IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkte 2016/010-013 vom 28. März 2016
Krieg beginnt hier und hier muss er auch beendet werden
Rede von Christoph Marischka am 28.3.2016 beim Ostermarsch Sachsen-Anhalt in Haldensleben
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich bin den weiten Weg aus Tübingen gekommen zu diesem Ostermarsch in Haldensleben und ich bin froh, hier zu sein. Ich bin froh, hier zu sein und ich bin auch nicht das erste mal hier, weil sich hier eine der wichtigsten Infrastrukturen der Bundeswehr als Armee im Einsatz befindet: Das Gefechtsübungszentrum, in dem die Soldaten des Heeres vor jedem Einsatz entsprechend des jeweiligen Auftrags und Kontextes ihre Übungen abhalten. Demenstprechend fließen hier auch Informationen über die Lage in den Einsatzländern, die verwendeten Taktiken und Kampfhandlungen zusammen, wie sie die Öffentlichkeit niemals zu sehen bekommen wird. Es handelt sich hier nicht bloß um einen Truppenübungsplatz, sondern auch um eine Art Lagezentrum, eine Akademie für Anpassung und Optimierung der Kriegführung in Echtzeit. Diese wird nicht nur von der Bundeswehr betrieben, sondern v.a. vom Rheinmetall-Konzern, der dieses Wissen und diese Technologie wiederum gewinnbringend exportiert. Wir haben es hier mit einer öffentlich-privaten Institution zur Schaffung und Verbreitung von Kriegs-Know-How zu tun. Und dagegen protestieren wir.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wir protestieren auch gegen eines, was hier überdeutlich wird: Während
bundesweit tausende Menschen in Turnhallen, alten Schlachthöfen und
Baumärkten untergebracht werden, wird hier eine riesige Geisterstadt
gebaut, um den Krieg zu üben. Jene Kriege, durch die auch in Afghanistan,
Syrien, Irak, Somalia und Mali Städte zu Geisterstädten wurden und werden.
Geisterstädte, in denen sich die Stellvertreter internationaler Mächte als
Milizionäre und oft auch Kindersoldaten in scheinbarer Endlosschleife
grausame, barbarisierte Schlachten liefern. Von hier aus werden diese
Kriege geführt, um "Handlungsfähigkeit" zu demonstrieren, um Regionalmächte
- wie den Iran - klein und afrikanische Regierungen in Abhängigkeit zu
halten. Von hier aus werden Kriege geführt um Zugang zu Öl, um Hegemonie
und um neue Waffensysteme zu demonstrieren. Von hier aus werden Kriege
geführt, um "Verantwortung" zu übernehmen, für eine stärkere Stimme im
Bündnis, für mehr Europa und eine noch stärkere Stellung Deutschlands in
Europa. Doch dort, wo diese Kriege geführt werden, destabilisieren und
desintegrieren sie die Gesellschaften, schaffen sie Armut, Not, Hunger,
Flucht, Verwundung, Verrohung und Tod. Trotz Drohnen, Tornados und
Marschflugkörpern war uns immer klar, dass diese Kriege uns nicht außen vor
lassen werden. Die Zeitung mit den vier großen Buchstaben brauchte erst die
Anschläge in Brüssel, um festzustellen "Wir sind im Krieg". Wir aber sagen
schon lange: Krieg beginnt hier und hier muss er auch beendet werden.
Wir sagen außerdem: Wir brauchen kein Geld für Kriegs-Übungsstädte,
sondern für eine angemessene, sichere Unterbringung der Flüchtlinge.
Während freihändig Geld für Rüstung ausgegeben wird, wird um einzelne
Tausender gefeilscht, die die Kommunen für Wohnungsbau und
Gesundheitsversorgung erhalten. Das sagt uns viel über den Staat, in dem
wir leben.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Im Juli tagt die NATO in Warschau und die deutsche Verteidigungsministerin
will bis dahin noch ihre Hausaufgaben machen. Sie gründet ein Cyber- und
Informationsraumkommando der Bundeswehr und erhöht kräftig deren Etat.
Schon zuvor hat sie erfolgreich die deutsch-niederländische Brigade als
Speerspitze der neuen NATO-Speerspitze angeboten und umfangreiche
Rüstungsprogramme - u.a. die Anmietung bewaffnungsfähiger Drohnen - auf den
Weg gebracht. Denn nicht nur nach Osten wird aufgerüstet, sondern auch nach
Süden. Ein neuer Militäreinsatz in Libyen bzw. Tunesien ist gerade in
Vorbereitung und der Einsatz in Mali wurde kräftig ausgeweitet. Das
Szenario dort erinnert an Afghanistan. Teile des Landes werden von
Sezessionisten und Islamisten kontrolliert und im Süden bildet die deutsche
Armee bereits seit 2013 malische Kämpfer aus, bevor diese in den umkämpften
Norden geschickt werden. Auch dort, im Norden, will sich die Bundeswehr
künftig mit Bodentruppen beteiligen, baut sie nun ihre Feldlager auf und
hat als erstes Sanitäter hingeschickt, um künftig verletzte
Bundeswehrsoldaten behandeln zu können.
