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KAZ/131: Siemens zieht die russische Karte


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 327, April 2009
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Siemens - ArevaN.P.:

Siemens zieht die russische Karte


Angesicht der tiefsten Wirtschaftskrise seit der großen Krise von 1929 bis 1932 quellen die bürgerlichen Blätter über mit Warnungen vor einer "Renationalisierung" der Staaten vor allem auch innerhalb der Europäischen Union. Der Grund dieser Klagen und Warnungen liegt auf der Hand: Trotz aller Treffen und Krisengipfel wird die Konkurrenz zwischen den Staaten in den Versuchen ihrer Repräsentanten, die Krise zu bewältigen und zwar selbstverständlich zu Gunsten der heimischen Banken und Konzerne, immer sichtbarer. Die politischen Akteure, also z.B. Frau Merkel oder Herr Sarkozy, mögen dabei durchaus den Willen haben, dieses Auseinanderdriften aufzuhalten. Die eine, weil die BRD, der mächtigste Staat innerhalb der EU, mit dieser noch mächtiger geworden ist, der andere, weil er diesen mächtigen "Partner" einbinden will. Doch sie sind nicht Herr über die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie. Bündnisse zwischen imperialistischen Staaten sind nichts anderes als Zweckbündnisse, die ihre Grundlage letztendlich in den Bewegungen der Monopole in ihrem Streben nach Maximalprofit und entsprechender Beherrschung möglichst großer Teile der Welt haben. Sie treten in den Hintergrund zu Gunsten anderer Bündnisse oder werden gar aufgekündigt, wenn sie dem Zweck der einen oder anderen Seite nicht mehr dienlich sind. Die folgenden Schlaglichter zeigen, dass derzeit das "friedliche Zusammenwachsen Europas", wie dieser Kampf um Vorherrschaft verlogen genannt wird, auf äußerst wackligen Füßen steht.


EADS - ein Bündnis gegen die US-amerikanische Luftüberlegenheit ...

10 Jahre ist es nun her, als Daimler und ihr Miteigentümer, die Deutsche Bank, den Zusammenschluss der Daimler-Tochter Dasa mit der französischen Aérospatiale zu EADS durch Drohungen, sich ansonsten mit der spanischen Casa zusammen zu tun, erzwungen hatten. Bei der British Aerospace war der deutsche Konzern vorher abgeblitzt, die einer Fusion mit dem britischen Rüstungskonzern GEC Marconi den Vorzug gab. Nachdem Daimler der ebenbürtige Zusammenschluss zum drittgrößten Luft- und Raumfahrtkonzern der Welt gelungen war - und damit auch das endgültige Abstreifen fast aller Einschränkungen des deutschen Imperialismus nach 1945 auf dem Rüstungssektor -, behauptete Daimler-Chrysler-Chef Schrempp: "Der Zusammenschluss ist ein bahnbrechender industrieller Beitrag zum Zusammenwachsen Europas und insbesondere Frankreichs und Deutschlands." Der Zweck dieses Zusammenwachsens ließ sich in einer Schlagzeile zusammenfassen: "Europa contra Amerika"(1) Der gerade eben im Krieg gegen Jugoslawien gezeigten US-amerikanischen Luftüberlegenheit sollte der Kampf angesagt werden. Der damalige amerikanische Botschafter in Frankreich, Rohatyn, sah sich denn auch aufgrund der Konkurrenz aus Europa auf dem Rüstungssektor veranlasst, auf einen noch bestehenden Konsens zwischen den USA und Frankreich hinzuweisen. Gewisse Technologien seien "für eine absehbare Zukunft" nationale Reservate "wie z.B. die Atom- und ballistischen Raketen" erklärte er.(2) Währenddessen sondierte bereits ein anderes deutsches Monopol, ebenfalls eng mit der Deutschen Bank verbunden, wie es seinerseits völlig uneigennützig zum "Zusammenwachsen Europas" beitragen könne und zwar gerade im Bereich jener gewissen Technologien: Siemens. Auch Siemens war kurz vorher daran gescheitert, seine Macht durch ein Bündnis mit einem US-amerikanischen bzw. britischen Monopol zu stärken und so den Weg zu ebnen, das letzte Hindernis für eine Position auf gleicher Augenhöhe mit den einstigen Siegermächten zu überwinden, den offiziellen Zugang zur Nukleartechnik einer Atommacht. Offen benannt wurde das damals selbstverständlich nicht und wird es auch heute nicht. Man steht fest zum Verbot der Nicht-Verbreitung von Atombomben und verhandelt ja nur über Fusionen im Bereich der zivilen Nukleartechnik. So war eine Übernahme der Nuklear-Sparte des US-amerikanischen Konzerns Westinghouse gescheitert. Offiziell hieß es damals, zur Nuklearsparte von Westinghouse gehöre auch das Rüstungsgeschäft, weshalb sie nur zusammen mit einem amerikanischen Partner verkauft werden sollte. Inoffiziell wurde laut, dass es "Vorbehalte des Pentagon gegen einen Verkauf des Rüstungsgeschäfts (Bereich Nukleare Dienstleistungen) an ein deutsches Unternehmen gegeben (habe)."(3) Siemens gelang es jedoch, die konventionelle Kraftwerkssparte von Westinghouse zu übernehmen, womit der deutsche Konzern zum zweitgrößten Kraftwerksbauer weltweit aufstieg. Die Nuklearsparte von Westinghouse übernahm dann 1998 die British Nuclear Fuels Ltd. (BNFL) zusammen mit dem amerikanischen Baukonzern Morrison Knudsen (MK). Siemens hatte auch mit der BNFL über eine Fusion des Atomgeschäfts verhandelt, diese Verhandlungen aber zum Zeitpunkt der Fusion der britisch-amerikanischen Konkurrenten abgebrochen. Blieb die deutsch-französische Variante. Die "Welt" vermeldete damals: "Ein Hindernis hätte die vor zwei Jahren angestrebte Zusammenarbeit von Siemens mit dem britischen Kraftwerkskonzern BNFL im Nuklearbereich dargestellt. ... Den Franzosen war die deutsch-britische Liaison von Anfang an ein Dorn im Auge."(4) 2001 war es dann soweit: Die Siemens AG und Framatome, eine Tochterfirma des französischen Atomkonzerns COGEMA (heute Areva), legten ihre nuklearen Kraftwerkssparten zusammen. Doch wie mächtig auch immer Siemens im konventionellen Kraftwerksbereich war, für den Zugang zur französischen Nukleartechnik mussten sich die Deutschen mit einer Minderheitsposition begnügen. Siemens erhielt 34% und die Franzosen 66% an dem Gemeinschaftsunternehmen, in das Siemens die gesamten Nuklearaktivitäten ihrer Tochter KWU einbrachte. Der Sitz blieb in Paris und der Vertrag sah vor, dass die Franzosen die Siemensanteile zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückkaufen können, wenn sie das beschließen. Versuche der Siemens-Führung, in den folgenden Jahren eine Erhöhung ihrer Anteile zu erreichen, blieben erfolglos.

