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LICHTBLICK/154: Gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 338 - 1/2009

Gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen
Neue Möglichkeit zur Regelung des "109er Verfahrens"

Ein Beitrag von Richterin M. Vogt


Ein effektives Mittel zur Lösung von Problemen?

Das wird sich zeigen. Jedenfalls beschreitet die Berliner Justiz damit einen vollkommen neuen Weg zur Lösung von Rechtsstreitigkeiten, die ihren Ursprung im Vollzugsalltag der Strafgefangenen haben.

Im Frühjahr 2009 ist es soweit. Dann startet ein bislang bundesweit einzigartiges Pilotprojekt des Landgerichts Berlin in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Justiz und der JVA Tegel: "Gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen".

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Es geht hier nicht um die in vielen Religionen und (vor allem fernöstlichen) Kulturen ausgeübte spirituelle Praxis der "MEDITATION". Der Begriff "MEDIATION"; also ohne das "T" in der Mitte, wird von dem lateinischen Adjektiv "medius" (= vermittelnd, neutral, unparteiisch, die Mitte haltend) abgeleitet.

MEDIATION ist ein strukturiertes freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung eines Konfliktes im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, bei dem die Parteien eines (Rechts-)Streits mit Unterstützung eines neutralen Dritten, des Mediators, zu einer einvernehmlichen - in die Zukunft weisenden - Vereinbarung gelangen wollen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht. In fast jedem Konflikt lässt sich eine - oftmals verborgene - Lösung finden, die für alle Beteiligten akzeptabel oder sogar besonders günstig sein kann. Mediation ist die Kunst, diese Lösung zu finden.

Die Gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen ist aber mehr als nur der Versuch, ein aktuelles Problem doch noch gütlich beizulegen. Sie versucht auch, behutsam neue Bewegung in die vollzugliche Konfliktlösungslandschaft zu bringen und die Streitkultur hinter den verschlossenen Türen zum Nutzen aller Beteiligten allmählich zu verändern.


Wie kommt das Verfahren in Gang?

Nehmen wir einmal den (gar nicht so seltenen) Fall, dass ein Strafgefangener mit einer Entscheidung der Haftanstalt nicht einverstanden ist. Das kann verschiedene Gründe haben: Die Entscheidung ist seiner Meinung nach gar nicht oder nur sehr unzureichend begründet worden, hat Gesichtspunkte, die er für wichtig hält, nicht (hinreichend) berücksichtigt. Der Gefangene fühlt sich missverstanden oder sogar unverstanden. Er kann die Entscheidung aus seiner Sicht nicht nachvollziehen und empfindet sie als willkürlich.

Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Manch einer resigniert, weil er meint, alles andere hätte sowieso keinen Sinn. Einige versuchen, das Problem mit den Mitarbeitern der Haftanstalt zu klären, was mehr oder weniger häufig auch gelingt, wenn der Gefangene das Gespräch sucht und es auch findet. Viele Strafgefangene wenden sich (früher oder später) mit ihren Anliegen Hilfe suchend an die Strafvollstreckungskammern des Landgerichts Berlin.


Der "normale" Ablauf eines 109er Verfahrens

Nachdem ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den Paragraphen 109ff StVollzG bei Gericht eingegangen und bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer registriert worden ist, nimmt das Verfahren üblicherweise den folgenden Verlauf:

Ergeben sich bereits aus der Antragsschrift Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung, wird der damit befasste Richter dem Antragsteller in aller Regel vorab einen entsprechenden Hinweis geben. In einem derartigen Fall kommt es oftmals zu einer frühzeitigen Beendigung des Verfahrens, ohne dass eine sachliche Entscheidung über den Streitgegenstand getroffen wird.

Ansonsten fordert der zuständige Richter in der Regel die beteiligte Haftanstalt auf, zu dem Antrag Stellung zu nehmen. Geht die erbetene Stellungnahme dann - manchmal nach der einen oder anderen Fristverlängerung - bei der Strafvollstreckungskammer ein, wird sie dem Antragsteller zur Erwiderung übersandt. Wenn jener daraufhin erneut seine Sicht der Dinge beschreibt, wird dies wiederum der beteiligten Haftanstalt zur Stellungnahme übersandt. Diese Prozedur lässt sich beliebig oft wiederholen, solange die Beteiligten sich schriftlich äußern oder der zuständige Richter noch Bedarf sieht, die Sachlage weiter aufzuklären und gegebenenfalls Beweise zu erheben. Teilweise werden Akten beigezogen und dienstliche Erklärungen von Mitarbeitern der Haftanstalt eingeholt, aber auch einzelne (oder sogar kistenweise) Gegenstände in Augenschein genommen. Die Aufklärung des Sachverhalts im schriftlichen Verfahren ist häufig langwierig, schwerfällig und ermüdend für alle Beteiligten. Zudem führen die im Laufe des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse oftmals zu keinem für die Beteiligten befriedigendem Ergebnis. Häufig wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung letztlich (als unbegründet) zurückgewiesen oder sogar (als unzulässig) verworfen. Das heißt aber nicht, dass nun auch Rechtsfrieden einkehren würde.

