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IMI/812: Robustes UN-Peacekeeping zur Terrorismusbekämpfung?


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Studie 2017/12 vom 9. August 2017

Robustes UN-Peacekeeping zur Terrorismusbekämpfung?
Die "Friedensmissionen" in der DRC Kongo und in Mali

von Marius Pletsch


Inhaltsverzeichnis

1. Der Terrorismusbegriff der UN
2. Die Entwicklung der UN-Friedenssicherungseinsätze
2.1 Die Prinzipien des UN-Peacekeeping
2.2 UN-Peacekeeping als Anti-Terrormaßnahme - Eine Veränderung der Prinzipien als Türöffner?
2.3 Sollten UN-Peacekeeping Truppen gegen terroristisch agierende Gruppen vorgehen? Der Bericht des HIPPO-Panels von 2015
3. Peacekeeping in der Praxis: MONUSCO und MINUSMA im Fokus
3.1 MONUSCO und die "Intervention Brigade"
3.2 MINUSMA
4. Fazit: Peacekeeping als Terrorismusbekämpfung - Es steht viel auf dem Spiel


In den Bemerkungen der Herausgeber und Herausgeberinnen des Friedensgutachtens von 2016 fand sich in Bezug auf UN-Friedensmissionen folgende kontroverse Passage:

"[E]s [ist] erforderlich, das sogenannte robuste Peacekeeping zu stärken, das auf der Basis von Kapitel VII der Charta die begrenzte Anwen dung von Gewalt erlaubt und einen Beitrag dazu leisten kann Massenverbrechen [zu] verhindern. [...] Selbstmandatierung einzelner Staaten, von 'Koalitionen der Willigen' oder durch Staatenbündnisse, widerspricht dem Völkerrecht. Ziel sollte es sein, solche Friedensmissionen zukünftig unter das direkte Kommando der UNO zu stellen. Mittelfristig sollte die UNO dafür über eigene militärische Einheiten verfügen [kursiv i. O.]".[1]

Unter robustes Peacekeeping fallen auch solche Operationen, die offensiv gegen bestimmte lokale oder transnationale terroristische Gruppen vorgehen. Soll also der Krieg gegen den Terrorismus künftig von Blauhelmen geführt werden? Derzeit laufen zwei Operationen, die Mission der Vereinten Nationen für die Stabilisierung in der Demokratischen Republik Kongo ("United Nations Organization Stabilization Mission in the Democratic Republic of the Congo", MONUSCO) und die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali ("United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali", MINUSMA), die wegen eben dieses robusten Vorgehens wiederholt in die Kritik geraten sind.[2]


1. Der Terrorismusbegriff der UN

Als Startpunkt der UN-internen Auseinandersetzung mit transnationalem, internationalisiertem Terrorismus gilt das "Internationale Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen" (Tokyo-Konvention) vom 14. September 1963.[3] Diese und zwei weitere Konventionen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), einer UN-Sonderorganisation, schufen Standards und verschärften Gesetze um den Luftverkehr gegen Entführungen von Passagiermaschinen zu sichern und einschlägige Straftaten schärfer zu ahnden. In den folgenden drei Jahrzehnten nahm sich die UN mehrerer ähnlich spezieller Themen an. Janka Oertel spricht von einem "sektorale[n] Ansatz",[4] weil eine Einigung auf eine allgemeine Terrorismusdefinition und eine grundlegende Anti-Terrorismus-Resolution weder im Sicherheitsrat noch in der Generalversammlung möglich war. Weitere Konventionen beschäftigten sich u.a. mit dem Schutz von spaltbarem Material, der Sicherung der Seefahrt, sowie der Kennzeichnung von Plastiksprengstoff.

Der erste Versuch, Terrorismus in der UN zu definieren, wurde nach dem Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 in München unternommen. Der UN-Generalsekretär Kurt Waldheim schlug der Generalversammlung für ihre 27. Sitzung vor, sich des Themas anzunehmen. Ein Entwurf der USA, die Draft Convention for the Prevention and Punishment of Certain Acts of International Terrorism, artikulierte folgende Definition: "Wer eine andere Person widerrechtlich tötet, ihr schweren körperlichen Schaden zufügt oder sie entführt, oder wer versucht, eine solche Straftat zu begehen oder sich als Mittäter oder Gehilfe einer Person, die eine solche Tat begeht oder zu begehen versucht, beteiligt, begeht eine Straftat von internationaler Tragweite [of international significance]".[5] Dieser Vorschlag fand jedoch in der Generalversammlung keine Mehrheit. Stattdessen wurde Resolution 3034 verabschiedet. Darin fand sich kein Versuch einer Terrorismusdefinition mehr, dafür die Betonung des "unveräußerlichen Rechts auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit aller Völker unter kolonialen und rassistischen Regimes und anderen Formen der Fremdherrschaft" und der "Rechtmäßigkeit ihres Kampfes, insbesondere des Kampfes nationaler Befreiungsbewegungen" sowie die Verurteilung der "Fortführung repressiver und terroristischer Handlungen durch koloniale, rassistische und fremde Regime".[6]

Sie richtete sich vor allem an die Adressen des Kolonialregimes Portugal, des Apartheidsregimes Südafrika und der Besatzungsmacht Israel. John Dugard schrieb 1973, dass die Resolution von größerer "Sorge für die Legitimation nationaler Befreiungskriege als für die Bekämpfung des Terrorismus"[7] zeuge. In der angesprochenen Resolution wurde eine Ad-hoc Kommission für 1973 eingesetzt, die sich mit der Definitionsfrage beschäftigen sollte.[8]

Diese kam 1977 und 1979 zusammen, doch statt eines Konsenses verhärteten sich die Fronten und so beendete der Ausschuss 1979 ergebnislos seine Arbeit.[9]

Seitdem wurden wiederholt Versuche unternommen, zu einer völkerrechtlichen Definition zu gelangen. 1996 wurde das "Adhoc Committee on Terrorism" eingesetzt, doch auch dieses beendete seine Arbeit 2002 ohne Resultat.

Das "High-level Panel on Threats, Challenges and Change", eingesetzt von Annan, um Reformvorschläge für die UN im Rahmen des Millenniumgipfels zu erarbeiten, brachte 2004 den Terrorismusbegriff auf folgende Definition:

"Handlungen, [...] die darauf abzielen, Zivilisten oder Nichtkombattanten den Tod oder schweren körperlichen Schaden zuzufügen, vorausgesetzt, der Zweck einer solchen Tat besteht, ihrem Wesens oder ihren Umstände nach, darin, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine Internationale Organisation zur Durchführung oder Unterlassung irgendeiner Handlung zu nötigen".[10]

Dieser Vorschlag schaffte es nicht in das Abschlussdokument des Reformgipfels, ebenso wie folgender Vorschlag des Sicherheitsrates aus dem gleichen Jahr, der in der Resolution 1566 enthalten war:

"Kriminelle Handlungen, einschließlich gegen Zivilpersonen, die mit dem Vorsatz begangen werden, den Tod oder schwere körperliche Verletzungen herbeizuführen, oder Geiselnahmen, die darauf abzielen Schrecken ["a state of terror"] in der breiten Bevölkerung, einer bestimmten Personengruppe oder bestimmten Personen hervorzurufen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine Internationale Organisation zur Durchführung oder Unterlassung irgendeiner Handlung zu nötigen". [11]

Der Grund, warum auch aus dieser näheren Bestimmung keine völkerrechtliche Definition wurde, könnte an der Formulierung liegen, wonach terroristische Akte "unter keinen Umständen aus politischen, philosophischen, ideologischen, rassischen, ethnischen, religiösen oder sonstigen, ähnlich gearteten Erwägungen zu rechtfertigen" seien.[12] Diese Formulierung zog nicht nur seitens vieler arabischer und afrikanischer Staaten Kritik auf sich. Baumann führte ins Treffen, diese Formulierung wolle das Nachdenken über das Terrorismusphänomen brandmarken.[13]

Der Sicherheitsrat bezeichnete den internationalen Terrorismus nach dem Lockerbie-Anschlag in der Resolution 731 vom 21. Januar 1992 erstmals als "Bedrohungen für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit".[14] Die Aktionen, die der Sicherheitsrat hier und in der Resolution 748 sogar gemäß Kapitel VII als Sanktionen beschloss, richteten sich gegen die libysche Regierung.

Der nächste große Einschnitt war dann der 11. September 2001. In den SR-Resolutionen 1368 wurde die Bereitschaft ausgedrückt, "[Durch terroristische Handlungen entstehende Bedrohungen für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit] mit allen Mitteln zu bekämpfen".[15] Auch wurde das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta bekräftigt.[16] In der Folgeresolution 1373 wurden mehrere Maßnahmen unter Kapitel VII beschlossen, darunter, dass Staaten den bestehenden Anti-Terrorismuskonventionen beitreten sollten, Finanzierung von Terrorismus unter Strafe zu stellen und Vermögen von Terrorismus(verdächtigen) einzufrieren sei. Zudem wurde die Gründung des "Counter-Terrorism-Committee" (CTC) beschlossen.[17] Die beiden genannten Resolutionen gelten als Grundlage für die 2006 verabschiedete UN Global Counter-Terrorism Strategy mit ihren vier Säulen: Maßnahmen zur Beseitigung der die Ausbreitung des Terrorismus begünstigenden Bedingungen, zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus, zum Aufbau der Kapazitäten der Staaten für die Terrorismusverhütung und -bekämpfung und zur Stärkung der diesbezüglichen Rolle des Systems der UN, sowie zur Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte für alle und der Rechtsstaatlichkeit als wesentlicher Grundlage des Kampfes gegen den Terrorismus.[18] In der Strategie ist Peacekeeping nicht explizit als Mittel zur Terrorismusbekämpfung vorgesehen.

Seit 2005 lässt sich ein Wandel in der Begrifflichkeit feststellen. Eingeleitet wurde dieser von der Bush-Regierung, welche die Schwächen des "Global War on Terrorism"-Paradigmas erkannte und einen Wechsel zum "Struggle against Violent Extremism" vollzog. Allerdings ist auch der Begriff des gewalttätigen Extremismus völkerrechtlich nicht näher bestimmt. Karlsrud argumentiert, dass dieser Wechsel der Begrifflichkeit, der so auch von dem Generalsekretär Ban Ki-moon in seinem Plan of Action to Prevent Violent Extremism übernommen wurde, die Nutzung einer breiteren Palette von Werkzeugen ermöglicht habe, darunter Peacekeeping.[19] Der Plan stipuliert die "Integration der Prävention von gewalttätigem Extremismus [...] in einschlägige Tätigkeiten der Friedenssicherungseinsätze und politischen Sondermissionen der UN".[20]


2 Die Entwicklung der UN-Friedenssicherungseinsätze
2.1 Die Prinzipien des UN-Peacekeeping

In der Charta der UN sucht man den Begriff des Peacekeeping vergeblich. Die völkerrechtliche Grundlage für solche Einsätze sei in der Charta in "Kapitel sechseinhalb"[21] zu finden, wie es Dag Hammarskjöld prägnant ausgedrückt hat. Also zwischen den friedlichen Möglichkeiten der Konfliktbeilegung, oder den friedenssichernden Maßnahmen in Kapitel VI und den friedenserzwingenden Maßnahmen in Kapitel VII.

Die grundlegenden Prinzipien für die heute als klassisches Peacekeeping geltenden Missionen wurden aus der Not heraus geboren. Geburtshelfer (wenn nicht gar Vater) war Dag Hammarskjöld, Generalsekretär von 1953-1961, der in der Suezkrise 1956 einen politischen Ausgleich zwischen den Konfliktparteien zu erreichen versuchte. Die "United Nations Emergency Force" (UNEF I) sollte den Abzug der französischen, britischen und israelischen Truppen von ägyptischem Gebiet beobachten und als Puffer zwischen den ägyptischen und israelischen Streitkräften dienen.

Der zweite Bericht Hammarskjölds zur UNEF I Mission enthielt folgende fünf Prinzipien:

1. Peacekeeping-Einsätze sind prinzipiell Notfallmaßnahmen und zeitlich beschränkt.

2. Peacekeeping-Einsätze sollen gänzlich unparteilich ausgeführt werden. Ihre Entsendung darf keinesfalls die langfristigen politischen oder militärischen Machtbeziehungen verändern oder mit Vorurteilen behaften. Gewalt darf nur zur Selbstverteidigung angewendet werden.