Seitdem hat das "Zusammenwachsen Europas", das sowieso eher einem Grabenkrieg zwischen deutsch-französischem und britisch-US-amerkanischen Bündnissen ähnelt, so einige Risse erfahren. Der Vorzeigezusammenschluss EADS macht in schöner Regelmäßigkeit Schlagzeilen aufgrund der Rivalität der Partner. Ein entsprechender Werftenverbund scheiterte bisher am Kampf um die Mehrheiten. Der einst deutsch-französische Chemiekonzern Aventis wurde zur französischen Sanofi, eine heftig forcierte Übernahme einiger Teile von Alstom durch Siemens wurde durch den französischen Staat verhindert. Der Versuch des ökonomisch insgesamt schwächeren Partners der viel bejubelten Freundschaft, den aggressiven Hegemoniebestrebungen des deutschen Imperialismus durch das Schmieden großer französischer Monopole ("Champions") mit Hilfe des Staates wenigstens in bestimmten Bereichen, wie Rüstung und Energie, etwas entgegenzusetzen, führte immer wieder zu erheblichen deutsch-französischen Irritationen.

Ab 2007 mehrten sich die Gerüchte, Areva bzw. der französische Präsident Sarkozy als Vertreter der staatlichen Anteile an Areva, wollten von ihrem Rückkaufsrecht Gebrauch machen, Areva mit Alstom und dem franz. Baukonzern Bouygues verschmelzen und Siemens aus dem Gemeinschaftsunternehmen, inzwischen umbenannt in Areva N.P. (Nuclear Power), hinauswerfen. Frau Merkel setzte sich damals sofort für Siemens ein und machte ihrem Kollegen Sarkozy klar, dass es ein "deutsches Interesse an einer möglichst tiefen Kooperation" in der Kernenergie gebe.(5) Doch dieses Jahr musste Siemens laut Süddeutsche Zeitung ganz besonders mit einem Rauswurf rechnen. "Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte im Herbst auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesagt, dieses Jahr in der Angelegenheit handeln zu wollen. Siemens' Angebot, "mehrere Milliarden Euro" in Areva zu investieren, wie Frankreich-Chef Philippe Carli sagte, um damit Siemens aufzuwerten, stieß bei Sarkozy auf taube Ohren."(6)


