Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

IZ3W/351: Rezension - "Gora. Slawischsprachige Muslime zwischen Kosovo, Albanien, Mazedonien und Diaspora"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 346 - Januar/Februar 2015

Rezension
Gorani in der Diaspora

von Johanna Paul



Auf dem Westbalkan liegt zwischen Albanien, Mazedonien und dem Kosovo die wenig bekannte transnationale Region Gora. Der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger nähert sich dieser an Konfliktkonstellationen reichen Gegend aus der Perspektive einer marginalisierten Bevölkerungsgruppe: Den Gorani, slawischsprachigen Muslimen.

Gora (südslawisch für Berge) ist durch eine lange Migrationsgeschichte geprägt, deren Anfänge ins Osmanische Reich zurückreichen. Zu Zeiten der Jugoslawischen Republik gingen Gorani als 'Gastarbeiter' nach Westeuropa. Schmidinger zeichnet dies hauptsächlich an der 1966 begonnenen Migration nach Österreich nach. Damals wie heute ist die (temporäre) Arbeitsmigration der meist männlichen Familienmitglieder eine wichtige Einkommensquelle für die Familien in den Bergdörfern.

Beim Zerfall Jugoslawiens sind die Gorani im Kosovo zwischen die Fronten des serbisch-albanischen Konfliktes geraten, liegt doch ihre kulturelle und religiöse Identität quer zu den großen Nationalismen der Region. Als nicht-albanische Minderheiten wurden sie von der serbischen Regierung gegen die albanische Nationalbewegung instrumentalisiert, was bis heute anhaltendes Misstrauen und Auseinandersetzungen zwischen AlbanerInnen und Gorani schürt. Dies führte zu ihrer weiteren politischen und ökonomischen Marginalisierung, die sie zur Migration etwa nach Serbien, Mazedonien, Deutschland, Österreich oder Italien bewegt.

Heute beeinflussen zwei Faktoren das Migrationsgeschehen: Einerseits die nationalistischen Grenzziehungen und daraus folgende erhöhte Hindernisse der Migration in urbane Zentren der Westbalkanstaaten, andererseits das europäische Migrationsregime, das Flucht und Arbeitsmigration in EU-Staaten so gut wie verunmöglicht.

Anknüpfend an eine bisher dürftige Literaturlage beruht die Analyse auf Feldforschungen und Interviews in Gora und in der österreichischen Diaspora. Das theoretische Fundament bilden sozialanthropologische und entwicklungssoziologische Ansätze über Peripherisierung und ungleiche kapitalistische Entwicklung, sowie neuere Ansätze zu transnationaler Migration und Diaspora. Das Hauptaugenmerk Schmidingers liegt auf der goranischen Diaspora in Österreich, die sich größtenteils aus kosovarischen Gorani zusammensetzt.

Heute leben mehr Gorani außerhalb als in der desolaten Region - außer im Sommer, wenn die Diaspora für die Ferien zu den Familien zurückkehrt. Für die Zusammensetzung der Diaspora ist es charakteristisch, dass sie sich an den jeweiligen Zielorten aus Personen des gleichen Dorfes konstituiert. Veranschaulicht wird dies an dem stark von Auswanderung nach Österreich betroffenen kosovarischen Dorf Rapca. Unter ihnen sind viele AsylbewerberInnen, deren Chancen auf einen positiven Asylbescheid seit 2009 jedoch noch schlechter stehen - seitdem gilt der Kosovo als »sicheres Herkunftsland«.

Schmidingers kritische Analyse wird gestützt durch persönliche Erfahrungen, Karten- und Bildmaterial, Interviewzitate und ethnographische Beschreibungen. Dem in der antirassistischen Flüchtlingsarbeit erfahrenen Autor ist es ein persönliches Anliegen, wenn er über den Umgang mit goranischen AsylbewerberInnen in Österreich schreibt.

Diese erste deutschsprachige Publikation über Gorani ist keine umfassende Ethnographie, sie soll weitere Forschung anregen. Doch gewährt bereits sie detaillierte Einblicke, die nicht nur bei einer akademischen Leserschaft Interesse wecken dürften. Für alle, die neugierig werden, bietet der Anhang Reisehinweise.

Thomas Schmidinger:
Gora
Slawischsprachige Muslime zwischen Kosovo, Albanien, Mazedonien und Diaspora.
Wiener Verlag für Sozialforschung, Wien 2013. 167 Seiten, 24,90 Euro.

