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GRASWURZELREVOLUTION/1867: Klimakiller stoppen!


graswurzelrevolution 438, April 2019
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Klimakiller stoppen!

RWE versucht, die Klimagerechtigkeitsbewegung einzuschüchtern.
Unsere Antwort: Laut bleiben - We don't shut up!

von Kampagne WeDontShutUp


Die Morgendämmerung setzt gerade ein. als eine kleine Gruppe von Aktivist*innen auf das Betriebsgelände des Braunkohlekraftwerks Weisweiler zwischen Köln und Aachen läuft. Sie bringen die Kohleförderbänder zum Stillstand. errichten ein bekletterbares Dreibein auf der Kohle-Förderanlage und ketten sich mit Lock-Ons auf der Anlage fest. Zeitgleich klettern an einer anderen Stelle auf dem Kraftwerksgelände Menschen in den Kohleverladekran, wodurch im gesamten Kraftwerk die Bänder gestoppt werden müssen. Die Kohleförderbänder sind die Lebensadern des Kraftwerks. Über sie wird von den Kohlebunkern die Kohle direkt zur Verbrennung ins Kraftwerk geleitet. Werden sie zum Stillstand gebracht, dauert es nicht lange bis das Kraftwerk heruntergefahren werden muss. Das Kraftwerk Weisweiler. auf der Liste der größten (CO2-Schleudern Europas auf Platz fünf, stand an diesem Tag für mehrere Stunden nahezu komplett still. Erst nachdem es der Technischen Einheit der Polizei gelungen war, die aufwändigen Blockade-Konstruktionen zu räumen, konnte das Kraftwerk wieder anlaufen.


Um sich durch Repression nicht ihre Handlungsfähigkeit nehmen zu lassen weigerten sich die Aktivist*innen ihre Personalien anzugeben und erschwerten die erkennungsdienstliche Behandlung. Letztendlich konnte nur ein Teil der Aktivist*innen identifiziert werden.

Heute sehen diese sich mit einer Schadensersatzklage durch RWE konfrontiert. Eine Repressions-Maßnahme, auf die der Energiekonzern in diesem Ausmaß zum ersten Mal zurückgreift.

Außerdem wird ihnen Störung öffentlicher Betriebe, Widerstand und Hausfriedensbruch vorgeworfen. Neben fünf Aktivist*innen wird auch von einem Journalisten Schadensersatz gefordert, der die Aktion zur Berichterstattung begleitete. Ein klarer Versuch die Pressefreiheit einzuschränken.

Aktive Schadensbegrenzung

Der durch den Ausfall entstandene wirtschaftliche Schaden wird von RWE auf etwas mehr als zwei Millionen Euro veranschlagt, die sich der Konzern nun von den identifizierten Aktivist*innen einklagen möchte. Um diesen Prozess zu begleiten, hat sich die Kampagne WeDontShutUp gegründet.

Aus unserer Perspektive konnte ein kleiner Teil des Schadens verhindert werden, der durch die Verstromung von Kohle überall auf der Welt angerichtet wird. Wir verstehen die Aktion als aktive Schadensbegrenzung. 27.000 Tonnen CO2 wurden durch die Blockade nicht ausgestoßen. Das entspricht dem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 2400 Menschen in Deutschland oder 270.000 Menschen in Äthopien in einem Jahr. 11,6 Tonnen CO2 stößt ein Mensch in Deutschland durchschnittlich im Jahr aus. In Äthopien sind es 0,1 Tonnen. Wie viele Länder im Globalen Süden gehört auch Äthopien - trotz des eigenen verschwindend geringen Anteils an der Klimakrise - zu einem der Länder mit den drastischsten Auswirkungen. Die Aktion steht in Solidarität mit den Menschen die direkt von diesem neokolonialen und ungerechten Machtverhältniss zwischen Globalem Süden und Globalem Norden betroffen sind.

Klagend schreiten sie voran

Für RWE dürfte klar sein, dass sie, selbst wenn ihre Klage Erfolg hat, nicht darauf hoffen können, dass ihren Geldforderungen Folge geleistet wird. Sie wissen, dass bei den angeklagten Aktivst*innen keine zwei Millionen Euro zu holen sind und diese lieber unter der Pfändungsgrenze leben werden, als RWE Geld zu geben. Deshalb hat die Schadensersatzklage ausschließlich den Charakter einer Einschüchterungsmaßnahme. RWE will die vielzähligen ungehorsamen und direkten Aktionen im Revier eindämmen.