Denn wirklich zufrieden ist mit den Gerichtsbeschlüssen selten jemand. Selbst einige Richter hadern aus unterschiedlichen Gründen mit ihren Entscheidungen. Oft findet ihre mühsame und zeitaufwändige Arbeit in den gefundenen Ergebnissen kaum Niederschlag. Vor allem hat so mancher der vorgetragenen Gesichtspunkte, die oftmals durchaus nachvollziehbare und für den Gefangenen bedeutsame Anliegen beinhalten, für die gerichtliche Entscheidung gar keine oder zumindest nicht die Bedeutung, die der Antragsteller dem beimisst.

Der Inhaftierte fühlt sich weiter unverstanden und willkürlich behandelt. Doch damit nicht genug. Im Fall, dass er einen erfolglosen Antrag gestellt hat, kommen in der Regel auch noch die Verfahrenskosten auf ihn zu. Und die Anstalt muss im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens eine Menge zusätzlichen Arbeitsaufwand betreiben, um häufig am Ende einen noch frustrierteren Inhaftierten zu erleben, zu dem sich das Verhältnis inzwischen nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat.


Was ist bei der Mediation anders als beim herkömmlichen Gerichtsverfahren?

Mit der gerichtlichen Mediation in Vollzugssachen versucht das Landgericht Berlin etwas Unkonventionelles und zugleich sehr Logisches: Es gibt den Konflikt zurück an den Ort und die Menschen, die zu seiner Entstehung geführt haben. Und weil dort die Sache bislang nicht bereinigt werden konnte - sonst wäre sie ja gar nicht erst bis zur Strafvollstreckungskammer gelangt - schickt das Gericht einen Kollegen, der das klärende Mediationsgespräch als neutraler Dritter begleitet. Dies ist aber niemals der Richter, bei dem die Sache zur Entscheidung ansteht. Es ist ein Richter mit Zusatzausbildung zum Mediator, ein sog. Richtermediator, der speziell zu dieser andersartigen Aufgabe befähigt ist. Im Unterschied zu dem zuständigen streitentscheidenden Kollegen fehlt dem Richter in der Funktion als Mediator jegliche Entscheidungskompetenz in dieser Sache. Er ist nur dazu da, die Konfliktbeteiligten im Rahmen des Mediationsgesprächs bei der Entwicklung sinnvoller Lösungen für die aufgetretenen Probleme zu unterstützen. Im Gegensatz zum schriftlichen Verfahren können bei einem persönlichen Gespräch die Hintergründe von Konflikten und die Interessen der Beteiligten besser herausgearbeitet und berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt der Mediation stehen die Beteiligten und das, was sie zu sagen haben. Dabei bedient der Richtermediator sich eines bestimmten Verfahrens, das die Kommunikation fördert und (wieder) Bewegung in einen festgefahrenen Konflikt bringen soll. Er strukturiert den Dialog, sichert das gegenseitige Verständnis, arbeitet konsequent interessenorientiert und hält die wesentlichen Gesprächsinhalte (in Stichpunkten) schriftlich fest. Auf diese Weise schafft er eine konstruktive Gesprächsatmosphäre, in der die Beteiligten fair miteinander umgehen. Die Beteiligten bestimmen selbst, ob und gegebenenfalls wie der Konflikt gelöst wird. So kann möglicherweise eine tragfähige Beziehung für die Zukunft erhalten oder (auch erst) geschaffen werden. Die Mediation ist vertraulich und nicht öffentlich.


Wie kommt die Sache von der Strafvollstreckungskammer zum Mediator?

Damit eine Sache den Weg vom zuständigen streitentscheidenden Richter zu einem seiner Kollegen in der Mediationsabteilung findet, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Erst einmal muss der Konflikt sich seinem Inhalt nach überhaupt für die Mediation eignen. Da ist grundsätzlich vieles denkbar. Sieht allerdings das geltende Recht, also insbesondere das Strafvollzugsgesetz, im konkreten Fall nur ein entweder/oder, ein ja oder nein vor, fehlt also - was aber äußerst selten vorkommt - ein behördlicher Spielraum, dann scheidet Mediation von vornherein aus. Gleiches gilt für Eilanträge. Hier liegt es nun aber allein in der Hand des Gefangenen, dies bei der Antragstellung zu berücksichtigen und sich genau zu überlegen, ob es im konkreten Fall klug ist, zugleich mit einem Antrag in der Hauptsache oder unabhängig davon einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bzw. Aussetzung einer von ihm beanstandeten Maßnahme der Haftanstalt bei der Strafvollstreckungskammer einzureichen.

Wenn man Großes vorhat, muss man oft klein beginnen.

Daher müssen in der Pilotphase des Projektes, die voraussichtlich mindestens ein Jahr dauern wird, noch zusätzliche Kriterien erfüllt sein. Der Antragsteller muss hinreichend der deutschen Sprache kundig sein, so dass ein Gespräch mit ihm ohne Dolmetscher möglich ist. Ferner muss mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine Maßnahme der Teilanstalten III oder V der JVA Tegel angefochten oder erstrebt werden.


