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MARXISTISCHE BLÄTTER/545: Kapitalismus = Monopolmacht plus Profitsicherung für die Energiekonzerne


Marxistische Blätter Heft 2-13

Kapitalismus = Monopolmacht plus Profitsicherung für die Energiekonzerne

von Hans-Peter Brenner



"Sozialismus = Sowjetmacht und Elektrifizierung des ganzen Landes" (Lenin).

In der Krise des Kapitalismus, deren erfolgreiche Bewältigung derzeit vorschnell verkündet wird, vollzieht sich vor unseren Augen eine "Energierevolution". So der Titel eines von Mitarbeitern des "Wuppertal Institut" herausgegebenen Buches, in welchem die "Transformation in eine 'postkarbone' Gesellschaft" verkündet und gefordert wird.

Die Autoren sind sich sicher: "Bleibt das Energiesystem beim derzeitigen Trend des 'business as usual' dann werden wir schon in 30 Jahren in einer Welt leben, wie wir sie uns bisher nur in unseren Albträumen vorstellen konnten. Denn der bis 2030 im Trend weiter ansteigende Einsatz fossiler und nuklearer Energieträger bedeutet dramatischen Klimawandel, latente Ressourcenkriege, drohende zivile und militärische Nuklearkatastrophen. Diese nicht nachhaltige Entwicklung wäre der 'harte Pfad'.

Demgegenüber steht seit Jahrzehnten die Vision eines dezentralen 'sanften Pfades'. In diesem ist das Energiesystem natur- und sozialverträglich, risikominimierend, unabhängiger von Konzernmacht, förderlich für Innovationen, Wettbewerb und Demokratie sowie für den Zugang zu Energie im Süden - ein Beitrag zur Armutsbekämpfung."(1)

Das wurde geschrieben vor dem Atomunfall von Fukushima und eine "Energiewende" schien unter der derzeitigen schwarz-gelben Bundesregierung in unabsehbarer Ferne zu liegen.

Welche Herausforderung an Politik, Programmatik und Organisation einer revolutionär-marxistischen Bewegung und Partei gehen davon aus?

Es ist eine Doppelaufgabe: zum einen müssen eigene konstruktive Vorstellungen für eine von der Profitlogik nicht nur der Stromkonzerne, sondern von der Monopolmacht insgesamt sich ablösenden Energieversorgung und Energiepolitik entwickelt werden und zugleich müssen die Fragen der Energieversorgung seitens der Marxisten in ihrer Systembedeutung viel stärker mit der gesellschaftlichen Strategie des antimonopolistischen Kampfes und perspektivisch mit der Perspektive des revolutionären und sozialistischen Bruchs mit der kapitalistischen Produktionsweise und Herrschaftsform verbunden werden.

Es geht dabei nicht im Kern um eine "sanfte" oder "harte" Variante der Energieproduktion. Es geht um die Frage der Macht, der Verfügungsgewalt und des Besitzes über diesen Kernbereich der modernen industriellen und kapitalistischen Produktionsweise. Doch schauen wir uns zuerst einige Fakten und Trends an.


Globale Energiestruktur

Auf welcher energetischen Basis beruht die vom nationalen und transnationalen Monopolkapital geprägte und deformierte industrielle Basis der kapitalistischen Weltwirtschaft? Der "Fischer Almanach 2012"(2) macht folgende Sachangaben:

Der wichtigste Energieträger ist weltweit mit Abstand Erdöl. 2010 lag sein Anteil am Primärenergieverbrauch bei 33,6 Prozent. In den letzten elf Jahren haue Erdöl bei absolut noch steigendem Verbrauch allerdings beständig in allen Weltregionen an Marktanteilen verloren.

Der Weltverbrauch von Stein- und Braunkohle ist absolut seit 1965 um fast das 1,5-Fache gestiegen; der Anteil der Kohle am globalen Gesamtverbrauch sank jedoch von 37,9 Prozent in 1965 auf 29,6 Prozent im Jahre 2010. Ursache für den Wiederanstieg war die starke Energienachfrage im asiatisch-pazifischen Raum. Dort ist Kohle mit 52,1 Prozent des Energieverbrauchs der wichtigste Energieträger. Diese Karbon-Abhängigkeit weiter Weltregionen wird in Europa oftmals übersehen.

Bei Erdgas liegt die Verbrauchssteigerung im Zeitraum 1965-2010 knapp doppelt so hoch wie die allgemeine Zunahme des Energieverbrauchs. 2010 erreichte Erdgas mit einem Anteil von 23,8 Prozent einen neuen historischen Höchststand. In Europa (inkl. Russland und GUS) bleibt Erdgas mit einem Anteil von 34 Prozent vor Erdöl der wichtigste Energieträger.

Die Kernenergie verzeichnete bis Ende der 1980er Jahre die am stärksten steigenden Anteile am Gesamtenergieverbrauch. Der Anteil der Kernenergie lag 2010 bei 5,2 Prozent.

Die Bedeutung der Wasserkraft hat seit 1970 (5,4 Prozent) kaum zugenommen, sie erreichte 2010 einen Anteil von 6,5 Prozent am globalen Primärenergieverbrauch. Die Wasserkraft hat nur in einigen Schwellen- und Entwicklungsländern (Brasilien 35 Prozent, Venezuela 22 Prozent) und in gebirgigen Industriestaaten (Norwegen 64 Prozent, Schweden 30 Prozent, Kanada 26 Prozent) einen hohen Anteil am Primärenergieverbrauch.

Die kommerzielle Nutzung anderer regenerativer Energiequellen (Wind- und Sonnenenergie, Geothermie, Biomasse) verzeichnet seit den 1990er Jahren die höchsten Wachstumsraten aller Energieträger, seit 2004 sogar im zweistelligen Bereich. Allerdings erreichen die erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) bisher nur einen geringen Anteil am Primärenergieverbrauch. 2010 lag er nach Angaben von "BP" weltweit bei 1,3 Prozent. In einigen Ländern haben die erneuerbaren Energieträger jedoch bereits eine hohe Bedeutung. So deckt Dänemark 13 Prozent seines Primärenergieverbrauchs durch erneuerbare Energiequellen (vor allem Windkraft), Portugal bezieht 10 Prozent der Energie vor allem aus Biomasse und Windenergie und Neuseeland 9,7 Prozent vor allem aus Geothermie.


Globaler Verbrauch und Vorräte

Selbst unter Berücksichtigung aller geplanten Maßnahmen kommt die Internationale Energie-Agentur (IEA) in ihrem "Szenario der neuen energiepolitischen Maßnahmen" zu dem Schluss, dass der globale Primärenergieverbrauch zwischen 2008 und 2035 um 1,2 Prozent pro Jahr zunehmen und 2035 mit 16.700 Mio. Tonnen Öleinheiten um 36 Prozent über dem Niveau von 2008 liegen wird. Der Verbrauchszuwachs wird dabei zu 93 Prozent durch Nicht-OECD-Staaten getragen (vor allem VR China und Indien), während der Energiebedarf der OECD-Länder durch die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch bis zum Jahr 2035 nur sehr langsam steigt.

Der Weltverbrauch von Energie war 2009 infolge der globalen Rezession zum ersten Mal seit 1982 gesunken (-1,1 Prozent). Der Primärenergieverbrauch stieg infolge der wieder angesprungenen Weltkonjunktur nach Angaben von British Petrol im Jahr 2010 um 5,6 Prozent auf 12.002,4 Mio. Tonnen Öleinheiten.

Den stärksten Anstieg verzeichnete der asiatisch-pazifische Raum mit einem Plus von 8,5 Prozent; ausschlaggebend dafür ist die starke Energienachfrage der VR China (11,2 Prozent) und Indiens (9,2 Prozent). Starken Zuwachs verzeichneten auch die sogenannten "Schwellenländer des Nahen Ostens" (+5,4 Prozent)

Aber auch die Weltregionen, in denen 2009 der Energieverbrauch eingebrochen war, wiesen 2010 wieder einen Zuwachs auf: Russland und die GUS-Staaten (5,3 Prozent), Mittel- und Südamerika (4,6 Prozent), die USA (3,7 Prozent) und Afrika (3,4 Prozent). Den geringsten Anstieg verzeichneten demnach die EU-Staaten (3,2 Prozent).

Den höchsten Anteil am Welt-Energieverbrauch hatte 2010 die VR China (20,3 Prozent) noch vor den USA (19,0 Prozent), Russland (5,8 Prozent), Indien (4,4 Prozent), Japan (4,2 Prozent), Deutschland (2,7 Prozent), Kanada (2,6 Prozent), der Republik Korea, Brasilien, Frankreich (jeweils 2,1 Prozent) und Iran (1,8 Prozent). Die VR China hat damit die USA 2010 als größten Energieverbraucher abgelöst.

Beim Pro-Kopf-Verbrauch lagen die USA 2010 mit 7,3 t Öleinheiten jedoch deutlich vor der VR China, die mit 1,8 t erstmals über dem Weltdurchschnitt von 1,7 Tonnen Öleinheiten lag.

Durch die derzeitigen, vor allem in den USA und in Kanada weit vorangetriebenen Pläne und in ersten Großprojekten bereits realisierte Methode des umweltfeindlichen "Fracking" zur Ausbeutung der bislang ungenutzten, gigantischen in Schiefer eingeschlossenen Gasvorräte erhöht sich in rasanten Tempo das Gewicht der "fossilen Energieträger". Von einem "neuen Goldrausch", der durch das "Zauberwort Fracking" ausgelöst worden sei und vor dem alle umweltzerstörenden und gesundheitlich riskanten Folgen verblassen, ist in den USA die Rede. Die Parole von der "Energieunabhängigkeit" von den als "unsicher" eingeschätzten großen arabischen Lieferstaaten oder Venezuela scheint alle Gesundheits- und Umweltbedenken niederwalzen zu können. Die in Schiefer gebunden Gasvorräte sollen sogar die riesigen russischen Gasreserven übertreffen. Die USA könnten weltweit der "Gasproduzent Nr. Eins" werden, so wird geschwärmt.

Erst Ende 2014 will die oberste US-Umweltbehörde eine Studie zu den Gefahren des "Fracking" vorlegen. Dabei soll aber nur ein Aspekt thematisiert werden: die Auswirkungen auf die Wasserversorgung. "Dass Frankreich das hydraulische Aufbrechen von Felsschichten zur Gasförderung als erste Nation verboten hat, lässt Amerika naturgemäß kalt und könnte sie gar zum Gegenteil inspirieren" - so lautet das resignative Fazit eines ungewöhnlich kritischen Beitrags in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".(3)

Nimmt man noch die riesigen Ölvorräte Alaskas oder die in kanadischen Ölsänden gebundenen Vorräte hinzu - allein in der Provinz Alberta werden 1,8 Billionen Barrel Öl vermutet, wobei für 1 Barrel Öl etwa 4 Tonnen Ölsand bewegt werden müssen -, so erlebt zumindest Nordamerika eine regelrechte "Renaissance" der fossilen Energieträger - mit verheerenden Folgen für Fauna, Flora und die Existenz von "homo sapiens sapiens", an dessen Weisheit und Verstand füglich gezweifelt werden kann.(4)

Dies verschiebt noch einmal die Gewichte zwischen den traditionellen "harten" und den "sanften" Energien. Die Erschließung immer neuer umweltriskanter Öl- und Gasvorräte - und nicht etwa die Debatte um die Senkung oder Erhöhung der "Zuschüsse" für die nicht-fossilen Energieträger- wird deren Entwicklung und Ausbau künftig weltweit bestimmen.