Doch obwohl der Einsatz in Mali gegenwärtig zumindest für die Bundeswehr gefährlicher ist, als jener in Syrien, spricht von ihm hier niemand. Aus Mali kommen hier auch kaum Flüchtlinge an und wenn, werden sie als solche nicht anerkannt. Weniger als 2% der Asylanträge von Menschen aus Mali führten 2014 zu irgendeiner Form von Aufenthaltserlaubnis - obwohl, wie gesagt, die Bundeswehr nun dort kämpft, weil sich angeblich ein Großteil des Landes unter der Kontrolle von terroristischen Gruppierungen befindet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
es ist richtig, dass viel Flüchtlinge - gegenwärtig die meisten - aus
Ländern kommen, in denen Deutschland Krieg führt oder wo mit deutschen
Waffen gekämpft wird. Die meisten aber, die aus den zerstörten Städten
Afghanistans, des Iraks, Syriens, Somalias und Malis fliehen, kommen
niemals hier an und die meisten wollen das auch gar nicht. Die allermeisten
kommen in den Flüchtlingslagern innerhalb der Kriegsgebiete oder in den
Nachbarstaaten unter und es ist eine wirkliche Schande, dass einige
berichten, dass die Lage und Versorgung dort besser wäre, als hier in
Deutschland. Damit es zukünftig noch weniger schaffen, hier anzukommen, hat
die NATO ihre Flotte in die Ägäis beordert und die EU bereits im letzten
Jahr einen Marineeinsatz vor der libyschen Küste begonnen. Doch das sind
nur die spektakulären Spitzen einer globalen militarisierten Aufstands- und
Migrationsbekämpfung. Weltweit, v.a. aber entlang der Migrationsrouten aus
Zentralasien, von der Arabischen Halbinsel und dem gesamten afrikanischen
Kontinent sind NATO, die EU und Deutschland bereits seit Jahren dabei,
Militärs, Geheimdienste, Grenzpolizeien und Gendarmerien aufzubauen und
auszubilden, um Proteste, Aufstands- und Migrationsbewegungen zu
unterdrücken. Die Liste ist so lang, dass ich sie hier nicht einmal im
Ansatz umreißen kann, deshalb nur ein paar Schlaglichter:
• Mit einem Auftragswert von über 4 Mio. Euro führt die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) gegenwärtig ein Projekt zum Integrierten Grenzschutz mit dem saudischen Innenministerium durch. Bereits zuvor waren Bundespolizisten und Bundeswehrsoldaten dort, um saudische "Sicherheitskräfte" zur Überwachung der Grenze - u.a. zum Jemen und u.a. mit der deutschen Drohne Luna - auszubilden.
• In den zehn Jahren vor den Gezi-Protesten haben Bundeskriminalamt und Bundespolizei der Türkei in etwa 100 Workshops und Lehrgängen u.a. den Umgang mit neuester Überwachungstechnologie beigebracht und diese tw. umsonst geliefert. Deutschland unterstützte den Aufbau einer türkischen Bereitschaftspolizei und ließ diese u.a. die Einsätze deutscher Polizisten bei Castortransporten und Fußballspielen beobachten.
• Polizei und Armee wurden ebenso wie der Grenzschutz des Kosovo zu wesentlichen Teilen aus ehemaligen Kämpfern der UCK von der NATO und einer sog. EU-Rechtsstaatsmission aufgebaut und ausgebildet. Hubschrauber der NATO-Truppe KFOR begleiten dort bis heute Demonstrationen und bringen die Grenzschutzeinheiten zum Einsatz an die umstrittene Grenze zu Serbien.
• Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit führt gegenwärtig u.a. in Niger, Mauretanien, dem Tschad, der Demokratischen Republik Kongo, dem Südsudan, Burundi und der Côte d'Ivoire Maßnahmen zu Ausbildung und Ausrüstung der Polizei durch. Viele dieser Programme werden von EU-Missionen oder militärischen Kooperationsprogrammen flankiert.
• Deutschland beteiligt sich an einem EU-Einsatz zum Aufbau einer Gendarmerie im Niger mit dem Ziel, Terrorismus und illegalisierte Migration gleichermaßen besser bekämpfen zu können.