Und wie kommt der Mediator zu den Konfliktpartnern?

Da es sich bei der Mediation grundsätzlich um ein für alle Seiten freiwilliges Verfahren handelt, kann ein Mediationsgespräch nur stattfinden, wenn sowohl der jeweilige Antragsteller als auch der oder die daran zu beteiligenden Mitarbeiter der Haftanstalt mit der Teilnahme einverstanden sind. Um unter den zugegebenermaßen für alle Beteiligten sehr besonderen Bedingungen im Vollzug überhaupt so etwas wie Freiwilligkeit gewährleisten zu können, darf und wird die Ablehnung der Teilnahme an einer Mediation für den Betreffenden zu keinerlei Nachteilen führen; und zwar weder für die Antragsteller noch für die konfliktbeteiligten Mitarbeiter der Vollzugsbehörde.

Wenn alle Konfliktbeteiligten mit dem Verfahren einverstanden sind und der Richtermediator die Sache für mediationsgeeignet hält, wird - soweit entsprechende Kapazitäten vorhanden sind - möglichst kurzfristig ein Gesprächstermin in den dafür vorgesehenen Räumen der JVA Tegel/Teilanstalt V anberaumt. Dieses Gespräch soll im Regelfall nicht länger als zwei Stunden dauern.


Was kommt am Ende für die Beteiligten heraus?

Was das Mediationsgespräch den Konfliktbeteiligten bringt, entscheiden diese selbst. Es könnte sein, dass der eine oder andere Gefangene die Gelegenheit nutzen möchte, um mal richtig "Dampf abzulassen". Vielleicht hilft ihm das. Ob dies für die Zukunft eine Verbesserung bringt und man sich damit erfolgreich der Lösung eines Problems nähern kann, wird sich gegebenenfalls zeigen. Manchmal kommt, nachdem "Tacheles" miteinander geredet wurde, so etwas wie gegenseitiges Verständnis auf. Vielleicht können sich die Beteiligten danach sogar auf eine allseits akzeptable Lösung des vorhandenen Problems verständigen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass selbst weitere Konflikte, welche die Beteiligten belasten, durch ein Mediationsgespräch zumindest ansatzweise gelöst und in gewissem Umfang beigelegt werden können.

Im Idealfall erarbeiten die Beteiligten dann gemeinsam eine (rechtsverbindliche) Vereinbarung, die von dem Richtermediator schriftlich festgehalten wird und erklären das bis dahin ruhende streitige Hauptsacheverfahren bei der Strafvollstreckungskammer übereinstimmend für erledigt.

Kommt es bei dem Mediationstermin zu keiner Verständigung, wird das normale streitige Verfahren bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer fortgesetzt. Das heißt, dass jetzt der gesetzliche Richter wieder ins Spiel kommt und die Sache in althergebrachter Manier zu Ende führt. Weshalb die Mediation gescheitert ist, erfährt er gegebenenfalls allerdings ebenso wenig wie etwas über den Inhalt des dort geführten Gesprächs.

Außer der Erfahrung, dass der gewählte neue Weg sich als nicht geeignet gezeigt hat, dem gewünschten Erfolg wenigstens ein Stückchen näher zu kommen, erwachsen den Beteiligten grundsätzlich keine Nachteile bei dem Abbruch eines Mediationsgesprächs (ohne Einigung). Vor allem entstehen durch die gerichtliche Mediation keine zusätzlichen Gerichtskosten.


Ist das nicht alles Augenwischerei?

Warum soll ich da eigentlich mitmachen, werden sich einige Gefangene und erst recht so mancher Mitarbeiter der Haftanstalt fragen. Ist das nicht nur wieder einmal neumodischer Kram im alten Gewand? Geht danach nicht alles weiter wie bisher? - Sicher, im Vollzug wird es immer die einen geben, die abends nach Hause gehen können und die anderen, die da bleiben müssen. Das ist die Natur des Freiheitsentzuges. Klar ist auch, dass sich an dieser Situation grundsätzlich nichts ändern wird. Aber das bezwecken die Inhaftierten mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch gar nicht. Die Frage ist, was die Beteiligten aus der Haftsituation machen, wie sie diese gestalten.

Wenn beiden Seiten durch diesen neuen Ansatz geholfen werden kann, den direkten sachlichen Dialog und Kooperation zu fördern, entstandene Missverständnisse zu beseitigen, etwaige Verärgerung oder Verbitterung zumindest abzuschwächen, ein besseres Verständnis für die jeweils andere Seite zu entwickeln und vielleicht sogar letztlich - natürlich im Rahmen der Gesetze - miteinander kreative Lösungen für bestehende Probleme zu entwerfen, dann könnte die "Gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen" zu einem echten Erfolgsmodell werden.


M. Vogt (Richterin am Landgericht Berlin). Leiterin des Projektes "Gerichtliche Mediation in Strafvollzugssachen"


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Quelle:
der lichtblick, 41. Jahrgang, Heft Nr. 338, 1/2009, Seite 22-24
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2009