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MARXISTISCHE BLÄTTER/587: Weltwirtschaftskrise, Kriege und Kriegsgefahr


Marxistische Blätter Heft 1-15

Weltwirtschaftskrise, Kriege und Kriegsgefahr

Von Lucas Zeise


Es wäre erstaunlich, wenn die aktuelle tiefe, globale und lang dauernde Weltwirtschaftskrise nicht zu höherer Aggressivität des Imperialismus führen würde. Man sehe sich nur kurz die Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre an. Die USA antworteten auf die Gefährdung des kapitalistischen Systems und ihrer Vormachtstellung mit der Politik des Neoliberalismus im Innern, intensivierter Konkurrenz gegenüber anderen kapitalistischen Staaten, forcierter Rüstung und dem aktiveren Eingreifen ziviler und militärischer Art außerhalb der Zentren des Kapitalismus. Diese Antworten auf die Krise wurden von der Regierung Ronald Reagans offen dargestellt, aber schon von der Vorgängerregierung James Carters eingeleitet.

Die Lage ist heute ein wenig anders. Darstellerisch war die Kriegsrhetorik (und Praxis) des Teams von Neocons um George W. Bush nicht zu überbieten. Sein Nachfolger Obama versuchte es umgekehrt mit Friedensgerede. Die Lage ist aber auch grundlegend anders, Weil es Reagans Achse des Bösen nicht mehr gibt. Wenn man zu Reagans Zeiten wachsende Kriegsgefahr konstatierte, war die Gefahr des Dritten Weltkriegs gemeint. Reale Kriege wurden auch damals schon geführt, allerdings nicht in Europa. Auch Reagans riesiges Rüstungsprogramm wird heute nicht wiederholt. Das liegt zum einen daran, dass der Gegner fehlt, der einerseits zum effektiven Gegenschlag fähig wäre und den totzurüsten im imperialistischen Sinn zweckvoll wäre. Zum anderen scheinen die Staatsfinanzen bei offenen Kapitalmärkten ein kreditfinanziertes großes zusätzliches Rüstungsprogramm nicht mehr herzugeben.

Man wird sich den Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise, Kriegsgefahr und Kriegen ohnehin genauer ansehen müssen. Sie sind Erscheinungsformen des Imperialismus. Sie gehören zusammen. Ganz allgemein erhöht sich die Risikobereitschaft, zu radikalen Lösungen wie Krieg zu greifen, in Krisenzeiten, die ja eine Gefährdung der eigenen politökonomischen Position bedeuten. Das gilt für die herrschende Klasse, aber selbstverständlich auch für die einzelnen Akteure und Institutionen im Herrschaftsapparat.

Auf dem Weg zur Bipolarität

Seit 1991 die Sowjetunion unterging oder besser zerschlagen wurde haben wir es mit einem Imperialismus zu tun, dem der Gegner abhandengekommen ist. Das imperialistische Weltsystem wird ganz eindeutig von den USA dominiert. Das System der Staaten hat eine unipolare Struktur, um den gebräuchlichen Ausdruck 'unipolare Weltordnung' zu vermeiden, weil von Ordnung nicht die Rede sein kann. Die Dominanz der USA ist eine Binsenweisheit. Jedoch ist es notwendig, dieses für die aktuelle historische Situation typische Merkmal ins Auge zu fassen. Die heutige Unipolarität unterscheidet sich von der Situation in der Periode von 1945 bis 1990, als der Imperialismus als kapitalistisches Weltsystem vom sozialistischen Weltsystem mit der Sowjetunion an der Spitze herausgefordert wurde. Die heutige Struktur ist auch ganz verschieden von jener, die vor 1914 bestand. Damals rang eine Reihe von imperialistischen Mächten um die Aufteilung der Welt. Man könnte sagen, es seien acht Mächte gewesen (Deutschland, Großbritannien, USA, Frankreich, Österreich, Russland, Italien und Japan), die im Kampf um die Weltherrschaft den Weltkrieg entfesselt haben. Man könnte auch argumentieren, zum Griff nach der Weltmacht waren nur die drei erstgenannten wirklich in der Lage. Wie auch immer man das bewertet, wir hatten es in jedem Fall mit einer multipolaren Welt zu tun. Keine einzelne der damaligen Mächte dominierte auch nur annähernd in der Weise, wie es heute die USA tun.

Die Welt ist auf dem Weg zu einem bipolaren imperialistischen System. Auf dem Weg dorthin mag es eine Zwischenstufe eines multipolaren Systems geben, in gewisser Weise ähnlich dem, wie es vor dem Ersten Weltkrieg bestand. Wahrscheinlich ist das nicht. Vielmehr treibt die Entwicklung schon jetzt darauf zu, dass sich zwei ähnlich mächtige imperialistische Mächte gegenüberstehen. Das sind die USA und China.

Zu dieser Behauptung hier einige Plausibilitätsgründe: Unbestritten ist, dass die ökonomische Dominanz der USA schwindet. Das ist ein schon lange dauernder Prozess. Bis in die 1990er Jahre hinein stellte sich dieser Prozess als relatives Aufholen der westeuropäischen Länder und Japans dar, also der anderen Zentralregionen des entwickelten Kapitalismus. Seit etwa den 90er Jahren verlieren die USA an ökonomischer Potenz viel stärker, verglichen mit einer Reihe von, nein sehr vielen Schwellenländern, zunächst vor allem in Asien, dann aber auch in Lateinamerika. Das bei weitem wichtigste dieser Länder ist China, das immer noch das bevölkerungsreichste Land der Erde ist und dessen ökonomischer Aufholprozess es nach welchen ökonomischen Kennziffern auch immer in die Größenordnung der Volkswirtschaft der USA gebracht hat. Der Verlust der ökonomischen Dominanz der USA hat sich seit Ausbruch der großen Finanz- und Weltwirtschaftskrise noch einmal beschleunigt.

Ökonomie ist nicht alles, aber sie ist die Grundlage für Machtentfaltung. Unter allen potenziellen Rivalen der USA ist allein China auf absehbare Zeit in der Lage, ein ähnliches Gewicht wie die USA selbst in die Waagschale zu werfen. Neben der EU/Deutschland und Japan, die als Rivalen der USA nicht in Frage kommen, weil sie in einem auf Dauer angelegten Unterwerfungsverhältnis zur Hauptmacht des Imperialismus stehen, kämen als potenziell wichtige Mächte Indien, Brasilien und Russland in Frage. Diese Rolle werden sie auch spielen. Sie sind jedoch, anders als China technologisch und ökonomisch zu stark vom Zentrum des imperialistischen Systems abhängig. Dies gilt besonders für Brasilien. Die brasilianische Volkswirtschaft und ihre Staatsinstitutionen, einschließlich des Militärs, sind nach wie vor stark von den USA abhängig. Immerhin haben die USA 1964 einen erfolgreichen Regime-Change, damals Militärputsch genannt, in Brasilien vorgenommen. Indien, das früher eng mit der Sowjetunion kooperiert hatte, hat schon vor 1990 Kurs auf eine stärkere Integration in den vom Westen dominierten Kapitalismus vorgenommen. Russland ist als ehemalige Weltmacht ein besonderer Fall. Ökonomisch ist Russland - vor allem nach der Katastrophe von 1990 - aber bei weitem zu schwach, um als Weltmacht wieder in Frage zu kommen.

Auch die herrschende Monopolbourgeoisie der USA richtet sich mittelfristig auf eine Auseinandersetzung mit China als Rivalen ein. Das belegen die Ausarbeitungen der Think Tanks in Washington, die der realistischeren Fraktion der Demokraten und der Wall Street (im Gegensatz zur extremen Rechten) nahestehen. Zbigniew Brzezinski stellt die Lage so dar. Präsident Obama richtet nicht umsonst die Aufmerksamkeit der US-Außenpolitik auf Asien und damit auf China. Die Strategie der USA besteht unter dieser Grundausrichtung darin, andere Länder zu unterwerfen, sie entweder mit Krieg zu überziehen oder zu umgarnen, um sie besser ausbeuten und um sie als Ressource und Bündnispartner in der großen Auseinandersetzung um die Weltherrschaft nutzen zu können.

Deutschland und EU als Subimperialisten

Die deutsche Monopolbourgeoisie ist nach 1945 von den USA reinstalliert worden. Sie und der von ihr beherrschte Staat sind insoweit ein Zwitterwesen, nämlich einerseits nationales Geschichtsprodukt, andererseits Geschöpf des US-Imperialismus. Die deutsche Monopolbourgeoisie und ihr Staat sind von ihrer Wiedergeburt an bis heute dem US-Imperialismus unterworfen. Ihm verdankt sie ihre weitere Existenz.

