Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


KAZ/319: IMI-Kongress 2019 und Großmanöver "Defender 2020"


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 370, Februar 2020
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

"We are starting it with a bang"
IMI-Kongress 2019 und Großmanöver "Defender 2020"


"We are starting with a bang - wir beginnen mit einem Knall." So zitiert die FAZ vom 31. Oktober vergangenen Jahres Christopher Cavoli, Kommandeur der US-Truppen in Europa, und fährt fort: "Jeder Angreifer (gemeint sind hier natürlich russische Verbände, d. Verf.) soll wissen, dass man es beim Angriff auf einzelne Truppenteile des Bündnisses alsbald mit der ganzen Wucht der NATO zu tun bekommt."

Nun weiß jeder nüchtern denkende Mensch, dass selbst die schnellste Verlegung von Truppen über derart große Entfernungen solch herbeifantasierte Angriffe nicht wirklich aufhalten kann, also lautet die unausgesprochene Botschaft: Wir sind gekommen um zu bleiben. Eine enorme politische Hypothek für die davon betroffenen Länder. Das von Januar bis Mai angesetzte Großmanöver "Defender Europe 20" soll die Leistungsfähigkeit der Transport- und Logistik-Fähigkeiten testen und verbessern helfen. Dabei ist Deutschland die wichtigste militärische Drehscheibe.

Die NATO hat im Laufe der vergangenen sechs Jahre damit begonnen, seine militärische Infrastruktur in Osteuropa auszubauen. Mit der Stationierung von NATO-Truppen in Polen und den baltischen Staaten und mit dem Aufbau einer Art Mini-Hauptquartiere (NATO Force Integration Units - NFIU) ging als weiterer wesentlicher Bestandteil des Militarisierungsprozesses ein kontinuierliches Aufstocken der Nachschubtruppen einher. Auf dem NATO-Gipfel im September 2014 in Wales wurde zunächst beschlossen, die NATO Response Force (NRF) - die Schnelle Eingreiftruppe der NATO - auf 40.000 Soldaten und damit auf mehr als das Dreifache ihrer vorherigen Größe aufzustocken. Außerdem wurde innerhalb der NRF eine neue Unterstruktur eingeführt: die NATO-"Speerspitze" (Very High Readiness Joint Task Force - VJTF), die noch schneller einsetzbar sein soll als die NRF, nämlich innerhalb von nur 48 Stunden.

Vergleichbare Knaller startete Kriegsministerin AKK mit ihrer gescheiterten Nordsyrien-Initiative. Nun bietet die Eskalation in Libyen eine weitere Möglichkeit, deutsche militärische Optionen ins Spiel zu bringen. Deutsches Militär in dieser Region, womöglich im Auftrag der UNO, gekrönt mit einem Blauhelm?

Soviel weltweite "Verantwortung" erfordert natürlich einen Zuwachs an militärischen Mitteln und logistischen Fähigkeiten. Die Gier nach Expansion befördert die Aufrüstung, die Aufrüstung befördert weitere Expansionsgelüste. Auf dem Kongress der Informationsstelle für Militarisierung (IMI) im November 2019 stand unter dem Motto "Rüstung Digital - neue Technologien für neue Großmachtkonflikte" das Thema Aufrüstung und die zentrale Bedeutung elektronischer Kriegsführung im Mittelpunkt der Diskussionen.

Im Folgenden einige Stichworte zu den Beiträgen, die ausführlich dargestellt werden im Bericht der IMI-Zeitschrift "Ausdruck" vom Dezember, nachzulesen unter:
www.imi-online.de/2019/12/09/ruestung-digital-neue-technologien-fuer-neue-grossmachtkonflikte/

Zusammenfassung der Beiträge auf dem IMI-Kongress

Die "Digitalisierung" steht für einen riesigen Markt mit vielen Begehrlichkeiten. Gerade in diesem Bereich verwischen sich die Grenzen von ziviler und militärischer Forschung. Die staatliche Milliarden-Förderung umfasst aus nationalen strategischen Gründen beide Bereiche, vorzugsweise aber die Rüstung in Deutschland. Die Digitalisierung treibt die Auseinandersetzung um die Weltmacht unter den imperialistischen Staaten in Zukunft wesentlich an, auch militärisch. Im Bundeshaushalt ist schon heute der Rüstungshaushalt der größte Posten, wenn man beim Sozialhaushalt die Renten abzieht! Dabei sind Gelder für den EU-Verteidigungsfond und die Ausbildungseinsätze noch nicht berücksichtigt!

