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LICHTBLICK/186: Die Justizvollzugsanstalt Heidering - ein potemkinsches Dorf?!


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 349 - 4/2011

Die JVA Heidering - ein potemkinsches Dorf?!

Bericht eines Redaktionsmitglieds



Der Anstaltsneubau vor den Toren Berlins steht schon vor seiner Fertigstellung - unlängst wurde Richtfest gefeiert - in der Kritik. Jahrelang wurde im Abgeordnetenhaus um den Bau gestritten und auch Gefangene befürchten, dass da ein moderner Verwahr-Knast á la Burg oder Hünfeld hochgezogen wird.


Heidering - das klingt nett, nach Heidschnucken und idyllischem Landleben. Doch ebenso, wie bei den Nordseekrabben oder der bayrischen Weißwurst: die Verpackung und der Name halten nicht immer das, was sie versprechen. Hält die JVA Heidering das, was die Senatsverwaltung verspricht: nämlich, dass alles besser wird?

Da der Gefängnisneubau erst in knapp einem Jahr bezugsfertig sein soll, lässt sich über den zukünftig Vollzusgalltag nur mutmaßen; konkret aber sind die Zäune, die Mauern und Gitter und die Zellen. Welchen Ausblick geben sie? Welche Voraussetzungen schaffen sie? Und scheinen die Versprechen der Verantwortlichen realisierbar?

Der Bau

Wert wird auf einen energiebewussten Bau gelegt - so wird es auch in einem brandneuen Gefängnis des 21sten Jahrhunderts kein warmes Wasser in den Zellen geben. Aus Kostengründen, so die Senatsverwaltung für Justiz.
Wenn gilt, dass sich "die Gesellschaft daran messen lassen muss, wie sie ihre Gefangenen behandelt", dann sei die Frage erlaubt, ob bei einer Kostenexplosion auf über 120 Millionen Euro nicht auch die paar Kröten für Warmwasserversorgung drin gewesen wären?

Draussen jedenfalls gibt es nix - die JVA entsteht vor den Toren der Hauptstadt, auf dem Feld in Brandenburg. Besonders diese Standortwahl steht in der Kritik, haben doch Berliner Gerichte immer wieder eine heimatnahe Unterbringung gefordert und beschlossen.
Die Zuwegung zur Anstalt ist zudem - zusammenfassend - als schwierig zu bezeichnen: Öffentliche Verkehrsmittel bedienen die JVA bisher nicht! Der nächste Bahnhof ist über 2 Kilometer entfernt - übrigens nur in der Tarifgruppe C zu erreichen! - und der Weg dorthin führt nur über eine unbeleuchtetet Landstraße ohne jeden Fußweg. Es steht zu befürchten, dass nicht nur ältere Besucher oder Besucher mit Kindern den lebensgefährlichen Weg meiden werden - und nicht zum Besuch kommen (können).