Die Zukunftspotenzen der "sanften Energie"

Die Zuwachsraten bei den nichtfossilen Energieträgern, den "Erneuerbaren Energien" (Windenergie, Biomasse, Solarenergie und Geothermie) sind dennoch insgesamt imponierend. Ihr Verbrauch stieg 2010 um 15,5 Prozent. Dieser Zuwachs erfolgte regional rasch, aber in unterschiedlichem Ausmaß. Im asiatisch-pazifischen Raum betrug das Wachstum +21,7 Prozent, in Nordamerika waren es +14,1 Prozent und in Europa +12,9 Prozent.

Nach Angaben von BP besaßen regenerative Energieträger 2010 aber trotzdem damit insgesamt lediglich einen Anteil von 1,3 Prozent am kommerziellen Primärenergieverbrauch. Der Verbrauch von Kohle stieg 2010 um 7,6 Prozent, von Erdgas um 7,4 Prozent, von Wasserkraft um 5,4 Prozent und von Erdöl um 3,1 Prozent. Den geringsten Verbrauchszuwachs aller Energieträger verzeichnete 2010 die Kernenergie mit 2,0 Prozent.(5)

Die Basis für die Erneuerbaren Energien bilden die drei Energiequellen Kernfusion der Sonne, Gezeitenkraft und die Geothermie.(6) Die mit Abstand ergiebigste Form ist dabei die Sonnenenergie.

Grundsätzlich kann die Energie der Sonne neben der direkten Nutzung auch in Form von Bioenergie, Windenergie und Wasserkraft verwertet werden. Mögliche Nutzungsformen der "sanften Energien" sind demnach:

Solarenergie aus Photovoltaik (Photovoltaikanlagen), Solarthermie (Sonnenkollektoren, Sonnenwärmekraftwerke), Solarchemie sowie Thermik (Thermikkraftwerke)

Bioenergie aus Biomasse in unterschiedlichster Form (Holz, Pflanzenöl, Biodiesel, Bioethanol und Cellulose-Ethanol, Biogas, BtL-Kraftstoffe, Biowasserstoff sowie Muskelkraft.

Wasserkraft aus Staudämmen und Staumauern, Laufwasserkraftwerke, Wassermühlen, Strombojen, Wellen- und Strömungsenergie des Meeres, Meereswärme, Osmosekraftwerk.

Windenergie aus Windenergieanlagen, Aufwind- oder Thermikkraftwerken, Fallwindkraftwerken, Windmühlen etc.

Der wachsende, aber insgesamt noch relativ geringe Anteil der alternativen Energien am globalen Stromangebot könnte sich theoretisch in überschaubarer Zeit rasant vergrößern. Der Weltklimarat Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) kam 2011 in seinem 900 Seiten umfassenden Energiebericht zur Einschätzung, dass fast 80 Prozent des weltweiten Energiebedarfs bis 2050 aus erneuerbaren Energiequellen stammen könnten. Auch in rund 40 Jahren könne die Menschheit zwar nicht völlig auf Kohle, Gas und Erdöl verzichten, je nach Unterstützung durch Politik und Wirtschaft könnten die "Erneuerbaren" 2050 aber einen Anteil von bis zu 77 Prozent erreichen.

"Der Report zeigt, dass es wissenschaftlich keine Probleme gibt, die Welt mit alternativen Energien zu versorgen", erklärte Mitautor Sven Teske von Greenpeace International. "Technisch könnten die 560 Gigatonnen Kohlendioxid mit Erneuerbaren Energien eingespart werden, die wir brauchen, um die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen."

Der Bericht ist zwar auf Grund der Interventionen der Erdöl produzierenden Staaten entschärft worden, aber er ist selbst in dieser Form noch deutlich genug: "Mit einer konsistenten Klima- und Energiepolitik können erneuerbare Energiequellen bedeutend zum menschlichen Wohlbefinden und einer nachhaltigen Energieversorgung beitragen", sagte Professor Ottmar Edenhofer, der als Hauptautor den Bericht mit verfasst hat. Edenhofer ist u. a. Klimaberater der deutschen Bundeskanzlerin, also alles andere als ein "Klima-Revoluzzer".

Der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Ramon Pichs vom kubanischen Wirtschaftsforschungszentrum, betonte: "Der Bericht zeigt, dass es nicht um das Vorhandensein der Ressourcen geht, sondern um die Politik." Davon hänge ab, in welchem Tempo der Anteil erneuerbarer Energien weltweit steigen werde. Denn das technische Potenzial der erneuerbaren Energien liege weltweit um ein Vielfaches höher als die heutige globale Energienachfrage.(7)


Kostenfrage und die Preislüge

Laut IPCC werden die Kosten für die Erneuerbaren Energien nicht höher sein als ein Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes. Die IPCC-Experten wiesen darüber hinaus auf die häufig bewusst manipulierten und viel zu hoch angesetzten Kosten für die Produktion der Erneuerbaren Energien hin. Außerdem würden die künftigen Gewinne der Erneuerbaren Energien oftmals zu wenig in die Kalkulationen einbezogen. Zudem würden die "Nebenkosten" der fossilen Energien wie Erderwärmung und Gesundheitsschäden zu gering angesetzt.

Diese Hinweise sind von besonderer Bedeutung für die aktuelle Debatte um die infolge der deutschen Energiewende "zwangsläufig" steigenden Energiepreise hierzulande. Uwe Nestle, Vorstandsmitglied des "Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft", belegt in einer gut fundierten Analyse, wie widersinnig die Berechnung der Preise für den "Öko-Strom" ist und wie trickreich die wahren Kosten der "harten" Stromproduktion verschleiert werden.

"Die EEG-Umlage berechnet sich aus den Ökostromvergütungen und dem Erlös, der durch den Verkauf des Ökostroms am Strommarkt, der Börse EEX, erwirtschaftet wird. Dieser Erlös wird von den Ökostromvergütungen abgezogen, die Differenz wird auf die Stromkunden anteilig aufgeteilt. Daraus ergibt sich - im Groben - die EEG-Umlage. Klingt logisch - ist aber die falsche Rechnung, wenn die Mehrkosten des Ökostromausbaus bestimmt werden sollen."

Der Preis am Strommarkt entspricht aus mehreren Gründen nicht den Kosten und dem wahren Wert des Stroms. Er plant erstens keine Reserven und Anreiz für den Neubau von Kraftwerken jeglicher Art ein. Das gilt für Deutschland wie für andere Länder mit einem vergleichbaren Strommarkt. Daher gibt es neben dem Strommarkt häufig einen Kapazitätsmarkt. Mit diesen Zusatzeinnahmen kann auch der Kraftwerksneubau finanziert werden. Dabei werden Kraftwerke allein dafür bezahlt, dass sie eine Stromerzeugungskapazität vorhalten. Wenn über solche Kapazitätsmärkte zusätzlich Geld für konventionelle Kraftwerke ausgegeben wird, würde auch konventionell erzeugter Strom einen höheren Preis haben müssen, als es der Strompreis an der Börse suggeriert.

Auch konventionelle Kraftwerke wurden und werden massiv subventioniert. Nestle macht dazu folgende Angaben: "Im Gesamtzeitraum 1970-2012 summieren sich die staatlichen Förderungen für die Atomenergie auf rund 213 Mrd. Euro, für Steinkohle auf rund 311 Mrd. Euro und für Braunkohle auf rund 87 Mrd. Euro." Diese Subventionen sind ein weiterer Grund, warum der Strompreis an der EEX so niedrig ist.

Zusätzlich wirken drei weitere Preis-Verschleierungsmechanismen zugunsten der "harten" Energie.

Erstens sind es die starken Umweltschäden bei der konventionellen Stromerzeugung. Die Umweltkosten der Stromproduktion aus Braunkohle betragen z. B. 10,7 ct/kWh, die aus Windenergie dagegen nur 0,3 ct/kWh.

Der europäische Emissionshandel verschleiert diesen Preisvorteil zugunsten der "Fossilen" noch mehr: der Preis für eine Tonne CO2 liegt seit Monaten bei nur rund 7 Euro - die Umweltkosten dagegen bei 80 Euro. Würden diese vollständig eingepreist, verdreifachte sich der Strompreis an der Börse. Die EEG-Umlage wäre dann um rund 2,4 ct/kWh niedriger.

Zweitens sorgt das EEG selbst für eine preisliche Benachteiligung der "Erneuerbaren". Durch das steigende und höhere Ökostromangebot wird Strom an der EEX billiger - um rund einen Cent. Je höher das Stromangebot, desto niedriger der Preis. Dadurch sinken aber die Erlöse aus dem EEG-Stromverkauf, die Umlage steigt entsprechend um rund 0,2 ct/kWh.(8) Mit Recht sagt Nestle: "Beide Effekte müssten eigentlich von der Umlage abgezogen werden."

Drittens zahlen viele große Stromverbraucher nur eine deutlich reduzierte EEG-Umlage. Die Kosten des EEG werden also nicht auf alle Schultern verteilt. Das macht die Umlage im kommenden Jahr um 40 Prozent bzw. 1,5 ct/kWh teurer. Es gibt also eine massive Subventionierung der großen Stromverbraucher durch die anderen Stromkunden.


Die Energiewende als "Schicksalsfrage" und die Rolle der erneuerbaren Energien

Auf deutscher wie auf europäischer Ebene stoßen sich die Konzepte der mehr auf einen "grünen Kapitalismus" und "nachhaltiges Wachstum" setzenden Kapitalkreise mit den eher ganz "ordinären", auf Umsatz und permanentes Wachstum und ständig zunehmenden Energieverbrauch setzenden Energiemonopolisten, denen es mehr um (wie man früher gesagt hätte) "die schnelle Mark" geht. Der WDR-Wirtschafts- und Energieexperte J. Döschner sprach im vergangenen Jahr im WDR5-Wissenschaftsmagazin "Planet Wissen" öfter davon, dass die Energiepolitik "die Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts" sei und dass die "Beharrungskräfte" in den Zentralen der Energieriesen wie RWE und EON, die sich in der Vergangenheit massiv für die Laufzeitverlängerung der AKW eingesetzt hätten, stark genug seien, den offiziell verkündeten Ausstieg aus der Atomenergie massiv zu sabotieren. Die Zweifel, dass die sogenannte Energiewende scheitern könne, seien nicht unberechtigt.(9)

Die Anzeichen und Beweise für die Richtigkeit dieser Einschätzung häufen sich immer mehr. Dabei kann sich die Entwicklung der alternativen und umweltverträglicheren Energiequellen in Deutschland wahrlich sehen lassen.

Im Jahr 2011 lag der aus erneuerbaren Energien gedeckte "Endenergieverbrauch" in Deutschland bei 12,2 Prozent des Gesamtverbrauchs. Der Anteil der erneuerbaren Energien am "Gesamtstromverbrauch" betrug 20,0 Prozent, bei der Wärmebereitstellung 10,4 Prozent und am gesamten Kraftstoffverbrauch 5,4 Prozent. Die Erneuerbaren Energien nahmen damit laut vorläufigen Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft - BDEW - nach der Braunkohlemit einem Anteil von 24,6 Prozent den zweiten Platz in der Stromerzeugung ein, dahinter folgten Steinkohle mit 18,6 Prozent, Kernkraft mit 17,7 Prozent und Gaskraftwerke mit 13,6 Prozent.

Zugleich stellten die Erneuerbaren Energien 35 Prozent der gesamten inländischen Primärenergiegewinnung, womit sie knapp hinter Braunkohle die zweitwichtigste Form der einheimischen Energiegewinnung waren.

Diese Erfolgsgeschichte und die schier unbegrenzt erscheinenden Zukunftsaussichten werden konterkariert durch die "Renaissance" der fossilen Energieträger (s. o.) und der Kernenergie. Denn für die Energiekonzerne steht zu viel auf dem Spiel und zig Milliarden Euro stehen zur Disposition.

Dies zeigte sich auch auf dem letzten UNO-Klimagipfel in Rio de Janeiro. Hier ging es sowohl für die deutschen und europäischen Energiemonopolisten darum, auf Biegen und Brechen die Weichenstellungen für die künftigen Energieversorgungsstruktur im europäischen Wirtschaftsgroßraum neu ausrichten. Dabei spielte der gerade ins Amt beförderte neue deutsche Umweltminister Peter Altmaier eine führende Rolle. Altmaier als derzeit beurlaubter Beamter der EU und langjähriger, in verschiedenen europapolitisch tätigen Wirtschaftsorgarnsationen tätiger Lobbyist war dafür genau der geeignete Kandidat der deutschen Industrie, die nach dem Fukushima-Schock und dem Manöver der übenaschenden Energiewende nach Monaten der strategischen Neuorientierung im Verlauf des Sommers 2012 wieder energie- und ordnungspolitisch Tritt gefasst hat.


Heraus aus der Schockstarre: Der BDI kontert die Energiewende

Im Juni 2012 verkündete H.-P. Keitel, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), nach einer Präsidiumssitzung dieser Stabsstelle des deutschen Monopolkapitals die Gründung eines eigenen "Kontrollzentrums für die Energiewende". Das "Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung" (ZEW) werde das Know-how für diese vom Großkapital bestimmte Ausprägung der Energiepolitik in Form von "Indikatoren" für die Energiewende liefern.

Anhand dieser Vorgaben wurde das "Energiewirtschaftliche Institut" (EWI) der Universität Köln und die halbstaatliche Deutsche Energie-Agentur (Dena) beauftragt eine "Trendstudie" zu verfassen. Ausgehend von den Entwicklungen am Strommarkt sollten sie klären, ob die Abschaltung des letzten Atomkraftwerks 2022 eine Lücke reißt oder nicht. Unabhängig davon solle die Boston Consulting Group eine Prognose erstellen, was die Energiewende über 2030 hinaus für den Standort Deutschland bedeutet.

"Rein zufällig" gab fast zeitgleich der Energiekonzern Vattenfall bekannt, dass er das Internationale Schiedsgericht (ICSID) mit Sitz in den USA, anrufen werde, um die Bundesregierung wegen ihrer Energiewende zu verklagen. Pikanterweise ist das ICSID eine Unterabteilung der Weltbank. Und wiederum "rein zufällig" legte die Dena zusammen mit der Unternehmensberatung Ernst & Young erstmals den sogenannte Dex, den Deutschen Energiewende-Index, vor. In ihm sollen künftig Unternehmen einmal je Quartal zu ihren Einschätzungen rund um die Stromversorgung befragt werden. Die erste Befragung brachte vor allem Unzufriedenheit mit den rechtlichen Rahmenbedingungen ans Licht, insgesamt aber eine eher neutrale Bewertung.

Am 8.11.2012 wurden die "Erkenntnisse" des BDI und der von ihm beauftragten Einrichtungen auf einem "Energiewendekongress" vorgestellt. Offizieller Veranstalter war die "Kompetenzinitiative Energie." Die Veranstaltung war "hochkarätig" besetzt. Die Bundesminister Rösler (Wirtschaft, FDP), Altmaier (Umwelt, CDU) und Ramsauer (Verkehr, CSU) waren Gastredner.

Laut Bericht des Berliner "Tagesspiegel" gab BDI-Präsident Keitel bei Konferenzeröffnung eine klare Vorgabe: "Die Energiewende muss möglichst aus einem Guss gelingen. Energiepolitische Flickschusterei treibt die Kosten in die Höhe." Keitel sagte weiter: "Die Wirtschaftlichkeit der Energiewende ist bereits jetzt akut gefährdet."(10) Die Kosten der Energiewende seien "ruinös". Die Investitionen in die Stromversorgung könnten bis zum Jahre 2030 auf 350 Milliarden Euro in die Höhe schnellen. Ohne Energiewende seien nur 150 Milliarden Euro nötig. Erst zwischen 2030 und 2050 würden sich die Kosten der ökologischen Stromversorgung günstiger entwickeln als die Kosten der konventionellen Stromversorgung.