Christoph Marischka (IMI) - Geostrategie Digital

Der Staat optimiert durch Koordination und Finanzierung den nationalen Standort. Nicht allein die Truppenstärke, sondern immer mehr die Waffentechnologie ist entscheidend. Im zivilen wie militärischen Bereich wird auf "Sprunginnovation" durch digitale Techniken gesetzt! KI und 5G sind dabei die wichtigsten Innovationen - dual use und enge Kooperation von Industrie und Militär sind erforderlich. Das internationale Wettrüsten auf dem Sektor KI erfordert national die enge Kooperation von Wissenschaft und "Risikokapital"/Startups. Als Beispiel der engen Verflechtung zwischen Wissenschaft und Anwendung (militärisch) gilt schon immer das Fraunhofer Institut. Der derzeitige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, der gleichzeitig bei "acatech" (Deutsch Akademie der Technikwissenschaften) aktiv ist, ist dabei ein Garant für die Zusammenarbeit von Forschung und Industrie (zivil und militärisch)! Die Nationale Industrieentwicklung wurde 2019 von Wirtschaftsminister Altmaier vorgestellt: staatliche finanzielle Förderung im nationalen Rahmen soll gepaart werden mit dem Verbot/Einschränkung der Intervention von außen (China!).

Jürgen Wagner (IMI) - Weltraum als umkämpfte Domäne der Digitalisierung

Der Weltraum als neue Kriegsdomäne neben Land-/Luft-/See-/Cyber-Militär-Bereich! Siehe Weltraumerklärung des BDI vom 18.10.2019. Es handelt sich schon heute und die nächsten Jahre um einen Umfang von 400-500 Mrd., der bis 2040 auf 1.700 Mrd. anwachsen wird! Im Rahmen der EU wurde eine "European Union Space Force" gegründet. Die Bewaffnung des Weltraums wird von den USA/EU und insbesondere auch Frankreich vorangetrieben. Mehrfache Versuche von Russland und China in der UN, einen Vertrag zur Verhinderung der Bewaffnung des Weltalls zu verabschieden, scheiterten am Widerstand der oben genannten Nationen.

Claudia Haydt (IMI) - Autonome Waffensysteme und der Versuch ihrer Regulierung

Killerroboter, Killerdrohnen, unbemannte Panzersysteme, etc. sind in der Entwicklung und z.T. in der Erprobung. Autonome militärische Systeme treffen nach Initiierung durch einen Soldaten dann selbständige Zielauswahl und führen Angriffe durch. Gefahr der Verselbständigung! 700 KI-Spezialisten warnen von der Entwicklung von autonomen Waffensystemen! Hier wird ein UN-Verbot von USA, Russland und weiteren Staaten, auch Frankreich, blockiert. China hingegen fordert ein solches Verbot bisher. Der europäische, französische IT-Konzern ATOS, der auf Cloudspeicherung und auf die Systemintegration von verschiedenen IT-Bereichen in der praktischen Umsetzung spezialisiert ist, spielt hier eine Vorreiterrolle.

Michael Schulze von Glaser (DFG-VK - Videospiele als Vorbild des Schlachtfeldes der Zukunft?

Videospiele-Firmen sind z.T. gleichzeitig militärisch tätig bei Flug- und Schießsimulatoren. Vorbei die Zeiten von Matrosenanzügen und Zinnsoldaten, Simulatoren gibt es nicht mehr nur für Kampfpiloten. Auch die Bundeswehr nutzt solche Spiele zur Rekrutierung von jungen Menschen! (siehe: youtube games and politics) Manned-anned teaming wird die Zukunft sein: an vorderster Front sind nicht Menschen, sondern Maschinen, die von Menschen/Soldaten dahinter gesteuert werden! Bei solchen Steuerungssystemen ist z.B. die Fa. DIEHL aktiv. In der EU gibt es schon 2 Systeme, die konsequent aufgebaut werden. Hierzu gehört das von Frankreich geführte Future Air Combat System (FACS - Umfang ca. 400 Mrd.) - Dassault Aviation und Airbus Defence and Space (z.B. ein Eurofighter kämpft im Verbund mit 4 bewaffneten Drohnen) und das von Deutschland geführte Panzerprojekt Main Ground Combat System (MGCS - Umfang ca. 100 Mrd.) - 50% KMW / 50% Nexter. Als Zukunft gilt das Next Generation Weapon System (NGWS) unter weiterer Einbeziehung von unbemannten Waffensystemen. Eine wesentliche Schwachstelle solcher hochvernetzten Waffensysteme ist neben den digitalen Schwachstellen die elektromagnetische Anfälligkeit durch kleine taktische Atomwaffen und gezielte elektromagnetische Energiewaffen!

Martin Kirsch (IMI) - Rüstung Digital

Die Digitalisierung der Bundeswehr beschränkt sich bisher auf die Standorte und die dort vorhandene Infrastruktur. Geplant ist derzeit ein Netzaufbau für die Landstreitkräfte gemeinsam von Deutschland und den Niederlanden. Der "Mister digital" ist bei der Bundeswehr der ehemalige General Frank Leidenberger, der jetzt der Chief Strategy Officer bei dem IT-Dienstleister der Buwehr, der BWI GmbH, ist. Vernetzung der Waffensysteme ist die Voraussetzung für das NGWS. Dies soll zunächst beim Heer umgesetzt werden. Leidenberger hat mehrere Papers formuliert mit entsprechenden Forderungen zur Umstrukturierung des Heeres, wobei neben militärischen Gesichtspunkten insbesondere Forderungen nach Abbau der Bürokratie und damit der parlamentarischen Kontrolle auffallen, damit das Heer schnell und "modern" reagieren kann! Bis 2023 soll die schnelle Eingreiftruppe der NATO vernetzt sein, bis 2032 dann das ganze Heer. Da die Kosten hierfür mehrere Mrd. beanspruchen, ist das "2%-Ziel zumindest einzuhalten".

Tobias Pflüger (IMI und MdB PdL, Mitglied im Verteidigungsausschuss) - Lobbyismus für Digitalisierung

Die Waffenfirmen nehmen auf Bundestagsabgeordnete und Abgeordnete des EU Parlaments ganz direkten Einfluss, indem sie "Expertenpapiere ausarbeiten" für die Parlamentarier. Der eigentlich illegale "Europäische Verteidigungsfond" wurde mit 13 Mrd. geschaffen (illegal, weil nach dem Lissabonvertrag die EU keine Verteidigung finanzieren darf.), wovon ca. 6 Mrd. für das Military Mobility Program sind, um die Beweglichkeit und schnelle Einsetzbarkeit der Truppen zu gewährleisten. Dies ist insbesondere nächstes Jahr im Frühjahr von Bedeutung beim größten NATO Manöver seit 25 Jahren "Defender 2020", bei dem 20.000 amerikanische Soldaten zusammen mit deutschen und polnischen, usw. Soldaten zusammen mit entsprechendem Gerät von Bremerhaven quer durch Deutschland an die polnisch-russische Grenze verlegt werden müssen! Von diesem sog. Europäischen Verteidigungsfond hat Deutschland einen Anteil von 20% zu zahlen. Dieser Anteil wird jedoch nicht unter dem Wehretat verbucht, sondern wird als Einzelplan 60 in der Allgemeinen Finanzverwaltung geführt, wo viele Einzelposten geführt werden, die nicht direkt einem Ministerium zuzuordnen sind! Neu gibt es unter v. d. Leyen eine "Generaldirektion Verteidigung und Weltraum" bei der Europäischen Kommission, die dem Kommissar für "Binnenmarkt und Verteidigung", dem Franzosen Thierry Breton, untersteht. Breton war bis vor Kurzem noch Chef des französischen IT-Giganten ATOS!! Er soll die High-Tech Rüstung der EU voranbringen mittels Digitalisierung!

