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KAZ/172: Symposium Beijing 23. April 2011 - 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 335, Juli 2011 Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Symposium Beijing 23. April 2011
20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion -
Überlegungen zu den Ursachen dieser Niederlage des Sozialismus

Von Richard Corell


Die Sowjetunion - Eisbrecher der Geschichte

Bevor wir über den Zusammenbruch der SU nachdenken, sollten wir zunächst über die Bedeutung der SU sprechen.

Die SU war der "Eisbrecher der Geschichte". Die Oktoberrevolution war die Ouvertüre für ein neues Zeitalter. Das Zeitalter, in der die Bourgeoisie für revolutionäre Veränderungen und für Fortschritt stand, war spätestens im "Krieg der weißen Männer" (1914-18) untergegangen. Das Zeitalter der Arbeiterklasse, das Zeitalter des Sozialismus, kündigte sich an.

Die Sowjetunion bewies, dass die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten die Macht nicht nur erobern, sondern auch behaupten konnten.

Sie konnte die Macht auch behaupten gegen die Speerspitze der Weltreaktion, gegen die angeblich unbezwingbare Macht des deutschen Faschismus.

Trotz der unermesslichen und barbarischen Zerstörungen durch Hitler-Deutschland gelang es der SU, der neuerlichen Isolierung durch den Imperialismus mit den USA als Hauptmacht zu widerstehen.

Und als Deutsche sind wir der Sowjetunion zu besonderem Dank verpflichtet, weil sie Gleiches nicht mit Gleichem vergolten hat. Es galt: "Die Erfahrungen der Geschichte besagen, dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt." (Befehl des Volkskommissars für Verteidigung vom 23. Februar 1942, aus J.W. Stalin-Werke, Bd. 14, S. 266). Mit Hilfe der Sowjetunion gelang darüber hinaus die Enteignung und Entmachtung der Großkonzerne und der adligen Großgrundbesitzer im Osten Deutschlands. Das waren die Kräfte, die entscheidend zum Machtantritt Hitlers beigetragen hatten.

Mit Hilfe der SU gelang schließlich die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und die Sicherung des Beginns ihrer sozialistischen Entwicklung.

Und selbst als die Führung der KPdSU vom sozialistischen Weg abging, war die Sowjetunion immer noch ein Hindernis für den Imperialismus, war die SU eine Schranke für die aggressiven Übergriffe der Imperialisten gegen die Arbeiter und gegen die Völker der Welt. Das hatten alle Kräfte, die den aufkommenden Revisionismus in der Sowjetunion kritisierten, nicht angemessen beachtet. Das müssen wir heute selbstkritisch feststellen. Und wir müssen daraus lernen, nicht in Idealismus zu verfallen, sondern am historischen und dialektischen Materialismus festzuhalten.

Wenn wir im Folgenden die Führung der KPdSU kritisieren, bitten wir dies nicht als einen Angriff auf das russische Volk oder auf die anderen Völker der SU zu werten, sondern als notwendige Auseinandersetzung mit den Ursachen unserer Niederlage, die alle Kommunisten und Sozialisten mitzuverantworten und mitzutragen haben. Genauso wie allen Kommunisten und Sozialisten ohne Ansehen der Nation die Erfolge und die Siege gehört haben und gehören werden.


Wie konnte es zum Zusammenbruch der SU kommen?

Die Bedeutung des Klassenbewusstseins

Wenn in diesem Beitrag vor allem die ideologischen und theoretischen Fragen angesprochen werden, ist zunächst festzuhalten, dass falsche Ideen alleine noch keine unmittelbare Veränderung der materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse bewirken. Dennoch hat gerade im Sozialismus das Klassenbewusstsein einen ungemein hohen Stellenwert.

Denn üblicherweise sehen Marxisten die Hegemonie des Proletariats als Voraussetzung dafür an, dass die Umwälzung der Gesellschaft vorangetrieben wird. Die Hegemonie des Proletariats ist jedoch noch nicht gesichert durch die Eroberung der politischen Macht, durch die Zerschlagung des alten bürgerlichen Staatsapparats und durch die Enteignung der Kapitalisten. Die Hegemonie des Proletariats durchzusetzen und zu entwickeln erfordert hohes Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse, das mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur Schritt halten muss, sondern dieser Entwicklung vorausgehen muss, um sie zu führen und zu steuern.