3. Die (fünf) ständigen Mitglieder des SR (P5) sind ausgeschlossen, Truppen für Peacekeeping-Missionen zu entsenden.

4. Peacekeeping-Missionen sollen unter dem vereinten Kommando eines UN-Offiziers stehen.

5. Die Entsendung von Peacekeeping-Einheiten hängt von dem Konsens der beteiligten Parteien ab, insbesondere des betreffenden Gastlandes.[22]

Die heutigen Einsätze haben sich dahingehend gewandelt, dass die mandatierten Missionen komplexer sind und ein breiteres Aufgabenspektrum abdecken sollen, als noch in den Anfangsjahren des Peacekeeping. An dieser Stelle sei auf die Typologie von Peacekeeping-Einsätzen durch Alex Bellamy und Paul Williams verwiesen, die sieben Typen von Missionen hinsichtlich ihrer Ziele unterscheidet.[23] Auch sind die Operationen in vier Generationen unterteilt, die vor allem eine funktionale Unterscheidung treffen: das traditionelle Peacekeeping; multidimensionale Missionen (mit zivilen Komponenten); robuste Einsätze (also Kampfaufträge); und zuletzt Missionen mit einem exekutiven Mandat, bei dem administrative Aufgaben übernommen werden.[24]


2.2 UN-Peacekeeping als Anti-Terrormaßnahme - Eine Veränderung der Prinzipien als Türöffner?

Dass Blauhelme sich aktiv in das Konfliktgeschehen einmischen können - und dies nicht nur zwecks Selbstverteidigung - begann mit dem Brahimi-Bericht (Brahimi Report) von 2000. Dieser wurde verfasst im Schatten der Misserfolge von Somalia, Bosnien und Ruanda - Peacekeeping-Einsätze, bei denen das Ziel, Zivilisten zu schützen, trotz der Präsenz von Blauhelmen verfehlt wurde. Insgesamt enthielt der Bericht 56 Reformvorschläge für Einsätze und deren Organisation aus dem UN-Hauptquartier heraus. Der Brahimi-Bericht nennt drei Kernprinzipien des Peacekepings: "Konsens der lokalen Akteure, Unparteilichkeit und Gewaltanwendung nur zur Selbstverteidigung".[25]

Peacekeeper sollten in der Lage sein, sich selbst, andere Komponenten der Friedensmission und das Mandat zu verteidigen:

"Die Einsatzrichtlinien sollen den UN-Kontingenten nicht nur gestatten, Angriffe Schlag um Schlag zu vergelten, sondern sie auch zu Gegenangriffen ermächtigen, um dem tödlichen Beschuss von UN-Truppen oder der von ihnen zu schützenden Menschen ein Ende zu setzen; in besonders gefährlichen Situationen sollten sie die UN-Kontingente nicht dazu zwingen, ihren Angreifern die Initiative zu überlassen".[26]

Auch dürfe Unparteilichkeit nicht mit Neutralität verwechselt werden. Die Konfliktparteien seien moralisch nicht gleichzusetzen, es gebe in manchen Fällen "offenkundige Aggressoren und Opfer und die Anwendung von Gewalt durch Peacekeeper kann nicht nur operationell gerechtfertigt, sondern auch moralisch geboten sein [morally compelled to do so]".[27] Gerade der Schutz und die Versorgung von Zivilisten wurden hervorgehoben. Das Mandat müsse auf den worst-case vorbereitet sein:

"Dies bedeutet, dass Mandate die Gewaltanwendungsbefugnis im Rahmen einer Operation klären müssen. Dies bedeutet größere, kostenaufwändigere und besser ausgerüstete Kräfte, die im Gegensatz zur symbolischen, nicht-bedrohlichen Präsenz, welche die traditionelle Friedenssicherung kennzeichnet, in der Lage sind, eine glaubwürdige Abschreckung darzustellen".[28]

Darauf aufbauend wurden 2008 die United Nations Peacekeeping Operations Principles and Guidelines vom DPKO und dem "Department of Field Support" (DFS) veröffentlicht, die auch unter dem Namen Capstone-Doktrin bekannt sind. Zum ersten wird dort das klassische Peacekeeping genannt, zum zweiten das multidimensionale Peacekeeping, mit militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten.[29] Letztere sind oft auch mit Peacebuilding-Aufgaben betraut, die z.B. auf die Implementierung und Umsetzung eines Friedensabkommens hinarbeiten oder die Grundfunktionen von Staatlichkeit überhaupt (wieder)herzustellen versuchen. Auch wird der Versuch unternommen, eine scharfe Trennlinie zu ziehen zwischen Peacekeeping- und Peace-Enforcing- Einsätzen, bei denen die Gewaltanwendung Teil der Strategie ist.[30] Dass diese Trennung vorgenommen wird, könnte daran liegen, dass die Konzepte beispielsweise der NATO oder der Afrikanischen Union nicht so differenziert werden, und hier beide Teil eines weiteren Konzepts der peace support operations (PSO) sind.[31]

Der Konsens der beteiligten Hauptakteure wird als wichtiges Merkmal herausgestellt: "ohne einen solchen Konsens läuft eine UN-Peacekeeping-Operation Gefahr, selbst in den Konflikt verwickelt zu werden und im Zuge dessen zu Durchsetzungsmaßnahmen genötigt und von seiner originären Rolle als Friedenswahrer weggeleitet zu werden".[32] Terroristisch agierende Gruppen werden bei UN-Peacekeeping-Operationen oft als Spoiler gesehen, die eine Konfliktbeilegung zu sabotieren versuchen. Diese, aber auch sonstige lokal agierende bewaffnete Gruppen ohne ausgeprägte Kommandostruktur zählen nicht zwingend zu den Gruppen, mit denen ein Konsens gefunden werden soll oder kann. Beim Umgang mit solchen Spoilern besagt die Capstone-Doktrin, dass Gewalt auf "taktischer Ebene mit Ermächtigung des Sicherheitsrates und Einverständnis des Gastlandes und/oder den wichtigsten Konfliktparteien"[33] angewendet werden könne. Dies ist Teil des robusten Peacekeeping, welches Gewalt nicht nur zur Selbstverteidigung erlaubt, sondern auch zur Verteidigung des Mandats und der Zivilbevölkerung. Durch das robuste Peacekeeping, oft Teil des multidimensionalen Peacekeeping, werden trotzdem Grauzonen geschaffen.[34] David Curran fasst die Veränderungen in den Prinzipien wie folgt zusammen:

