iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 318 - Mai / Juni 2010
Peak Soil. Die globale Jagd nach Land
Rezension von David Jüngst
Eine bewährte Strategie global agierender Investoren ist, in etwas zu investieren, das nicht endlos vorhanden ist und nach dem es steigende Nachfrage gibt. Ein solches begehrtes Investitionsgut auf dem heutigen Weltmarkt ist fruchtbares Ackerland. Um diese Böden hat sich ein Konkurrenzkampf zwischen Finanzgruppen, Konzernen und Regierungen entfacht. Der Fachjournalist Thomas Fritz untersucht in seinem Buch Peak Soil, wie diese knappe Ressource durch die neue Landnahme langfristig geschädigt wird und größtenteils auf Kosten der Menschen in Ländern des Südens genutzt wird. Seine zentrale These ist, dass die Menschheit nicht nur den Gipfel der Ausbeutung von Erdöl überschreitet, den Peak Oil, sondern auch jenen der Vernutzung von Boden, den Peak Soil.
Der Besitz von Land durch profitorientierte Konzerne ist kein neuartiges Phänomen. Fritz stellt aber fest, dass bei den aktuellen Geschäften »andere Motive, andere Akteure und andere Geschäftsmodelle hinzutreten«. Neben dem üblichen Anbau von klassischen Cash Crops wie Kaffee werden heute stärker Grundnahrungsmittel wie Weizen, Reis oder Mais auf ausländischen Agrarflächen angebaut. Diese neuere Entwicklung wurde vor allem durch den kräftigen Preissprung der Agrarprodukte in den Jahren 2005 bis 2008 ausgelöst. Zum Ausdruck kommt darin ein wichtiges Motiv für die Wettrennen um das Land: die Sicherstellung von Nahrungsmittellieferungen. Einen zweiten Grund für den Anstieg der Landgeschäfte sieht Fritz im weltweit propagierten Kampf gegen den Klimawandel und der Notwendigkeit vieler Länder, die Sicherung ihrer Energieversorgung zu gewährleisten. Dies bedeutet unter anderem steigenden Bedarf nach Agrokraftstoffen.
Das steigende Interesse von Finanzinvestoren an Böden und deren gleichzeitige Verknappung durch Klimawandel, Urbanisierung und Industrialisierung haben viele negative Folgen. Fritz weist die optimistische Prognose der FAO zurück, dass es neben den derzeit weltweit 1,5 Milliarden Hektar Ackerland noch 2,7 Milliarden Hektar an globalen Landreserven gibt (von denen 1,8 Milliarden Hektar in Entwicklungs- und Schwellenländern liegen sollen). Er hält dies für eine auf fragwürdigen Berechnungen beruhende Einschätzung. Ganz im Gegenteil nehme die Bodendegradierung zu, und immer mehr Bäurinnen und Bauern müssen mit viel zu kleinen Landflächen ihren Lebensunterhalt erzielen.
Die verschiedenen Akteure im neuen Landgrab stellt Fritz durch Fallbeispiele vor: vom Daewoo-Konzern, der mehr als die Hälfte des Ackerlandes in Madagaskar pachten wollte, über den Fond der Deutschen Bank DWS, der Aktien von Großbetrieben im Agrobusiness aufkauft, bis hin zu den Aktivitäten der Regierungen von Golfstaaten und bevölkerungsreicher Länder wie China und Indien. Weitere Akteure sind internationale Organisationen wie FAO und Weltbank, die bisweilen als »Grundstücksmakler« auftreten, und die Regierungen der Länder mit Ackerland. Diese bieten auf der Suche nach Direktinvestitionen das Land zu Bedingungen an, die es fragwürdig erscheinen lassen, ob außer den Investoren jemand davon profitiert.