*

Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 346 - Januar/Februar 2015

Ausbeutung der Meere
Kapital auf Kurs

Die Weltmeere sind für die Energie- und Rohstoffgewinnung sowie den globalen Transport von Gütern zentral. Ein Großteil der weltweiten Ölfördermenge stammt aus der Offshore-Gewinnung, und 90 Prozent des grenzüberschreitenden Warenhandels wird über See abgewickelt. Auf dem Industriestandort Meer werden jedoch nicht nur Rohstoffe und Energie gewonnen, sondern auch verbraucht. Zudem sind ihre Förderung und ihr Transport mit enormer Umweltbelastung verbunden. Diese rücksichtslose kapitale Verwertung der Ressourcen der Meere führt zum Schwinden der wichtigsten Ernährungsgrundlage von über einer Milliarde Menschen: dem Fisch.

Immer schon war das Meer nicht nur Gegenstand von Naturausbeutung, sondern auch Ort der Ausbeutung von Menschen - sowohl für die diejenigen, die auf dem Meer arbeiten müssen, als auch für die KüstenbewohnerInnen.

Der Kampf um die Meere entfacht sich an der Frage: Wem gehört das Meer? Die aktuelle iz3w wirft einen Blick in die keineswegs unerschöpflichen Tiefen des Blauen Kontinents.


Inhaltsübersicht aus dem Themenschwerpunkt:

Editorial: Die Ausbeutung der Meere

Das vorerst letzte Grenzland
Die nachholende Industrialisierung der Weltmeere wird intensiviert
von Kai Kaschinski

Verklappt, verdünnt, vergessen
Die Weltmeere sind zur Müllkippe geworden
von Martina Backes

Meeresmetaphern
Illusionen über unerschöpflichen Reichtum
von Cord Riechelmann

Land in Sicht?
Auf hoher See gibt es bisher kaum Arbeitsrechte für Seeleute
von Heike Proske

Gefährliches Wettfischen
Wer den Hunger abschaffen will, muss handwerkliche Kleinfischerei fördern
von Francisco Mari

Auswerfen der Netze
Europa beutet trotz Kritik weiterhin westafrikanische Fischgründe aus
von Philipp Kilham

Raubbau mit Raubfischen
Die Rechnung mit dem Thunfisch geht für die pazifischen Inselstaaten nicht auf
von Eberhard Weber

»Zertifizierte Garnelen sind ein Witz«
Interview mit Khushi Kabir über Shrimpsfarmen in Bangladesch

Schürfen in der Tiefsee
Der Wettlauf um die Lagerstätten am Meeresboden
von Stefan und Andreas Brocza

Die Ozeane versauern
Wie der Klimawandel die Weltmeere verändert
von Onno Groß


POLITIK UND ÖKONOMIE

Hefteditorial: Tod im deutschen Gefängnis

Burkina Faso: 27 lange Jahre sind vorbei
Blaise Compaoré ist gestürzt, die Zukunft des Landes bleibt ungewiss
von Martin Bodenstein

Libyen: Auf Gewalt folgt Gewalt
Das zerfallende Land ist weit von Demokratie und Stabilität entfernt
von Sören Scholvin

Asyl: Humanität statt Komplizenschaft
Marokko möchte neue Wege in der Flüchtlingspolitik beschreiten
von Franziska Dübgen

Peru: Gipfeltreffen im Andenland
Wird Peru als Gastgeber des Klimagipfels künftig eigene klimapolitische Ziele formulieren?
von Karen del Biondo

10 Jahre Tsunami I: Land unter
Auf die zerstörerische Flutwelle folgten politische Kämpfe um die Küsten
von Jürgen Weber

10 Jahre Tsunami II: Wiederaufbau mit Lücken
Wie die indonesische Provinz Aceh nach dem Tsunami politisch umgewälzt wurde
von Alex Flor


KULTUR UND DEBATTE

Erinnerungspolitik: Die »Geschichtslücke«
Die Türkei und der Genozid an den ArmenierInnen (Teil 1)
von Corry Guttstadt und Ragip Zarakolu

Film: Bitter enttäuscht
»Miners shot down« fordert Solidarität mit den Opfern des Marikana-Massakers
von Martina Backes

Street Art: Nobles Sprayen
Dakars Street-Art-Szene kämpft für gesundheitliche Aufklärung
von Sarah Böger

Rezensionen

*

Quelle:
iz3w Nr. 346 - Januar/Februar 2015
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
Postfach 5328, Kronenstr. 16a (Hinterhaus)
79020 Freiburg i. Br.
Telefon: 0761/740 03, Fax: 0761/70 98 66
E-Mail: info@iz3w.org
Internet: www.iz3w.org
 
iz3w erscheint sechs Mal im Jahr.
Das Einzelheft kostet 5,30 Euro plus Porto.
Das Jahresabonnement kostet im Inland 31,80 Euro,
für SchülerInnen, StudentInnen, Wehr- und
Zivildienstleistende 25,80 Euro,
Förderabonnement ab 52,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang