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MARXISTISCHE BLÄTTER/463: DDR - Der verbleibende Feindstaat der Bundesrepublik?


Marxistische Blätter Heft 5-10

20 Jahre nach dem Beitritt zur Bundesrepublik
DDR: Der verbleibende Feindstaat der Bundesrepublik?

Von Ludwig Elm


Vorbemerkung

Die knappe Skizze benennt Aspekte der Herkunft sowie einige Wesenszüge und Resultate von Gesellschaft und Geschichte der DDR. Sie nimmt die Selbstdarstellung der Bundesrepublik als Vorlage: Das Gesamtbild wird nicht von kritikwürdigen Seiten, Defiziten und Fehlentwicklungen her entworfen. Die Federführung in der Geschichtsschreibung wird nicht ärgsten Gegnern und Kritikern überlassen, deren mangelnde Objektivität durch mediale Lautstärke sowie unablässige Wiederholungen zu kompensieren versucht wird. Vielmehr stehen Erfahrungen und Vorstellungen der Gründergeneration, Ziele der inneren und äußeren Politik, Leistungen des Systems sowie Kennziffern der Lebensqualität der Mehrheit der Bevölkerung - auch im historischen und internationalen Vergleich - im Mittelpunkt.


Zu jedem Aspekt können relativierende und kritische Anmerkungen angebracht werden. Sie finden sich seit zwei Jahrzehnten aufwändig, teils zutreffend und häufig verabsolutiert, mitunter erfunden oder für den aktuellen Zweck aufbereitet, selbstgerecht und belehrend, in Politik, Medien und politischer Bildung. Eine objektive und faire Debatte setzt jedoch voraus, dass das Ursprüngliche und Konstituierende benannt und darauf Bezug genommen wird. Übrigens: Mit den hierzulande hinsichtlich der DDR vorgegebenen Vorverurteilungen und herabsetzenden Sprachregelungen sowie den mit großem staatlichem, finanziellem und medialem Aufwand verfolgten Methoden ließe sich jede Gesellschaft und jedes Staatswesen dieser Welt bis zum Zerrbild deformieren und delegitimieren. Auch die Bundesrepublik.


Herkunft und Aufbruch

In der SBZ und den Anfängen der DDR wurde ein radikaler und wesentlicher Beitrag zum Abbruch der verhängnisvollen deutschen Geschichte von 1871 bis 1945 einschließlich ihrer gesellschaftlichen Grundlagen geleistet sowie der Weg zu einer grundsätzlichen Um- und Neugestaltung eröffnet. Es wurden sozioökonomische Umgestaltungen realisiert, die weder von der Novemberrevolution 1918 noch der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik bewältigt worden waren. Sie entsprachen in Kernpunkten den seit dem 19. Jahrhundert entwickelten Vorstellungen radikaler Republikaner und der Arbeiterbewegung, Zielen des Antimilitarismus sowie des antifaschistischen Widerstands. Das befand sich weithin im Einklang mit den von der Antihitlerkoalition 1944/45 benannten Voraussetzungen und eingeleiteten Schritten für einen Neubeginn Deutschlands. Es stimmte überein mit programmatischen Zielen, zu denen sich ab Sommer 1945 neu beginnende Parteien und Organisationen bekannten, darunter SPD, KPD, CDU, CSU, FDGB und DGB. Mit der in den Westzonen ab 1947/48 eingeleiteten und mit der Konstituierung der Bundesrepublik besiegelten restaurativen Wende wurden fundamentale gesellschaftliche Neuansätze abgebrochen.

Die Entmachtung der Kriegs- und Naziverbrecher sowie der bürgerlich-aristokratischen Oberschichten - mehrheitlich verantwortlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwischen 1900 und 1945 in Europa und der Welt - war Gebot der Demokratisierung und des Rechts, des Humanismus und eines wirklichen Neuanfangs. Dazu gehörten die Verstaatlichung oder andere Formen der Vergesellschaftung von Großgrundbesitz und Bodenschätzen, Banken und Versicherungen, Großindustrie, Verkehrs- und Kommunikationswesen, Handel, Verlagen und Medien, Einrichtungen der sozialen und gesundheitlichen Fürsorge sowie der Bildung, Wissenschaft und Kultur. Es bedurfte eines entschiedenen politischen und geistig-kulturellen Neubeginns.

Mit der Bodenreform von 1945 und dem Mehrheitsvotum des sächsischen Volksentscheids von 1946 zur Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher zeichneten sich frühzeitig grundlegende Unterschiede zu den Westzonen ab. Die Traditionslinien des preußisch-deutschen Militarismus, der Aristokratie und des Junkertums, der großkapitalistischen Machtkonzentration sowie überhaupt der seit Jahrhunderten gewachsenen sozialen Schichtungen und Hierarchien wurden im Osten in einem revolutionären Prozess abgebrochen und für weitere gesellschaftliche Entscheidungen ausgeschaltet. Im Ergebnis veränderten sich die Sozialstrukturen und es entstand ein neu gestaltetes politisches System. Der radikale Austausch in Führungspositionen sowie die Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs bildeten herausragende progressive Veränderungen. Die Bewertung als revolutionär gründet sich auf die tatsächliche Tiefe und Tragweite der damaligen Veränderungen. In diesen Auseinandersetzungen setzten sich in der Arbeiterbewegung wurzelnde Kräfte maßgeblich durch. Sie hatten dafür ihre Legitimation in den Kämpfen seit Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens seit dem 1. August 1914 und dem 9. November 1918, erworben. Ihre bürgerlich-aristokratischen Gegenspieler in Wirtschaft, Politik, Staat und Justiz, Medien, Schule und Wissenschaft hatten mehrheitlich und wiederholt politisch, ideell und moralisch ihre Führungsansprüche verspielt: Mit Beginn und Verlauf des Ersten Weltkriegs, mit ihrem Verhalten 1918-20, 1930-33 sowie bis zum Mai 1945. Die Geschichte der bürgerlichen Parteien einschließlich ihres Führungspersonals ist zwischen 1900 und 1945 überwiegend ein deprimierendes Nachschlagewerk für Irrwege, Fehlentscheidungen und Versagen. Nicht zufällig wird sie bis heute im öffentlichen Bewusstsein weitgehend verdrängt.

Innere und äußere Umstände bewirkten in der SBZ frühzeitig eine privilegierte Position der KPD sowie der aus ihrem Zusammenschluss mit Sozialdemokraten im April 1946 hervorgegangenen SED. Ihr Rückhalt bei der KPdSU und der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), aber auch in der kommunistischen Weltbewegung und bei nationalrevolutionären Bewegungen, bestärkte sie in der Konsequenz der Ab- und Umbrüche und ermöglichte zeitweilige, auch beachtliche Erfolge. Er nährte zugleich jene Defizite und Fehlerquellen, die später eine ausschlaggebende Bedeutung für Stagnation, Niedergang und Scheitern des Staatssozialismus erlangten.

Der Antifaschismus war seit Beginn der zwanziger Jahre angesichts der Bedrohungen und des Terrors von rechts ein wesentlicher Faktor geworden. Das bezeugen die Opfer von politischer und rassistischer Verfolgung und Vernichtung bis 1945. Er wurde für die Arbeiterparteien zu einer Grundlage für das Zusammengehen mit Richtungen, Gruppen und Persönlichkeiten aus anderen sozialen und kulturellen Milieus. Darunter fanden sich radikale Demokraten, linksliberale Pazifisten, christliche Sozialisten, kosmopolitische Intellektuelle sowie weitere Gegner und Kritiker der bürgerlichen Welt, ihrer Verbrechen und restaurativen Ambitionen. Der antifaschistische Widerstand wie der Befreiungstag 8. Mai erhielten in der Erinnerungskultur der DDR einen selbstverständlichen und herausragenden Platz. Die seit 1990 eher verhärtete Feindseligkeit zum antifaschistischen Ursprung des zweiten deutschen Staates erwächst aus den überlieferten Altlasten und Defiziten der bürgerlichen Herkunft, aber auch der Weigerung, dem linken Hauptfeind historisch-politische Bewährungen und Verdienste zu zuerkennen.