Wird die Entwicklung des Klassenbewusstseins systematisch behindert, wird der Aufbau des Sozialismus stagnieren; und das Klassenbewusstsein der Bourgeoisie wird sich durchsetzen. Denn der Sozialismus ist eine Mangelgesellschaft, die mit den "Muttermalen der alten Gesellschaft", wie Marx es ausdrückt, behaftet ist. Diese Muttermale sollen uns daran erinnern, dass die Arbeiterklasse zwar die Kapitalistenklasse an der Macht abgelöst hat, aber noch lange nicht ihr Denken, ihre Sitten und Gebräuche überwunden hat. Dass die Gefahr besteht, dass die Bourgeoisie stärker wird und schließlich - wie der Kollaps der Sowjetunion zeigt - die Macht wieder übernimmt. Dabei hat die Bourgeoisie in einem sozialistischen Land starke Freunde auf ihrer Seite: Neben den imperialistischen Ländern mit all ihren materiellen, politischen und propagandistischen Mitteln (inkl. Geheimdienste, Stiftungen, NGOs etc.) sind dabei zwei Dinge hervorzuheben. Als Freund hat die Bourgeoisie die Ware und das Privateigentum potenziell auf ihrer Seite. Solange es noch Waren und Warenproduktion gibt, entsteht bürgerliches Denken spontan und unvermeidlich. Um wieviel mehr, wenn es von interessierter Seite aus den imperialistischen Ländern noch gefördert wird. Und Warenproduktion ist im Sozialismus noch für eine lange Zeitspanne notwendig, bis die Vergesellschaftung der Produktion so weit fortgeschritten ist, dass eine Vergesellschaftung der Aneignung gleichermaßen notwendig und möglich wird.

Einerseits wurden die Gefahren für das Klassenbewusstsein des Proletariats, die aus Privateigentum, Ware und Warenproduktion entstehen, von der Führung der KPdSU nach 1956 systematisch unterschätzt. Andererseits wurde die Unumkehrbarkeit des Sozialismus in der Sowjetunion proklamiert. Damit wurde die Wachsamkeit der Kommunisten eingeschläfert.


Wie konnte es zum Zusammenbruch der SU kommen?
Vier grundlegende Widersprüche in der Welt und ihre Behandlung durch die Führung der KPdSU

Nach dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 und verstärkt nach der Moskauer Erklärung (die ein Kompromiss war) der Kommunistischen und Arbeiterparteien von 1960 wurden von der Führung der KPdSU und der UdSSR die entscheidenden Widersprüche in der Welt in revisionistischer Manier ausgelegt und entsprechend behandelt (im Folgenden nur grob und zugespitzt dargestellt). In der "Polemik über die Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung", wie sie 1963/64 von der Führung der KP China mit der Führung der KPdSU öffentlich geführt wurde (veröffentlicht in den chinesischen Zeitungen mit Millionenauflage "Renmin Ribao" - "Volkszeitung" - und "Hongqi" - "Rote Fahne"), werden vier grundlegende Widersprüche in der damaligen Welt angeführt (S. 7 f., deutsche Ausgabe, Westberlin 1971). Nach der Auseinandersetzung mit diesen vier Widersprüchen und ihrer Entwicklung nach 1956 werden wir zwei weitere betrachten, die damals noch nicht hinreichend entfaltet waren bzw. noch nicht benannt worden waren.

1. Widersprüche zwischen dem sozialistischen und dem
imperialistischen Lager:

Der Imperialismus wurde von der Führung der KPdSU nicht mehr in erster Linie als der Feind gesehen, der zu bekämpfen und zu stürzen ist, sondern lediglich als Konkurrent, mit dem man sich - so der 20. Parteitag der KPdSU - in "friedlicher Koexistenz" einrichten, mit dem man sich in "friedlichem Wettbewerb" messen konnte.

Dem Imperialismus wurde in grenzenloser Überschätzung der Stärke des sozialistischen Lagers "Friedensfähigkeit" bescheinigt.

Der Handel mit den imperialistischen Ländern wurde nicht als notwendig, aber mit erheblichen Gefahren für den Bestand des Sozialismus, sondern als Normalität behandelt. Wachsende Abhängigkeit (z.B. von Getreidelieferungen aus den USA oder Kanada an die Sowjetunion auf Kredit) wird bedenkenlos in Kauf genommen.