Profiteure der digitalen Aufrüstung

- THALES ist ein franz. Rüstungskonzern entstanden aus Alcatel und Thomson u.a. Er hält z. Zt. Platz 8 weltweit und hat ca. 4.000 Beschäftigte in Deutschland (weltweit ca. 80.000). Vorsitzender in Deutschland ist Herr Christoph Hoppe, CDU-Mann und vorher in mehreren Rüstungsfirmen (u.a. Daimler, Airbus) tätig und zuletzt Lobbyist von EADS in Berlin. Der Konzern in Deutschland macht digitale Sicherheitsüberwachungen auch an Grenzen, Raumfahrt und Satelitentechnik, Flug- und Schießsimulatoren, Helme mit Nachtschießvorrichtungen etc. Umsatz weltweit ca. 16 Mrd.

- AIRBUS Defence and Space; Headquarter ist in Niederlanden aus Steuergründen bei 63 Mrd. Umsatz jährlich. Derzeit der größte Flugzeughersteller der Welt. Hat Boeing verdrängt! 70% sind Zivilflugzeuge. Der franz. und der deutsche Staat halten je 11% der Aktienanteile. 17-20% des Umsatzes mit Militärausrüstung: Sateliten, unbemannte Drohnen, Tiefflugsensorik, Aufklärung/Überwachung aus der Luft.

- ATOS Systemintegration in allen Anwendungsbereichen der IT-Branche - HaFIS der Bundeswehr (Harmonisierung von Führungsinformationssystemen) - Battle management system der franz. Armee in Coop. mit Bull IT. Border control and surveillance und als neuer Sektor: Health communication!

Bis 2024 will die Bundesregierung die deutschen Militärausgaben verdoppeln. Schon in diesem Jahr wurde erstmals die magische Schwelle von 50 Milliarden überschritten - erstmals mehr als für Arbeit und Soziales, die Renten einmal ausgenommen. Die EU geht einen ähnlichen Weg: Weil durch den Lissaboner Vertrag verboten ist, EU-Mittel direkt für Rüstung einzusetzen, nutzt der soeben berufene EU-Kommissar Thierry Breton, vormals Chef des Militärdienstleisters ATOS, die Industrieförderung zur Aufstockung des Europäischen Verteidigungsfonds.

Bei der Durchführung von Defender 20 versteht sich die Bundesregierung ganz bewusst als mögliche Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung. Dieser Anspruch soll nun im Rahmen dieses Großmanövers unter Beweis gestellt werden. Die Architekten des Manövers vergleichen es mit dem D-Day und damit mit dem Kampf gegen Hitlerdeutschland (Lt.Col. Fraser, Sgt.Maj. Abernethy, Strong Europe: A continental style combat sustainment laboratory, 1.4.2019 - (zit. nach IMI-Standpunkt 2019/046). Einmal abgesehen davon, was so ein Vergleich vor dem historischen Hintergrund des 8. Mai als Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus über das Verhältnis von USA und Russland aussagt, wird klar, dass hier mit deutscher Zustimmung groß angelegte militärische Auseinandersetzungen vorbereitet werden.

Ob NATO; EU-Militärunion mit eigenständiger Armee oder nationale Alleingänge, damit der Militarismus und seine Folgen nicht im großen Knall eines Weltkrieges enden: Stoppt die Kriegstreiber!

AG Antimilitarismus

*

Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 370, Februar 2020, S. 34-36
Herausgeber und Verlag:
Gruppe Kommunistische Arbeiterzeitung, Selbstverlag
Anschrift: KAZ-Redaktion, Reichstraße 8, 90408 Nürnberg
Tel. und Fax: 0911/356 913
E-Mail: gruppeKAZ@kaz-online.com
Internet: www.kaz-online.de
 
KAZ erscheint viermal jährlich.
Einzelpreis: 1,50 Euro
Normalabo: 10,00 Euro, Sozialabo: 7,70 Euro.
Förderabo: mindestens 20,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang