister für Irland, Augustine Birrell, zugab, dass er vor der Erhebung den Eindruck gewann, dass der "Sinn-Féinismus in gewisser Hinsicht die Straße in der Hand hatte".(31)

Der Osteraufstand

Der Ausbruch des Krieges gab der britischen Regierung die Gelegenheit, die Umsetzung des Gesetzes zur Selbstregierung Irlands, das dem Land einen gewissen Grad an "Unabhängigkeit" verliehen hätte, zu verschieben. Für Connolly war es nun nicht mehr länger möglich wie zu Friedenszeiten zu arbeiten. "Wir glauben, dass wir in Zeiten des Friedens entlang der Linie des Friedens zur Stärkung der Nation arbeiten sollten und wir glauben, dass alles, was die Arbeiterklasse stärkt und sie erhebt, auch die Nation stärkt. Aber wir glauben auch, dass wir uns in Kriegszeiten wie im Krieg verhalten sollten."(32) Er wies darauf hin, dass eine Niederlage Englands in Indien, Ägypten, auf dem Balkan oder in Flandern für das britische Empire nicht so gefährlich sein würde wie ein Konflikt in Irland.(33) Auf den Seiten des Irish Worker macht er diese Strategie mit ironischem Unterton klar: "Wir dürfen uns freuen. Die Selbstregierung (Home Rule) ist nun Teil des Gesetzbuchs, das Kriegsrecht ist verhängt und die freie Meinungsäußerung ist verboten. [...] Wir glauben an die verfassungsmäße Aktion in normalen Zeiten, wir glauben an die revolutionäre Aktion in außergewöhnlichen Zeiten."(34)

Der Osteraufstand 1916, vom Militärrat der Irischen Republikanischen Bruderschaft unter Teilnahme Connollys geplant und organisiert, dauerte eine Woche. Die Unabhängigkeitserklärung der irischen Republik, unterzeichnet von sieben Mitgliedern des Militärrats und auf den Stufen des Dubliner Hauptpostamts von Padraic Pearse verlesen, ist bemerkenswert wegen ihres radikaldemokratischen Inhalts: "Wir verkünden hiermit den Besitzanspruch des irischen Volkes auf Irland und auf die uneingeschränkte Kontrolle über die Geschicke Irlands, sowie das Recht auf Souveränität und deren Unantastbarkeit. [...] Die Republik bürgt für religiöse und bürgerliche Freiheit, gleiche Rechte und gleiche Möglichkeiten für alle seine Bürger und erklärt ihre Absicht, nach Glück und Wachstum der ganzen Nation und aller ihrer Teile zu streben [...]."

Schaut man zurück auf das Jahr 1916, erkennt man, dass Connolly einem Aufstand zustimmen musste, der politisch weitaus weniger fortgeschritten war als er es sich selbst vorgestellt hatte, da die sozialistischen Kräfte und die Arbeiterorganisationen unterentwickelt waren. Die Sozialistische Partei Irlands war hauptsächlich eine sozialistische Propagandaorganisation mit nur wenig Einfluss auf die Masse der irischen Arbeiter. Der irische Gewerkschaftsbund war lose organisiert und nicht in der Lage, auf breiter Basis Aktionen in der Industrie, die dem politischen Handeln den Weg hätten bahnen können, zustande zu bringen. Für Connolly war klar, dass - falls der Aufstand erfolgreich sein würde - die Republik, die in "den ersten Tagen der Freiheit" errichtet werden würde, der erste Schritt auf dem Pfad der Emanzipation sein würde. In einer Rede an die Irische Bürgerarmee kurz vor dem Aufstand sagte er: "Gebt die Waffen im Falle eines Sieges nicht aus der Hand, denn diejenigen, mit denen wir kämpfen, könnten anhalten, bevor unser Ziel erreicht ist. Uns geht es um ökonomische und politische Freiheit."(35)

Nach dem Aufstand griff Lenin diejenigen an, die diesen als einen Putsch verurteilten: "Von einem >Putsch< im wissenschaftlichen Sinne des Wortes kann man nur dann sprechen, wenn ein Aufstandsversuch weiter nichts als einen Klüngel von Verschwörern oder wahnwitzigen Narren zutage gefördert und in den Massen keinerlei Sympathien erweckt hat. Die irische nationale Bewegung, die auf Jahrhunderte zurückblickt und durch verschiedene Etappen und Kombinationen der Klasseninteressen hindurchgegangen ist, fand unter anderem ihren Ausdruck in dem massenhaft beschickten irischen Nationalkonvent in Amerika (Vorwärts vom 20. III. 1916), der sich für die Unabhängigkeit Irlands aussprach; sie kam zum Ausdruck in den Straßenkämpfen eines Teils des städtischen Kleinbürgertums und eines Teils der Arbeiter, nach langdauernder Agitation unter den Massen, nach Demonstrationen, Zeitungsverboten usw. Wer einen solchen Aufstand einen Putsch nennt, ist entweder der schlimmste Reaktionär oder ein hoffnungsloser Doktrinär, der unfähig ist, sich die soziale Revolution als eine lebendige Erscheinung vorzustellen."(36)

Eine Epoche der sozialen Revolution

Das Scheitern des Osteraufstandes schreibt Lenin berechtigterweise der Voreiligkeit der Ereignisse zu. Die Erhebung fand zu einer Zeit statt, in der "der Aufstand des europäischen Proletariats noch nicht herangereift ist."(37) Sie war jedoch Teil dieses Aufstandes. Connollys Politik, seine Teilnahme am Osteraufstand wie auch seine sozialistische Theorie sind Teil der europäischen und, in der Tat, der Weltgeschichte. Der Osteraufstand kann nur dann völlig verstanden werden, wenn er in den welthistorischen Kontext seiner Zeit gestellt wird. Die historische Periode, in der Connolly steht, die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, kann mit Marx' Worten treffend als eine Epoche der sozialen Revolution, als ein dramatischer erster Akt des "Zeitalters der Extreme" (Hobsbawm) bezeichnet werden.(38) Der Erste Weltkrieg war der Startpunkt einer revolutionären Erhebung, die in sich das Potential der Umwälzung der gesamten Struktur der kapitalistischen Gesellschaft barg.

Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ereigneten sich soziale Revolten außerhalb Europas. Der Sogenannte Boxeraufstand in China (1899/1900) wurde durch die Entsendung einer internationalen Streitmacht aus Soldaten und Seeleuten acht verschiedener Staaten (Großbritannien, Japan, Russland, Frankreich, USA, Deutschland, Italien und Österreich-Ungarn) bezwungen. In Lateinamerika fanden ernstzunehmende Aufstände in Mexiko gegen die Diktatur Porfirio Días' und die Feudalherrschaft der Großgrundbesitzer statt. 1916, in dem Jahr, in dem sein Buch über den Imperialismus publiziert wurde, bemerkte Lenin, dass es eine ganze Reihe von Aufstandsversuchen gegeben hatte. Er bezieht sich auf eine Meuterei in Singapur, die brutal von den Briten unterdrückt wurde. Es gab außerdem Versuche in Französisch-Annam und in Deutsch-Kamerun und natürlich verweist er auf die irische Rebellion im Rahmen des europäischen Kontextes: "Selbstverständlich ist diese Liste bei weitem nicht vollständig. Und dennoch zeigt sie, daß Flammen nationaler Aufstände im Zusammenhang mit der Krise des Imperialismus sowohl in den Kolonien als auch in Europa aufloderten, daß die nationalen Sympathien und Antipathien trotz drakonischer Drohungen und Repressalien zum Ausbruch kamen."(39) Beginnend mit dem Osteraufstand in Irland 1916 und eskalierend zwischen 1917 und den frühen 1920er Jahren, entwickelte sich eine Periode revolutionäre Aktivität. Die Russische Revolution von 1917 hatte eine internationale Wirkung. In Deutschland agitierten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und die "Gruppe Internationale" für eine Beendigung des Weltkrieges durch massenhafte wirtschaftliche und politische Streiks. Im April 1917 und Anfang 1918 ereigneten sich große Streiks in der deutschen Rüstungsindustrie Die von Seeleuten angezettelte Kieler Meuterei war der Anfang der revolutionären Aktion in Deutschland, der Errichtung der kurzlebigen Räterepubliken in Bremen (4. bis 9. Februar 1919) und in München (April bis 2. Mai 1919).(40) Straßenkämpfe entbrannten in Berlin und Aufstände fanden in großen Städten statt. Eine Welle von politischen Streiks und Antikriegsdemonstrationen ereignete sich in Wien, Budapest und in den tschechischen Regionen. Die ungarische Räterepublik (März bis Juli 1919) wurde brutal niedergeschlagen. In Italien legte ein Generalstreik aus Protest gegen die Unterstützung der Konterrevolution in Russland durch die Römer Regierung im Juli 1919 das Land lahm. August und September waren durch eine Welle der Fabrikbesetzungen gekennzeichnet, in deren Rahmen die Arbeiter die Kontrolle der Produktion übernahmen.

1916 begann die Basis der Arbeiterbewegung in Großbritannien nicht nur Anzeichen von Kriegsmüdigkeit zu zeigen, sondern stellte auch ihre Feindseligkeit gegenüber einem scheinbar endlosen Schlachten zur Schau. Einer der ersten großen Streiks während des Krieges, der in Großbritannien stattfand, kann als ein Auftakt zur kommenden revolutionären Welle betrachtet werden. Er fand 1915 in Glasgow, auf der Clydeside, in der Maschinenbaubranche statt. Hieraus entwickelte sich das Clyde Arbeiterkomitee, das die Grundlage für die Betriebsrätebewegung bildete. Arbeitskämpfe wurden mit Antikriegspolitik verbunden - mit dem Kampf für Redefreiheit und dem Kampf gegen die 1915 eingeführte Wehrpflicht. John MacLean war einer der hervorragendsten schottischen Sozialisten in dieser Periode.(41)

Fazit

Der Osteraufstand kann nur in diesem Kontext adäquat beurteilt werden, denn als Connolly die Irische Bürgerarmee zum Kampf in der Osterwoche aufrief, war es nicht nur die Hoffnung auf die Verwirklichung einer Vorbedingung für die Errichtung einer sozialistischen Republik in Irland. Er sah den irischen Kampf als Teil eines allgemeinen Kampfes für den Sozialismus in Europa mit der Möglichkeit, das kapitalistische System zu stürzen. Am 8. August 1914 schrieb er: "Indem es beginnt, könnte Irland einen europäischen Flächenbrand entzünden, der nicht ausbrennen wird bis die letzte kapitalistische Fessel und Schuld auf dem Scheiterhaufen des letzten Kriegsherrn zusammengeschrumpft ist."(42) Der Kampf in Irland für nationale Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus war für Connolly also kein isolierter Kampf, sondern eingebettet in einen universellen Freiheitskampf. Er erkannte die Übereinstimmung der Interessen der internationalen Arbeiterklassen mit denen der unterdrückten Völker.

1916 befand sich der Imperialismus noch auf einer frühen Entwicklungsstufe. Nichtsdestotrotz realisierte Connolly zu dieser Zeit, dass der stets wachsende Drang nach neuen Märkten und die Ausbeutung der Rohstoffe in den unterentwickelten Ländern unausweichlich zu Konflikten und Kriegen führten. Seine Sicht war ähnlich der von Lenin, der 1915 schrieb, dass der Imperialismus durch die fortgesetzte brutale Unterdrückung der Nationen der Welt durch eine Handvoll großer Mächte charakterisiert sei. Dementsprechend kennzeichnete der deutsche Schriftsteller Peter Weiss, Autor der bahnbrechenden "Ästhetik des Widerstands", den Imperialismus in den 1980er Jahren als "höchste Form der Brutalität".(43) Der bekannte Schweizer Soziologe Jean Ziegler bemerkt heute, dass die Gesellschaft, in der wir leben, eine "kannibalische Weltordnung" sei.(44) Die von Connolly und Lenin in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts beschriebene Situation - Imperialismus als ein Zustand permanenten Krieges - hat sich heute intensiviert. Das Verhältnis zwischen Sozialismus und nationaler Frage in der heutigen Welt ist auf neue Weise relevant. Der inhärente Konflikt zwischen den Interessen des Weltimperialismus und denen der kleineren Nationen hat einen neuen Grad der Intensität erreicht. In der EU, beispielsweise, müssen wir nur auf die Situation in Griechenland, Spanien, Portugal oder Irland blicken, um zu begreifen, dass es höchste Zeit für die Linke in Europa ist, die Interessen dieser Nationen aufzunehmen und sie in einem Programm einer alternativen europäischen Politik zu kombinieren. Falls die Linke versagt, wird die nationale Frage von der radikalen Rechten aufgenommen, wie es in manchen europäischen Ländern bereits der Fall ist.(45) Das revolutionäre Potential, das in einem Weltmaßstab in den ersten drei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts existierte, fehlt ganz klar in der aktuellen Situation in Europa. Nationale Kämpfe gibt es jedoch in vielen Ausprägungen, in und außerhalb der EU. Es ist deshalb entscheidend, Klassenpolitik in diese Kämpfe zurückzubringen, die in ihren progressiven Aspekten Kämpfe für demokratische Selbstbestimmung im Angesicht der unterdrückerischen Macht des Imperialismus sind - wenn wir die Gefahr vermeiden möchten, dass die nationale Frage von der radikalen Rechten ausgebeutet und in eine Politik des reaktionären Nationalismus gewendet wird, wie es in Deutschland und Italien unter dem Faschismus passiert ist.

Heute stellt sich deshalb nicht die Frage der Verleugnung der Nation, sondern die ihrer Runderneuerung im Kontext der Arbeiterklassenpolitik. Dies ist beispielsweise der Standpunkt der Portugiesischen Kommunistischen Partei. Das Mitglied ihres Zentralkomitees, Albano Nunes, schreibt, dass der Kampf zur Verteidigung der nationalen Souveränität ein grundsätzlicher Kampf gegen den Weltimperialismus sei.(46) Das ist eindeutig die Connolly-Linie. In ihr schließen sich nationale Interessen und Internationalismus nicht aus, sondern gehören zusammen. Sie sollten wesentlicher Bestandteil einer heutigen linken Politik sein.


Dr. Priscilla Metscher,
Grafenau, Historikerin


Anmerkungen

(1) Dieser Text erscheint zeitgleich in Theory & Struggle, der Zeitschrift der Londoner Marx Memorial Library.

(2) An dieser und an anderen Stellen steht im englischen Original der Begriff "nationalism". Auch "Connolly selbst benutzte dieses Wort, um die Unabhängigkeitsbewegung einer unterdrückten Nation und ihre politisch-soziale Ideologie zu bezeichnen. Da der Begriff "Nationalismus" im Deutschen jedoch in der Regel mit völkischer Politik assoziiert wird, soll hier und im Folgenden auf den Terminus "nationale Befreiungsbewegung" zurückgegriffen werden. - Anm. d. Red.

(3) C. Desmond Greaves: The Life and Times of James Connolly, London 1972, S. 420.

(4) Vgl. Arthur Mitchell: Labour in Irish Politics (1890-1930, London 1974, S, 72f.

(5) Vgl. C. Desmond Greaves Insight, Ideas, Politics. The Table Talks of C. Desmond Greaves 1960-1988, hg. von A. Coughlan, unveröffentlichstes Manuskript, S. 107.

(6) Austen Morgan: James Connolly. A Political Biography, Manchester 1988.

(7) In "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" legte Lenin die Grundlagen für das Verständnis des Wesens des modernen Kapitalismus. Die Periode, in der Connolly politisch aktiv war, kann dementsprechend als frühe Stufe des Imperialismus bezeichnet werden. Es liegt in der Natur des internationalen Monopol- und Finanzkapitalismus, "kosmopolitisch" zu sein, wie es Marx und Engels im "Kommunistischen Manifest" ausdrückten, und nach Herrschaft im Weltmaßstab zu streben, sodass er sich in einem strukturellen Konflikt mit einzelnen Nationen befindet.

(8) James Connolly: Socialism and Nationalism, Dublin 1948, S. 87.

(9) Connolly-Walker Controversy. Vgl. ConnoIIy's Suppressed Articles Band 3, Dublin 1969, S. 10f.

(10) Greaves: The Life and Times of James Connolly, a.a.O., S. 77.

(11) James Connolly: Labour and Easter Week 1916, Dublin 1966, S. 175.

(12) Greaves: The Life and Times of James Connolly, a.a.O., S. 74.

(13) Der irische Republikanismus wurde durch die Amerikanische und die Französische Revolution inspiriert. Die Gesellschaft der Vereinigten Iren (1794-1798) befürwortete die Errichtung einer Republik nach französischem Modell und genoss große Unterstützung seitens der irischen Bauern, die ihr Programm als ein Mittel zur Abschüttelung der Fesseln des irischen Großgrundbesitzes betrachteten.

(14) Thomas Metscher: Der Marxismus James Connollys, erscheint in Marxistische Blätter 3_2016.