Dafür aber sollen die eingekerkerten Gefangenen "den Wandel der Jahreszeiten miterleben" können, so der Architekt Josef Hohensinn, dessen Architekturbüro in Österreich bereits für mehrere Anstaltsneubauten verantwortlich zeichnet. Hierzu seien differenzierte, qualitätsvolle Freibereiche für Bewegungs- und Erholungsphasen vorgesehen, so der Architekt weiter. Im Zentrum des städtebaulichen Konzepts würde die "Vollzugsmagistrale" stehen - ein überdachter Glasgang -, "der alle Teile der JVA miteinander verbindet (...) eine Verkehrsachse für alle Gefangenenbwegungen, wodurch personalintensive Begleitungen und Bewachungen entfallen können." An die Magistrale angedockt "befinden sich lärmabgewandt (was für Lärm, mitten im Nichts?) drei x-förmige angelegte, dreigeschossige "Teilanstalten". Hier sind die Insassen in Wohngruppen von jeweils 18 Personen untergebracht.", führt Josef Hohensinn im Forum Strafvollzug (4/2011, S. 236 ff.), der Zeitschrift der Gesellschaft für Fortbildung der Strafvollzugsbediensteten, aus.
Vorwegnehmend: bei den Wohngruppen handelt es sich nicht um das unlängst in der JVA Tegel eingestampfte - obschon über Jahrzehnte erfolgreich praktizierte und bewährte - Konzept des Wohngruppenvollzuges. Zwar benennt auch der Entwurf des neuen Strafvollzugsgesetzes, den der lichtblick in einer seiner nächsten Ausgaben vorstellen wird, erstmals den Wohngruppenvollzug - ob und wie dieser aber in der JVA Heidering installiert wird, ist zur Zeit noch fraglich.
Die "Wohngruppen" jedenfalls sollen "den Insassen ein Umfeld bieten, das in kompakter, gut überschaubarer Anordnung eine Vielfalt an Bereichen und Dienstleistungen unterbringt. Die Gassen zwischen den Einzelhafträumen werden über raumhohe Fenster belichtet, erweitern sich zu Aufenthaltszonen nahe den Gemeinschaftsküchen und münden schließlich in Platzsituationen, von wo die vier Wohngruppen mit Gemeinschafts- und Infrastruktureinrichtungen versorgt und seitens der Justizbeamten betreut werden können.", so der Architekt.

Den Vortrag des Architekten über "städtebauliche Figuren", "verzahnte Landschaftsplanung", "mit der Natur korrespondierende Farbwahl", "lebendige Strukturen" und "freundliche Sinneseindrücke" die allesamt einen optimierten Resozialisierungsvollzug gewährleisten sollen, (er-)sparen wir uns an dieser Stelle.
Anzumerken bleibt jedoch, dass jedes der drei Hafthäuser über einen eigenen Freistundenhof verfügt, sowie ein Sportplatz und eine Sporthalle auf dem Gelände errichtet werden. Zudem ist eine Schule ebenso vorgesehen, wie Arbeitsplätze in ausreichender Zahl.

Die Befürchtung

Es bleibt abzuwarten, wie oft die vorhandenen Sportanlagen tatsächlich von den Insassen genutzt werden dürfen und wie viele Sportangebote tatsächlich vorgehalten werden. Dies besonders auch vor dem Hintergrund, dass die Freizeitgestaltung privatisiert werden soll!
Es bleibt abzuwarten, wie oft die urban gestalteten Höfe von Insassen nicht nur durch vergitterte Fenster betrachtet werden können, sondern tatsächlich begangen und "befreizeitet" werden dürfen. Dabei sind die Fenster so gestaltet, dass sich eventuell nur ein kleines, engmaschig vergittertes Fenster öffnen lässt.
Es bleibt abzuwarten, ob ein Justizvollzugsbediensteter eine "Wohngruppe" betreut - oder, in der Platzsituation in seinem verglasten Kasten sitzend, ein Schließer 72 Gefangene "betreut", wie es in den anderen Gefängnissen, die der Architekt gebaut hat, wohl geschieht.
Es bleibt abzuwarten, wie oft die Loggia tatsächlich benutzt werden kann - oder anders: werden die Aufschlusszeiten großzügig oder mickrig sein?
Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitsplätze in ausreichender Zahl tatsächlich qualifizierende (resozialisierenden) sind, oder nur Privatfirmen Arbeit zur Verfügung stellen und mit Häftlingen als billigen Arbeitskräften produzieren wollen - dies jedenfalls soll die Justizverwaltung vorhaben, so berichtete vor einiger Zeit der Tagesspiegel.

Das Interview

Obschon über den Vollzugsalltag einer noch nicht in Betrieb genommenen Anstalt keine Aussagen zu machen sind, so kann doch aufgrund der geschaffenen Möglichkeitsräume ein Alltag abgeleitet werden. Der lichtblick hat hierzu ein Interview mit der Projektleiterin der JVA Heidering, der Juristin Anke Stein, geführt. Im Laufe des Interviews wurde nicht nur die engagierte Kompetenz von Anke Stein deutlich, sondern manche Befürchtungen der Gefangenen relativierten sich.