Die Unterschätzung des Imperialismus wird dazu beitragen, dass es dem deutschen Imperialismus 1989/1990 schließlich nicht nur gelingen wird, mit der DDR einen wichtigen Baustein aus dem sozialistischen Lager herauszulösen und dessen Zusammenbruch entscheidend zu beschleunigen, sondern auch eine Phase der (auch territorialen) Neuaufteilung der Welt unter die imperialistischen Großmächte einzuleiten.

Wenn aber der Imperialismus nicht mehr als Feind erscheint, dann fehlt den sozialistischen Ländern ein wichtiger Maßstab, wogegen der Sozialismus aufgebaut werden soll, wogegen die Massen geeinigt und mobilisiert werden sollen. Dann wird es dem Imperialismus erleichtert, in die sozialistischen Länder einzudringen - ideologisch, politisch, ökonomisch. Dann werden Voraussetzungen geschaffen, dass die "Propaganda des Warenhauses" verfängt - diese Vorspiegelung von Reichtum für alle, von der Überlegenheit des westlichen Wohlstands - und der Warenfetischismus in den sozialistischen Ländern sich ausbreiten kann. Dies trug dazu bei, die sozialistische Moral zu untergraben.

Die Überschätzung der Stärke des sozialistischen Lagers einerseits und die Verniedlichung und Beschönigung des Imperialismus andererseits trugen erheblich zum Zusammenbruch des Sozialismus in der SU bei.

2. Widersprüche zwischen Proletariat und Bourgeoisie innerhalb der kapitalistischen Länder

Chruschtschow propagierte auf dem 20. Parteitag der KPdSU Klassenversöhnung durch die Orientierung des Proletariats in den kapitalistischen Ländern auf einen "friedlichen Übergang" zur Macht. Damit wird das Proletariat "zahnlos" gemacht, sein revolutionärer Elan relativiert und letztlich der Bourgeoisie ausgeliefert, die gar nicht daran denkt, die Macht freiwillig und friedlich aus der Hand zu geben (s. Chile 1973, Türkei 1980 etc.). Schwächung des Proletariats als revolutionäre Kraft in den imperialistischen Ländern heißt aber, den Imperialismus zu stärken, der sich deshalb nicht mehr mit seinen inneren Feinden beschäftigen muss, sondern seine Aggressivität nach Außen richten und mit "freiem Rücken" gegen das sozialistische Lager vorgehen kann. Durch die Theorie vom "friedlichen Übergang" wird der proletarische Internationalismus untergraben. Dies aber war die stärkste Kraft, um den Kollaps der Sowjetunion zu verhindern.

Die Theorie vom "friedlichen Übergang" war ein wesentlicher Baustein für die Entwicklung des Eurorevisionismus in Italien, Frankreich und Spanien. Seit Anfang der 1970er Jahre kündigen die stärksten kommunistischen Parteien in Westeuropa offen die Verbindung mit dem sozialistischen Lager.

Die Versöhnung mit den Sozialdemokraten in Regierungsbildungen (z.B. 1980 in Frankreich) und in den Gewerkschaften krönte den Triumph des Opportunismus in den ehemals revolutionären Parteien KP Frankreich, KP Italien und KP Spanien. Die Traditionen der Volksfront, die eine Versöhnung zwischen Kommunisten und Sozialisten auf kämpferischer, antikapitalistischer und antifaschistischer Grundlage darstellte, werden verraten zugunsten einer Wiederaufnahme in den Schoß der Bourgeoisie.

3. Widersprüche zwischen unterjochten Nationen und Imperialismus

Der Befreiungskampf der vom Imperialismus unterdrückten Nationen wird von der Führung der KPdSU seit Chruschtschow zunehmend als störend und gefährlich für den Weltfrieden angesehen. Abkommen auf zwischenstaatlicher Ebene erhalten Vorrang gegenüber der Unterstützung der Völker und ihren revolutionären Kräften und Parteien.

Die Lösung der nationalen Frage wird vor die Lösung der sozialen Frage gestellt. Das Konzept der Neuen Demokratie mit einem Bündnis aller revolutionären Klassen gegenüber dem Imperialismus unter der Führung des Proletariats und als Teil der Weltrevolution des Proletariats wird aufgegeben.

Im Ergebnis werden Bündnisse mit Machthabern eingegangen, die das sozialistische Lager ausnützen, um gegenüber den imperialistischen Ländern in eine bessere Verhandlungsposition zu kommen. Dies führt zur Stärkung der Bourgeoisie in diesen Ländern. Auf diese Weise werden die Völker in den unterentwickelten Ländern aus einer Reserve des Proletariats und des Sozialismus wieder zu einer Reserve des Imperialismus. Dies trägt gewichtig zum Kollaps der Sowjetunion bei.