"Wie auch in den 'Grundprinzipien und Leitlinien' [Principles and Guidelines] betont wird, gibt es bei Friedenssicherungseinsätzen Grauzonen. Zusätzlich zu den Herausforderungen, die mit der Verknüpfung von Friedenssicherung und Friedenskonsolidierung einhergehen, verwischen die Grenzen zwischen 'Peacekeeping', 'robustem Peacekeeping' und 'Peace Enforcement'. Seit dem Brahimi-Bericht gab es in der UN Bemühungen, diesen Bereich durch die 'Grundprinzipien und Leitlinien' und die Mandate des Sicherheitsrates klarer zu regeln. Es liegt jedoch nach wie vor im Ermessen des Truppenkommandanten und der von ihm befehligten Soldaten, die Situation, den Kontext und die Auswirkungen des erforderlichen Gewalteinsatzes zu erfassen".[35]

Die Veränderungen der Prinzipien für UN-Friedensmissionen zeigen ein deutlich breiteres Aufgabenspektrum (z.B. Schutz von Zivilisten, Statebuilding) als noch Anfang der fünfziger Jahre. Auch die Konflikte, in die Friedensmissionen entsendet werden sind ungleich komplexer. Bei internationalisierten innerstaatlichen Konflikten bspw. ist ein Staat oder mehrere ausländische Staaten beteiligt, indem sie die Regierung oder andere Konfliktparteien unterstützen, der Konflikt selbst wird auf dem Territorium des Staates ausgetragen.[36] Hier ist ein Friedensvertrag oder ein Waffenstillstandsabkommen unter Umständen noch gar nicht erreicht, mithin kein Frieden, den es zu wahren gäbe.


2.3 Sollten UN-Peacekeeping Truppen gegen terroristisch agierende Gruppen vorgehen? Der Bericht des HIPPO-Panels von 2015

Beim UN-Peacekeeping treffen die Interessen verschiedenster Akteure aufeinander: die des Generalsekretariats, des DPKOs, des Sicherheitsrates (als Aggregat seiner einzelnen Mitglieder), der Truppen und Polizeikräfte stellenden Staaten ("troop- and police-contributing countries", kurz TPCCs) und des Gastlandes, um nur einige wenige Akteure auf nationaler und supranationaler Ebene zu nennen.

Nach den konzeptionellen Änderungen des Brahimi-Berichts und der Capstone-Doktrin, hat sich das "High-level Independent Panel on Peace Operations" (HIPPO), eingesetzt von Ban, selbst mit der in der Überschrift aufgeworfenen Frage beschäftigt:

"[D]das Panel glaubt, dass UN-Truppen keine militärischen Operationen zur Terrorismusbekämpfung unternehmen sollten. Äußerste Vorsicht sollte bei der Mandatierung von Vollzugsaufgaben walten, die darauf abzielen, einen designierten Feind zu schwächen, zu neutralisieren und zu besiegen. Solche Operationen sollten zeitlich begrenzte Ausnahmen sein und im vollen Bewusstsein der Risiken und Verantwortungen für die UN-Mission als Ganzes unternommen werden. Ist eine zusätzliche Kraft in offensive Kampfhandlungen verwickelt, ist es wichtig für UN-Friedenssicherungsoperationen, eine klare Arbeitsteilung und Rollenverteilung beizubehalten".[37]

Begründet wird dieses eindeutige Ergebnis erstens mit den begrenzten Kapazitäten der Friedenstruppen. Für solche Einsätze wäre speziell ausgerüstetes und trainiertes Personal, also Spezialkommandos nötig, Aufklärung müsste viel intensiver stattfinden, um Lage- und Gefahrenbilder und -analysen durchzuführen, auch an der Infrastruktur der Missionen mangelt es für offensive Einsätze, da ihnen z.B. die Fähigkeit zur schnellen Rettung von Soldat_innen fehlt und so die Truppen einem hohen Risiko ausgesetzt werden.[38] Das Risiko tragen die TPCCs und deren Truppen, die mehrheitlich aus dem globalen Süden stammen, während der globale Norden die Finanzierung der Missionen stemmt und durch die fünf ständigen Mitglieder die Mandatierung und Ausrichtung der Mission bestimmt. Diese Art der "Arbeitsteilung" wird gerade für die TPCCs problematisch, wenn ihre entsendeten Truppen ein hohes Risiko für die Erfüllung eines offensiv ausgerichteten Mandates tragen müssen.[39] Oder aber es werden zwar Blauhelme in riskante Missionen geschickt, jedoch mit der klaren Anweisung der jeweiligen Regierung sich aus Kampfhandlungen herauszuhalten, wie die Studie des "UN Office of Internal Oversight Services" (OIOS) feststellt.[40] Das HIPPO-Panel schlägt vor, dass die Aufgabe der militärischen Konfrontation von Spoilern, wie als terroristisch bezeichneten Gruppen, von den Regierungstruppen oder einer Koalition der Willigen durchgeführt wird, die vom Sicherheitsrat mandatiert werden müsste.[41]

Der zweite Grund ist der, dass durch offensive (Teil-)Operationen, die darauf ausgerichtet sind, einen bestimmten Akteur zu bekämpfen, großer Schaden droht. Das Panel nennt hier die Beispiele Somalia 1993 und Kongo 2013. Deshalb rät es zu einer strikten Trennung von offensiv-militärischen und humanitären Aufgaben:

"Solche Operationen können dazu führen, dass UN-Truppen, und die Mission insgesamt, selbst in den Konflikt verwickelt werden und erfordern die Berücksichtigung der humanitären und anderer Auswirkungen, welche sich zwangsläufig aus anhaltender Gewaltanwendung ergeben. Das Panel teilt die Sicht humanitärer Gesprächspartner bzgl. der Notwendigkeit, eine klare Unterscheidung beizubehalten zwischen Friedenssicherungs-Operationen mit Durchsetzungsbefugnissen einerseits und humanitären Akteuren und Zielen andererseits".[42]

Die Gefahr, auf die auch hier hingewiesen wird, ist, dass durch den Auftrag, eine Konfliktpartei zu bekämpfen, die Kräfte selbst, aber auch die Friedensmission als Ganzes, mit ihren humanitären Komponenten ihren Schutzstatus verlieren und so zu legitimen Zielen im Sinne des humanitären Völkerrechts (im Folgenden: Völkerrecht) werden. Wird Gewalt zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung des Mandats angewendet - obwohl dies sehr breit ausgelegt werden kann - fällt dies nicht unter das Völkerrecht. Diese Gewaltanwendung wäre vergleichbar mit dem sog. "finalen Rettungsschuss", den auch die Polizei anwenden kann. Im Unterschied zur nationalen Polizeikraft genießen Friedenstruppen der UN im Gastland Immunität nach Artikel 105 der UN-Charta. Verantwortlich für die Handlungen ist der Entsenderstaat oder die Internationale Organisation, unter deren Mandat die Truppen tätig sind.[43] Gehen die Truppen aber dezidiert offensiv gegen eine Gruppe vor, ist das Völkerrecht anzuwenden (entweder das zweite Zusatzprotokoll oder der gemeinsame Artikel 3 der Genfer Konventionen, welche beide nicht-internationale Konflikte regeln). Damit kann die Gruppe, die man mit der Bekämpfung eines Spoilers beauftragt hat, zu einem legitimen Ziel im Sinne des Völkerrechts werden, möglicherweise sogar die gesamte Peacekeeping-Operation einschließlich ihrer humanitären oder administrativ-unterstützenden Komponente.[44]

Auch für die Legitimation des Instruments der UN-Peacekeeping Operationen ist gefährdet, da ein militarisierteres Auftreten Sympathien in der Bevölkerung verspielen kann. Zum anderen scheint Peacekeeping zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung unnötig, da der Sicherheitsrat über die Möglichkeit verfügt, offensive Einsätze parallel zu mandatieren. In dieser Hinsicht ist der HIPPO-Bericht sehr deutlich; diese Standpunkte sind, so Christine Gray, vor allem Reaktionen auf die Operationen in Mali (MINUSMA) und der Demokratischen Republik Kongos (MONUSCO).[45]


3. Peacekeeping in der Praxis: MONUSCO und MINUSMA im Fokus

Diese beiden Mandate sollen nun eingehender betrachtet werden. Dazu soll anhand der "Global Terrorism Database" (GTD) untersucht werden, ob die offensivere Herangehensweise mehr Erfolg zeitigt. Die GTD benutzt offene Quellen und nimmt Gewaltakte auf, sofern eines von drei Kriterien erfüllt ist: Die ausgeübte Gewalt dient dem Erreichen eines politischen, ökonomischen, religiösen oder sozialen Ziels; sie muss nachweislich die Adressaten der Gewalt nötigen oder einschüchtern wollen oder einem größeren Publikum durch die Gewaltausübung eine Botschaft übermitteln wollen; sie muss außerhalb der legitimen Gewaltanwendung im Sinne des Völkerrechts stattfinden. Die Datenbank ist durchsuchbar nach z.B. dem Staat, in dem die Gewalt stattfand, gewaltausübender Partei, Opfergruppen und -zahlen. Die aktuellsten Daten reichen lediglich bis zum Jahre 2015. Somit lässt sich mithilfe der GDT nur ein vorläufiger Eindruck gewinnen. Die hier entscheidenden Phasen der Peacekeeping-Operationen beginnen erst Anfang 2013 und dauern bis heute an. Die beiden kontroversen Mandate wurden vom Sicherheitsrat binnen eines Monats beschlossen, beginnend mit der Resolution 2098, die eine "Interventionsbrigade" im Rahmen des MONUSCO-Einsatzes in der DR Kongo etablierte.


3.1 MONUSCO und die "Intervention Brigade"

UN-Friedenstruppen sind schon seit 1999 in der DR Kongo, damals noch unter dem Namen "United Nations Organization Mission in the Democratic Republic of the Congo" (MONUC). Derzeit ist die Mission diejenige mit dem meisten Personal und dem höchsten Budget. Insgesamt sind 22.397 UN-Personen vor Ort, davon 18.728 uniformiertes Personal. Das aktuelle Budget, von Juli 2016 bis Juni 2017, beläuft sich auf 1,235,723,100 USDollar. [46] MONUSCO wurde 2010 mandatiert und löste damit MONUC ab. MONUSCO verfolgt auch ein anderes Ziel als seinerzeit MONUC; der Fokus liegt nunmehr auf der Stabilisierung des Landes.

Die Resolution 2098 schuf innerhalb der MONUSCO Operation unter Kapitel VII eine:

"'Interventionsbrigade', bestehend u.a. aus drei Infanterie-Bataillonen, einer Artillerie und einer Sondereinsatz- und Aufklärungskompanie mit Hauptquartier in Goma [....], zuständig für die Neutralisierung bewaffneter Gruppen [...] und mit dem Ziel, dazu beizutragen, dass die Bedrohung staatlicher Autorität und ziviler Sicherheit im Osten der DR Kongo reduziert und stabilitätssichernden Aktivitäten Raum verschafft wird".[47]

In der Resolution heißt es, dass diese Brigade eingesetzt werde mit einer klaren Exit-Strategie und "nur ausnahmsweise und ohne einen Präzedenzfall zu schaffen oder die vereinbarten Grundprinzipien der Friedenssicherung zu verletzen".[48] Sie kann selbst oder in Kooperation mit den Streitkräften der DR Kongo (FARDC) "gezielte offensive Operationen"[49] durchführen.