Charakteristisch für die westdeutsche und später ganzdeutsche Nation sind folgende Kennzeichen:

- Der Staat der BRD wurde von den Alliierten entworfen und bis in die einzelnen Institutionen hinein aufgebaut. Das gilt sogar oder gerade für den Geheimdienst, der zusammen mit den Nazis neu aufgestellt wurde. Das gilt aber auch für den öffentlichen Rundfunk und für die Deutsche Bundesbank.

- Es besteht noch heute ein enges Geflecht von Institutionen, die Personen monetär und kulturell an die USA binden. Das gilt ganz besonders für die Medien, den Wissenschaftsbetrieb und vor allem die Politik. Es war in allen sechs Jahrzehnten der Bundesrepublik so und es ist heute noch so, dass Karrieren in diesen Bereichen einen Schub bekommen, wenn die betreffende Person von einer deutsch-amerikanischen Freundschaftsgesellschaft gefördert wird.

- Am wichtigsten ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die USA zwischen 1948 und 1973 die westdeutsche Volkswirtschaft und die Entwicklung deutscher Konzerne nicht nur nicht als Konkurrenten behindert hat, sondern im Gegenteil aktiv gefördert. Der Grund für diese unter Imperialisten untypische Verhaltensweise war die reale Sozialismusgefahr. Demzufolge gibt es heute in allen Schichten der Bevölkerung die - gerade jedoch erodierende - Überzeugung, bei den Amerikanern endlich auf der richtigen und auf der Gewinnerseite zu sein.

- Die politische Hauptlinie wird von den USA vorgegeben. Das gilt ganz besonders für die Außenpolitik. Gelegentliche Konflikte werden zwischen Deutschland und den USA wie "unter Freunden" geregelt. Das letzte Beispiel eines Konfliktes (vor der Ukraine) betraf den von den USA geforderten Abbau der früher engen ökonomischen Beziehungen zum Iran. Die Tatsache, dass der Interessengegensatz kaum in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert wurde, deutet darauf hin, dass das deutsche politische Führungspersonal heute noch US-höriger als früher ist.

- Die Nato ist klarster Ausdruck und wichtigstes Instrument für die eindeutige Führungsrolle der USA.

- Die EU, ja sogar der Euro unter deutscher Führung wurden und werden von den USA nicht nur toleriert sondern sogar gefördert. Eigentlich ist das erstaunlich. Denn die EU ist die größte Volkswirtschaft auf dem Globus. Sie hätte insofern die Voraussetzung, der Konkurrent des US-Imperialismus zu werden. Davon kann aber keine Rede sein. EU und Euro wurden gezielt und von deutschen Regierungen betrieben, staatsarm konstruiert, damit ein wirklicher Widersacher gegen die USA nicht entstehen kann. Somit ist die EU nach der Nato das zweitwichtigste Staatenbündnis, das die Vorherrschaft des US-Imperialismus absichert.

Die Unterordnung anderer europäischer Nationen unter die US-Herrschaft ist meist jüngeren Datums. Man betrachte den Untergang und die Selbstzerstörung der großen KPI und die Schwächung der KPF. Abzulesen ist das in Frankreich am Verschwinden des Gaullismus. Wie stark die Politik in Frankreich von US-Tricks beherrscht ist, konnte man an der Verhaftung Dominique Strauss-Kahns beobachten. Oder man schaue sich die Verwandlung des schwedischen 'Volksheims' seit Olof Palmes Ermordung in ein neoliberales Gebilde an.

Das gefährdete, überdehnte Finanzsystem

Das unipolare Weltsystem ist keineswegs stabil. Die imperiale Hauptmacht ist in ihren Ansprüchen jederzeit bedroht. Zunächst von jenen, die sich ihr nicht unterordnen, aber auch von jenen kleineren imperialistischen Nationen, die wie die Europäer und insbesondere Deutschland, sich im Prinzip zwar unterordnen, in einzelnen Fragen aber in Widerspruch zur Politik der Hauptmacht geraten. Die herrschende Klasse in den USA selbst vergleicht ihre permanent bedrohte Weltherrschaft mit der des Römischen Reiches. Ökonomisch funktionierte das römische Imperium anders als der heutige (staatsmonopolistische) Kapitalismus. Die Ähnlichkeit liegt eher in den politischen und militärischen Beziehungen zwischen dem damaligen Zentrum Rom und seinen Provinzen, seinen befriedeten Vasallenstaaten sowie seinen sporadischen Gegnern und den Beziehungen Washingtons zum Rest der Welt. Insbesondere die Kriegsführung mittels über die gesamte Welt verteilter militärischer Stützpunkte und die Entsendung gelegentlicher Expeditionscorps zur Unterwerfung gegnerischer politischer Gebilde oder zur Bestrafung aufsässiger Provinzen gleicht auf verblüffende Weise dem Verhalten des antiken Imperiums.

Die Parallelität im Ökonomischen besteht auf einer grundlegenden Ebene, insofern sie für imperiale Herrschaft typisch ist. Es ist die Aneignung von Mehrprodukt durch die imperiale Macht. Sie nimmt in Rom, wie in der Antike generell die Form der Tributzahlung von den Vasallenstaaten oder Vasallenfürsten an. In Rom kommt wie im Perserreich die Aneignung von Mehrprodukt durch die Provinzverwalter bzw. Satrapen mittels Steuern, Abgaben und Zöllen hinzu. Der Imperialismus des Monopolkapitals ist gekennzeichnet durch die Expansion des Ausbeutungssystems. Die Ausbeutungsrate ist dank deutlich niedriger Löhne in der Peripherie dort erheblicher höher als im Zentrum. Dazu kommt die Gewinnumverteilung von der Bourgeoisie in den abhängigen Gebieten zur herrschenden Bourgeoisie im Zentrum oder in den Zentren des Imperiums. Beide Transfers von Mehrwert werden durch das internationale Finanzsystem vermittelt. Der Kapitalexport aus den imperialistischen Zentren in die Peripherie ist der Ausgangspunkt. Das internationale Finanzsystem garantiert die ordentliche Abwicklung der Zahlungen in Form von Zins und Dividende.

Das System wird seinerseits von der internationalen Staatengemeinschaft, wie das US-Imperium heute genannt wird, garantiert und aufrechterhalten. Der Einsatz staatlicher Mittel zum Erhalt des Finanzsystems stellt eine noch höhere Qualitätsstufe dar, als wir sie ohnehin im staatsmonopolistischen Kapitalismus kennen. Die Anforderungen des Finanzmarktes (sprich des Finanzkapitals) an die Staatsführung sind quantitativ und relativ zum Staatshaushalt von einer ganz neuen Größenordnung. So umfasste das 2008 geschnürte Rettungspaket für deutsche Banken, Soffin genannt, das Anderthalbfache eines jährlichen Bundeshaushalts. Auch der zeitliche Druck, unter dem solche Rettungsmaßnahmen eingefordert werden, wenn die Finanzminister und Regierungschefs regelmäßig davon sprechen, dass ein Beschluss gefasst werden muss, "bevor die Märkte in Fernost eröffnen", ähnelt dem Zeitdruck, unter dem frühere Regierungen standen, wenn sie Armee und Polizei gegen einen militärischen Gegner mobilisieren mussten.

Der sonderbare politische Gleichgewichtszustand der Welt ist mit dem Ausbruch der Finanzkrise und der davon ausgelösten Weltwirtschaftskrise noch labiler geworden. Die Vorherrschaft der USA ist nicht unmittelbar bedroht. Aber die Zentralregionen des entwickelten Kapitalismus, die die Basis der politischen Macht dieses Imperiums bilden, befinden sich in einem Zustand permanenter Krisenhaftigkeit. Generell handelt es sich um eine dauerhafte Überakkumulationskrise. Die Folgen sind Stockungen des Absatzes von Waren, sehr mäßige Investitionen und demzufolge das geringste Wirtschaftswachstum seit dem Zweiten Weltkrieg, Das wiederum ist gleichbedeutend mit niedriger Kapazitätsauslastung des konstanten und variablen Kapitals, was wiederum hohe Arbeitslosigkeit bedeutet bei zugleich nur mäßig wachsender Produktivität.

Die EU und der Euro befinden sich als neoliberale Projekte in einer besonders tiefen Krise. Zu den Folgen zählt

- eine ökonomische Schwächung der westeuropäischen imperialistischen Vasallenstaaten in Bezug auf die USA. Eine Reform des Finanzsektors hat in den USA (und Großbritannien) im Sinne der Banken und Hedge-Fonds stattgefunden. Die EU imitiert meist dieses Vorgehen, tastet aber die Vorherrschaft des US-Finanzkapitals nicht an. Das transatlantische Freihandelsprojekt TTIP soll diesen Zustand festschreiben.

- eine Veränderung des Verhältnisses der EU-Staaten untereinander. Deutschland ist vor Frankreich, Großbritannien und Italien nun eindeutig Führungsmacht. Das politische Bündnis formal gleichberechtigter Staaten wurde abgelöst durch Gläubiger-Schuldner-Beziehungen, bei denen der finanziell stärkste Staat den schwächeren die Politik vorschreibt. Man hat es da mit halbkolonialen Verhältnissen zu tun.

- eine höhere politische Labilität in fast allen EU-Staaten. Die Wähler werfen häufiger als früher die alte Regierung aus dem Amt. Die politischen Parteien verlieren als klassenübergreifende Organisationen an Bindungswirkung. Die nationalen Bourgeoisien sind immer weniger in der Lage, nationale Interessen zu formulieren, geschweige denn durchzusetzen.

Wo Krieg geführt wird

Wenn man die aktuelle historische Periode von den Versuchen des US-Imperialismus charakterisiert sieht, seine Macht über die bereits unterworfenen Regionen der Erde zu festigen, sie besser in das bestehende Ausbeutungssystem einzugliedern, die noch widerborstigen Nationen zu unterwerfen und sich schließlich für den Endkampf um die globale Vorherrschaft in Stellung zu bringen, wird man die jetzigen zahlreichen Kriege und noch viel zahlreicheren Konflikte unterhalb der Schwelle des Krieges als Vorgeplänkel im Anlauf auf den Kampf um die Weltherrschaft und um den - keineswegs zwangsläufigen - Dritten Weltkrieg begreifen. Kein Krieg oder Bürgerkrieg auf diesem Globus, in dem nicht die USA ein wichtiger Akteur sind.

Man sollte sich unter diesem Aspekt die Großregionen der Welt und ihren aktuellen Kriegszustand ansehen. Da gibt es zunächst zwei Regionen, in denen der US-Imperialismus zurzeit sozusagen mit der linken Hand regiert. Die eine ist Lateinamerika. Sie ist zugleich die Region, die sich von der früher extrem engen imperialistischen Umklammerung durch die USA seit den 1990er Jahren etwas lösen konnte. Dieser Prozess wird offensichtlich als Befreiung empfunden. Er ist aber keineswegs abgeschlossen. Ökonomisch und politisch ist die Abhängigkeit der meisten Länder Lateinamerikas vom "großen Bruder" im Norden sehr hoch. Daran ändern auch die Integrationsbemühungen dieser Länder auf kurze Sicht wenig. Noch ist der geringe Grad der Unabhängigkeit der nationalen Bourgeoisien und der Völker Lateinamerikas in keiner Weise gesichert.

Die zweite Region geringer Aufmerksamkeit ist Afrika (südlich der Sahara). Trotzdem hat der US-Imperialismus dieser Region in den vergangenen zwanzig Jahren stärker seinen Stempel aufgedruckt als zuvor. Das ging aber auf Kosten der europäischen alten Kolonialmächte Großbritannien und vor allem Frankreich. Im Kongo, in Ruanda, Burundi, Elfenbeinküste, Mali, Tschad, Burkina Faso hatte Frankreich früher eine eigene neokoloniale Strategie verfolgt. Nach einer Reihe von Stellvertreterkriegen in Zentralafrika führt Frankreich die von den USA diktierte Politik durch. Ähnliches gilt für die früher von Großbritannien dominierten Länder wie Kenia, Uganda, Simbabwe, Nigeria und Ghana, deren Politik heute in Washington entworfen wird. Die Wandlung Südafrikas vom Apartheid-Staat zu einem kapitalistischen Schwellenland fand unter US-Regie statt. Sie hat die Stellung der USA auf dem ganzen Kontinent gestärkt und ist einer der wenigen wirklichen Erfolge der US-Außenpolitik. An vielen Stellen Afrikas besteht die US-Strategie jedoch darin, Länder, die nicht bequem und unter Einsatz geringer Mittel zu unterwerfen sind, wie im Fall Somalia und Sudan, zu zerschlagen.

Erklärtermaßen ist Ostasien die Region, die seitens des US-Imperialismus höchste Priorität genießt. Hier befindet man sich im Umland des immer stärker werdenden Gegners. Die militärische Einkreisung Chinas ist keine neue Entwicklung, sondern ist US-Politik, seit es die Volksrepublik China gibt. Es gab in dieser Region mit dem Korea- und Vietnamkrieg die zwei größten Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg unter massivem direktem Einsatz der US-Streitkräfte. Zurzeit ist die Region unverändert hochgerüstet. Die rasche ökonomische Entwicklung der vergangenen drei Jahrzehnte hat die Region zu einem neuen Zentrum des Weltkapitalismus gemacht. Das betrifft nicht nur China allein, sondern die Mehrheit der Länder: Südkorea, Taiwan, Vietnam, Thailand, Malaysia, Indonesien und die Philippinen. Japan ist seit dem Zweiten Weltkrieg ein Vasallenstaat der USA ähnlich wie Westdeutschland es war. Allerdings befindet sich das Land seit 1990 in einer ökonomischen Dauerkrise. Die US-Regierung versucht das Land gegen China in Stellung zu bringen. Es wird zur Aufrüstung und zum aggressiven Auftreten gedrängt. Zugleich wird der rechten Regierung Shinzo Abe gestattet, zur Förderung der Exporte den Yen abzuwerten - eine Politik, die früher von Washington schärfstens getadelt und letztlich verhindert wurde.

Der Nahe Osten und Zentralasien ist diejenige Weltregion, in der sich der US-Imperialismus seit vielen Jahrzehnten unter Einsatz erheblicher Mittel um die Vorherrschaft bemüht hat. Das Erstaunliche ist, dass ihm das bisher nicht vollkommen gelungen ist. Vielmehr haben Washingtons direkt und indirekt geführte Kriege Chaos hinterlassen. Die Region hat sich ökonomisch relativ schwach entwickelt. Die reichsten Erdölvorkommen des Globus haben den laufenden Einsatz der USA in dieser Region zusätzlich motiviert. Schon heute sind Libanon, Jemen, Libyen, Syrien, Irak, Sudan, Afghanistan und Pakistan Staaten, in denen die Regierung über viele Teile des Landes die Gewalt verloren hat. Ähnlich wie in Afrika gehört die Auflösung der Staatsgewalt zur Strategie des Imperialismus. Der Ölförderung tut dies, wie man in den ölreichen Ländern Irak und Libyen beobachten kann, keinen Abbruch.

Russland ist ein Land und zugleich eine Großregion, die vom US-Imperialismus seit dem Untergang der Sowjetunion als lohnende Beute betrachtet wird. Nach 1991 war klar, dass die USA in Russland den Ton angaben. Unter Boris Jelzin fügte sich das Land dem US-Imperialismus. Aber es blieb zunächst offen, ob es weiter zerstückelt werden sollte, um es besser ausbeuten zu können. Mit Wladimir Putin als Präsident im Jahr 2000 nahm die russische Staatsführung die Ermahnungen des Westens ernst, endlich ein verlässliches Rechts- und Verwaltungssystem zu schaffen. Kurz bevor die große Erdölfirma Jukos an den größten westlichen Ölkonzern Exxon verkauft wurde, wurde der Jukos-Eigentümer Michail Chodorkowski aus dem Spiel genommen. Seitdem gehört Russland zu den "Schurkenstaaten", die sich dem US-Imperialismus widersetzen.

Für das imperialistische Subsystem Deutschland/EU ist Russland ebenfalls von strategischer Bedeutung. Wichtig ist aus deren Sicht, dass die Rohstoffe fließen (besonders das Gas, für das es keine akzeptable Alternative gibt), dass die Investitionsmöglichkeiten erhalten bleiben und dass der wachsende, noch relativ unerschlossene Markt zugänglich bleibt. Für die USA dagegen ist das russische Gas drittrangig. Auch als Investitionsstandort und Warenmarkt ist Russland aus US-Sicht wenig bedeutend. Das ist der Grund, warum die USA forsch den Umsturz in der Ukraine betrieben haben. Die Kosten des Konflikts fallen in Russland und im übrigen Europa an. Dennoch brauchen die USA, um den Konflikt führen zu können, schon aus geographischen Gründen die EU. Die deutsche Monopolbourgeoisie macht den Konfrontationskurs (fast) voll mit unter der Parole "Primat der Politik" und deutet damit an, dass ihre ökonomischen Interessen eigentlich anders gelagert sind.

Da ohne Verfügungsgewalt über Russland der US-Imperialismus die Weltherrschaft nicht behalten kann, ist aus seiner Sicht ein eigenständiges Russland nicht tolerierbar. Die Versuche der USA, auch dieses Land zu unterwerfen, werden deshalb nicht nachlassen.

Die Konflikte, Bürgerkriege und Kriege auf dem Globus werden am klarsten verstanden, wenn man sich die strategische Ausrichtung der führenden imperialistischen Macht USA vor Augen führt. Wie der Blick auf die verschiedenen Regionen zeigt, hat die Weltwirtschaftskrise dabei keine qualitative Veränderung der aggressiven Haltung des US-Imperialismus, wohl aber quantitativ mehr Aggressivität mit sich gebracht. So ist die Bereitschaft der USA, mehrere Kriege gleichzeitig zu führen und noch mehr führen zu lassen, seit Ausbruch der Krise, was zeitlich mit der Präsidentschaft Barack Obamas zusammenfällt, noch gestiegen. Intensiviert hat sich auch die direkte politische, ökonomische und militärische Einflussnahme überall auf der Welt bei verbündeten, unterworfenen oder gegnerischen Staaten. Der Drohnenkrieg in Pakistan und im Jemen ist dabei nur ein grauenhaftes Beispiel.

Bei den EU-Staaten kann man wohl eher von einem qualitativen Sprung sprechen. Das betrifft zunächst das schon angesprochene Binnenverhältnis der EU-Staaten, wobei Deutschland die regionale Führungsmacht geworden ist. Für Großbritannien und Frankreich bedeutet dies eine Zurückstufung vom zweiten Rang der Mächtigen in den dritten. Für Italien, Spanien, Schweden, Polen, die Niederlande und andere ist die Rückstufung ebenso schwerwiegend, weil sie nur noch begrenzt über ihre Innen- und Wirtschaftspolitik bestimmen können. Die meisten EU-Staaten haben seit der Krise die Aggressivität nach außen verstärkt. Die wirkliche Führungsmacht wird aktiv umworben. Einer "Koalition der Willigen", die der jüngere Bush 2003 in den Krieg gegen den Irak sammelte, würde sich heute kaum ein EU-Staat entziehen. Die Kriege gegen Libyen und Syrien sind durch die Regierungen in London, Paris und Rom angeregt worden, ganz nach dem Willen des US-Präsidenten, der bei Amtsantritt versprochen hatte, die Verbündeten durchaus auch mal vorangehen zu lassen. Die Attacke der französischen und britischen Luftwaffe auf Libyen war insofern eine neue Qualität der Aggressivität, die an die Zeit vor der Suez-Krise anknüpfte, als die Staaten noch ihre restlichen Kolonialreiche verteidigten.

Deutschland hat sich als neue Führungsmacht in der EU einem neuen Militarismus verschrieben. Noch gehen alle Kriegsaktionen, an denen die BRD teilnimmt, auf die Initiative oder sogar Anweisung der USA und ihrer Nato zurück. Eine neue Qualität der Aggressivität stellt die Teilnahme am Bündnis der "Freunde Syriens" zum Umsturz des dortigen Präsidenten dar. Dasselbe gilt für die Auftritte der deutschen Außenminister Westerwelle und Steinmeier auf den Antiregierungsdemonstrationen in Kiew, der massive Einsatz von Geld und Personal für Antiregierungskräfte in der Ukraine und schließlich die Beteiligung am Umsturz in Kiew selber. Anders als man vermuten könnte, hat die Krise, die ökonomisch die unterschiedlichen Interessen der EU und der USA stärker hervortreten lässt, nicht zur Folge, dass die politischen Widersprüche zwischen den beiden Regionen deutlicher werden. Eher scheint das Gegenteil der Fall. Das wiederum muss nicht so bleiben, vor allem dann nicht, wenn die ökonomischen Kosten der imperialen US-Aggressivität auch für die deutsche Monopolbourgeoisie steigen.


Lucas Zeise, Frankfurt/Main, Wirtschaftsjournalist, Mitherausgeber der MB

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-15, 53. Jahrgang, S. 125-132
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2015

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