Und weltweit sind Verbindungsbeamte und Dokumentenberater der Bundespolizei im Einsatz, um das Migrationsgeschehen zu beobachten und die lokalen Sicherheitskräfte wie auch Privatunternehmen in ihre sog. Vorverlagerung des Grenzschutzes einzubinden - was eben auch heißt, u.a. Oppositionelle an der Ausreise zu hindern. Wir wollen, dass all diese Aufrüstungs- und Abschottungsmaßnahmen sofort beendet werden und wir fordern insbesondere von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit und dem übergeordneten BMZ, dass sie zu einer zivilen Entwicklungszusammenarbeit zurückfinden - sonst gehören sie als Schattenhaushalt des BMI und des Verteidigungsministeriums gleich aufgelöst.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wie gesagt, diese Liste der Aufrüstungs- und Abschottungsmaßnahmen ist sehr
sehr lange und zeigt v.a. eines: Wie sehr sich Deutschland in die
Angelegenheiten anderer Länder einmischt. Und das gilt nicht nur für die
jeweilige Grenzpolitik, das gilt ebenso für die Sicherheitspolitik
insgesamt sowie für die Wirtschafts- und Handelspolitik. Nur Regierungen,
die bereit sind, sich in allen diesen Feldern den Wünschen ihrer
internationalen Partner - meist der NATO-Staaten - zu beugen, haben eine
Chance, zu überleben. Wer Rücknahme- und Fischereiabkommen unterzeichnet,
ungebremst "Investoren" ins Land und Rohstoffe abbauen lässt, wer seinen
Partnern Militärbasen anbietet und dafür Waffen und Ausbildungshilfe für
Polizei und Militär erhält, der braucht keine Zustimmung mehr in der
Bevölkerung und muss keine Aufstände fürchten, denn der hat internationale
Unterstützung und kann die Opposition unterdrücken. Wer dies nicht tut, dem
droht der Regime Change - die militärische Intervention, der absichtlich
herbeigeführte Bankrott, der von außen induzierte oder zumindest geduldete
Putsch.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Alfred O. Hirschmann war kein Marxist, aber er hat in Deutschland,
Frankreich und Italien gegen die Nazis gekämpft. Er war ein Ökonom und hat
u.a. die Bindung von Konsument_innen an Unternehmen untersucht. Er hat eine
recht simple Theorie zur Unternehmensbindung aufgestellt und gesagt, wenn
ein Unternehmen keine guten Produkte mehr anbietet, dann haben die
Konsument_innen zwei Möglichkeiten: Entweder sie organisieren sich und
protestieren, oder sie wechseln zu einem anderen Unternehmen. Diese Theorie
hat er auch auf die Migration übertragen: Wenn ein Staat seinen Bürgern
nichts mehr bietet, keine Bildung, keine Sicherheit, keine Perspektive und
keine öffentlichen Güter, dann können diese Menschen sich organisieren und
protestieren und eine andere Politik herbeiführen - oder sie werden dieses
Land verlassen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
die imperiale Politik der NATO-Staaten und auch ihrer Gegenspieler lässt
aber keinen Raum mehr für eine andere Politik von Unten - das haben die
Ergebnisse des sog. Arabischen Frühlings überdeutlich gezeigt. Sie lässt im
Inneren wie im globalen Süden keine Spielräume mehr für öffentliche Güter,
Mobilität, Bildung und Gesundheitsversorgung. Sie verwandelt die Staaten
endgültig in repressive Sicherheitsapparate ohne inneren Legitimitätsdruck
und es ist kein Wunder, dass sich die Menschen dann auf den Weg machen. Das
ist eine internationale, geopolitisch herbeigeführte Krise der Demokratie.
Spätestens dann aber, wenn es kein Recht auf erfolgreichen Protest, auf
Veränderung der Politik mehr gibt, muss es ein Recht auf Bewegungsfreiheit
geben, denn das ist das einzige, was den Menschen noch übrig bleibt. Wir
müssen für dieses Recht kämpfen und dafür, dass aus diesem Recht auch
wieder eine Möglichkeit zum Protest, zur Veränderung von Unten wird. Und
dazu gehört es auch, diesem Militärapparat, der Ausbeutung von Mensch und
Natur, Abschottung und Aufstandsbekämpfung zum Inhalt hat, Einhalt zu
gebieten. Demokratisierung, die Chance zur Veränderung bedeutet Abrüstung
und das ist unser Ziel.
Ostermärsche 2016
Die Redebeiträge von Tobias Pflüger und Jacqueline Andres in München,
Mannheim und Nürnberg sind als Video- bzw. Audiobeiträge verfügbar.
IMI-Standpunkt 2016/010
Waffen gehören vernichtet und nicht exportiert
Rede von Tobias Pflüger am 26.3.2016 beim Ostermarsch in München
http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2016/03/stermarsch-muenchen-rede-von-tobias-pflueger/ [Video]
IMI-Standpunkt 2016/011
Soziale Gerechtigkeit statt Krieg!
Rede von Jacqueline Andres am 26.3.2016 beim Ostermarsch in Mannheim
https://www.freie-radios.net/75951 [Audio]
IMI-Standpunkt 2016/012
Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen
Rede von Tobias Pflüger am 28.3.2016 beim Ostermarsch in Nürnberg
http://imi-online.de/download/2016_Tobias_Ostermarsch_Rede_Nuernberg.mp3
[Audio]
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Quelle:
IMI-Standpunkte 2016/010-013 vom 28. März 2016
Krieg beginnt hier und hier muss er auch beendet werden
Rede von Christoph Marischka am 28.3.2016 beim Ostermarsch Sachsen-Anhalt in Haldensleben
http://www.imi-online.de/2016/03/30/ostermaersche-2016/
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Hechinger Str. 203, 72072 Tübingen
Tel.: 07071/49154, Fax: 07071/49159
E-Mail: imi@imi-online.de
Internet: www.imi-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2016
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