Die Brigade ist auch im aktuellen Mandat noch enthalten. Ungeachtet der Legitimation einer solchen offensiven Mission (s. Abschnitt 3.3), soll nun ihr Effekt auf terroristische Gewalt im Land begutachtet werden. Dafür werden die in der Resolution 2098 genannten bewaffneten Gruppen und deren Ausübung von Gewalt untersucht. Der Fokus lag auf der Gruppe des 23 March Movement (M23), aber es wurden auch andere bewaffnete Gruppen explizit genannt: die Lord's Resistance Army (LRA), Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR), Allied Democratic Forces (ADF), Alliance des Patriotes pour un Congo libre et souverain (APCLS), National Force of Liberation (FNL) und die Mai Mai Groups.[50]

Die GTD findet, beschränkt auf die genannten Gruppen, im Zeitraum von 2004-2015 insgesamt 286 Vorfälle. Beobachten lässt sich in der Gesamtbetrachtung ein Anstieg der Gewalt seit 2006, der seinen Höhepunkt 2009 erreicht und dann zunächst abfällt, bis es zu einem erneuten starken Anstieg ab 2013 kommt. Die Gruppe M23 ist erstmals im Jahr 2012 auffällig mit einer Attacke auf ein militärisches Ziel, bei der 153 Personen ums Leben kamen. Im Jahr 2013 war die Gruppe sehr aktiv, die GTD verzeichnet sieben weitere Anschläge in diesem Jahr, danach ist kein Eintrag mehr zu finden. Anders sieht es bei den anderen genannten Gruppen aus. Es ist eine deutliche Eskalation der Gewalt zu erkennen. 186 der insgesamt 286 Anschläge, etwa 65 Prozent, fallen allein in den Zeitraum 2014-2015. Den Gruppen gelangen in dieser Zeit allerdings weniger spektakuläre Angriffe, wenn man hier die Opferzahlen als Maßstab nimmt (siehe Grafik 1 [nicht im Schattenblick veröffentlichte Abbildung der Originalpublikation:]).[51]

Hieran lässt sich ablesen, dass nach bald 18 Jahren, in denen die UN in der DR Kongo vor Ort ist, keine Besserung der Situation zu erkennen ist. Der Intervention Brigade ist es zwar gelungen die M23 zu besiegen. Ob dieser Erfolg aber allein auf die ausgeübte Gewalt zurückgeführt werden kann, ist fraglich. Durch diplomatischen Druck wurden die Regierungen von Ruanda und Uganda dazu gebracht, ihre Unterstützung für M23 einzustellen. Andere Gruppen sind dafür deutlich aktiver geworden und konnten vermehrt Angriffe durchführen. Ein möglicher Grund hierfür könnte in der mangelnden Kooperation zwischen der Interventionsbrigade und den Regierungstruppen liegen.[52] Die Interventionsbrigade ist auch im aktuellen Mandat noch fester Bestandteil.[53] Wenige Wochen nach der Erteilung des Mandats für die Interventionsbrigade wurde die nächste umstrittene Resolution verabschiedet.


3.2 MINUSMA

Während die Peacekeeping-Operation in der DR Kongo noch weitgehend mit lokalen terroristisch agierenden Gruppen konfrontiert war, ist die Situation im Norden Malis eine andere. Hier agieren transnationale Terrororganisationen wie Ansar Dine, Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika und al-Qaida in Maghreb (AQIM).[54] Diese Gruppen sind in der zu besprechenden Resolution explizit erwähnt und werden hier in der Analyse berücksichtigt, genau wie die mit diesen Gruppen verbündete Those who Sign with Blood und die Nationale Bewegung zur Befreiung des Azawad. Im Norden Malis konnten sich 2012 AQIM und andere radikale Gruppen festsetzen und mit Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg einen regionalen Konflikt entfachen. Französische Truppen intervenierten Ende 2012 auf Einladung der malischen Regierung im Rahmen der Opération Serval, der auch ein Spezialeinsatzkommando angehörte, konnten aber den Konflikt nicht beenden. Auch eine Operation der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) war vor Ort. Diese wurde dann kraft der Resolution 2100 zur UN-Operation MINUSMA. Mit derselben Resolution wurde unter Kapitel VII sowohl den Truppen unter dem MINUSMA-Mandat, als auch den Einheiten der Opération Serval gestattet, "alle erforderlichen Mittel"[55] anzuwenden. "Durch die Verknüpfung von MINUSMA und Opération Serval", so Mateja Peter, "autorisierte der Sicherheitsrat im Grunde eine Interventionsbrigade, nur eben nicht unter UN-Kommando".[56] Insgesamt sind 13.555 Personen im Mandat gestattet, davon sind 12.080 uniformiert; das jährliche Budget liegt aktuell bei 933,411,000 US-Dollar.[57] Ab 2014 wurde auch schweres Kriegsgerät Teil der Peacekeeping-Operation. Unbewaffnete Drohnen sollten das Einsatzgebiet überwachen und Ziele auskundschaften, bewaffnete niederländische Helikopter des Typs Apache flogen 2015 erstmals Kampfeinsätze.[58]

MINUSMA ist, was Kampfhandlungen oder Anschläge auf die Peacekeeper_innen anbelangt, eine der tödlichsten UN-Operationen in der Geschichte des Peacekeeping. In der relativ kurzen Zeit seit ihrem Start 2013 sind 72 Mitglieder der UN-Friedenstruppe durch intendierte Gewalt ums Leben gekommen.[59]

In der für den Untersuchungszeitraum relevanten Resolution 2100 heißt es unter dem Punkt, der den Stabilisierungsaspekt des Mandats ausführt, dieses solle "die malischen Übergangsbehörden [unterstützen], um die wichtigsten Ballungszentren, besonders im Norden Malis, zu stabilisieren, in diesem Zusammenhang Bedrohungen abwenden und aktive Schritte unternehmen, um die Rückkehr bewaffneter Gruppen in diese Gebiete zu verhindern".[60] Dies gestattet den Truppen, wie bereits in Kapitel VII erwähnt, auch proaktiv gegen die terroristischen Gruppen tätig zu werden.

Anhand der GTD-Daten lassen sich folgende Aussagen über die Entwicklung der Häufigkeit von terroristischer Gewalt treffen: Eine hohe Fallzahl kann im Zeitraum vor der Mandatierung der MINUSMA-Mission beobachtet werden, also kurz vor und während der ersten Monate der französischen Opération Serval. Mitte 2013 geht die Zahl der Anschläge zurück. Mit Beginn der Operation lässt sich ein erneuter Anstieg feststellen. Gerade 2014 wurden zahlreiche Anschläge auf die UN-Friedensmission selbst verübt.[61] Ein Rückgang der Anschläge lässt sich bis Ende 2015 nicht beobachten; die Opferzahlen pro Anschlag nehmen seit 2013 zu (siehe Grafik 2 [nicht im Schattenblick veröffentlichte Abbildung der Originalpublikation:]).

