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GRASWURZELREVOLUTION/996: "Wir können Orte schaffen, an denen ein Stück Utopie gelebt werden kann"


graswurzelrevolution 338, April 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Wir können Orte schaffen, an denen ein Stück Utopie gelebt werden kann"

Nach der Räumung des Wald-Widerstandsdorfs gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens:
Perspektiven für den Widerstand. Ein Interview mit der Kletteraktivistin Franziska Wittig


Am 18. Februar 2009 wurde das seit dem 28. Mai 2008 bestehende Baum-Widerstandsdorf gegen den Flughafenausbau in Kelsterbach bei Frankfurt/M. von der Polizei geräumt (vgl. GWR 337). Die Graswurzelrevolution sprach mit der Kletteraktivistin Franziska Wittig über ihre Beweggründe, Erfahrungen, Erlebnisse und Perspektiven für den Widerstand. Franziska hat mehrere Monate im Widerstandsdorf gelebt und war bei der Räumung dabei. Am 8. November 2008 hat sie sich an der erfolgreichen 12-stündigen Castorblockade von Berg an der Grenze beteiligt (vgl. GWR 334).


GRASWURZELREVOLUTION: Warum habt ihr euch an der Waldbesetzung beteiligt?

FRANZISKA WITTIG: Mich hat das Thema angesprochen. Umweltthemen finde ich wichtig - in Kelsterbach ging es sowohl um Klimawandel als auch um Wald- und Naturerhaltung. Dabei wurde sichtbar, wie die FRAPORTAG mit massiver Unterstützung des Staates die Menschen in der Region verarscht hat. Uralte Verträge wurden plötzlich für nichtig erklärt. Ein als für das Gemeinwohl unersetzlich definierter Bannwald konnte auf einmal problemlos vernichtet werden.

Also war unser Protest auch verbunden mit starker Systemkritik. Anarchistische Ansätze waren im Widerstandsdorf genauso zu finden wie ökologische Nachhaltigkeit. Für mich war das alles relativ neu. Mich hat das Miteinander fasziniert. Leute, die von außen vielleicht als Hippies, Punks oder Ökos wahrgenommen wurden, waren genauso zu finden wie Menschen aus der Region, die teilweise sogar von der Besetzung aus weiter arbeiten gingen. Langzeitaktivisten, Aussteiger und spontan neugierig Gewordene trafen aufeinander. Das hat mir gefallen. Deshalb bin ich im Sommer eingezogen.

GRASWURZELREVOLUTION: Warst du mit oder ohne "Label" (wie Robin Wood) dabei?

FRANZISKA WITTIG: Ich bin Mitglied von verschiedenen Organisationen, teile aber auch manche Kritik an deren Struktur und Arbeitsweisen. Beim Leben im Widerstandsdorf hat für mich die Zugehörigkeit zu irgendwelchen Organisationen keine Rolle gespielt. Dass dann zwei Baumbesetzungen, die vom Camp ausgingen, als Robin Wood-Aktionen gelaufen sind, fand ich schön - ich hätte die Aktionen aber ohne Label genauso gemacht.

GRASWURZELREVOLUTION: Was war besonders prägend? Warum?

FRANZISKA WITTIG: Es gab vieles, was ich lange in Erinnerung behalten möchte. z.B. gab es eine Plattform auf einem Kastanienbaum, den ich geliebt habe. Er hatte viele Zwiesel, also Gabelungen, außerdem einige Äste, die genau richtig schienen, um darauf herumzusitzen und auszuruhen. Von der Plattform aus ging im Sommer der Blick nach unten auf ein Meer von Grün - beim Aufstieg wurde es hingegen immer heller. Im Winter war dann der Blick fast frei bis zum See. Dort war ich gerne für mich allein.

Doch gerade auch die Gemeinschaft war toll. Nahezu jeder von uns hat beispielsweise einmal an der Liselotte-Meier-Plattform mitgebaut. Viele Dinge wurden geteilt, z.B. die Klamotten aus der Kleiderkammer. Es war ein gutes Gefühl, nicht mehr nur für mich alleine herumzuwurschteln, sondern in einer Gemeinschaft zu leben und gemeinsame Ziele zu haben. Und manchmal auch, einfach nur gemeinsam zu essen oder am Lagerfeuer zu sitzen.

GRASWURZELREVOLUTION: Wie hast du die Räumung erlebt?

FRANZISKA WITTIG: Obwohl lange vorher klar war, dass die Räumung kommen würde, war es dann letztendlich doch viel zu plötzlich. Wir hatten uns seit Wochen, wenn nicht sogar Monaten angewöhnt, ständig damit zu rechnen - doch genau an diesem Tag rechnete kaum jemand damit.