4. Widersprüche zwischen den verschiedenen imperialistischen Staaten und Widersprüche zwischen den verschiedenen monopolkapitalistischen Gruppierungen

Reduzierung des Imperialismus auf den US-Imperialismus und Vernachlässigung der kleineren imperialistischen Länder wie die BRD, Frankreich, Großbritannien und Japan. Unterschätzung, dass gerade die Widersprüche zwischen den imperialistischen Ländern und zwischen den monopolkapitalistischen Gruppierungen den Zwang zur Neuaufteilung von Absatzmärkten, Rohstoffquellen, Kapitalanlage- und Einflusssphären die Aggressivität des Imperialismus gegenüber dem sozialistischen Lager verstärken müssen.

Statt Ausnützen von Widersprüchen zwischen den imperialistischen Ländern gerät die Außenpolitik der SU zu einer Politik der Zugeständnisse. Hier sind aus deutscher Sicht vor allem die Moskauer Verträge von 1970 hervorzuheben, die die Sowjetunion mit Westdeutschland über den Kopf der DDR hinweg abschloss, ohne dabei die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durchzusetzen. Damit wurde der Politik des deutschen Imperialismus stattgegeben. Diese Politik wurde ganz offen formuliert: Wandel durch Annäherung, um die Burg von innen sturmreif zu machen. Die von der SU eingeleitete "Entspannungspolitik" erleidet ein völliges Fiasko mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Helsinki (1975). Dort wird dem Imperialismus der Freibrief erteilt, in das sozialistische Lager hineinzuwirken und die Widersprüche zwischen den sozialistischen Ländern auszunutzen und zu vertiefen.

So zerbröckelt das einst im antifaschistischen Befreiungskampf geschmiedete Bündnis der Länder Osteuropas und der UdSSR und trägt so zum Kollaps der Sowjetunion bei.


Wie konnte es zum Zusammenbruch der SU kommen?

Widersprüche im sozialistischen Lager

Spaltung der kommunistischen Weltbewegung und Versuch der Isolierung der revolutionären Parteien KP China und Partei der Arbeit Albaniens. Die ideologischen Konflikte werden von der Führung der KPdSU auf die staatliche Ebene gehoben. Es kommt zu feindlichen Akten militärischer, politischer und ökonomischer Natur, wie Abzug von technischen und militärischen Beratern, politische und militärische Unterstützung Indiens gegen die VR China.

Versöhnung der Führung der KPdSU jedoch mit dem "jugoslawischen Weg", der nicht mehr als Weg zum Kapitalismus und zur Auslieferung an den Imperialismus gewertet wird, sondern als Weg zum Sozialismus.

Förderung des "Nationalkommunismus" wie in Polen, wodurch die Kräfte der Bauernschaft, der Intelligenz und der Bourgeoisie gestärkt werden. Gleichzeitig Hegemonialbestrebungen der UdSSR und Verstärkung des wirtschaftlichen Drucks auf die sozialistischen Länder Osteuropas.

Mit dem Verlust der revolutionären Perspektive werden die nationalistischen Kräfte gestärkt, die ihre Länder an den Imperialismus ausliefern wollen (Ungarn und Polen 1956, CSSR 1968), so dass nur noch militärisches Eingreifen als Möglichkeit bleibt, um ein Auseinanderfallen des sozialistischen Lagers zu verhindern. Das schwächt die Strahlkraft des Sozialismus als der einzigen Form, in der die Völker zur Befreiung und die Nationen zur Unabhängigkeit gelangen können.

Damit werden die Zentrifugalkräfte im sozialistischen Lager gestärkt, was zum Kollaps der Sowjetunion beiträgt. Dem im Zusammenhang mit der internationalen Schuldenkrise (1975-1982) verstärkten Druck durch den Imperialismus hat die Sowjetunion nichts mehr entgegenzusetzen. Ungarn wird 1982 Mitglied im IWF, Polen ist seit Ende der 70er Jahre in den Fängen des Pariser Clubs. Es hat 1981 27 Mrd. US-Dollar Schulden im westlichen Ausland (davon 4,6 Mrd. gegenüber der BRD) und stellt im gleichen Jahr Mitgliedsantrag beim IWF. Polen wird der Wühlarbeit des Imperialismus unter dem Deckmantel der Katholischen Kirche und ihrer Solidarnosc ausgeliefert.