Aufgrund sinkender Gefangenenzahlen - wird die JVA Heidering nicht überflüssig?
Anke Stein antwortete: "Heidering macht Sinn. Sehen Sie, zu Recht werden die Haftbedingungen mancher Anstalten, die noch in der Kaiserzeit erbaut wurden, kritisiert. Die Teilanstalt I in Tegel muss geschlossen werden und auch die Teilanstalt III ist nicht wirklich in einem guten Zustand. Heidering stellt eine Verbesserung dar und die ist notwendig."

Wieso wird Heidering kein Offener Vollzug - hier sind im Gegensatz zum geschlossenen Vollzug ja die Plätze knapp?
"Wie ich bereits gesagt habe, brauchen wir auch dringend zeitgemäße Haftbedingungen im geschlossenen Männervollzug. Daher ist Heidering als geschlossener Männervollzug geplant und als solcher wird er auch umgesetzt."

Wird es von Heidering aus Lockerungen geben?
"Die Lockerungen, die das Strafvollzugsgesetz im Rahmen des geschlossenen Vollzugs vorsieht, wird es auch in Heidering geben. Wir haben ja gerade deshalb einen Standort gesucht, der so nahe wie möglich an Berlin liegt, um den Inhaftierten die Gelegenheit zu geben, im Rahmen von Lockerungen beispielsweise den Kontakt zu ihren Familien in Berlin aufrecht zu erhalten."

Wir befürchten eine Privatisierung, wie sie in allen neugebauten Anstalten in Deutschland praktiziert wird und zu häufigen Beschwerden führt - wird Heidering privatisiert?
"Strafvollzug ist kein gewinnbringendes Geschäft. Eine Privatisierung ist in Heidering kein Thema. Wir planen aber, Teilbereiche, z. B. die Arbeitsbetriebe, an externe Stellen zu geben; aber nur dann, wenn es eine Verbesserung darstellt."

Erst kürzlich hatte die Redaktionsgemeinschaft einen Bediensteten aus Österreich zu Gast, der auch die JVA Leoben kennt. Leoben wurde von dem gleichen Architekten geplant, wie jetzt Heidering. Dieser Bedienstete berichtete offen über Schwierigkeiten durch Personalkürzungen - ganze Flügel würden fernbedient werden - und dass die Inhaftierten darüber klagten, noch weniger Kontakt zu den Bediensteten zu haben. Zeichnet sich Heidering auch durch einen geringen Personalschlüssel aus und sind die Auswirkungen dann wie in Leoben?
"Über den Personalschlüssel möchte ich an dieser Stelle keine Auskunft geben. Jedoch kann ich Ihnen versichern, dass die JVA Heidering sich nicht dadurch auszeichnet, dass weniger Bedienstete für die Inhaftierten zur Verfügung stehen. Es sollen - auch im Zusammenhang mit dem Rahmenkonzept - vermehrt Freie Träger eingebunden werden, wenn dies sinnvoll und zum Nutzen der Inhaftierten ist.", antwortet Anke Stein überzeugend.

Thema Einkauf - wie ist der geplant, wird es einen Einkaufsladen geben?
"Wer den Einkauf machen wird, steht noch nicht fest. Jedenfalls sind noch keine Verträge unterzeichnet. Was aber vorgesehen ist, ist ein Einkaufsladen. In diesem können Inhaftierte einkaufen gehen, wie sie es von draußen gewohnt sind. Dies stellt eine erhebliche Verbesserung dar."

