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KAZ/316: IG Metall-Gewerkschaftstag - Manifest der Selbstenthauptung


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

IG Metall-Gewerkschaftstag
Manifest der Selbstenthauptung

von Ludwig Jost


"Am Ende stand: ein Kompass für die kommenden Jahre", berichtet die metallzeitung vom November über den IGM-Gewerkschaftstag in Nürnberg. Der Kompass wurde den Delegierten nach dem Zukunftsreferat des Vorsitzenden Hofmann mit einem Manifest aufs Auge gedrückt. Überschrieben ist es mit dem Titel: "Die IG Metall in einer neuen Zeit". Um es kurz zu machen, die Delegierten haben das nicht als Antrag, sondern als Resolution vorgelegte Manifest einstimmig beschlossen. Auf eine Kontrolle und Diskussion der Inhalte haben sie verzichtet. Eine Diskussion darüber war von der IGM-Führung ganz offensichtlich auch nicht beabsichtigt. Als Hinweis aufs Manifest teilte die Antragsberatungskommission (ABK) vor der Abstimmung mit: "Das ist das, was auch im Vorfeld mit den Sitzungsunterlagen verteilt wurde". Bei dieser Art "Vorfeld" ohne Antragsstatus und Beschlussempfehlung, ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit der Delegierten das Manifest nicht gelesen hat. Sie wussten deshalb nicht, wozu sie damit vor Diskussion und Beschlussfassung aller politischen Anträge, Leitanträge und Entschließungen bereits Ja gesagt haben. Laut Manifest heißt das nichts anderes als: Gemeinsam mit Kapital und Regierung die Zukunft gestalten. Das ist die Richtung, die die IGM-Führung die Delegierten als "Politik für die nächsten Jahre" hat beschließen lassen. Sie hat damit Fakten geschaffen, auf die sie sich berufen und vor allem neben Satzungs-Zielen und sonstigen Beschlüssen als Aufgaben der IGM verkaufen kann. Ein Beispiel ist dafür das am 3. März 2015 im Wirtschaftsministerium in Berlin mit Kapital und Regierung gegründete Bündnis "Zukunft der Industrie". War hierbei die "Zukunft der Industrie" das Vehikel, so ist es jetzt das Manifest, um Gewerkschaftsmitgliedern, Betriebsräten und Belegschaften die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Kapital und Regierung, die Klassenzusammenarbeit unterzujubeln. Der Name Manifest ist dabei wahrscheinlich kein Zufallsprodukt. Verdeutlicht werden soll wohl: Es gibt noch ein anderes, als das Kommunistische. Nämlich das der IGM. Worin der Kapitalismus so gut wie gezähmt ist, die Kapitalisten nicht enteignet und Kapital und Regierung an ihre Verantwortung erinnert werden.

Und in diesem Manifest lautet die Forderung nicht "Proletarier aller Länder vereinigt euch", sondern: "Arbeitnehmer aller Länder: Verständigt Euch! Lasst Euch nicht gegeneinander ausspielen!"

Und worauf sollen sich die "Arbeitnehmer" verständigen? Sie sollen ihre Klasseninteressen für die Durchsetzung von Kapitalzielen unter ihre Füße treten. In dem Sinne heißt es: "Wir fordern, dass sich Arbeitgeber und Politik ihrer sozialen Verantwortung stellen. Die Transformation ist eine historische und gesellschaftliche Aufgabe, bei der Politik, Unternehmen und Beschäftigte im Rahmen der Sozialpartnerschaft auch zusammenarbeiten müssen. Sie gelingt nicht von alleine durch den freien Markt."

Gezähmter Kapitalismus gegen USA und China

Was dem "freien Markt" nicht gelingt, versucht der IGM-Vorstand zu verwirklichen. Dabei tritt uns im Manifest der angeblich gezähmte Kapitalismus als über den Klassen stehender, zu stärkender und auszubauender Sozialstaat gegenüber:

"Dynamisch, kreativ und zerstörerisch war der Kapitalismus schon immer. Nur durch seine Zivilisierung über Arbeitskämpfe, kollektive Gegenmacht und das Regelwerk der sozialen Marktwirtschaft, durch seine Einhegung im demokratischen Sozial- und Rechtsstaat konnte es gelingen, seine zugleich kreative wie destruktive Energie für immer mehr Menschen in ein besseres Leben zu verwandeln. Doch der Kampf um eine wirklich demokratische und gerechte Wirtschaftsordnung geht weiter ..."

Das gilt dann für ganz Europa gleich mit. Dazu wird festgestellt: "Das europäische Sozialstaatsmodell darf nicht an innerer Schwäche scheitern. Es konkurriert mit dem hemmungslosen Marktradikalismus amerikanischer Prägung und dem autoritären und repressiven Staatskapitalismus Chinas. Diese Wege lehnen wir ab."