Jugoslawien war übrigens bereits seit 1946 Mitglied im IWF.


Wie konnte es zum Zusammenbruch der SU kommen?

Widersprüche im Sozialismus:

Der Zusammenbruch der Sowjetunion zwingt uns einzugestehen, dass mit der Errichtung der Staatsmacht in der Form der Diktatur des Proletariats, der darauf gegründeten Enteignung der Kapitalisten und Großgrundbesitzer und der Überführung der wichtigsten Produktionsmittel in öffentliches Eigentum bzw. Volkseigentum Klassen und Klassenwidersprüche noch nicht überwunden sind.

In der oben bereits zitierten "Polemik über die Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung" war 1963 zu lesen:

"Die sozialistische Gesellschaft erstreckt sich über eine sehr lange historische Etappe. In der sozialistischen Gesellschaft bestehen noch Klassen und Klassenkampf, gibt es einen Kampf zwischen den zwei Wegen, zwischen dem des Sozialismus und dem des Kapitalismus. Es genügt nicht, wenn die sozialistische Revolution einzig und allein an der wirtschaftlichen Front (hinsichtlich des Eigentums an den Produktionsmitteln) durchgeführt wird, damit ist ihr Sieg noch nicht gefestigt. Auch an der politischen und an der ideologischen Front muss eine gründliche sozialistische Revolution erfolgen. Für die Entscheidung der Frage, wer wen im Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus auf politischem und ideologischem Gebiet besiegen wird, bedarf es eines sehr langen Zeitraums. Mehrere Jahrzehnte reichen dafür nicht aus, hundert Jahre, einige Jahrhunderte werden nötig sein, um diese Frage siegreich zu entscheiden. Was die Dauer betrifft, ist es besser, man bereitet sich auf eine längere Zeit vor als auf eine kürzere; was die zu leistende Arbeit betrifft, ist es besser, man macht sich auf eine schwere und nicht auf eine leichte gefasst. So zu denken und zu handeln ist vorteilhafter, man hat weniger Schaden. Wer das nicht genügend erkennt oder überhaupt nicht versteht, wird ungeheure Fehler begehen. In der historischen Etappe des Sozialismus muss man auf der Diktatur des Proletariats beharren und die sozialistische Revolution zu Ende führen; dann kann man eine Restauration des Kapitalismus verhüten, den Sozialismus aufbauen und die Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus schaffen." (Polemik über die Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung, a.a.O., S. 525 f.)

Mit der Leugnung von Klassenwidersprüchen im Sozialismus wird das Proletariat als einzig revolutionäre Klasse für überflüssig erklärt. Damit aber wird die einzige Kraft, die in der Lage ist, die Voraussetzungen für eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen, entmündigt. Zur Rechtfertigung entwickeln Chruschtschow und seine Anhänger revisionistische Theoreme vom "Staat und der Partei des ganzen Volkes". Diese werden auch in der Folgezeit von der Führung der KPdSU nicht grundsätzlich kritisiert und zurückgenommen. Wo Klassengegensätze zugedeckt werden, ist aber das Anwachsen der bürgerlich-restaurativen Kräfte unvermeidlich. Von der Entbindung des Proletariats von seiner historischen Aufgabe führte der Weg zur Absonderung der KPdSU von der Arbeiterklasse, schließlich zur Zersetzung der Partei und zur Übernahme der Partei durch die in der Partei großgewordenen Konterrevolutionäre wie Gorbatschow und schließlich Jelzin.

Durch die Spaltung der kommunistischen Weltbewegung werden in der SU so wichtige Weiterentwicklungen des Marxismus und des Leninismus, wie sie in der KP China erarbeitet und von Mao Tse-tung zur richtigen Behandlung von Widersprüchen im Volk niedergelegt wurden, nicht mehr zur Kenntnis genommen oder als "Bauernphilosophie" verächtlich gemacht. Dass in dieser Schrift aus dem Jahr 1957 eine fundamentale Auseinandersetzung mit der "Stalin-Ära" des Sozialismus geleistet wurde, wurde von den Bruderparteien gar nicht zur Kenntnis genommen.

Wenn aber von der Kommunistischen Partei keine Unterscheidung von Widersprüchen im Volk und Widersprüchen zum Feind getroffen wird, dann werden Missstände im Sozialismus entweder alle auf Einwirken des (äußeren) Feindes geschoben, so dass jeder, der mit solchen Missständen in Verbindung gebracht wird, als Feind oder als Agent des Feindes behandelt wird. Dies war z.B. der Fall in der großen "Säuberung" 1936/1938.

