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LICHTBLICK/156: Ich - der Neue in Tegel


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 339 - 2/2009

LESERBRIEFE
Ich - der Neue in Tegel

Erlebnisbericht von Josef Riedel


Nach ca. 2 1/2 Jahren war meine U-Haftzeit beendet. Das Grauen der "Justiz-Tours" kam auf mich zu. Meine Reise, wie eine Tournee, von Rastatt über Kassel, Frankfurt, Hannover, Magdeburg, Berlin. Nach neun Tagen kam ich in Tegel an.

Mein erster Eindruck: oh, - ist das groß. Mann - o - Mann, die haben ja einen eigenen Dom! Dann, die Ernüchterung. Das übliche, Kammer, ab ins Haus I. Der freundliche, aber schweigsame Beamte zeigte mir mein neues "Apartement", drückte mir ein Vorhängeschloß in die Hand - und - das war's! Da stand ich mit meiner ganzen Habe, einem Stoffbeutel, in einer schmuddeligen Bude. Der Beamte war weg. Kein Hinweis, wo, was, wie läuft bzw. geht.

Okay, bin ja gerade erst angekommen, man wird mir ja morgen sagen wie es weiter geht. Vor neun Tagen sind meine acht Kartons per DHL auf den Weg nach Berlin gebracht worden. Denke, die sind sicherlich schon da. Vorsorglich hatte ich ja in meinem Handgepäck schon mehr eingepackt, als ich für die paar Tage benötige. Morgen bekomme ich meine Sachen, Kaffee, Tabak usw.

Hallo, hallo, das war ein Traum, ich bin ja in Tegel. Verstehe, hier ist alles etwas anders. Vorher waren in "meinem" Knast ca. 80 Leute, hier sind es wohl ein paar mehr! Meine Tür geht auf, bleibt auf, schaue auf den Flur, was ist jetzt? Sehe keinen Beamten. Mein Nachbar sagt mir, dass der wohl irgendwann kommt. Als ich ihn (den Beamten) dann sehe, frage ich ihn, was mit meinen Sachen ist, wann ich zur Kammer kann? Antwort: soll einen Antrag stellen. Dazu muss ich sagen, ich habe 2 1/2 Jahre keinen Antrag gebraucht. Aber hier ist alles anders. Gebe also Anträge ab, will ja meine Sachen und TV, Radio usw. haben. Bei Abgabe - so geht das nicht, dafür gibt es extra Formblätter. Frage mich natürlich, wieso er mir dann erst die falschen Anträge gibt?

Dann, keine Reaktion, mehrere Tage nichts. Kein Beamter sagt etwas zu mir. Im Büro ist keiner, wenn einer da ist, weiß er nichts oder ist gerade für den Bereich nicht zuständig. Nach einer Weile erreiche ich einen, der mir sagen kann, dass meine Sachen noch nicht angekommen sind. Ich soll mich an den für mich zuständigen Gruppenleiter wenden. Wie bitte? Was oder wer ist ein Gruppenleiter? Wo ist der? Keine Antwort! Immerhin bin ich zu dem Zeitpunkt schon über drei Wochen hier. Habe weder meine Sachen noch ein Miet-TV, Radio. Merkwürdigerweise ist der Antrag für Miet-TV nicht auffindbar. Also gebe ich einen neuen ab. Auch Anträge in anderen Angelegenheiten bleiben unbeantwortet. Manchmal glaube ich, die haben hier noch nicht gemerkt, dass ich da bin. Keiner sagt mir etwas. Im Grunde weiß ich nicht, wie es jetzt mit mir weitergeht. Jetzt bin ich ca. 10 Wochen hier. Inzwischen habe ich einen Teil meiner Sachen. Ein Miet-TV ist inzwischen auch da (nach drei Anträgen). Habe ein TV-Gerät gekauft. Auch das funktioniert erst nach drei Anträgen. Einige Anträge sind jedoch immer noch nicht beantwortet.

Wer mein Gruppenleiter ist, weiß ich nach wie vor nicht, mir ist auch unbekannt, welche Aufgabe der hat? Aber auf meiner Station gibt es drei bis vier Beamte, denen man Anträge zur Bearbeitung geben kann, die einem Antworten geben können - auch wenn die nicht immer zufriedenstellend sind.

Trotzdem bin ich immer noch der Meinung, dass die nicht wissen bzw. bemerkt haben, dass ich hier bin.

Meine Antragsform habe ich jetzt umgestellt. Es wird von mir nicht mehr eine Sache mit Bitte um Erledigung oder Antwort beantragt. Ich teile jetzt einfach mit, was ich machen werde und erwarte keine Antwort. Auf diese Weise habe ich jetzt Fachbücher und ein Fernstudium bestellt. Bleibt abzuwarten, was da jetzt geschieht.

Im allgemeinen Rechtswesen gilt eine angekündigte Sache bzw. eine Tatsachenbehauptung, die der (Gegen-) Partei zur Kenntnis gebracht wurde, wenn derer nicht widersprochen wird, als anerkannt bzw. akzeptiert.

Jetzt lass ich mich überraschen wie es weiter geht...


*


Quelle:
der lichtblick, 41. Jahrgang, Heft Nr. 339, 2/2009, S. 19
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2009