Dass diese Geschäfte eine win-win Situation aller Beteiligten ausschließen, demonstriert Fritz an der brasilianischen Savannenregion Cerrado und dem thailändischen Nordosten. Im Cerrado führen die gigantische agroindustrielle Landnahme seit den 1970ern und die Kommerzialisierung der Landwirtschaft zu erheblichen Umweltbelastungen wie Wasserverschmutzung und Degradierung von Böden. Gleichzeitig bewirken sie soziale Spaltungen, denn immer mehr Böden werden in Plantagen mit relativ geringen Beschäftigungsanteilen bewirtschaftet. Viele Kleinbauern werden dadurch land- und arbeitslos, da der Industriesektor in Brasilien nicht genügend Einkommensmöglichkeiten generiert. Das Beispiel des Nordostens in Thailand verdeutlicht, dass Subsistenzwirtschaft für viele Familien die einzige Absicherung vor Hunger und vollständiger Mittellosigkeit ist, weshalb die dortige Landnahme existenzbedrohend ist.
Neben den negativen ökologischen Konsequenzen ist es vor allem das Versagen in sozialen Fragen, das laut Fritz die Kommerzialisierung der Landwirtschaft so erfolglos macht. Ähnliches gilt nach Fritz für marktorientierte Bodenreformen, die sich entweder als ineffizient erwiesen oder in erster Linie den Erwerb von Land durch Konzerne und Großbetriebe erleichterten. Die Bodengeschäfte bergen zudem die Gefahr, dass gewalttätige Konflikte zunehmen, wie Fritz an den Beispielen Pakistan, Sudan und Kolumbien belegt. In fast allen lang andauernden Konflikten weltweit spielt der Zugang zu Land eine wichtige Rolle.
Fritz zieht das Fazit, dass die auf einer marktliberalen Strategie beruhenden Landgeschäfte im Widerspruch zur Armutsbekämpfung stehen. Zwar sehen viele Regierungen, UN-Behörden und Entwicklungsagenturen die Risiken des Geschäfts, jedoch geht es ihnen weniger um eine Abkehr als darum, Investitionen in die Landwirtschaft für alle etwas profitabler zu machen. Die hierfür gewählten Ansätze wie unverbindliche Richtlinien für Unternehmen oder das Modell einer Vertragslandwirtschaft von Kleinbauern haben sich als ineffektiv erwiesen. Fritz setzt demgegenüber auf die gesellschaftliche Aneignung des Landes und eine demokratisch kontrollierte Bodenordnung. In einer klaren Sprache und mit zahlreichen Fakten unterfüttert zeigt Fritz, warum Geschäfte mit Böden so heikel sind: Im Gegensatz zur Immobilienspekulation muss hier nicht erst eine Blase zerplatzen, um viele Menschen zu gefährden. Hier wird direkt mit der Lebensgrundlage gehandelt.
Thomas Fritz:
Peak Soil. Die globale Jagd nach Land
FDVL-Verlag, Berlin 2009. 164 Seiten, 12 Euro
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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 318 - Mai / Juni 2010
Themenschwerpunkt:
Klare Fronten - Alte und neue Grenzregimes
Allen Debatten von der "De-Nationalisierung" zum Trotze durchziehen zahlreiche Grenzen den gesellschaftlichen Alltag. Der angebliche Abbau von Grenzen in Europa bedeutet nichts anderes als deren Verlagerung, nach innen wie nach außen. Schlussendlich dreht sich vieles weiterhin um die spezifische, historische Grenze: Die alt-umkämpfte Landesgrenze im Raum und in den Köpfen. Ihre Wirkungsmacht hat sie nicht verloren, nur sieht man sie mitunter nicht mehr.
Ein ernsthaftes Problem der begrenzten Welt sind die vielen Menschen, die den Grenzen auch heute zum Opfer fallen. Um von der armen zur reichen Hemisphäre zu gelangen, sterben tausende Menschen schon bei dem Versuch, die Außengrenzen Europas zu überwinden. Der Themenschwerpunkt folgt der Frage, wie sich über Grenzen die so genannte Herkunft konstituiert und wie sie sich sogar in kritisch gemeinten Debatten um Migration oder Kolonialismus festigt. Und er fragt danach, wie sich die Binnengrenzen der EU zu einem Kontrollregime in der Fläche transformieren, das für unliebsame MigrantInnen weniger die Einreise, als das alltägliche Leben in der EU verunmöglicht.
Themen des Schwerpunkts:
Überkreuzen, Überschreiten, Durchqueren - Die Kritik an Grenzen + Boundary-Work - Über das Verhältnis psychischer, sozialer und symbolischer Grenzen + Im Dschungel von Calais - Selbstorganisation von Flüchtlingen und staatlicher Abwehr + Drinnen und Draußen - Die EU-Grenzen verschieben sich + Geteilte See - Die Grenzkämpfe auf dem Meer weiten sich aus + Marokko: Operation Rückbindung + Sudan: Alte Konflikte und neue Territorien + Mexiko: American Dream, Mexican Nightmare + Iran: Grenzenlos reaktionär + Korea: Surrealsozialistische Grenze
INHALTSÜBERSICHT
Hefteditorial: Auf zu neuen Ufern
POLITIK UND ÖKONOMIE
Südafrika I: Ein Arbeiterviertel im Museum
Der South End District in Port Elizabeth
von Thomas Schmidinger
Südafrika II: »Als AktivistIn lebt man gefährlich«
Interview mit Ashraf Cassiem und Mncedisi Twalo
Iran: »Schwächer als je zuvor«
Interview mit Meir Javedanfar über das Regime und die Opposition
Honduras: Elitäre Versöhnung
Die politische Krise nach dem Putsch
von Tobias Lambert
Haiti: Im Griff des Militärs
Die Geschichte Haitis zwischen Unterdrückung und Widerstand
von Peter Hallward
Entwicklungspolitik: Apfelstrudel nach Peking tragen
Die letzten Züge der deutsch-chinesischen Entwicklungszusammenarbeit
von Dirk Olaf Reetlandt
Indien: Organic Mobile
Die Produktion von Biolebensmitteln boomt
von Nina Osswald
SCHWERPUNKT: GRENZREGIMES
Editorial: Grenzregimes
Überkreuzen, Überschreiten, Durchqueren
Die Kritik an Grenzen sollte jede Kategorie hinterfragen von Birgit zur Nieden
Boundary-Work
Über das Verhältnis physischer, sozialer und symbolischer Grenzen
von Albert Scherr
Drinnen und Draußen
Die EU-Grenzen verschieben sich
von Henrik Lebuhn
Geteilte See
Die Grenzkämpfe auf dem Meer weiten sich aus
von Kai Kaschinski
Operation Rückbindung
Der marokkanische Staat fördert Zugehörigkeit über Grenzen hinweg
von Frederic Schmachtel
Alte Konflikte und neue Territorien
Was bringt die Grenze zwischen Nord- und Südsudan?
von Thomas Schmidinger
American Dream, Mexican Nightmare
Der Grenzraum in Südmexiko unter dem Einfluss der USA
von Kathrin Zeiske
Grenzenlos reaktionär
Die weltweite Revolution der Islamischen Republik Iran
von Jonathan Weckerle
Surrealsozialistisch
Nord- und Südkorea trennt noch eine richtige Feindesgrenze
von Rainer Werning
KULTUR UND DEBATTE
Medien: Tele-Visionen
Anspruch und Realität des Nachrichtensenders Al-Jazeera English
von Benedikt Strunz
Surrealsozialistisch
Nord- und Südkorea trennt noch eine richtige Feindesgrenze
von Rainer Werning
Exotismus: Wilde Welten
Eine Ausstellung über die Aneignung des Fremden
von Ulrike Mattern
Interkultur: »Die Institutionen müssen barrierefrei werden«
Interview mit Mark Terkessidis über sein neues Buch »Interkultur«
Moderne Nostalgie
Die neue HafenCity in Hamburg würdigt den Geist des Kolonialismus
von Anke Schwarzer
Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet
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Quelle:
iz3w Nr. 318 - Mai / Juni 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2010