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IZ3W/281: Rezension - "Dorthin kann ich nicht zurück" von Renate Sova, Ursula Sova und Folgert Duit


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 332 - September/Oktober 2012

Renate Sova / Ursula Sova / Folgert Duit (Hg.):
Dorthin kann ich nicht zurück
Flüchtlinge erzählen.
Promedia, Wien 2012. 208 Seiten, 15.90 Euro.

Rezensiert von Christine Henke



Wenn Flüchtlinge erzählen

Als Sammlung von Einzelfallstudien, die die Wahrnehmungen und Erlebnisse einer zumeist ungehörten Minderheit wiedergeben, ist Dorthin kann ich nicht zurück ein wichtiges Buch. Bestehend aus 25 unterschiedlichsten Geschichten, Anekdoten und Berichten, die die Asylsuchenden selbst für erzählenswert hielten, bietet der Band Einblicke aus erster Hand über die Werte, Normen und Rollenvorstellungen von Flüchtlingen. Es geht um die politische Situation ihrer Herkunftsländer, die Fluchtmotivationen und nicht zuletzt um die Situation im Asylstaat Österreich.

So ungeordnet und schwer kategorisierbar die einzelnen Erzählungen auf den ersten Blick scheinen, am Ende wird deutlich, dass es sich bei allen Berichtenden doch um eine ganz bestimmte Gruppe von Flüchtlingen handelt. Im Fokus stehen jene, die Schulbildung nachweisen können oder AkademikerInnen sind - und damit zumeist politisch engagierte Menschen. Es werden Asylsuchende präsentiert, denen gegenüber jeder Gutmeinende schnell und gern Empathie entwickelt. Bleiberechte müssen jedoch unabhängig von Sympathien sein. Auch wer nicht in das Werteschema der bildungsorientierten Mittelschicht passt, hat Rechte und muss Schutz im Aufnahmeland genießen können, egal ob in Österreich oder anderswo.

Ein weiteres Problem dieses Buches: Die meisten ProtagonistInnen werden auf Fotografien als schutzbedürftig dargestellt, sie werden Seite an Seite mit ihren österreichischen UnterstützerInnen abgebildet. Warum? Wird damit nicht vielleicht auch eine andere Art von Abhängigkeit abgebildet? Mit dieser paradoxen Situation setzt sich lediglich ein einziger Bericht kritisch auseinander: Khaled Khoshdel, ein Flüchtling aus Afghanistan, reflektiert auf einer systemkritischen Ebene seine Fluchterfahrungen. Von der Vorstellung gelockt, in Westeuropa nicht mehr als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden und damit ein Recht auf Chancengleichheit zu erhalten, erkennt er, dass Rechte nur für österreichische StaatsbürgerInnen gelten, während von Asylsuchenden Demut gefordert wird.

An den Darstellungen in ganz unterschiedlichen Stilen wird deutlich, wie divergent die Wahrnehmungen und Bewertungen der einzelnen Flüchtlinge sind: Wo bei der einen Gruppe von Asylsuchenden der symbolische Dank gegenüber den BürgerInnen des Asylstaates beinahe unreflektiert in das eigene Verhaltensrepertoire übergeht, steht auf der anderen Seite ein kritischer Autor, der diese Unterwürfigkeit nicht anerkennen will. Er stellt die Daseinsberechtigung von Landesgrenzen in Frage, die Unfreiheit erst produzieren.

Zum Nachdenken regt auch ein geschlechtsspezifischer Unterschied zwischen den Flüchtlingen an: Während die weiblichen Asylsuchenden eher aus repressiven familiären Strukturen flüchteten und über kulturelle Eigenheiten ihrer Herkunftsländer berichten, sind bei den männlichen Betroffenen politisch motivierte Gründe für die Flucht und eine intensivere Auseinandersetzung mit der Situation von Flüchtlingen in Europa zu erkennen.

Die Lektüre ist all denjenigen zu empfehlen, die Interesse an Erfahrungen, Wahrnehmungen und Gedanken von Flüchtlingen haben, insbesondere aber an den konkreten Wirkungen der Asylgesetze. Insofern ist den HerausgeberInnen ein aufklärender Sammelband gelungen.

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 332 - September/Oktober 2012

Wem gehört die Stadt?
Hello City

Es ist die städtische Bevölkerung, vor allem die Menschen der neuen Vorstädte, die Geschichte machen. Die Stadt ist ein Terrain dynamischer Umbrüche. Die derzeitige Migration vom Land in die Stadt ist die bedeutendste Umstrukturierung in der Weltbevölkerung in diesem Jahrhundert. Insbesondere im Globalen Süden entstehen Megacity-Agglomerationen mit über zehn Millionen EinwohnerInnen. Selbst Ansiedlungen in der Einöde und sogar Flüchtlingslager werden zu urbanen Räumen - manchmal allerdings auch zu Territorien der Perspektivlosigkeit.

Unser Themenschwerpunkt befasst sich damit, wie sich aktuelle Verstädterung darstellt und welche sozialen Kämpfe sie begleiten. Wie funktioniert die Verstädterung von den Rändern her? Wie spielt sich das Leben in der Stadt zwischen Aneignung und Enteignung, Kontrolle und Widerstand, Ordnung und Eigensinn ab? Wie werden macht- und marktpolitische Interessen einerseits, soziale und utopische Ideen andererseits eingebracht, durchgesetzt oder gekippt?


INHALTSÜBERSICHT


Editorial des Dossiers

Der große Marsch.
Die Welt wird städtisch - doch wem gehört die Stadt?
von Winfried Rust

Occupy all Streets.
Stadtperipherien und das »Recht auf Stadt«
von Carolin Genz

Gefühlvolle feminine Territorien?
An den Rändern der Städte wartet die Revolution
von Simon Brüggemann

Kriminalisierte Mobilität.
Straßenhandel als postkoloniales Recht auf Stadt?
von Noa Ha

Reclaim the City.
Männerzentrierte Städte und feministische Architekturkritik
von Katrin Dietrich

Die Lichter von Korogocho.
Vertreibung und Aufbegehren in den Nairobi Slums
von Martina Backes

Wessen Alexandra?
Kampf um Einfluss im ältesten Township von Südafrika
von Barbara Heer

Die verhinderte Stadt.
Wiederaufbau im nordlibanesischen Flüchtlingslager Nahr el Bared
von Monika Halkort

Im Sumpf der Stadt.
Im indonesischen Jakarta droht ein ökologischer Kollaps
von Günter Spreitzhofer

Ungefragt überplant.
In Brasilien führen die Vorbereitungen zur Männer-Fußball-WM zu Vertreibungen
von Uta Grunert

»Stadt im Ausnahmezustand«.
Interview zu den Auswirkungen der WM 2014 in Brasilien


Hefteditorial

POLITIK UND ÖKONOMIE

Atomindustrie I: »Für die ganze Welt gefährlich«.
Interview zum illegalen Uranabbau im Kongo

Atomindustrie II: »Die Menschen können kein Uran essen«.
Interview zum bevorstehenden Uranabbau in Tansania

DR Kongo: Der Friedenspräsident will alleine herrschen.
Kriegsparteien im Ostkongo in wechselnder Allianz
von Alex Veit

Israel: Die Hand wird nicht mehr gereicht.
Abschottung gegen afrikanische Flüchtlinge
von Marie Meltzer

Libyen: In eine ungewisse Zukunft.
Ein Jahr nach der Revolution steht Libyen vor großen Problemen
von Sören Scholvin

Syrien: Wer gegen wen?
Die Frontstellungen in Syrien sind ethnoreligiös geprägt
von Hannes Bode

Paraguay: Frosch aus einem anderen Teich.
Präsident Lugo stand der Oligarchie im Wege
von Andreas Knobloch

Antirassismus: Ein Leben gegen die Apartheid.
Die afrikanische Revolutionärin Ruth First
von Hanno Plass


KULTUR UND DEBATTE

Film I: Todesangst.
Der Film »Black Block« über die entfesselte Polizeigewalt von Genua
von Gaston Kirsche

Film II: Qual der Wahl.
Zwanzig Jahre Afrika Film Festival »Jenseits von Europa«
von Karl Rössel

Film III: Zanziwood.
Das Internationale Filmfestival in Sansibar
von Isabel Rodde

Kunst: In ihren Welten.
Eine Ausstellung mit Kunst der Maori aus Neuseeland
von Ulrike Mattern

Rezensionen

Szene / Tagungen

Impressum

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Quelle:
iz3w Nr. 332 - September/Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2012