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MARXISTISCHE BLÄTTER/608: Krieg in Syrien


Marxistische Blätter Heft 1-16

Krieg in Syrien
"Neuordnung" des Nahen/Mittleren Ostens

Von Klaus Wagener


Die rosa-schwarze Bundesregierung lässt in einen Krieg ziehe, für den selbst gestandene Imperialisten die Logik nur schwer zu erkennen vermögen. "Unsere Reaktion auf den Terrorismus ist gefährlicher als der Terrorismus", schreibt die des Pazifismus unverdächtige US-Zeitschrift Foreign Policy. Wofür? wogegen? Mit welchen Verbündeten? Mit welchen Mitteln? Mit welchem Mandat? In welchem Zeitraum? Mit welchem Ziel? Zu welchen Kosten? Mit welcher Exit-Strategie? Alles unklar. Klar dagegen: Dabei sein ist alles. Wo alle bomben, darf die Bundeswehr nicht fehlen. Verfassung? UN-Charta? Völkerrecht? Legal - Illegal - Scheißegal!

"Ich gehe davon aus, dass dieser Kampf, wenn man ihn ernsthaft betreibt, weit über zehn Jahre andauern wird", bringt ausgerechnet der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, André Wüstner, im ARD-Morgenmagazin etwas Realismus ins Spiel. Der Islamische Staat sei nicht nur im Irak und Syrien, sondern in ganz Nordafrika bis Mali präsent. "Weit über zehn Jahre" und in etwa auf dem Gesamtterritorium der MENA-Staaten (Middle East & North Africa). Das ist der Einsatz, den das "Groko"-Kabinett am 3. Dezember 2015 in einem handstreichartigen Überraschungscoup beschlossen hat. "Deutschlands Freiheit wird bald auch in der Sahara verteidigt" titelt passenderweise die FAZ, "der Bundeswehreinsatz im nördlichen Mali könnte größer und gefährlicher werden, als die Bundesregierung bisher verlautet hat. Interne Berichte gehen von einer kriegerischen Bedrohungslage aus, wie die deutschen Soldaten sie in Afghanistan erleben mussten."

Schon 1995 hatte Generalinspekteur Klaus Naumann den "Krisenbogen von Marokko bis Pakistan" gezogen. Heute ist er Realität, dank der selbstlosen Bemühungen der "Einzigen Weltmacht". Der "Global War on Terror" (GWOT), den US-Präsident Bush am 20. September 2001 ausrief, sollte nicht enden, "bis jede terroristische Gruppe auf dem Globus gefunden, gestoppt und zerschlagen worden ist." Also nie. Am 23. Mai 2013 hat Präsident Obama das Ende von GWOT verkündet - wie anderes auch, ein leeres Versprechen. Bush behielt Recht. Der mörderisch-schmutzige Krieg der "westlichen Wertegemeinschaft" um ihre Vorherrschaft geht weiter - ohne Grenzen und ohne Ende. Im Visier sind vor allem die Staaten, die das Pech haben, profitable Ressourcen ihr eigen nennen zu können, oder über eine geostrategisch bedeutende Lage oder wichtige Transitrouten zu verfügen. GWOT ist der globale Ausnahmezustand in Permanenz. Hier kommt vorn Flugzeugträger bis zur Killerdrohne das komplette Programm zum Einsatz. US-Kommandotruppen, genauer gesagt Killertruppen stehen in rund 100 Staaten des Globus. Wie Foreign Policy meldet, schickt das Pentagon laut Verteidigungsminister Ashton Carter "specialized expeditionary targeting force", also Killertruppen, nun auch offiziell nach Irak und Syrien. "Boots on the Ground" also. Fragt sich, mit welchem Auftrag.

"In Syrien kämpfen im Moment", schreibt Jacob Augstein auf Spiegel-Online, "ohne Anspruch auf Vollständigkeit: die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Saudi-Arabien, Bahrain, Jordanien, die Nusra-Front, die Türkei, Hisbollah, Iran, die 'Freie Syrische Armee' mehrere kurdische Gruppen, die Syrische Armee und natürlich der 'Islamische Staat'. In Syrien ist immer ein Platz frei. Jetzt auch für die Deutschen."