(15) Vgl. Greaves: The Life and Times of James ConnoIIy, a.a.O., S. 8.

(16) James Connolly: Labour in lrish History, Dublin 1973, S. 74.

(17) James Fintan Lalor, in: Irish Felon vom 24. Juni 1848.

(18) Connolly: Socialism and Nationalism, a.a.O., S. 176.

(19) Connolly: Labour and Easter Week, a.a. O., S. 51.

(20) Ebd., S. 25.

(21) Ebd. S. 54 und 46.

(22) LW Band 22, S. 363f.

(23) Connolly: Labour and Easter Week, a.a.O., S. 55.

(24) Ebd., S.41.

(25) Connolly: Socialism and Nationalism, a.a.O., S. 133f. Connollys Standpunkt ähnelt stark der Position Lenins' und der der Linkssozialisten während des Krieges. Zwischen dem 5. und dem 8. September 1915 fand eine internationale Sozialistenkonferenz in Zimmerwald statt, auf der die Linkssozialisten ein Manifest gegen den Krieg und gegen diejenigen Sozialisten, die den Krieg unterstützten, veröffentlichten. Das Manifest forderte Frieden statt Annexionen. Lenins Vorschlag, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg umzuwandeln, wurde jedoch abgelehnt. Vgl. Imanuel Geiss: Geschichte griffbereit, Teil 4, Reinbek 1988, S. 579.

(26) Emmet Larkin: James Larkin, Irish Labour Leader, 1876-1947, London 1968, S. 56f.

(27) Vgl. Donal Nevin (Hrsg.): 1913. Jim Larkin and the Dublin Lock-Out, Dublin 1964, S. 46.

(28) J. Dunsmore Clarkson: Labour and Nationalism in Ireland, New York 1970, S. 144.

(29) Ebd.

(30) Padraic H. Pearse: From a Heritage (October 19139, in: Political Writings and Speeches, Dublin 1962, S. 177-179.

(31) Sinn Féin Rebellion Handbook: Easter 1916, DubIin 1917, S. 158. Die Partei Sinn Fein wurde 1908 gegründet. Sie war hauptsächlich eine Partei der irischen Kleinbourgeoisie mit einer politischen Doktrin, die auf Autarkie und der Vermittlung des Respekts für irische Traditionen, Geschichte und Kultur basierte. Ihre wirtschaftliche Doktrin war die Unterstützung des einheimischen Kapitalismus. Aber Sinn Fein beteiligte sich als Partei nicht an den Vorbereitungen des Osteraufstandes. AIIes, was nach Republikanismus roch, wurde seitens der britischen Behörden als "Sinn-Feinismus" bezeichnet.

(32) Connolly: Labour and Easterweek, a.a.O., S. 49.

(33) Ebd., S. 139.

(34) Ebd., S. 117.

(35) Greaves: The Life and Times of James Connolly, a.a.O., S.403.

(36) LW Band 22, S. 363,

(37) Ebd., S. 366.

(38) Ich beziehe mich auf MEW Band 13, S. 9.

(39) LW Band 22, S. 362.

(40) Die blutige Zerschlagung der Münchener Republik führte zur Entwicklung reaktionär-nationalistischen Gedankenguts in Bayern während der Weimarer Republik und letztendlich zum Aufstieg des deutschen Faschismus.

(41) Vgl. James Hinton: The First Shop Stewards' Movement, London 1973, S. 125f.

(42) Connolly: Socialism and NationaIism, a.a.O., S. 134.

(43) Vgl. R. Gerlach/M. Richter: Peter Weiss im Gespräch, Frankfurt/Main 1986, S. 186 und 202.

(44) Jean Ziegler: Andere die Welt! Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen, München 2015.

(45) Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär unter Finanzminister Oskar Lafontaine (1998/99), verweist auf die mögliche Gefahr, dass die Front National die französischen Parlamentswahlen 2017 gewinnen und Marine Le Pen Präsidentin werden könnte. VgI.: Der Euro-Ausstieg ist eine Waffe, in: junge Welt vom 7./8. November 2015, Wochenendbeilage, S. 1f.

(46) Vgl. Albano Nunes: Die weltweite kommunistische und revolutionäre Bewegung, online unter:
http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2015/11/die-weltweite-kommunistische-und-revoIutionaere-bewegung

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 2-16, 54. Jahrgang, S. 111-122
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2016

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