Was die IGM-Führer nicht ablehnen, ist das deutsche "Sozialstaatsmodell", damit es nicht durch Kämpfe der Arbeiterklasse an "innerer Schwäche" stirbt. Der "Sozialstaat" ist hierbei das Mäntelchen, unter dem der deutsche Imperialismus auftritt und in Europa den Ton angibt. Andere Länder "hemmungslos" unter Druck setzt, ihnen die Souveränität nimmt und sie bis zum "geht nicht mehr" erpresst (u a. bekanntermaßen Griechenland). Er ist damit als Ausbeuterstaat, Unterdrücker und Erpresser aus dem Schneider. Sozusagen mit einem Tritt gegen seine Konkurrenz aus den USA und vor allem China von der IGM-Führung fürs Weiterso und dabei Mitmachen und Mitgestalten mit Gütesiegel zertifiziert.

"Wirtschaftsdemokratie"

Laut metallzeitung haben die Delegierten "einen erneuerten Sozialstaat" gefordert.

Das Rezept, was die IGM-Führung für die "Erneuerung" parat hat, ist die "Wirtschaftsdemokratie". Dieser Begriff geht zurück auf Konzepte und Diskussionen in Gewerkschaften und SPD in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts (siehe dazu KAZ 336, S. 9 ff, www.kaz-online.de/artikel/wirtschaftsdemokratie-in-zeiten-der-cholera- oder-entwaffnung-fuer-den-antifaschistischen-abwehrkampf). Im IGM-Manifest heißt es dazu: "Mitbestimmung und Tarifverhandlungen sind Kernelemente der Wirtschaftsdemokratie. Und die weitere Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft bleibt unser Ziel, auch im Zeitalter der Globalisierung."

Anfang Texteinschub
Ein klares Wort

Tobias Salin auf dem IGM-Gewerkschaftstag

"... wir müssen versuchen, die Kollegen zu aktivieren, selbst wieder Kämpfe zu führen. Denn nur, wenn die Kollegen ihr Selbstbewusstsein wiederbekommen und aktiv werden, können sie die Probleme der Zeit wirklich angehen und einer Lösung zuführen. Das heißt auch: Weg von der Sozialpartnerschaft! Nicht mit der Unternehmensleitung klüngeln, nicht mit den Arbeitgeberverbänden klüngeln, sondern wirklich bei den Kollegen sein und gemeinsame Kämpfe führen. Das heißt, wir müssen die IG Metall wieder zu einer Kampforganisation machen, die einig, solidarisch und aktiv die Probleme der Zeit löst. Denn bei der Politik der Unternehmen - egal, ob Kriege oder Krisen oder auch der aufkommende Faschismus - kriegen wir das nur hin, wenn wir geeint nach vorne gehen und nicht jeder in seinem eigenen Betrieb und in seiner eigenen Region seine eigene Politik macht ..."
Ende Texteinschub


In seinem Zukunftsreferat hat IGM-Vorsitzender Hofmann den Delegierten hierzu erklärt, wie diese "Demokratisierung" ... usw. aussieht und vor allem, wo sie auch in "einer neuen Zeit", "im Zeitalter der Globalisierung" für die IGM endet: "Wir wollen nicht wie Kevin Kühnert die Verstaatlichung von BMW fordern, aber wir sollten eines fordern: Demokratie in unserer Gesellschaft. Ich möchte daher einen Vorschlag machen: Lasst uns gemeinsam eine Kampagne der IG Metall zur Stärkung der Unternehmensmitbestimmung in Zeiten der Transformation starten. Eine gelungene Transformation braucht nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung. Das ist unser Credo, Kolleginnen und Kollegen."

Was der IGM-Vorsitzende hier als Credo, übersetzt als Glaubensbekenntnis zu Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie beschwört und den Delegierten im Sinne des Wortes verklickert hat, heißt auch als Zeichen ans Kapital: Keine Sorge, wir fordern Mitbestimmung und denken nicht mal an die Enteignung der Kapitalisten.

"Weg von der Sozialpartnerschaft ... wir müssen die IG Metall wieder zu einer Kampforganisation machen ..."

Das hat ein Kollege den Delegierten gesagt, und genau darum geht es.

Nach wie vor steht die Abschaffung des kapitalistischen Ausbeutungssystems und die Enteignung der Kapitalistenklasse als "unvollendete historische Mission der Arbeiterbewegung" zur Diskussion in den Gewerkschaften auf der Tagesordnung, und auch der dringend notwendige gemeinsame demokratisch-antifaschistische Kampf. Und nicht wie das IGM-Manifest suggeriert: um 127 Jahre "Wirtschaftsdemokratie".

Ob es darüber zur Diskussion kommt, ist allerdings abhängig davon, ob sich Gewerkschaftsmitglieder, Delegierte, Betriebsräte und Belegschaften weiterhin mit Sprüchen opportunistischer Gewerkschaftsführer abfertigen lassen oder bereit sind, die Gestaltung ihrer Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen und beginnen, sie ohne Kapitalisten "zu denken".

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019, S. 39-40
Herausgeber und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2020

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