Keitel spannte dann auch den Bogen zur US-"Schiefergas-Revolution", die schon jetzt zu drastisch fallenden Strom- und Gaspreisen geführt habe. "Die USA könnten sich damit schon bald zu unserem schärfsten Standort-Konkurrenten entwickeln", warnte er. Er verwies auf ein weiteres Ergebnis der BDI-Studie. Demnach drohe in Deutschland schon bald eine "dramatische Überproduktion an hoch subventioniertem Ökostrom." Von dem Strom aus deutschen Wind- und Solaranlagen könne der Heimatmarkt im Jahre 2022 voraussichtlich nur knapp zwei Drittel aufnehmen, heißt es in der vom BDI in Auftrag gegebenen Untersuchung des Kölner EWI: "Die fluktuierende Einspeisung dieser Technologien führt dazu, dass Produktion und Last in Deutschland auseinanderfallen."

Mehr als ein Drittel der zusätzlichen Ökostrom-Erzeugung in Deutschland führe schon in zehn Jahren lediglich zur Erhöhung des deutschen Exportsaldos. Geld lasse sich aber mit diesem Export voraussichtlich kaum verdiene. Weil in Überschusszeiten Elektrizität am Großhandelsmarkt nichts wert sei, müsse Deutschland seinen hoch subventionierten Ökostrom möglicherweise zu Niedrigpreisen, wenn nicht sogar gegen Zuzahlung ans Ausland abgeben.(11)

Für den BDI steht also fest: Bei der Energieversorgung geht es nicht um Umweltverträglichkeit; es geht nicht um Versorgungssicherheit und eine verbraucherfreundliche Preisgestaltung, sondern es geht um den eigenen Profit bei Stromverkauf. Ein "Überangebot" ist nicht ein Beweis, wie sicher in Deutschland auch mit den "sanften Energien" der Strombedarf gedeckt werden kann, sondern ein Profithemmnis.


Querschuss gegen den Ausbau der umweltfreundlichen Energieversorgung

Die (vor)geladenen Bundesminister bewiesen unisono, wem sie sich in allererster Linie verpflichtet fühlen. Laut "Tagesspiegel" zeichnete sich Wirtschaftsminister Rösler dabei als besonders industriehörig aus. Gleich zu Beginn beteuerte er, dass er "für mehr Wirtschaftlichkeit und weniger Planwirtschaft" der Energiewende kämpfen werde. Aus seiner Sicht müsse das vor allem für die erneuerbaren Energien gelten, die "der Hauptkostentreiber" beim Strompreis seien. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) könne es jedenfalls "nicht so weitergehen". Jeden Morgen laufe er an einer Büste von Ludwig Erhard vorbei: "Ich muss aufpassen, dass der sich nicht wegdreht, wenn ich reinkomme." Weniger laut und grundsätzlich argumentierte der CSU-Verkehrsminister Ramsauer: er begnügte sich mit einer Werbeansprache für die Gebäudesanierung und das Elektroauto. Anders der neue Umweltminister. Er hatte schon ganz im Sinne des BDI vorgearbeitet. In seinen " Mit neuer Energie" titulierten "10 Punkten für eine Energie- und Umweltpolitik mit Ambition und Augenmaß" hatte er kurz nach seiner Ministerberufung bereits angedeutet, dass für Umwelt-, Klimaschutz und Energiewende "in verstärkten Maße" privates Kapital mobilisiert und "innovative" Finanzinstrumente erprobt werden müssten. Dazu müsse das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) aus der rotgrünen Koalitionszeit reformiert werden.(12)

Das war und ist ganz im Sinne des BDI. Und deshalb erhielt er von der Lobby-Organisation der "Energieintensiven Industrien Deutschlands (EID)" auf einem kurz vor der BDI-Veranstaltung vom Umweltministerium einberufenen eigenen "Energiegipfel" der Bundesregierung am 28.8.2012 sehr viel Zuspruch. Die beiden EID-Sprecher M. Basten, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden, und M. Kneer, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Metall kritisierten zunächst das EEG und den nach ihrem Geschmack zu starken Zuwachs der "alternativen Stroms". "Jede weitere Belastung für die Industrie schadet unserer Wettbewerbsfähigkeit als Exportnation Nr. 1 in Europa" beklagte Kneer.(13) Den neuen Minister lobten sie ausdrücklich und in hohen Tönen. "Wir stimmen Bundesumweltminister Peter Altmaier in seiner Analyse zum Status der Energiewende zu: Es besteht erheblicher Handlungsbedarf, um die Umsetzung der Energiewende volkswirtschaftlich verantwortbar und damit bezahlbar zu machen."(14)

Das "Bezahlbarmachen" klang und war den Lobbyisten besonders bedeutsam, weil sie und ihre Auftraggeber von mittlerweile über 2000 Sonderregelungen für industrielle und andere Großabnehmer profitieren.

Doch Minister Altmaier musste auf dem BDI-Kongress einen medialen Spagat schaffen: als "Newcomer" im Amte hatte er auch auf die Öffentlichkeit einigermaßen Rücksicht zu nehmen, die unter "Energiewende" in weiten Bereichen etwas anderes versteht als nur das Ausschütten eines Füllhorns von Kosten- und Preis-Sonderregelungen für die Industrie.

Deshalb war zumindest seine Rhetorik nicht nur auf einen rein marktradikalen "Schmusekurs" getrimmt. Er wies dagegen darauf hin, "dass der Markt nicht alle Probleme löst". Nötig seien politische Leitentscheidungen. "Wenn wir gewartet hätten, dass der Markt dafür sorgt, dass der Rhein wieder sauber wird und der Himmel über dem Ruhrgebiet wieder blau wird und dass der saure Regen aufhört, würden wir noch heute darauf warten", sagte er.

Altmaier erklärte damit den Industriebossen das Leitkonzept einer staatsmonopolistischen Energie"reform", das nicht in jedem Fall dem einzelnen Konzern genehm sein muss, das aber im Gesamtinteresse des deutschen Groß- und Monopolkapitals trotzdem perspektivisch das sinnvollere, weil technologisch das modernere ist. Die Energiekonzepte der Länder und des Bundes müssten abgestimmt werden. Das EEG müsse "grundlegend reformiert" werden, und die Energiewende sei "ein positives Projekt".(15) Altmaier wollte jedoch "nicht ausschließen", dass die Bundesregierung das Energieeffizienzziel, nämlich bis 2020 rund 10 Prozent des Stromverbrauchs im Vergleich zu 2008 einzusparen, noch einmal ändern könnte."(16)

Man könnte sagen, dass Altmaier nach der Devise handelt "Gesagt ist getan." Denn die Ende Januar 2013 verkündeten Begrenzung" der Stromkosten ist eine enorme Bremse und Behinderung für den weiteren Ausbau des Ökostroms und des "sanften" Weges. Er verkündete das Einfrieren der bisherigen Förderung der "Öko-Energie" für mindestens zwei Jahre. Betreiber von Solar- und Windanlagen haben nun mit starken finanziellen Einbußen zu rechnen. Statt wie bisher mit der von allen Stromkunden - mit Ausnahme der fast 2000 industriellen Abnehmer - gesponserten Einnahme von 5,287 Cent pro Kilowattstunde rechnen zu können, werden die Ökostromproduzenten dazu verpflichtet, mit einem "Energie-Soli" für eine gewisse Zeit auf die auf dem derzeitigen Stand eingefrorenen Förderungen teilweise zu verzichten. Auch einige Ausnahmeregelungen zugunsten der industriellen Großabnehmer sollen gestrichen werden.

Damit wird die bisherige Förderung des "Öko-Stroms" um rund 300 Millionen Euro gekappt. Die Folgen für die weitere Perspektive der Entwicklung einer umweltfreundlicheren Energieversorgungsstruktur wären massiv. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) reagierte zu Recht mit heftigen Vorwürfen gegen den Umweltminister. Das sei das Ende der "Planungssicherheit" und führe zu einer "massiven Verunsicherung" von Investoren. Damit solle wohl der Ausbau des Öko-Stroms ausgebremst werden.

Für Teile des Regierungslagers reicht dieser Schlag gegen die "sanften Energien" jedoch nicht aus. Bundeswirtschaftsminister Rösler forderte umgehend "weiterreichende" Schritte. Es reiche nicht aus an "einzelnen Stellschrauben" zu drehen.(17)

Kritik kam u.a. von den Grünen (B. Höhn) und von der SPD (U. Kelber), die übereinstimmend vor einer Verteuerung der erneuerbaren Energien und vor dem Stop ihres Ausbaus warnten. Ähnlich sieht es ein Kommentator der "Süddeutschen Zeitung": "Der Vorstoß hat das Zeug, den Ausbau der Erneuerbaren zu stoppen."(18)


"Energiewende" und die eiserne Front der Atomindustrie

Altmaiers Breitseite gegen den zügigen Ausbau der "Erneuerbaren" wurde und wird medial flankiert und abgesichert durch eine hemmungslose Propaganda der Strompreis-Lüge. Nicht nur "Bild" mit rekordverdächtiger zehnmaliger Wiederholung von "... und steigt und steigt ..." war und ist seit Monaten voll von lauthalsen Erklärungen und Kommentaren rund um die angekündigte Strompreiserhöhung. Das EEG müsse dringend "reformiert", am besten abgeschafft werden. Denn es "zwinge" jede Bundesregierung geradezu dazu an der Strompreisschraube zu drehen.

Es geht um ganz andere Dinge. Es um mehr als um einige Prozentanteile oder Cent für die Förderung des "Öko-Stroms": Es geht um das Gesamtkonzept der Energieversorgung. Es geht um den Machtanspruch der Energiemonopole und um den Versuch der Atomindustrie; doch noch den/die Kernbereich(e) der atomaren Energiewirtschaft weiterzuführen.

Nach dem ersten taktischen Zurückweichen unter dem Eindruck der Fukushima-Katastrophe ist sie längst wieder auf dem Vormarsch: Die Nuklear-Sparte des Vattenfall-Konzerns - bislang nur eine "nachgeordnete Business Unit" - wurde zu einer "eigenständigen Business Division" umgebaut und einer neuen Führung unterstellt. Die bayrische Hypo-Vereinsbank (HBV), die sich nach dem Unfall in Fukushima von Geschäften mit der Atomkraft "distanziert" hatte, treibt wieder neue Atomprojekte voran. Die Bank ist dem tschechischen Schrottmeiler Temelin, dessen Anlage bis 2025 um zwei Reaktoren erweitert werden soll, bei der Beschaffung eines 8-Milliarden-Euro-Kredits behilflich. Die HBV hat Garantien bis zu 500 Millionen Euro zugesagt. Auch beim Ausbau der französischen Urananreicherungsanlage Georges Besse II springt die Bank mit einem Kredit ein. Und für den Neubau eines AKW in Kaliningrad gewährt HBV dem Turbinenhersteller Alstom einen hohen Exportkredit.(19)

Doch es geht um noch weitaus Brisanteres. In deutschen Kernkraftwerken wird seit Jahren Uran aus russischen Atomwaffen eingesetzt. In den vergangenen zehn Jahren habe die Atomindustrie "mehr als 1000 Brennelemente" eingesetzt, die mit Uran aus russischen Militärbeständen bestückt waren. Bei weiteren 500 gelte das als sehr wahrscheinlich. Dadurch wurde das russische Militär "zum wichtigsten Stromlieferanten" der deutschen Atomindustrie.(20)