Ich schlief im Baumhaus und wurde morgens davon wach, dass neben mir jemand rief: "Das ist wirklich die Räumung!" - wie alle anderen konnte ich es zuerst nicht glauben, doch es war schon Polizei im Camp. Eigentlich wollte ich möglichst viel herumklettern - von Baum zu Baum - in irgendwelche Kronen - egal - Hauptsache davon. Doch mein Klettermaterial war unvollständig, da mir mein eigenes bei Baumbesetzungen abgenommen worden war.

Dann hörte ich auch schon, dass die Polizei bereits unsere Seile und Verbindungswege durchgeschnitten hätte. Ziemlich schnell wurde klar, dass die Räumung kürzer dauern würde, als wir gedacht hätten.

Wir saßen also zu fünft im Baumhaus, bekamen mit, dass bereits Hebebühnen im Anmarsch waren und dass wir keine anderen Bäume mehr erreichen würden. Unter anderem deshalb beschlossen vier von uns ganz spontan sich festzuketten. Ich und die Person neben mir machten uns in einem Lock-On unter dem Baumhausboden, auf dem wir lagen, fest. Die beiden anderen umarmten gemeinsam den dicken Baumstamm, der durch das Baumhaus ging. Trotzdem hatte die Polizei uns bereits am frühen Nachmittag am Boden.

Die technischen Einheiten hatten zügig und effektiv gearbeitet - dabei aber wenig Rücksicht auf unsere Sicherheit genommen. Beispielsweise wurde eines der Armrohre der beiden anderen durchgeflext, ohne dass es ausreichenden Schutz gegen Funkenflug gab. Schutzbrillen oder Schienen, die zum Schutz der Hände in das Armrohr eingeführt werden konnten, wurden komplett verweigert. Da zuvor die Baumhauswand entfernt wurde, um an das Rohr heranzukommen, bestand eine der beiden Personen darauf, gesichert zu werden - dies passierte ebenfalls nicht.

Unten waren dann überall Polizeibeamte, die uns bewachten, Dinge beschlagnahmten, unser Zuhause auseinander nahmen oder dieses ihr ihre Zwecke nutzten. An unseren Tischen wurden dann Aufenthaltverbote unterschrieben und in der Hütte der Bürgerinitiativen Leute eingesperrt.

Wirklich schlimm war vor allem der Verlust unseres Zuhauses. Als die Polizei uns wegbrachte, stand das Camp noch so, wie wir es kannten, und als wir aus dem Gewahrsam entlassen worden waren, war alles eingerissen: unsere Hütten und Baumhäuser gefällt und von Baggern niedergerissen, mit Schaufelladern zusammengeschoben. Inzwischen wurde angeblich alles zu unbekannten Mülldeponien abtransportiert. Vom Camp ist kaum mehr etwas zu sehen, unsere Spuren sind wie ausgelöscht.

GRASWURZELREVOLUTION: Wie geht es weiter?

FRANZISKA WITTIG: Auch wenn nun nach der Räumung der Abschnitt des intensiven Im-Wald-leben vorbei ist, geht unser Widerstand trotzdem weiter. Bereits wenige Tage nach der Räumung wurde für einige Stunden ein leerstehendes Haus auf der Fläche der geplanten Landebahn unter dem Motto "Lebensqualität durchsetzen" besetzt. Auch in Zukunft wird es Aktionen gegen den Flughafenausbau geben. Wer Lust hat, sich zu beteiligen, ist jederzeit eingeladen, an der Mahnwache im Wald vorbeizuschauen. Auch auf unserer Website (1) gibt es Infos.

Viele von uns werden sich in den nächsten Monaten auch wieder mehr Zeit für andere Themen nehmen. Ich möchte mich beispielsweise im Frühjahr verstärkt auf das Thema Gentechnik konzentrieren. Das ist nämlich auch so ein Thema, das mich richtig wütend macht - die Technologie selbst, aber auch die Gesetzgebung dahinter, die die Patentierbarkeit von Pflanzen überhaupt erst möglich macht. Doch bleibt dies im Grunde ein ähnlicher Kampf gegen die selbe Logik, die den Menschen eintrichtert, dass es legitim sei, auf Kosten anderer Gewinn zu machen.

Und überall dort, wo wir versuchen, etwas zu verändern, können Orte geschaffen werden, an denen Systemkritik erfahrbar wird und wo vielleicht ein kleines Stück Utopie gelebt werden kann.

Interview: Eichhörnchen


(1) www.waldbesetzung.blogsport.de


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Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 338, April 2009, S. 4
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint 10 Mal im Jahr.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2009