Anhand der Datenbank lässt sich zumindest in dem kurzen Zeitraum von etwas mehr als zwei Jahren der MINUSMA-Mission kein nennenswerter Erfolg ablesen. Der UN-Sicherheitsrat muss dies ähnlich gesehen haben und verstärkte 2016 in der Resolution 2295 das proaktive Element:

"Fordert von der MINUSMA, eine proaktivere und robusteren Haltung bei der Ausübung ihres Mandats einzunehmen [....] die wichtigsten Ballungszentren zu sichern, wo Zivilisten gefährdet sind, vor allem in Nord- und Zentralmali, und im Hinblick darauf die Frühwarnung zu verstärken, Bedrohungen, auch asymmetrische, vorauszusehen, abzuschrecken und zu bekämpfen, sowie robuste und aktive Schritte zum Schutz der Zivilbevölkerung zu unternehmen, auch durch aktive und effektive Patrouillen in Gebieten, wo Zivilisten gefährdet sind, sowie die Rückkehr bewaffneter Gruppen in diese Gebiete zu verhindern, wobei direkte Operationen nur auf der Grundlage ernster und glaubwürdiger Bedrohungen erfolgen".[62]

Ob die Entwicklung hin zu offensiveren Einsätzen mit dem klaren Mandat, einzelne Akteure zu bekämpfen, eine zu wollende ist, erscheint nach unserer Analyse fraglich.


4. Fazit: Peacekeeping als Terrorismusbekämpfung - Es steht viel auf dem Spiel

Aufgrund der damit einhergehenden Gefahren, sowohl für die Blauhelmsoldat_innen, als auch für die Legitimität und das Ansehen des Instruments der Friedensmission überhaupt, hat das HIPPO-Panel vor Anti-Terror-Operationen unter einem Peacekeeping-Mandat ausdrücklich gewarnt. Eine weitere Militarisierung der UN kann nicht das Ziel sein und eine eigene "UN-Armee", wie von den Herausgebern und Herausgeberinnen des Friedensgutachtens gefordert, würde nichts an einer verfehlten Mandatierung durch den Sicherheitsrat ändern. Bei der hier vorgenommenen Betrachtung der Peacekeeping-Operationen, die auch der Terrorismusbekämpfung im weiteren Sinne dienen, lässt sich für die Zivilbevölkerung und auch für die Friedenstruppen selbst keine verbesserte Sicherheitssituation feststellen. Aus friedenspolitischer Sicht muss eine stärkere Betonung und finanzielle Unterstützung der präventiven Aspekte der viersäuligen UN Global Counter-Terrorism Strategy von 2006 gefordert werden. Insofern der kleine Ausschnitt eine Bewertung erlaubt, machen die vorhandenen Daten aus der GTD für die Fälle DR Kongo und Mali deutlich, dass ein gewaltsames Vorgehen allein nicht ausreicht, um dem Phänomen des Terrorismus beizukommen.


Anmerkungen

[1] Herausgeber und Herausgeberinnen des Friedensgutachtens (2016): Stellungnahme der Herausgeber und Herausgeberinnen: Aktuelle Entwicklungen und Empfehlungen. Online unter:
http://friedensgutachten.de/tl_files/friedensgutachten/pdf/fga2016/FGA%202016_Stellungnahme.pdf [Abrufdatum: 04.04.2017], S. 7.

[2] Vgl. z.B. Karlsrud, John (2015): UN Peace Operations and Counter-Terrorism - A Bridge Too Far? In: Global Peace Operations Review, 29.10.2015. Online unter:
http://peaceoperationsreview.org/thematic-essays/un-peace-operations-and-counter-terrorism-abridge-too-far/ [Abrufdatum: 04.04.2017].

[3] Vgl. Gareis, Sven Bernhard / Varwick, Johannes (2014): Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen. Bonn, S. 174; Götsch, Katharina (2011): Die UN und der 11. September 2001. In: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf die Staatenwelt und Gesellschaft, ZFAS Sonderheft 2, S. 476.

[4] Oertel, Janka (2007): Die Vereinten Nationen und die Bekämpfung des transnationalen Terrorismus. In: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel ISUK (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2006. Opladen, S. 231

[5] U.S. State Department (1972): State Bulletin of October 16. Online unter:
https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=umn.31951001228482v;view=1up;seq=499 [Abrufdatum: 04.04.2017], S. 431.

[6] UN Doc. (1972): A/RES/3034 (XXVII).

[7] Dugard, John (1973): International Terrorism: Problems of Definition. In: International Affairs 50 (1), S. 73.

[8] Vgl. UN Doc. (1972): A/RES/3034 (XXVII).

[9] Vgl. Behr, Hartmut (2004): Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrund transnationaler Herausforderungen. Zur Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen seit der Sicherheitsrats-Resolution 1373. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 11 (1), S. 30.

[10] UN-Doc. (2004): A/59/565, S. 49.

[11] UN-Doc. (2004): S/RES/1566, S.2.

[12] Ebd.

[13] Baumann, Marcel (2013): Schlechthin böse? Tötungslogik und moralische Legitimität von Terrorismus. Wiesbaden, S. 82 f.

[14] UN-Doc. (1992): S/RES/731, S. 1.

[15] UN-Doc. (2001): S/RES/1368, S. 1. Diese Formulierung wurde wiederholt als Blankocheck für den von den USA (an)geführten "war on terror" bezeichnet, vgl. Götsch (2011): Die UN und der 11. September 2001, S. 478. Auf diesen Aspekt kann hier nicht eingegangen werden.

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. UN-Doc. (2001): S/RES/1373. Dass die Maßnahmen in den Resolutionen 1267, 1373, 1540 zu weitreichend waren und selbst Menschenrechte und rechtsstaatliche Grundsätze verletzen, dies kritisiert Kreuder-Sonnen, Christian (2011): Der UN Sicherheitsrat als Diktator: Globale Terrorismusbekämpfung à la Carl Schmitt. In: Kocks, Alexander / et. al (Hrsg.): Terrorismusforschung in Deutschland. ZFAS Sonderheft 1, 231-258.

[18] Vgl. UN-Doc. (2006): A/RES/60/288, S. 5-9.

[19] Vgl. Karlrud, John (2016): Towards UN counter-terrorism operations? In: Third World Quarterly, DOI: 10.1080/01436597.2016.1268907, S. 3.

[20] UN-Doc. (2016): A/70/674, S. 21.

[21] AC UNEF (1957): 14 March 1957, supra note 5, 25 zitiert nach Fröhlich, Manuel (2014): The 'Suez story'. Dag Hammarskjold, the United Nations and the creation of UN peacekeeping. In: Stahn, Carsten / Melber, Henning (Hrsg.): Peace Diplomacy, Global Justice and International Agency. Rethinking Human Security and Ethics in the Spirit of Dag Hammarskjöld. Cambridge, S. 332.

[22] Übernommen aus Fröhlich, Manuel (2008): Political Ethics and the United Nations. Dag Hammarskjöld as Secretary-General. London / New York, S. 155. Aus dem Englischen übers. d. Autor.

[23] Vgl. Bellamy, Alex / Williams, Paul D. (2010): Understanding Peacekeeping. 2. erw. Auflage. Cambridge, S. 153-298.

[24] Vgl. Gareis / Varwick (2014): Die Vereinten Nationen, S. 126.

[25] UN-Doc. (2000): A/55/305, S/2000/809, S. 9

[26] Ebd.

[27] Ebd.

[28] Ebd.

[29] Vgl. DPKO / DFS (2010): United Nations Peacekeeping Operations. Principles and Guidelines. New York, S. 18.

[30] Vgl. Ebd., S. 19.

[31] Vgl. Aoi, Chiyuki / et al. (2017): Introduction: Addressing the emerging gap between concepts, doctrine and practice in UN peacekeeping operations. In: Aoi, Chiyuki / et al. (Hrsg.): UN Peacekeeping Doctrine in a New Era. Adopting to Stabilisation, Protection and New Threats. London / New York, S. 13.

[32] DPKO / DFS (2010): United Nations Peacekeeping Operations, S. 32.

[33] Ebd., S. 19.

[34] Vgl. Ebd., S. 18 f.

[35] Curran, David (2017): More than Fighting for Peace? Conflict Resolution, UN Peacekeeping, and the Role of Training Military Personnel. Cham, S. 56.

[36] Bei der Nennung der Konflikttypen wurde sich auf das Uppsala Conflict Data Program (UCDP) bezogen. Die Definitionen sind zu finden unter: http://www.pcr.uu.se/research/ucdp/definitions/. Die Frage, ob man von "Neuen Kriegen" sprechen kann, oder nicht, soll hier nicht behandelt werden.

[37] UN-Doc. (2015): A/70/95, S/S2015/446, S. 12.

[38] Vgl. Ebd., S. 45.

[39] Vgl. Abiola, Seun /et al. (2017): The large contributors and UN peacekeeping doctrine. In: Aoi, Chiyuki / et al. (Hrsg.): UN Peacekeeping Doctrine in a New Era. Adopting to Stabilisation, Protection and New Threats. London / New York, S. 152-154.

[40] Vgl. UN-Doc. (2014): A/68/787, S. 13 f.

[41] Vgl. UN-Doc. (2015): A/70/95, S/S2015/446, S. 45.

[42] Ebd., S. 46.

[43] Fleck, Dieter (2013): The legal status of personnel involved in United Nations peace operations. In: International Review of the Red Cross 95 (891/892), S. 614-617.

[44] Vgl. Fleck (2013) The legal status, S. 626 f.; Oswald, Bruce (2013): The Security Council and the Intervention Brigade. In: ASIL Insights 17 (15). Online unter:
https://www.asil.org/insights/volume/17/issue/15/security-council-and-intervention-brigadesome-legal-issues [Abrufdatum: 04.04.2017].

[45] Vgl. Gray, Christine (2016): The 2015 Report on Uniting Our Strengths for Peace: a New Framework for UN Peacekeeping? In: Chinese Journal of International Law 15 (1), S. 203-205.

[46] Vgl. United Nations Department of Public Information (2017): United Nations Peacekeeping Operations. Fact Sheet: 28 February 2017. Online unter:
https://www.un.org/en/peacekeeping/documents/bnotelatest.pdf [Abrufdatum: 04.04.2017].

[47] UN-Doc. (2013): S/RES/2098, S. 6.

[48] Vgl. ebd.

[49] Ebd, S. 7.

[50] Vgl. ebd., S. 5. Die hier berücksichtigten Gruppen sind Mai Mai Bakata Katanga und Mai Mai Simba.

[51] Vgl. National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism (START) (2016): Global Terrorism Database [Data file]. Online unter: https://www.start.umd.edu/gtd [Abrufdatum: 04.04.2017].

[52] Vgl. Kjeksrud, Stian / Vermeij, Lotte (2017): Protecting governments from insurgencies. The Democratic Republic of the Congo and Mali. In: Aoi, Chiyuki / et al. (Hrsg.): UN Peacekeeping Doctrine in a New Era. Adopting to Stabilisation, Protection and New Threats. London / New York, S. 228-231.

[53] Vgl. UN-Doc. (2017): S/RES/2348, S. 9.

[54] Vgl. UN-Doc. (2013): S/RES/2100, S. 2.

[55] Ebd., S. 9.

[56] Peter, Mateja (2015): Between Doctrine and Practice: The UN Peacekeeping Dilemma. In: Global Governance 21 (3), S. 355.

[57] Vgl. United Nations Department of Public Information (2017): United Nations Peacekeeping Operations.

[58] Vgl. Perito, Robert M. (2015): UN Peacekeeping in the Sahel. Overcoming New Challenges. In: USIP Special Report 365, Online unter:
https://www.usip.org/sites/default/files/SR365-UN-Peacekeeping-in-the-Sahel-Overcoming-new-Challenges.pdf [Abrufdatum: 04.04.2017], S. 6 f.

[59] Vgl. United Nations Peacekeeping (2017): Fatalities by Mission, Year and Incident Type. Up to 28 Feb 2017. Online unter:
https://www.un.org/en/peacekeeping/fatalities/documents/stats_4afeb.pdf [Abrufdatum: 04.04.2017].

[60] UN-Doc. (2013): S/RES/2100, S. 7.

[61] START (2016): Global Terrorism Database.

[62] UN-Doc. (2016): S/RES/2295, S. 7-8.


Dieser Artikel kann im Studien-Layout als PDF-File heruntergeladen werden unter:
http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2017-12-UN.pdf

*

Quelle:
IMI-Studie 2017/12 vom 9. August 2017
Robustes UN-Peacekeeping zur Terrorismusbekämpfung?
http://www.imi-online.de/2017/08/09/robustes-un-peacekeeping-zur-terrorismusbekaempfung/
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2017

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