Mit 200 Brennelementen lässt sich ein ganzes AKW fünf Jahre befeuern. Der Einsatz weiterer 180 Elemente sei geplant. Allein RWE habe bestätigt, dass in seinen AKWs in Obrigheim und Neckarwestheim in 856 Brennelementen Uran aus russischen Militärbeständen "beigemischt" werde. Auch Eon bestätigte den Einsatz russischen Militär-Urans. Schon 2001 hätten EnBW-Experten sich dafür stark gemacht, dass ein noch weit gefährlicherer Atombrennstoff, hochangereichertes Plutonium - ebenfalls aus Russland - verfeuert werden sollte. Riesige Summen sind im Spiel. Laut "SZ" seien allein bei EnBW in Verbindung mit diesem Atomgeschäft "rund 130 Millionen Euro" versickert. Kassiert habe sie wohl der russische Lobbyist Andrej Bykow. Für EnBW ist es dennoch ein lohnendes Geschäft, denn "Brennelemente aus Russland seien für deutsche AKW-Betreiber schlicht billiger gewesen als die aus westlicher Produktion.

Minister Altmaier sichert die Weiterführung dieser Riesengeschäfte ab. Nicht nur - aber auch - darum geht es.

Parallel zu der Debatte um die Erhöhung des Öko-Steueranteils am Strompreis und um den Stopp des Ausbaus des "Öko-Stroms" läuft mit Wissen der Bundesregierungen das Bombengeschäft mit russischem Militäruran weiter, von dem die Macher ganz ungeniert kundtaten, dass sie dafür einen weit längeren Betriebszeitraum benötigen, als ihnen nach dem alten "Energiekonsens" der Regierung Schröder-Fischer zugesichert war.

Es geht um den ungenierten Raubzug der Reichen und Superreichen, der Großkapitalisten - die selbst von den bürgerlichen Medien bestätigt bekamen, dass sie die wahren Krisenprofiteure sind. Die Strompreiserhöhung ist darum auch mehr als nur das "wahre Gesicht der Energiewende".

Hier geht es aber nicht nur um den "schnöden Mammon". Es geht um mehr. Es geht um die Frage der Demokratie und die Frage der Macht in diesem Staat. Demokratie im bürgerlich-kapitalistischen Sinne als Fassade für die Herrschaft des Groß- und Monopolkapitals, der Öl-, Automobil- und Stromkonzerne oder Demokratie im Sinne der breiten Masse des werktätigen Volkes, als eine Methode und Waffe im antimonopolistischen Sinne.

Und deshalb sind die sicher gut gemeinten "Sozialtarife" für Hartz-IV-Empfänger, Kleinrentner etc., die jetzt von verschiedenen Sozialverbänden und der Partei "Die Linke" gefordert werden, nicht die wirkliche Lösung. Sie ändern nichts an dem vom Großkapital beherrschten monopolförmig ausgerichteten und deformierten Strommarkt.

Eine antimonopolistische Strategie mit den Kernforderungen der Kontrolle, der Dezentralisierung und Vergesellschaftung der Energiewirtschaft und der dann viel leichter zu vollziehenden ökologisch und sozial verträglichen Stromproduktion - das ist der Weg, der letztlich eingeschlagen werden muss. Und dazu muss das feste und fast undurchdringliche Geflecht von Desinformationen, Halbwahrheiten und schlicht auch dreisten Lügen, die generalstabsmäßig im Interesse der Stromkonzerne - aber nicht nur von ihnen, sondern von der gesamten Großindustrie - in die Welt gesetzt werden, zerrissen werden.

Hans-Peter Brenner, Dr., Bonn, Dipl.-Psychologe,
MB-Mitherausgeber


Anmerkungen

(1) P. Hennicke, Susanne Bodach unter Mitarbeit von N. Supersberger und D. Riechert.: Energierevolution. Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien als neue globale Herausforderung. München 2010, S. 10

(2) Der neue Fischer Almanach 2012, Frankfurt, S. 673f.

(3) J. Mejias: Amerikas fatale Rettung, FAZ 15.1.2013, S. 25

(4) Focus, 26.2.2012

(5) Alle Daten nach Fischer Weltalmanach 2012

(6) Die folgenden Angaben lt. wikipedia

(7) ebenda

(8) Uwe Nestle 7.1.2013: Was kostet die Energiewende
http://oekonews.at/index.php?mdoc_id=1076592

(9) Vergl. www1.wdr.de/themen/wirtschaft/energiewende148.html

(10) http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/stromversorgung-in-deutschland-wie-industrie-und-politik-ueber-die-energiewende-streiten/7365256.html

(11) Industrie hält Energiewende für ruinös. Die Welt, 9.11.2012

(12) http://www.eurefcampus.de/index.php/download_file/view/484/ "Mit neuer Energie. 10 Punkte für eine Energie-und Umweltpolitik mit Ambition und Augenmaß"

(13) http://www.welt.de/108760362

(14) http://www.welt.de/wirtschaft/article108760362/lndustrie-gibt-Regierung-Schuld-an-Energiepreisen.html?config=print

(15) Tagesspiegel. A. a. 0.

(16) ebenda

(17) "Strompreise sollen nicht mehr so drastisch steigen", Die Welt, 29.1.2013, S. 4

(18) M. Bauchmüller: Mal kurz den Satt abdrehen. "Süddeutsche Zeitung", 29.1.2013, S. 4

(19) Vergl. Süddeutsche Zeitung, 27.9.2012

(20) Vergl. Süddeutsche Zeitung, 15./16.9.2012

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 2-13, 51. Jahrgang, S. 33-41
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2013