Siemens stärkt sich im Osten

Für Siemens war das offensichtlich genug Anlass, hinter den Kulissen ganz andere Optionen zu sondieren. Anfang 2009, mitten in der weltweiten Wirtschaftskrise, von der heute noch keiner weiß, durch welche Form der Zerstörung der überschüssigen Produktivkräfte sie letztendlich überwunden wird, überraschte die Siemensführung schließlich nicht nur die deutsche Öffentlichkeit, sondern auch den französischen "Partner" mit der Ankündigung, aus Areva NP aussteigen zu wollen. "Die Münchner", so das Handelsblatt vom 27.1.2009, "begründeten den Schritt mit fehlenden unternehmerischen Einflussmöglichkeiten in dem Gemeinschaftsunternehmen." Die Minderheitsposition musste als Einstieg akzeptiert werden, doch auf Dauer begnügt sich das deutsche Finanzkapital damit nicht. Siemens zieht die russische Karte. Bereits im Oktober 2007 war Siemens beim russischen Turbinenbauer Power Machines eingestiegen, die auch Zulieferer für die russische Atomwirtschaft ist und wichtige Teile für Atom-U-Boote produziert und hat sich dort die technische Führung sichern können.(7) Nun wurde kurz nach der Ausstiegserklärung verkündet, dass Siemens und die russische Atombehörde Rosatom eine strategische Atomenergieallianz planen. Der russische Präsident Wladimir Putin erklärt, die Zeit sei reif für eine "vollwertige Partnerschaft".(8) In kürzester Zeit, so Rosatomchef Sergej Kirijenko, solle eine gemeinsame Arbeitsgruppe erste Vorschläge vorlegen.(9) Siemens strebt eine Beteiligung an der operativen Führung an. Soweit bisher bekannt, will Rosatom allerdings eine Mehrheit von 50 Prozent plus eine Aktie behalten.(10) Für den Einstieg in einen Konzern, der sowohl die zivile, wie auch die militärische Atomwirtschaft der zweitgrößten Atommacht der Welt kontrolliert, wäre das allerdings schon ein erheblicher Schritt. Noch muss die Siemens-Führung allerdings eine Klausel aus dem Vertrag mit Areva überwinden, die vorsieht, dass Siemens bei einem Ausstieg Areva acht Jahre lang keine Konkurrenz macht. Areva wirft Siemens Vertragsbruch vor, während Siemens-Sprecher lakonisch darauf hinweisen, dass es dazu doch schon Gespräche gäbe.(11) Bundeskanzlerin Merkel, der Laufbursche bzw. das Laufmädchen des deutschen Finanzkapitals, soll denn auch bereits bei Sarkozy nachgefragt haben, ob diese Vertragsklausel nicht verhandelbar sei. Und Rosatom verkündet: "Die Vereinbarungen zwischen Rosatom und Siemens richten sich gegen niemanden" vielmehr wollten "Rosatom und Siemens die Voraussetzung für ein mächtiges Gemeinschaftsunternehmen schaffen, das auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist."(12) Da dieser Weltmarkt nur noch von knapp einer handvoll Monopolen beherrscht wird, geht es natürlich darum, ihn neu aufzuteilen. Noch ist dieser Zusammenschluss nicht in trockenen Tüchern, gilt es denn nicht nur, den Widerstand der Franzosen zu überwinden, sondern auch Stimmen innerhalb des deutschen Finanzkapitals, die einem deutsch-russischen Bündnis äußerst misstrauisch gegenüber stehen.(13) Doch die Botschaft an die französischen Konkurrenten ist auf jeden Fall jetzt schon klar: Wir können auch anders - ohne und gegen euch.

Arbeitsgruppe Zwischenimperialistische Widersprüche


Anmerkungen

(1) dpa 15.10.99
(2) Les Echos, 15.4.1999; alle bisher aufgeführten Zitate zit. nach KAZ 294 vom Dezember 1999:
     "Daimler/Dasa und Aérospatiale: Mit Frankreich contra USA"
(3) "Fusion des Atomgeschäfts von Siemens und Framatome" von IPPNW Deutsche Sektion der
     Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V., abrufbar unter:
     www.siemens-boykott.de/siemens/siemens_kwu/siemens_framatome.html
(4) "Siemens und Framatome kommen sich näher", Welt online vom 25.9.1999, abrufbar unter
     www.welt.de/print- welt/article585229/Siemens_und_Framatome_kommen_sich_naeher.html
(5) Reuters, 10.9.2007
(6) SZ 24./25.1.09
(7) "Atomallianz" vom 12.2.09, abrufbar unter www.german-foreign- policy.com
(8) SZ 4.2.09
(9) ebd.
(10) SZ vom 5.3.09
(11) ebd.
(12) ebd.
(13) Siehe dazu SZ vom 4.3.09


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Merkel-Medwedew, Berlin März 2009
- Merkel-Sarkozy, November 2008


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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 327, April 2009, S. 46-47
Herausgeber und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2009