SBZ und frühe DDR wurden - im Unterschied zur Gründungs- und Frühgeschichte der Bundesrepublik - nicht zu einem Glücksfall für die meisten Täter der NS-Diktatur. Ihnen wurde "der große Frieden mit den Tätern" in diesem Teil des ehemaligen Deutschen Reiches nicht gewährt. Mit der Erfahrung oder Ahnung solcher Unterschiede setzten sich viele ins westliche Besatzungsgebiet und ins Ausland ab. Die Volkskammer der DDR verabschiedete am 1. September 1964 das Gesetz über die Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen. Diese Grundposition wurde in die Verfassung vom 8. April 1968 aufgenommen. Die Bundesregierung konnte schließlich ihren Beschluss vom 5. November 1964, sämtliche NS-Verbrechen ab 9. Mai 1965 verjähren zu lassen, nicht durchsetzen. Der vermeintliche Rechtsstaat ist jedoch niemals der UN-Konvention zur Nichtverjährung der Naziverbrechen beigetreten. Die Masse der ehemaligen Mitläufer, viele Gehilfen und mancher Täter erhielten auch in Ostdeutschland neue Chancen und Perspektiven. Anders konnte ein Neubeginn mit Millionen Menschen in der Hinterlassenschaft der bürgerlich-aristokratischen Gesellschafts- und Herrschaftsverhältnisse nicht vollzogen werden. Er wurde - unvermeidbar angesichts der Größe und Schwierigkeit der Aufgaben - nicht ohne Defizite und Fehler bewältigt.

Die DDR hat im weitgehenden Einklang mit NS-Verfolgten und -Opfern in der Bundesrepublik sowie im europäischen Ausland mit dem Braunbuch von 1965 sowie Dokumentationen über Globke, Heusinger, Lübke, Oberländer u. a. im Hauptinhalt zutreffende Analysen der bundesdeutschen Verdrängung der NS-Vergangenheit, der personellen Kontinuitäten und der Restauration vorgelegt. Das darin unterbreitete Tatsachenmaterial ist seither bestätigt und erheblich ergänzt worden. Die nach 45 Jahren unverändert geringe Neigung von Politikern und Journalisten, aber auch von Geschichts- und Politikwissenschaftlern, jene Sachverhalte im Befund der frühen Bundesrepublik angemessen zu berücksichtigen, ist dem vorherrschenden Konformismus, aber auch dem Unwillen politischer Führungsgruppen zur Selbstkritik geschuldet. Bis heute werden die damaligen Initiativen der SED, der KPD sowie von Verbänden und Gruppen der Opfer des Naziregimes in Publizistik und Geschichtsschreibung der Bundesrepublik überwiegend ignoriert oder als Propaganda und tagespolitische Instrumentalisierung abgetan.

In ungleich höherem Maße als in der Bundesrepublik erhielten aus Emigration, Untergrund und KZ zurückkehrende Kommunisten, Sozialdemokraten und weitere Nazigegner - oft jüdischer Herkunft oder Christen und vielfach in verantwortlichen Positionen - Chancen, an der Aufarbeitung des Geschehenen und am Neubeginn mitzuwirken. Dazu kamen die vom McCarthyismus in den USA und antikommunistischer Repression in der Bundesrepublik Verfolgten und Vertriebenen. Schließlich betraf diese Chance auch überlebende Opfer des Stalinismus, die trotz allem kommunistischen Leitbildern verbunden blieben. Es wurde eine im Kern unumkehrbare Abwendung von antiliberalem bis nazistischem Antisozialismus vollzogen, die seit Bismarck eine Schlüsselrolle im Niedergang von Liberalismus und Demokratie, des Humanismus und Friedensstrebens gespielt hatten. Ihre politisch-ideologischen Funktionen bei der Destruktion von Alternativen, bei der Vorbereitung von Millionen auf Kolonialverbrechen, Ersten Weltkrieg, sozialreaktionäre Krisenbewältigung, faschistischen Verbrecherstaat und Zweiten Weltkrieg sind erst unzureichend erforscht und völlig ungenügend im Geschichtsbewusstsein präsent. Die Unterschiede wirken bis ins 21. Jahrhundert fort. Eine Erklärung findet sich in der Aussage von Günter Gaus, dass die Bundesrepublik sich als einziges westeuropäisches Land primär über den Antikommunismus definiere.

Ähnliches gilt für den Nationalismus, der im Deutschen Reich mit autoritären, imperialen und völkisch-rassistischen - insbesondere antisemitischen - Komponenten zum hauptsächlichen Betäubungs- und Bindemittel der Masse der Bevölkerung bei der Vorbereitung und Durchführung von Aufrüstung und Kriegen, von Interventionen und Okkupationen, von Repression und Massenvernichtung gemacht worden war. Deren Überwindung wurde in Ostdeutschland zunehmend mit einem Geschichtsbild sowie einer Kulturpolitik geleistet, die welt- und nationalgeschichtlich die eigene Identität und Standortbestimmung wesentlich aus den Lebensverhältnissen und Widerständen, den Träumen und Leitbildern der Ausgebeuteten seit den Bauernkriegen und den bürgerlichen Revolutionen des 17. bis 19. Jahrhunderts sowie der seitherigen internationalen Arbeiterbewegung und antiimperialistischen Befreiungsbewegungen herleiteten.


Beitrag zum zum europäischen Frieden

Aus der Vorgeschichte und der Rolle der beteiligten Kräfte sowie den Rahmenbedingungen ergab es sich, dass die DDR Bundesgenosse der UdSSR und Teil des unter ihrer Hegemonie entstehenden Staatenbundes wurde. Dieser nahm seit 1949 mit dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und ab 1955 mit dem - die außenpolitisch-militärische Ebene erfassenden - Warschauer Pakt stabile machtpolitische Formen an. Bereits ab 1950 wurden beide deutsche Staaten durch den Korea-Krieg mittelbar in die militärische globale Konfrontation einbezogen. Die nach unvorstellbaren Zerstörungen und Opfern wieder aufbauende Sowjetunion besaß in der DDR auf deutschem Boden einen Partner, der sich - im Gegensatz zur Bundesrepublik - angesichts der Vorgeschichte von Anbeginn in der politischen und moralischen Pflicht sah.

Maßlos angefeindet von den Führungskreisen, den Medien und weiten Teilen der Bevölkerung der Bundesrepublik erkannte die DDR im Görlitzer Abkommen vom 6. Juli 1950 die Oder-Neiße-Grenze an. Die Geschichte hat diesen jahrzehntelang befehdeten Entschluss als richtig bestätigt. Die DDR vollbrachte wie die Bundesrepublik große Leistungen bei der Aufnahme und Integration von Millionen Menschen, die auf Grund der Beschlüsse der Alliierten im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 aus früheren deutschen Ostgebieten umgesiedelt worden waren. Sie wurden gleichberechtigte Nutznießer beispielsweise der Boden- und der Bildungsreform. Wer die hierzulande vorgegebene Sprachregelung Vertreibung für angemessen hält, hat diese polemische Vokabel vor allem gegen die vier großen Siegermächte zu richten.

Die Regierung der DDR unterbreitete von Anbeginn Vorschläge für Gespräche und Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten, die bis weit in die sechziger Jahre ignoriert oder diffamierend zurückgewiesen wurden. Zeitgenossen erlebten, dass die offene innerdeutsche Grenze nicht zur Verständigung, sondern für verschärfte Feindseligkeit und Spannungen genutzt wurde. Der Übergang zur gesamteuropäischen Entspannungs- und Vertragspolitik erfolgte nach dem Bau der Mauer im Verlauf der sechziger Jahre und entsprach den langjährigen Bemühungen der DDR und ihrer Verbündeten ebenso wie verständigungsbereiter Gruppen und Persönlichkeiten im Westen. Er bedeutete das Scheitern der Alleinvertretungsansprüche Bonns und seiner Atomrüstungspläne.

Dieser Weg führte zum Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten 1972 und ihrer gleichberechtigten Aufnahme in die UNO 1973. Es kam zur weltweiten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR, auch durch die USA, Großbritannien und Frankreich. Der auf Einladung von Kanzler Helmut Kohl erfolgte Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik vom 7. bis 11. September 1987 signalisierte den Grad gegenseitiger Anerkennung sowie friedenspolitischer Kompromissbereitschaft für die gegebenen und absehbar erscheinenden Gegebenheiten. Ähnliches galt für das unmittelbar zuvor - am 27. August 1987 - veröffentlichte Grundsatzpapier über den Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit, das repräsentative Delegationen der SPD und SED erarbeitet hatten. Seitens Ministerpräsidenten und weiteren Politikern der Bundesrepublik waren Fototermine bei Honecker und wohlwollende Kommuniqués sehr gefragt. Nach 1990 vernahm die Öffentlichkeit nachträglich angepasste Umdeutungen der Beteiligten über die Begegnungen. Der ostdeutsche Staat - wie die BRD dem jeweiligen Bündnis und dessen tonangebender Supermacht verpflichtet - trug zur langjährigen Friedensperiode in Europa und zu Abrüstungsbemühungen bei.

Im Gegensatz zu einflussreichen Gruppen in der Bundesrepublik strebte die DDR nie nach dem Besitz oder der Mitverfügung über Atomwaffen; sie unterstützte zahlreiche Initiativen für atomare und konventionelle Abrüstung in Europa und der Welt. Die DDR war nie an der Anwendung militärischer Gewalt gegen souveräne Staaten und nie an bewaffneten Angriffen, Interventionen oder Besatzungsregimes beteiligt. In den weltpolitischen Zielen stand die DDR vielfach Interessen und Bestrebungen der Dritten Welt näher als die Bundesrepublik im Gefolge ihrer aggressiven Führungsmacht USA. Ihre diesbezüglichen Positionen und Initiativen brauchen einen Vergleich mit der Bundesrepublik nicht zu scheuen. Das reicht von der Rolle in der UNO, Stellungnahmen zu den globalen Problemen und der Politik gegenüber den Nichtpaktgebundenen bis zur Solidarität mit den Opfern von Kolonialismus, Rassismus und Kriegen: Korea, Vietnam, Kuba, Südafrika, Angola, Mosambik u. a. sowie der Diktaturen in Spanien, Portugal, Türkei, Südafrika, Chile, Argentinien und weiteren Ländern. Früher und konsequenter als durch Westdeutschland wurden die PLO, der ANC und andere Befreiungsbewegungen anerkannt und unterstützt.

Die Existenz der DDR trug dazu bei, dass der Viermächtevorbehalt bezüglich der Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen bis 1990 gültig blieb. Bis dahin galt auch der Sonderstatus Westberlins, staatsrechtlich kein Land der Bundesrepublik zu sein. Damit wurden das Streben der USA und der NATO nach europa- und weltpolitischer Dominanz eingedämmt sowie die außen- und militärpolitischen Spielräume der Bundesrepublik begrenzt. Die weltpolitischen Erfahrungen seit den neunziger Jahren regen an, den friedenserhaltenden Wert früherer Kräftegleichgewichte und Abschreckungspotentiale neu zu würdigen. Kritisch sind Versäumnisse zu benennen, die sich je für beide deutsche Staaten aus der machtpolitischen Abhängigkeit von der Sowjetunion und China auf der einen wie den USA auf der anderen Seite ergaben.


Internationaler Erfahrungsschatz des Systemwettstreits

Die Bevölkerung der SBZ und jungen DDR erbrachten zur Verwirklichung alliierter Beschlüsse umfangreiche Reparations- und Wiedergutmachungsleistungen. Sie werden in neueren Darstellungen vielfach unterschlagen oder unterbewertet. Ihr Hauptverbündeter war - im Unterschied zu dem der Bundesrepublik - in riesigen Gebieten mehr als drei Jahre Schauplatz unzähliger Schlachten und Gefechte sowie brutaler Eroberung, Zerstörungen und Massenvernichtung geworden. Ähnliches galt für die Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien und andere Länder oder Gebiete. Dazu kam im eigenen Land der Wiederaufbau nach den Zerstörungen und Verlusten durch Weltwirtschaftskrise, Aufrüstung und Krieg. Dies wurde angesichts der vorangegangenen Erfahrungen frühzeitig mit der Suche nach und auf den Wegen zu nicht- und antikapitalistischen, sozialistischen Alternativen und dauerhafter Friedenspolitik verbunden.

In der SBZ und DDR gab es - im Gegensatz zur Bundesrepublik - keine Chancen, Vermögen, Macht und Privilegien zu bewahren sowie weiter zu nutzen und zu mehren, die überwiegend aus feudaler und großkapitalistischer Unterdrückung und Ausbeutung erwachsen waren. Dazu gehörten die Bereicherung aus Leibeigenschaft, Bauernlegen und aristokratischen Vorrechten, die Ausbeutung von Arbeitern und Angestellten sowie Gewinne aus Aufrüstung und Krieg, betrügerischen Finanzmanipulationen, Teilhabe an massenhafter Zwangsarbeit, Arisierungen und der Ausplünderung anderer Länder. Damit wurden auch die auf wirtschaftliche Macht gegründeten Möglichkeiten solcher Gruppen beendet, durch Verlags- und Pressemonopole ihre vorrangig nationalistische, unsoziale und antisozialistische Massenbeeinflussung fortzusetzen. Sie konnten nicht mehr bei der Korruption von Parteien und Politikern oder der Beeinflussung von Beamten, Juristen und Intellektuellen wirksam werden. Es gab - die Normalität im westdeutschen Staat - für die Masse der Täter und Mitläufer in mittleren und Führungspositionen aller gesellschaftlichen Bereiche keine mehr oder weniger ungebrochene Fortsetzung ihrer beruflichen Karrieren und eines meist weiterhin bevorrechteten sozialen Status.

In der DDR konnte kein legales Netzwerk nazistisch-rassistischer, antisemitischer sowie offen demokratie- und gewerkschaftsfeindlicher Parteien, Organisationen, Verlage, Zeitungen und Zeitschriften entstehen. Es gab in einer veränderten Gesellschaft nicht mehr die mächtigen Interessenten und Nutznießer dieses rechtsterroristischen Potentials. Für verlogene Memoiren von Nazigrößen und Landser-Hefte von kriegsverklärenden Mitläufern fanden sich keine Verlage. Es gab kein grünes Licht für Traditionsverbände der Wehrmacht, SS und anderer weithin unbelehrbarer Tätergruppen. Vor allem aber bewirkte der bestimmende Einfluss antifaschistischer Erfahrungen und Wertvorstellungen, dass der Umgang mit dem Nazismus - einschließlich Verboten - dem Vermächtnis seiner Millionen Opfer in Europa Rechnung trug. Klerikalkonservative Gruppen verloren privilegierte Einflussmöglichkeiten und revanchistische Kräfte konnten keine Plattformen für friedensfeindliche Umtriebe bilden. Auch das von den Besatzungsmächten wie von Mehrheiten in Gesellschaft und Hochschule in allen vier Zonen 1945 geächtete, extrem diskreditierte präfaschistische Korporationsstudententum hatte seine soziale Basis verloren und fand vor 1990 keine Gelegenheit zur Wiederkehr.

Ab den fünfziger Jahren erlangten die Werktätigen - die Arbeitnehmer - insgesamt eine Lebensqualität, die die Verhältnisse und Möglichkeiten vorhergehender Generationen im Deutschen Reich erheblich und dauerhaft übertraf. Das gilt für Arbeit und Erholung, Gesundheit, Ernährung und Kleidung, Bildung und Aufstiegschancen, Teilhabe am geistig-kulturellen Leben sowie zunehmend auch die Wohn- und Verkehrsverhältnisse. Die Gesellschaft war konstitutiv und mehrheitlich kinderfreundlich. Die Geschichte der DDR ist auch die eines reichen und vielgestaltigen kulturellen und wissenschaftlichen Lebens, in dem Bildung, Beruf und Arbeitswelt sowie soziale Kommunikation einen hohen Rang besaßen. Darüber herrschen seit den neunziger Jahren vorwiegend Unkenntnis oder Vorurteil; selbst unbestreitbare Vorzüge und Leistungen werden reflexhaft mit herabsetzenden Begriffen und Kommentaren zu versehen. Die politisch-publizistischen Ausnahmen fallen auf und rufen in der Regel hysterische Reaktionen hervor.

Ungeachtet fortlebender patriarchalischer Tendenzen wurde viel zur Gleichberechtigung der Frauen - insbesondere in Bildung und Beruf - und zu einer progressiven Familienpolitik erreicht. Es gab faktisch - zumindest als ausgegrenzte und deklassierte Gruppen - keine Obdachlosen und Hungernden. Es gab keinen Ausschluss aus gesundheitlicher Vor- und Fürsorge sowie Bildungs- und kulturellen Chancen wegen Armut und Unterschichtenstatus. Kindern und Jugendlichen blieben Erfahrungen mit demütigenden sozialen und materiellen Abstufungen und Hierarchien in Schule sowie persönlichem oder gesellschaftlichem Umfeld erspart. Zugleich kannte die Gesellschaft der DDR weder die anachronistische und gegenrepublikanische Fortsetzung feudaler - materieller, öffentlich-rechtlicher und medialer - Privilegien noch die Chance kleiner Gruppen von Kapitaleignern und Managern, sich völlig unverhältnismäßig und unverschämt große Anteile des Bruttosozialprodukts persönlich anzueignen und Bedürfnissen des Gemeinwesens zu entziehen. Es gab die Schönen ohne die Reichen. Letztere wurden als durchaus entbehrlich erfahren.

Die Ausgangspositionen und die internationalen Rahmenbedingungen, aber auch die Verbindung eines völlig neuen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Weges mit ehrgeizigen Aufbau- und Wohlfahrtszielen verursachten bei wichtigen Kennziffern ein zunehmendes Zurückbleiben hinter der Dynamik des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik. Die dort rasch steigenden Einkommen, ein attraktiveres Warenangebot, zügiger Wohnungsbau, wachsende Nachfrage nach Fachkräften sowie größere individuelle Freiräume bewirkten - neben anderen Gründen - den Wechsel vieler Ostdeutscher in den benachbarten deutschen Staat. Dieses Dilemma langjährig mit der Einschränkung staatsbürgerlicher Rechte und Freiheiten - darunter Reise-, Rede- und Informationsfreiheit - sowie überzogenen Sicherheitsvorkehrungen bewältigen zu wollen, gehört zu den schwerwiegenden Fehlentwicklungen, die demokratische Normen sowie Vertrauen zwischen Politik und Bevölkerung, überhaupt die Grundsätze und Ideale des Sozialismus, substantiell angriffen und auszehrten.

Auf dem widersprüchlichen Weg, Ideale der Gleichheit und Gerechtigkeit - die in allen Revolutionen seit dem 17. Jahrhundert bestimmend wirksam waren - verwirklichen zu wollen, wurden in der DDR Schritte unternommen und Teilziele erreicht. Die Konzepte und Wege verdienen sowohl vom Ursprung her wie mit dem Blick auf beeinträchtigende und destruktive Momente eingehende Analyse und Auswertung. Dazu gehören Führung, Bündnis und Herrschaft im politischen System; Gewaltenteilung, Demokratie, Pluralität und Meinungsfreiheit; Rechte und Pflichten der Bürger - Individualität und Kollektivität; gesellschaftliches und privates Eigentum, Mitbestimmung und Verfügung über Erträge; Genossenschaftswesen; Freiheit und Verantwortung im wissenschaftlichen, künstlerischen und medialen Schaffen; Glaubensfreiheit und Förderung aufklärerischen Denkens; Wahrnehmung friedens- und sicherheitspolitischer Verpflichtungen in Bündnissen sowie multinationalen Zusammenschlüssen und Institutionen; Kriterien, Ressourcen und Instrumente der Entwicklungs- und der Umweltpolitik.


Lehren des Scheiterns

Grundsätzlich ist für die DDR und die weltweite Perspektive festzustellen, dass die inneren Ursachen die entscheidenden Gründe des Scheiterns des Staats- oder Realsozialismus sind. Die theoretischen und strategischen Fehler wurzeln in manchen Axiomen und Gewissheiten der frühen marxistischen Arbeiterbewegung, insbesondere aber in der bolschewistischen Partei-, Revolutions- sowie Staats- und Gesellschaftstheorie sowie der auf ihrer Grundlage verfolgten Politik und Herrschaftspraxis. Der nordkoreanische patriarchalische Militär- und Feudalsozialismus ragt als makaberer Ausläufer ins 21. Jahrhundert. Die Erörterungen um das Lebenswerk von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Gramsci, Mao Tse-tung sowie weiteren Theoretikern und Politikern sowie zur Rezeption und Wertung ihrer Ideen und Taten werden andauern. Geschichtliche Erfahrungen sowie gegenwärtige Bedingungen und Herausforderungen beeinflussen die kritische Würdigung und die Verständigung über das Erbe und die Fortentwicklung sozialistischer Gesellschaftstheorie.

Die Lebenslüge der KPdSU über Charakter und Erscheinungsformen, Dauer und Ausmaß der stalinistischen Verbrechen zwischen der Mitte der zwanziger und der fünfziger Jahre einschließlich erheblicher und langwieriger Nachwirkungen wurde auch von der SED hingenommen und gestützt. Sie wirkte sich destruktiv auf den gesamten Umgang mit Geschichte und insbesondere mit den vielfältigen nationalen und internationalen Traditionen der demokratischen und sozialistischen Bewegungen, Richtungen und Parteien, ihrer Vordenker und Ideenkämpfe aus. Rigider Zentralismus, Entmündigung der Parteimitglieder, Bevormundung politischer Partner und der Bürger sowie die Unterdrückung der Meinungsvielfalt und Kritik bewirkten in Verbindung mit der doktrinären Handhabung von Theorien und programmatischen Konzepten das Unvermögen zu selbstkritischer Fortentwicklung und grundlegenden Korrekturen. Diese Prozesse mündeten daher mit einer weithin selbstverschuldeten Zwangsläufigkeit in die Stagnation und die totale Reformunfähigkeit. Die Zukunft der Linken in diesem Land hängt ebenso von prinzipienfesten kapitalismuskritischen und radikalen friedenspolitischen Überzeugungen und Strategien wie von der schonungslosen Aufklärung der eigenen Vorgeschichte und Erbschaften ab.

Äußere Umstände begünstigten autoritäre Herrschaftspraktiken und erschwerten im Innern Bestrebungen zu Reformen. Das beginnt mit dem machtpolitischen Übergewicht der Sowjetunion - später auch Chinas - im realsozialistischen Staats- und Paktsystem, das wesentlich zur Verfolgung ihrer Interessen und Strategien eingesetzt wurde. Europa- und weltpolitisch beeinträchtigten der Kalte Krieg einschließlich der militärischen Konfrontationen und des Wettrüstens sowie außen- und wirtschaftspolitischer Krisenherde und Spannungen die Handlungsspielräume aller beteiligten Seiten. Alle kritikwürdigen Momente rechtfertigen nicht die herrschende Parallelisierung von "zwei deutschen Diktaturen". Deren Unterscheidung kann auch nicht darauf reduziert werden, zwei oder drei weltgeschichtliche Verbrechen des deutschen Faschismus zu benennen. Es geht darum, dass die von der bürgerlichen Gesellschaft im Deutschen Reich hervorgebrachte nazistische Bewegung und Diktatur vom Ursprung und Wesen her sowie in ihren Taten und Hinterlassenschaften unvereinbar und unvergleichlich ist mit Herkunft, Anliegen und Leistungen der aus der Arbeiterbewegung und sozialistischen Ideenwelt erwachsenen Umwälzungen und Gestaltungsversuche. Der "Diktaturen-Vergleich" ist eine aktuelle Erscheinungsform des militanten Antikommunismus sowie des fortgesetzten Bemühens, die barbarische Abstammung und das Erbe der tonangebenden Kräfte in Wirtschaft und Kapital, Politik und Parteien, Beamtenschaft und Justiz, Bundeswehr und Sicherheitsorganen, Medien, Bildung, Wissenschaft und Kultur unkenntlich werden zu lassen.

Seit den neunziger Jahren rufen die globale Dominanz kapitalistischer Besitz-, Verteilungs- und Herrschaftsverhältnisse sowie die daraus erwachsenden, das Schicksal von Milliarden Menschen berührenden Konflikte eine neue dringliche Suche nach Alternativen hervor. Deren höchst verschiedene Bewegungen und Initiativen sind herausgefordert, im Lichte geschichtlicher Erfahrungen entwicklungs- und zukunftsfähige Symbiosen von Gerechtigkeit, Sozialismus und Demokratie, von Umwelt, Ressourcen und Frieden zu verwirklichen. Zu den Voraussetzungen gehört, dass der heute vorherrschenden fortschrittsfeindlichen Meinungsmanipulation zur Geschichte des letzten Jahrhunderts widerstanden und differenzierte Analysen und Wertungen erarbeitetet und verbreitet werden. Das Vergangene ist einmal mehr Gegenstand und Schauplatz von Auseinandersetzungen um das Hier und Heute, vor allem jedoch auch um die Zukunft.


Ludwig Elm, Prof. Dr., Jena, Historiker


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 5-10, 48. Jahrgang, S. 73 - 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2010