Oder es werden Widersprüche beschönigt, vertuscht oder geleugnet und die Gesellschaft verfällt in Lähmung und Stagnation, "weil nicht sein kann, was nicht sein darf." Erfolgsmeldungen durch Fälschen der Tatsachen wird als Massen- und Selbstbetrug akzeptiert.

Durch Verschweigen von Mängeln und Vertuschen von Schwächen vor dem eigenen Volk statt Mobilisierung der Massen zur Überwindung von Mängeln und Schwächen wird im Ergebnis die Entwicklung vom demokratischen zum bürokratischen Zentralismus gefördert. Die Partei wird zu einer Behörde, die den Mangel und die Apathie verwaltet.

Ein wichtiges Moment, um die Wachsamkeit der Revolutionäre einzuschläfern, war die Verbreitung der Mär von der "Unumkehrbarkeit des Sozialismus" und Schüren von Illusionen und Größenwahn über die "Einführung" des Kommunismus (von Chruschtschow auf 1980 datiert).

Wurde auf diese Weise mit der Durchsetzung des modernen Revisionismus die Entwicklung des Klassenbewusstseins systematisch behindert, konnten in den Produktionsverhältnissen des Sozialismus Maßnahmen zur Schwächung relativ widerstandslos durchgesetzt werden:

- Untergrabung des Volkseigentums durch Stärkung der relativen Unabhängigkeit der einzelnen Kombinate und der Einzelführung.
- Verordnung des Plans statt Entwickeln der Selbsttätigkeit und Bewusstheit der Massen. Planerfüllung als Fetisch.
- Untergrabung des Kollektiveigentums (Kolchosen) durch Verselbständigung der einzelnen Kolchosen und Stärkung privater Interessen in der Kolchose z.B. durch Auflösung der Maschinen-Traktor-Stationen (MTS).
- Unkontrollierte Ausweitung der Warenproduktion und der Geltung des Wertgesetzes (Landwirtschaft, Außenhandel) statt Schaffen von Voraussetzungen, um die Warenproduktion und den Wirkungskreis des Wertgesetzes einzuschränken.
- Dabei auch "linke" Fehler wie verfrühtes, vorschnelles Vergesellschaften der Aneignung bei noch nicht gegebener Vergesellschaftung der Produktion (z. B. kleine Handwerksbetriebe in der DDR, deren Leistung von Kombinaten nicht erbracht werden konnten).

Es konnte hier nur in Umrissen die revisionistische Weichenstellung durch den 20. Parteitag der KPdSU und ihre Entwicklung hin zum Zusammenbruch der SU betrachtet werden. Dabei soll nicht vergessen werden, dass die falsche Behandlung der Widersprüche auf diesem Parteitag in den Hintergrund trat gegenüber dem angeblichen "Kampf gegen den Personenkult." Das aber führte zur Vernichtung des Ansehens von bedeutenden Führern des Sozialismus (Stalin) und damit zur Untergrabung des Ansehens des Sozialismus vor allem unter der Jugend.

Statt systematischer Zusammenfassung von Erfahrungen der ersten Jahrzehnte der Diktatur des Proletariats, statt ernsthafter Kritik und Selbstkritik und Klärung von Fehlern, statt konkreter Aufklärung von Unrecht, genereller Freispruch für Alle - auch Renegaten und Konterrevolutionäre.

Damit wurden die Kommunisten auf allen Ebenen entwaffnet und die Liquidierung der Sowjetunion durch Gorbatschow systematisch vorbereitet.


Zusammenfassend:

Um neue Niederlagen des Sozialismus zu verhindern, sollten die Widersprüche innerhalb der sozialistischen Länder und innerhalb des sozialistischen Lagers analysiert werden. Wenn wir die Einheit der Proletarier aller Länder und der unterdrückten Völker herstellen wollen, sollten wir auch die Widersprüche zwischen den Interessen von sozialistischen Ländern, den Interessen des Proletariats in den imperialistischen Ländern und den Völkern, die vom Imperialismus abhängig gehalten werden, genau untersuchen und offen diskutieren. Im Erkennen der Widersprüche kann es gelingen die Einheit zu gewinnen, den Imperialismus und die Finanzoligarchie, die immer noch unseren Planeten beherrschen, zu bekämpfen und zu besiegen.



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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 335, Juli 2011, S. 4-8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2011