Thema Brandschutz - in einem Neubau sollten ja alle modernen Brandschutzeinrichtungen installiert sein: Gibt es Sprinkleranlagen? Öffnen sich die Fenster und Türen im Notfall selbstständig? Sind Rauchmelder in den Zellen vorgesehen?
"Klar ist, dass ein Brand - gerade in einer JVA - immer eine große Katastrophe darstellt. Heidering genügt in jeder Hinsicht den neusten Brandschutzbestimmungen und wir haben Wert darauf gelegt, dass die Sicherheit und Rettung im Notfall optimal gewährleistet wird. Rauchmelder sind in den Zellen nicht vorhanden, jedoch gibt es Rauchabzugsanlagen. Sprinkleranlagen sind aber ebenso wenig vorhanden, wie automatisch öffnende Türen oder Fenster. Gerade in dem geschlossenen Vollzug ist der Brandschutz eine echte Herausforderung, weil "Fluchtwege" de facto nicht vorhanden sein können. Das liegt in der Natur der Sache. Aber nochmals: Ich versichere Ihnen, dass Heidering alle Anforderungen erfüllt, um optimalen Schutz in einem Brandfall zu gewährleisten. Man darf auch nicht vergessen, dass für Inhaftierte nicht der Grundsatz der Selbstrettung gilt."

Wie ist die Besuchsregelung in Heidering und wie sehen die Besuchsräume aus?
"Auch hier wird es keine Abstriche zu Tegel geben. Im Gegenteil! Die Besuchsräume sind freundlich und modern eingerichtet. Es gibt zwei Langzeitbesuchsräume, die ebenso wohnlich und einladend ausgestattet sind. Bei den Zeiten kann ich mich nur wiederholen: Keine Abstriche, mindestens normaler Berliner Standard. Dies gilt übrigens auch für das Telefonieren - auf allen Stationen werden frei zugängliche Telefone installiert."

Kommen wir zu den Hafträumen. Wir haben unter anderem gehört, dass die Fenster teilweise engmaschig vergittert und nicht zu öffnen sein sollen?
"Die Hafträume haben alle etwas über 10 m² Fläche, mit abgetrenntem Nassbereich. Es wird ausschließlich Einzelhafträume geben und jeweils 18 Inhaftierte teilen sich Dusche und Küchen. Die Fenster sind wesentlich größer, als in anderen Gefängnissen - und ein kleiner Fensterteil ist tatsächlich vergittert; der große Flügel jedoch wird - wenn der zukünftige Anstaltsleiter dies genehmigt - auch zu öffnen sein. Ein wesentlicher Vorteil sind zudem Loggien auf jeder Station: die Inhaftierten können somit auch außerhalb der Freistunden ins Freie treten und auf den Balkonen verweilen. Das hebt die Qualität sehr."

So langsam kommen wir zum Ende. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Frau Stein.
"Gerne! Abschließend darf ich Ihnen noch sagen, dass mir das Projekt Heidering wirklich sehr am Herzen liegt und ich mit Eifer und Engagement bei der Sache bin. Wir haben versucht, die Erfahrungen in der JVA Tegel zu verwerten, die Dinge, die gut laufen, zu übernehmen und Gegebenheiten, die verbesserungswürdig sind, auch zu verbessern. Sollten Sie noch Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung."

Das Fazit

Zwar hat Anke Stein glaubwürdig, engagiert und kompetent vermittelt, dass Verbesserungen angestrebt werden - tatsächlich aber macht ein schönes Essen nicht zwangsläufig satt. Oder anders: Trotz durchdachter Architektur (Verpackung) muss das Innere noch lange nicht resozialisierend - nahrhaft - sein. So hoffen wir, dass der Vollzugsalltag ebenso fortschrittlich sein wird, wie die Gestaltung; und dass das fehlende warme Wasser nicht ein Vorzeichen ist. Um die schwierige Erreichbarkeit jedenfalls werde sich gekümmert: Die JVA Heidering erhält eine Shuttlebus-Verbindung.

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Quelle:
der lichtblick, 44. Jahrgang, Heft Nr. 349, 4/2011, Seite 13-15
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011