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LICHTBLICK/178: Parteien im Interview - DIE LINKE


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 348 - 3/2011

Parteien im Interview: DIE LINKE, vertreten durch Minka Dott, Dr. Klaus Lederer und Niklas Schrader

Subjektiver Bericht eines Redaktionsmitglieds


Die Redaktionsgemeinschaft hatte DIE LINKE um ein Interview angefragt und eine schnelle Zusage erhalten. Kurz darauf waren sie dann auch bei uns in der Redaktion zu Gast.

Ich muss gestehen, dass ich, außer mit Dr. Gregor Gysi, den ich für einen herausragenden Rhetoriker halte, nicht viel mit der Partei DIE LINKE zu tun hatte und insofern über deren Aktivitäten kaum Bescheid wusste, vielmehr diese Partei eher mit dem - Gott sei Dank - zur Vergangenheit gehörenden Erich Honecker in Verbindung gebracht hatte.

Insofern erwartete ich eine Truppe von altkommunistischen Weltverbesserern, die die Soziale- und mit 100%iger Sicherheit aber die Freie Marktwirtschaft verteufeln und abschaffen wollen. Freundschaft!

Tatsächlich kamen drei sehr sympathische Besucher, die interessiert, vor allem aber kompetent auf mich wirkten. Anwesend waren Minka Dott (Vorsitzende des Ausschusses für Integration, Arbeit, berufliche Bildung und Soziales, Sozialpotitische Sprecherin und Mitglied im Rechtsausschuss, Fraktion DIE LINKE) Dr. Klaus Lederer (Jurist, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE und Landesvorsitzender DIE LINKE im Landesverband Berlin) und Niklas Schrader (Referent für Innenpolitik, Recht, Verfassungsschutz, Flüchtlingspolitik und Datenschutz im Abgeordnetenhaus Berlin, Fraktion DIE LINKE).

In realiter sind es die Linken, die den lichtblick über Jahre hinweg unterstützen, informieren und helfen, gar eine sehr liberale und humane Strafvollzugspolitik pflegen.

Genau in diesem Punkt fand ich den Anfang der ersten Frage und wollte wissen, wie es mit den Linken in der Strafvollzugspolitik weiter geht. Dr. Lederer sagte deutlich: "Mit den Linken ist keine publikumswirksame und reißerische Justizpolitik, á la Law and Order - wegsperren und das so lange wie möglich - zu machen".

Das tönt sympathisch. Man hat auch nicht das Gefühl, dass hier versucht wurde, der Redaktion nach dem Mund zu reden.

Im Gegenteil. Auch die uns vorliegenden Wortprotokolle der Ausschusssitzungen zeugen von einem wissensbasierten und resozialisierungsfreundlichen Engagement.

Langsam steigt in mir die Überlegung, dass die Partei vielleicht halb so gut sein könnte wie Gysi redet, wäre ja schon klasse.

Angst sells - eigentlich wäre das doch eher wählerfreundlich, werfen wir als Frage in den Raum. Zustimmendes Nicken von allen drei Besuchern und gleichzeitig die Erklärung: "Wir wissen das sehr wohl! Auf diesen "Zug" springt die Partei DIE LINKE aber eben bewusst nicht auf. Nicht als Regierungspartei und nicht als Opposition."

Minka Dott schlägt eine Bresche für die Justizsenatorin: "Justizsenatorin von der Aue ist keine Frau, die immer den Weg des geringsten Widerstandes geht und es sich einfach macht, in dem sie bequeme Entscheidungen fällt."

Auf das Berliner Justizvollzugsdatenschutzgesetz angesprochen wurde eher verhalten reagiert und nicht auf Details eingegangen. Hier hätte ich mir ein klareres Statement in Bezug auf die Speicherung der Daten und die Auswirkungen der Auskunftspflicht von Therapeuten im Strafvollzug, aber auch auf das geplante Erfassen von biometrischen Erkennungsmerkmalen von Besuchern erhofft.