"Ein Pearl Harbor à la française" .

Wieder gab es den "Pearl-Harbor-Moment". "Ein Pearl Harbor à la française", betitelte die die NZZ einen Text des französischen Autors Pascal Bruckner, eines Vertreters jener "Nouvelle Philosophie", die sich durch einen markant bellizistischen Menschenrechtsimperialismus bekannt gemacht hat. "Was also tun?", fragt Bruckner, um vorzuschlagen, "auf innenpolitischer Ebene: die verfassungsmäßigen Rechte der inhaftierten Jihadisten einschränken, sie in Internierungslagern sammeln, wie es schon vorgeschlagen wurde. Alle als suspekt erfassten Personen präventiv verwahren. Den 3.000 als potenziell gefährlich Eingestuften im Lande die Freiheit entziehen. Syrien-Rückkehrer neutralisieren; per sofort alle zweifelhaften Imame und Hassprediger ausschaffen; die salafistischen Moscheen schließen." Und außenpolitisch: "Frankreich müsste die Führung einer internationalen Koalition übernehmen, zu der die USA, Russland, der Irak, Iran gehörten, und Mosul und Rakka bombardieren, die beiden Hauptstädte des IS im Irak und in Syrien. Der Schrecken soll sich unter den Terroristen ausbreiten, keine Atempause sei ihnen vergönnt, bis zur kompletten Ausmerzung."

Repression nach innen, Aggression nach außen. Das dürfte nicht sonderlich weit von der Gedankenwelt des - nominell sozialistischen - französischen Staatspräsidenten entfernt liegen: "Wir müssen erbarmungslos sein", forderte François Hollande, Frankreich sei "im Krieg". Es ist der Schrei nach Rache, der aus den Meinungsmaschinen quillt und die Kriegstrommeln antreibt. Wie schon beim Sender Gleiwitz oder bei "9/11" spielt es natürlich keine Rolle, woher die Attentäter in Wirklichkeit kamen oder wer sie wohlmöglich hat gewähren lassen. Der aufgeklärte, christlich-abendländische Westen", der seit 500 Jahren dabei ist den ganzen Globus auszuplündern und dabei Millionen und Abermillionen ermordet und zigfach mehr in Hunger und Elend gestoßen hat, dieser "Hort des Humanismus" schreit nach Rache, wenn die Kugeln und Bomben einmal nicht die Namen- und Bedeutungslosen treffen, nicht nur Kollateralschäden erzeugen, sondern Menschen treffen. Seinen Intellektuellen fallt nichts weiter ein als Rache, als sei der IS nicht auch der Schrei nach Rache. Als sei es nicht die bittere Konsequenz des GWOT, dass immer brutalere, immer borniertere, fundamentalistischere Kräfte Oberwasser bekommen - auf beiden Seiten. Soweit der Komparativ in diesem Falle überhaupt möglich ist.

Die Hitler und die eigenen Hurensöhne

Natürlich gibt es den GWOT nicht wirklich. Wollte man den Terrorismus tatsächlich bekämpfen, hätte man ihn erst gar nicht erschaffen und bis heute finanzieren und ausrüsten dürfen. Aber Terroristen gehören zum Imperialismus wie die Aasgeier zum Raubtier. Schon die Römer benutzten barbarische Auxiliarkräfte bei ihren Feldzügen. Die Briten rekrutierten für ihre "Indian Army" "native troops" wie die Ghurkas. Das US-Establishment befeuerte das Verbrechen, die Mafia, gegen die Arbeiterbewegung im Inland und beispielsweise gegen Kuba oder die Kommunistische Partei Indonesiens im Ausland. Es befeuerte eben auch, massiv ab 1980, das islamische Mittelalter, und zwar nicht nur gegen alles was nach Sozialismus riecht, sondern gegen alles was laizistisch, rational versucht (bürgerlich-nationale Interessen zu formulieren. Die zu Mudschahedin geadelten, aus aller Welt zusammengetrommelten willigen Terroristen schienen geradezu die idealen nützlichen, weil fanatisch antikommunistischen Idioten des Weltimperialismus zu sein, die den ungestörten Zugriff auf die wichtigsten Ressourcen des Globus, die geostrategische Herrschaft über die Strategische Ellipse wieder ermöglichen sollten. Aber wie immer ist imperiales Handeln nicht widerspruchsfrei.

Nach der Wiederherstellung der kapitalistischen Weltherrschaft im Jahre 1990 wurden auch die letzten Überreste des im Antikolonialkampf entstandenen panarabischen Nationalismus geschleift. Zuvor wurde schon Muhammad Mossadegh zum neuen Hitler, dann Gamal Abdel Nasser, nun auch Saddam Hussein, dann Muammar al-Gaddafi und nun ist es der "Fassbombenmörder" Baschar al-Assad. Durch diese angeblichen "Anti-Hitler-Feldzüge" der westlichen Wertegemeinschaft sind Hunderttausende gestorben und Millionen auf der Flucht - allein durch die Zerstörung des Irak und Syriens 8 Millionen. Ein ungeheures Elend und die Zerstörung einer vieltausendjährigen Kultur durch eine anmaßende Barbarei, die alles unter ihren Fuß tritt, nur weil sie über die besseren Waffen verfügt.

Weltmacht im Niedergang

Trotz überlegener Militärmacht sind die USA heute nicht mehr in der Lage das Schicksal der Welt und auch nicht das der MENA-Region souverän und aus eigener Machtvollkommenheit so zu dominieren, wie es Zbigniew Brzezinski 1997 noch vorschwebte. Die katastrophalen Ergebnisse der billionenteuren Kriege in Irak und Afghanistan, der enorme Prestigeverlust durch den brutalen Horror der US-Kriegführung und durch die abstoßende Dekadenz der politischen und sozio-kulturellen inneren Verhältnisse lassen den US-Imperialismus als eine Macht im Niedergang erscheinen. 1945 standen die USA für etwa die Hälfte der globalen Wirtschaftskraft, heute für etwa ein Fünftel. Neue Player haben das "Große Schachbrett" betreten. Heute haben die BRICS-Staaten mit der Wirtschaftskraft der USA gleichgezogen. Vom Dollar-Imperialismus unabhängige Bündnis- und Finanzstrukturen beginnen sich herauszubilden. Hinzu kommt: Die kapitalistische Weltwirtschaft steckt in einer tiefen Überakkumulationskrise, die bislang nur durch den Einsatz von mittlerweile fast 11 Billionen Dollar Zentralbankliquidität überkleistert worden ist: Eine Lage, die der globale Hegemon durchaus als Bedrohung empfindet.

Wie auf dem europäischen Balkan vor dem Ersten Weltkrieg kreuzen sich nun auch im Nahen/Mittleren Osten die Großmachtinteressen. So simpel sich der große Schrei nach Rache auch anhört, so komplex ist die reale Lage vor Ort. Nicht einmal der IS ist das, was er sein soll. In der großen Kriegserzählung des Westens ist er gewissermaßen aus dem Nichts entstanden, allenfalls durch einen Fehler von Bushs Statthalter Paul Bremer, der die irakische Armee auflöste und Hundertausende arbeitslos machte. Aber Erwerbslose gibt es viele auf der Welt. Der brutale Krieg und das ausweglose Elend ist das eigentliche Problem dieser Region. "Follow the money", wusste schon "Deep Throat" bei Watergate. Wie Russland auf dem G20-Treffen enthüllte, sind mindestens 40 Staaten an der Finanzierung des IS beteiligt, darunter zahlreiche G20-Staaten. An erster Stelle der Terrorfinanzierung stehen die ehrenwerten US-Verbündeten Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Türkei und Israel. Ohne Finanzen, Waffen, Logistik und Handelsbeziehungen ist kein Staat zu machen, nicht einmal ein IS.

Die Agenda der ÖI-Vasallen

1916 hatten Großbritannien und Frankreich mit dem geheimen Sykes-Picot-Abkommen das Fell des osmanischen Bären verteilt, längst bevor er erlegt worden war. Schon damals waren die britischen Kriegs-Hiwis, die um Autonomie von der Hohen Pforte kämpfenden arabischen Stämme hintergangen worden. Nun sieht es so aus als würde die aus dem Abkommen resultierende, territoriale Gliederung des Nahen/Mittleren Osten ihr 100-jähriges Jubiläum knapp verfehlen. Der Krieg zur Zerstörung Syrien dürfte auch der zur Zerstörung von Sykes-Picot sein.

Schon 1915 hatte Großbritannien einen (inoffiziellen) Klientel-Vertrag (Vertrag von Darin) mit den Sauds geschlossen. Im Februar 1945 traf Franklin Delano Roosevelt bei seiner Rückkehr von Jalta auf dem Zerstörer "USS Quincy" König Ibn Saud. Die USA übernahmen dort den wahhabitisch-fundamentalistischen Vasallen mit den allerdings unschlagbaren Vorzügen einer stramm antikommunistischen Gesinnung und den weltgrößten Ölvorräten. Zu diesem Zeitpunkt war die Arabian American Oil Company (Aramco), damals noch ein US-Unternehmen, schon längst dabei für kleines Geld die saudischen Ölvorräte auszubeuten. Im Gegenzug garantierte nun die US-Army die Sicherheit des Potentaten.

Mit seinen gigantischen Öleinkommen und der Furcht vor einem fundamentalistischen Umsturz wie in Iran oder Ägypten, verfolgt das reiche Saudi-Arabien, wie auch die anderen reaktionären Ölpotentaten, längst eine eigene Agenda. Gedrängt von dem Wunsch sich niemals fundamentalistisch überholen zu lassen, sind die Golfstaaten seit dem Afghanistan-Krieg zu den Großsponsoren des internationalen Terrors aufgestiegen. Ziele sind hier die Erweiterung des (terroristischen) Einflusses auf den "Eurasischen Balkan" (Südstaaten der ehemaligen Sowjetunion, Afghanistan, Pakistan) und Zurückdrängung des Einflusses des schiitischen Iran insbesondere durch die Zerstörung des wichtigsten Verbündeten Syrien. Zusammen mit der Desintegration von Irak, Libyen und Syrien ist das Great Garne um die "Neuordnung" der Region längst eröffnet.

Iran hat einen Beobachterstatus bei der SCO (Shanghai Cooperation Organisation) und dürfte über kurz oder lang Mitglied werden. Nachdem Russland und auch China wieder ins Fadenkreuz der US-Falken geraten sind, arbeiten die beiden Staaten verstärkt an dieser eurasischen Kooperation. Beide Staaten haben ein vitales Interesse, die weitere Zerstörung Syriens und die Ausbreitung des islamistischen Fundamentalismus zu verhindern.

Russland - mit dem Rücken zur Wand in die Offensive

Mit dem US-gesponserten Putsch in der Ukraine (Nulandistan), der Aufnahme Polens und der US-hörigen russophoben Baltischen Staaten in EU und NATO und der Installation von strategischer Militärtechnik unweit der russischen Grenze hat die US-Administration die neue Feindlage unmissverständlich klar gemacht. 2008 war die neue Gangart im US-gesponserten Krieg um Süd-Ossetien schon sichtbar geworden. Auch Wladimir Putin stieg zum neuen Hitler auf.

Der Versuch Russlands, zumindest an der Krim eine rote Linie zu ziehen, zog weitreichende Sanktionen des Westens nach sich. Es gelang der US-Administration die EU in ihre Konfrontationspolitik einzuspannen, obwohl insbesondere auch die deutsche Exportindustrie selbst unter dem Embargo massiv leidet. Grob formuliert, die USA haben ihr strategisches Ziel zur Spaltung eines potenziellen eurasischen Herausforderers vorerst durchgesetzt und die EU wird den Preis dafür zahlen. Für Russland war die Zeit einer Neuorientierung gekommen. Es galt diese existentielle Herausforderung anzunehmen.

Das zentrale Schlüsselproblem der Geopolitik ist die Fossilenergie. Wer darf wo bohren und wer, was, wie und wohin transportieren und verkaufen? Das gilt natürlich für weite Teile der MENA-Region, es gilt auch für Syrien. Syriens Erdölproduktion ist überschaubar. Sie erbrachte bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs etwa ein Drittel des Staatsbudgets. Anders ist es mit der Rolle Syriens als Transitland. Hier sind verschiedene Pipelineprojekte geplant und denkbar, mit denen Öl und Gas sowohl aus Iran/Irak als auch aus der Golfregion, entweder bis zum Mittelmeer oder auch - über die Türkei - bis nach Europa transportiert werden könnten.

Damit wäre eine Verringerung der Abhängigkeit Europas von russischen Gasexporten denkbar. Für Gas aus Saudi-Arabien und Katar wäre ein wichtiger Marktzugang in Europa möglich und die Türkei würde (auch mit russischem Gas) zum zentralen Energiekreuz Eurasiens aufsteigen - oder eben auch nicht, wenn Assad und Putin nicht mitspielen und eher die iranisch-irakische Karte ziehen und Assad die Pipelines aus Iran/Irak in den syrischen Mittelmeerhäfen von Banyas, Latakia und Tartus enden lässt. Hier kreuzen sich massive Interessen, die dazu noch von ethnisch religiösen Konflikten und Autonomiebestrebungen überlagert werden, wobei Letztere wie immer zu einem Vehikel der Ersteren werden. Ob die Kurden bei dieser Neuordnung des Nahen/Mittleren Osten tatsächlich einen eigenen Staat erkämpfen können, ist eine mehr als offene Frage.

Erstaunlich sind zumindest das abrupte Ende der "Männerfreundschaft" zwischen Recep Tayyip Erdogan und Baschar al-Assad und die plötzliche, massive logistische, militärische und finanzielle Unterstützung des islamistischen Terrors durch die AKP-Regierung in Ankara - ebenso das milliardenschwere Investment der Saudis und des katarischen Königshauses in die Desintegration der Region. Die Überlegung dürfte hier wohl sein, dass man als Pate des Islamischen Staates, mit dem man schon jetzt gute Geschäfte macht, auch seine strategischen Interessen besser durchsetzen kann, als mit Baschar al-Assad, wo Teheran, Bagdad und wohlmöglich Gazprom-Moskau mit weitgehend konträren Interessen am Tisch sitzen.

Und genau die entgegengesetzte Überlegung (Süd-Ossetien und Nulandistan im Hinterkopf) dürfte auch die russische Führung zum militärischen Handeln bewogen haben. Bei all jenen, die auf dem Territorium Syriens mitschießen (dessen territoriale Integrität und Souveränität natürlich kein Gramm Druckerschwärze wert ist), dürfte die russische Luftwaffe die einzige ausländische Macht sein, die mit einem Mandat und mit einem ernsthaftem Interesse an einer Zurückdrängung von IS und Al-Nusra operiert.

Endlich wieder im Krieg

Dass die US-Administration ihrem wichtigsten Verbündeten in der Region nicht ernsthaft in die Suppe spucken will, scheint klar. Alles andere würde ein eigenes Konzept und die Bereitstellung der erforderlichen Mittel voraussetzen. Von beidem ist nichts zu sehen. Deutlich zu sehen ist allerdings die Unterstützung der USA, Großbritanniens und Frankreichs für den brutalen Interventionskrieg, den die (auch mit deutschen Waffen aufgerüsteten) Golfstaaten unter saudischem Kommando in Jemen führen und der 2,3 Mio. Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat. Deutlich zu sehen war ebenso die demonstrative Rückenstärkung für Erdogan nach dem Abschuss der russischen SU24. Die NATO will die türkischen Luftabwehrkräfte stärken, nicht die Sicherheit der gegen IS und Al-Nusra kämpfenden russischen Flugzeuge gewährleisten.

Der Abschuss - mit großer Sicherheit durch Washington gedeckt - ist das rote Warnsignal an Russland. Ähnlich wie die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad 1999 durch den einzigen CIA-kommandierten B2-Angriff in diesem Krieg heißt das: Im Zweifel machen wir ernst. Damit dürften auch die Stoßrichtung und der Handlungsrahmen der französischen und englischen Manöver determiniert sein. Die Motivationen von François Hollande und David Cameron scheinen ohnehin eher auf innenpolitischem und europapolitischem Feld zu liegen. Beide hatten hier (gegen Angela Merkel) nicht allzuviel Fortune. Beide werden hart von rechts bedrängt. Da macht sich die Pose des eisernen Vaterlandsverteidigers vor der auslaufenden Flotte immer gut. Das wusste schon Margret Thatcher. (Zumal die Bundeswehr hier eleganterweise höchstens den Hiwi machen kann.)

Frau von der Leyen hat den gesetzten Handlungsrahmen denn auch sofort akzeptiert: "Es wird keine Zukunft mit Assad geben, und es wird auch keine Zusammenarbeit mit Truppen unter dem Kommando von Assad geben." Fragt sich: mit wem dann? Das Pentagon hatte mehrere "Ausbildungsprogramme" gestartet. Ein 25 Milliarden-Dollar-Programm für die irakische Armee, ein 65 Milliarden-Dollar-Programm für die afghanische Armee und Polizei, und ein 500 Millionen-Dollar-Programm für die "moderate" syrische Opposition. Der Erfolg der Programme ist überschaubar: in Syrien ist es komplett gescheitert. Wenn es eine "moderate" syrische Opposition geben sollte, so ist sie zumindest militärisch nicht vorhanden. Wie die Dinge liegen, heißt die Alternative: Assad oder IS. Und wie es aussieht, hat sich die "westliche Wertegemeinschaft" entschieden. Es lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass die wunderbare Vermehrung der Anti-IS-Kämpfer eher dem Schutz von IS dient, als dessen Zerschlagung, zumal bislang niemand einen überzeugenden Plan für ein "Nach-IS/Nach-Assad-Syrien" vorlegen konnte - von einem für eine "Nach-Sykes-Picot-Region ganz zu schweigen. Dass es einflussreichen Kräften im deutschen außenpolitischen Establishment nicht ganz wohl ist, vom Fundamentalismus Ankaras wie Riads instrumentalisiert zu werden, zeigt die ungewohnte "Öffentlichkeitsarbeit" des BND. Der hatte in einem Papier von einem Wechsel zu "impulsiver Interventionspolitik" durch die neue Führungsriege der Sauds geredet. Natürlich hat die bedingungslos atlantische Bundesregierung diesen Warnruf umgehend harsch zurückgewiesen.

Dass sich in dieser Konstellation die Kriegsgefahr auch zwischen den wirklichen und vorgeblichen Anti-IS-Kriegern drastisch erhöht, bedarf keiner Begründung. Es ist das einzige, was hier sicher ist. Nichtsdestotrotz jagte die Bundestagsmehrheit aus Union und SPD den größten Kriegseinsatz der Bundeswehr seit Afghanistan, in den 1.200 Soldatinnen und Soldaten geschickt werden sollen, am 4. Dezember 2015 auch durch das Parlament. Von deutschem Boden soll endlich wieder Krieg ausgehen. Und möglicherweise auch gegen Russland.

Klaus Wagener, Dortmund, MB-Redaktion

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-16, 54. Jahrgang, S. 14-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2016

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