"Positiv ist, dass überhaupt der Datenschutz im Justizvollzug eindeutig geregelt wird und dabei enge Grenzen gesetzt werden.", betont Dr. Lederer.

Ein weiterer, interessanter Bereich ist die Resozialisierungsthematik. Wann soll damit begonnen werden? Wie wichtig ist eine gute Entlassungsvorbereitung? Hier findet Dr. Lederer deutliche Worte: "Die Resozialisierung ist als tatsächlicher Anspruch die beste Sicherheit für die Bevölkerung. Vor allem aber", so Dr. Lederer, "ist es wenig sinnvoll, jemanden, der zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, wegzusperren. Viel sinnvoller ist es, diese Menschen in einem Projekt "Arbeit statt Strafe" unterzubringen. Warum soll jemand, der in der U-Bahn mehrmals schwarzfährt, in einer teuren Gefängniszelle hocken? Ist er eine Gefahr für die Allgemeinheit? Mit Sicherheit nicht! Gemeinnützige Arbeit hat sicherlich eine größere Wirkung und beeindruckt nachhaltiger, als der - für das Land auch zu teure - Vollzug in einer JVA. Der Strafanspruch des Staates dürfte in diesen Fällen nicht überwiegen. Die Folgen des Wegsperrens sind bei Geldstrafen enorm. Meist verlieren diese Menschen ihre Wohnung, den Arbeitsplatz und das soziale Umfeld. Die dann anfallenden Resozialisierungskosten für diese Menschen stehen ganz sicher weder im wirtschaftlichen noch im strafrechtspolitischen Verhältnis zur begangenen Tat. Schwitzen statt Sitzen hilft allen!"

Angesprochen auf das Rahmenkonzept wird von den Besuchern eingeräumt, dass es sicherlich als ein dynamisches Konzept zu verstehen sei und das hier das Eine oder Andere geändert und verbessert werden müsste.

"Die Einbindung externer Organisationen ist jedoch ein guter Ansatz. Allerdings muss verstärkt darauf geachtet werden, dass diese externen Organisationen nicht als Alibi zum Stellenabbau, sondern als echte, zusätzliche Leistung hergenommen werden. Nur mit dem allgemeinen Vollzugsdienst ist eine gelingende, ganzheitliche Resozialisierung nicht zu schaffen. Externe Stellen sind hier eine adäquate Ergänzung zu dem Angebot der Justizvollzugsanstalten und können durch ihre Nähe zur Wirtschaft effizient vermitteln, vorbereiten und Programme umsetzen - sei es bei der Vorbereitung für den Arbeitsmarkt oder aber bei der Unterstützung der Wohnungssuche, aber auch bei Hilfen zur Schuldenbereinigung. Es wäre auch eine Aufstockung der Sozialarbeiter notwendig. Je besser und vorbereiteter wir die Menschen entlassen, desto geringer ist die Rückfallgefahr und die für den Staat entstehenden Kosten.", so Dr. Lederer.

Auf Nachfrage zu den jüngsten Entwicklungen in Bezug auf die Sicherungsverwahrung sagte Minka Dott: "Auch der Etikettenschwindel "SV" ist ja nun endlich aufgeflogen. Hier muss gehandelt werden. Für die Sicherungsverwahrten müssen generell Lösungen gefunden werden. Nicht nur bei der überwiegenden Zahl der "falsch positiven" Fälle, die aus Angst vor Fehlentscheidungen nicht entlassen werden, muss etwas geändert werden, sondern es muss eine ganzheitliche Lösung her. Es müsste viel früher mit den Betroffenen "gearbeitet" werden. Eine Behandlung müsste von Anfang an schwerpunkt- und entlassungsorientiert erfolgen. Für die jetzt aktuellen Fälle müssen adäquate Lösungen her."

Dr. Lederer führt dazu aus: "Das SV-Gesetz ist - wie festgestellt - rechtswidrig. Wir begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und sehen uns in unserer Kritik an der gegenwärtigen Praxis der SV bestätigt. Es muss nun in den vorgegebenen Fristen gehandelt werden. Diese Aufgabe ist nicht leicht. Eine Patentlösung gibt es noch nicht."

Wir kommen zurück auf die Resozialisierung und die Entlassungsvorbereitung. Konkret stellt sich hier die Frage, was noch verbessert werden könnte?

"In jedem Fall sollte früher mit der Entlassungsvorbereitung begonnen werden. Gerade die zusätzlichen Mittel, die die Justiz für die Arbeit der Freien Träger bereitgestellt hat, werden dafür sorgen, dass das Engagement dieser Freien Träger im Vollzug noch stärker spürbar wird. Es darf nicht sein, dass die Gefangenen bis zum letzten Tag sitzen und dann - ohne wirkliche Vorbereitung - entlassen werden. Das begünstigt die Rückfallgefahr und kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein."

Berlin hat bundesweit zwar die höchste Quote der im Offenen Vollzug untergebrachten Straftäter, bei den vorzeitigen Entlassungen zum 2/3-Zeitpunkt ist Berlin jedoch Schlusslicht. Es wäre doch auch sinnvoller und vor allem kosteneffizienter, wenn man die Quote der vorzeitigen Entlassung erhöhen würde. Warum sind die Kammergerichte in Berlin hier so restriktiv, fragen wir.

Minka Dott antwortet: "Nachvollziehen kann man das nicht. Tatsächlich sind die Gerichte ja in ihrer Entscheidung unabhängig. Dennoch kann man anregen, dass die Entlassungskriterien, besonders deren Auslegung, liberaler gehandhabt werden können. Es sollte früher eine Erprobung von Lockerungen erfolgen. Schließlich funktioniert bei uns die Resozialisierung nicht schlechter, als in Ländern, die eine höhere Entlassungsquote bei 2/3-Entscheidungen haben."

Es folgte eine lebhafte Diskussion, ob nicht doch etwas "falsch" oder zumindest anders gemacht wird, besonders weil es leider derzeit Realität ist, dass die "Behandlung" - vom Sozialarbeiter durchgeführt - in den meisten Fällen nur ein Gespräch pro Monat ausmacht. Das ist für eine zielgerichtete Resozialisierung entschieden zu wenig. Wie kann das verbessert werden, wie kann erfolgreiche Resozialisierung aussehen?

"Hier komme ich wieder auf den Einsatz freier Träger zurück. Dabei muss es auch so sein, dass deren Einschätzungen und Beurteilungen Einzug in die Vollzugsplanungen finden. Da das Rahmenkonzept Behandlung durch freie Träger vorsieht, sollte das auch weiter unterstützt werden."

Und schon sind 60 Minuten um. Das Gespräch war facettenreich und mir saßen bis zum Schluss engagierte Menschen gegenüber, von denen ich nicht das Gefühl hatte, dass sie zu der "Spezies Politiker" gehören, die im Schwadronierenden, Lamentierenden oder Floskelndreschen geübt sind. Hier waren Menschen, die selbstkritisch und fair mit Themen umgehen, Verantwortung zeigen, keineswegs selbstherrliche und altbackene, gar marxistische Töne verbreiten. Sie haben deutlich gemacht, dass es mit der Partei DIE LINKE keine "Law & Order"-Politik geben wird, der Datenschutz eine große Rolle spielt und der offene Vollzug die wichtigste und sinnvollste Vollzugsform in Berlin bleiben sollte. Sie halten es für sinnvoll, in Bereichen der Kleinkriminalität, wie Schwarzfahren etc., eher Arbeitsstunden als Knast zu "verordnen" und sie haben deutlich ausgedrückt, dass ein "Wegsperren und das für immer" kein zeitgemäßer und humanistischer Umgang mit Delinquenten für sie ist.

Obschon ich sicherlich eine andere politische Einstellung habe erkenne ich die sachlichen und teilweise auch selbstkritischen Töne unserer Besucher respektvoll an und wünsche mir, öfter mit ihnen im Dialog zu treten. Vielen Dank.


*


Quelle:
der lichtblick, 43. Jahrgang, Heft Nr. 348, 3/2011, Seite 8-9
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2011