Auch auf strafrechtlicher Ebene wird der Ton rauer. In einem haarsträubenden Schauprozess wurde die Hambacher-Wald-Aktivistin Eule zu neun Monaten Haft verurteilt (vgl. GWR 437). Der Richter machte von Anfang an keinen Hehl daraus, dass sich das Urteil nicht nur gegen Eule richtet, sondern damit die gesamte Waldbesetzung abgestraft und abgeschreckt werden soll.

Wir sind uns sicher, dass es trotz der Aussicht auf Schadensersatzforderungen und weitere Freiheitsstrafen auch weiterhin Aktionen geben wird, die direkt in die Kohleverstromung eingreifen und die Maschinerie zum Stillstand bringen. Ein Beispiel dafür ist die Aktion #Niederausmachen, bei der im Herbst 2018 vergleichbar mit WeShutDown ein weiteres Braunkohlekraftwerk (Niederaußem) von der Kohlezufuhr getrennt wurde. Während die Räumung des Hambacher Walds im vollen Gang war, wurden dafür Technische Einheiten der Polizei an einem anderen Ort gebunden. Diesmal gelang es nicht, die Personalien der beteiligten Aktivist*innen festzustellen.

Never trust a COP

Zeitgleich zur Aktion in Weisweiler fand in Bonn die COP23 (Conference of the Parties), die Klimakonferenz der Vereinten Nationen, statt. Wie auch in den Jahren zuvor, drehte sich das große Palaver der anwesenden Klimadiplomat*innen um marktbasierte und rein technische "Lösungsansätze". Allein die Tatsache, dass die globalen CO2-Emissionen nach wie vor weiter steigen, entlarvt den Mythos, der Klimawandel wäre durch marktbasierte Ansätze, wie den Emissionshandel zu bändigen. Auch Technikgläubigkeit und die Hoffnung, dass die "Green-economy" den Karren aus dem Dreck zieht, verspricht keine Lösung. Danach sollen Emissionen in erster Linie durch effizienteren Umgang mit Ressourcen eingespart werden - unter Beibehaltung des kapitalistischen Normalzustands. Von Aktivist*innen wird die Antwort darauf unermüdlich wiederholt: "Auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben". Nichts deutet zur Zeit darauf hin, dass der sogenannte grüne Umbau innerhalb kapitalistischer Verhältnisse stattfinden kann. Die Machtverhältnisse innerhalb der kapitalistischen Ordnung werden weiterhin dafür sorgen, dass beispielsweise die deutsche Autoindustrie fröhlich die größten Kutschen mit Verbrennungsmotor produziert und Deutschland Kohleweltmeister bleiben darf.

Und die Kohlekomission?

Angeblich haben sich nun seit dem Zeitpunkt der Aktion in Weisweiler die politischen Begebenheiten in Deutschland grundlegend verändert. Ist es nicht so, dass inzwischen ein Kohleausstieg in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess demokratisch erarbeitet wurde und beschlossene Sache ist? Hat die sogenannte Kohlekommission (eigentlich "Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung") nicht alle Akteur*innen gleichberechtigt miteinbezogen und legt jetzt einen konsensfähigen Kompromiss vor?

Die Klimagerechtigkeitsbewegung hatte keinerlei Erwartungen an die Verhandlungen der "Kohlekommission". Von Anfang an war klar; dass es eigentlich darum ging, einen Konflikt zu befrieden, der den der "Kohlekommission". Von Anfang an war klar; dass es eigentlich darum ging, einen Konflikt zu befrieden, der den Herrschenden über den Kopf zu wachsen drohte. Der Bewegung ist es in jahrelanger politischer Arbeit gelungen, zu einer ernsthaften Gefahr für die Kohleindustrie und ihre politischen Erfüllungsgehilf*innen zu werden. Kohleausstieg, ein Schlagwort, das noch vor einigen Jahren vor allem auf Desinteresse gestoßen ist, ist heute fester Teil öffentlicher Diskurse. Der erfolgreiche Kampf um die letzte Rodungssaison im Hambacher Wald hat gezeigt, dass auch radikale Positionen inzwischen Unterstützung aus der breiten Gesellschaft erfahren. In dieser Situation blieb den Herrschenden nicht viel mehr, als dafür zu sorgen, dass in einem vermeintlich demokratischen Prozess ein fauler Kompromiss erarbeitet wird. Die großen Umweltverbände haben dabei ihre Rolle ausgefüllt und waren sich nicht zu schade, diesem Desaster-Plan die notwendige Rechtfertigung zu liefern, obwohl viele ihrer Basismitglieder damit nicht einverstanden waren. Jetzt kann zumindest behauptet werden, dass 2038 als endgültiges Ende der Kohle auch von denjenigen getragen wird, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung für die Belange der Umwelt einsetzen.

Für die Menschen, die weltweit vom Klimawandel betroffen sind, ist der sogenannte Kohle-Kompromiss vor allem ein Schlag ins Gesicht. Auch hier gilt: Diejenigen, die aufgrund globaler Machtverhältnisse und geographischer Gegebenheiten am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, hatten keinerlei Möglichkeiten der Einflussnahme, während den größten Verursachern, wie RWE, bereitwillig Mitspracherecht gewährt wurde, Für die Entschädigung von RWE und den Strukturwandel im Revier sind Milliarden vorgesehen. Entschädigungszahlungen an diejenigen, deren Lebensgrundlagen von Wetterextremen oder ansteigendem Meeresspiegel zerstört werden, standen hingegen nicht einmal zur Debatte.

In Bewegung bleiben

Es ist an uns als Bewegung, den faulen Kompromiss der Kohlekomission zurückzuweisen und zu delegitimieren. Im Moment deutet nichts darauf hin, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung sich einhegen lässt und ab sofort darauf hofft, dass die Regierung den Klimaschutz in die Hand nimmt. Im Gegenteil, in einer hohen Frequenz gründen sich neue Klimagerechtigkeits-Gruppen und Ende-Gelände-Ortsgruppen. Mit Fridays for Future. Parents for Future und Xtinction Rebellion haben neue Bewegungs-Akteur*innen die Bühne betreten (vgl. GWR 437). Es bleibt spannend, wie sich diese in der nächsten Zeit entwickeln werden.

Auch im rheinischen Braunkohlerevier formiert sich weiter der Widerstand. Lange bestand dort der Eindruck, dass die Betroffenen in den Dörfern, die abgebaggert werden sollen, resigniert seien. Zwar war bei vielen Menschen die Wut auf die Willkür von RWE und Staatvertreter*innen zu spüren, allerdings schienen die Möglichkeiten zur Veränderung aufgrund der vermeintlich klar abgesteckten Machtverhältnisse im Kohlerevier zu gering. Vermutlich ermutigt durch die neusten Entwicklungen rund um den Hambacher Wald und die Erfahrung, wie viel Aufmerksamkeit und Solidarität Bewegungen erfahren können, regt sich hier erneut der Widerstandsgeist. Immer mehr Bewohner*innen beginnen, sich zusammen mit Menschen aus den Klimagerechtigkeits-Gruppen der Städte zu organisieren. Am 23. März gab es einen großen Sternmarsch, bei dem sich viele Menschen symbolisch der Zerstörung entgegenstellten.

Eine Stärke der Klimagerechtigkeitsbewegung war von Anfang an, unterschiedlich Akteur*innen zu mobilisieren und ein weites Spektrum unterschiedlicher Aktionsformen zu entfalten, das vielen verschiedenen Menschen eine Beteiligungsmöglichkeit bietet. Die langjährige Erfahrung aus dem Wendland hat gezeigt: Eine breite Mobilisierung, die verschiedenen Aktionsformen nebeneinander einen Raum gewährt, macht den Widerstand unkontrollier- und unberechenbar.

Koordinierte Kleingruppenaktionen, wie die Blockade im Kraftwerk Weisweiler, betten sich in eine breite Aktionschoreographie ein. Sie sind wichtig, da sie in der Lage sind, einen direkten Effekt zu erzielen. Sie sind ein starkes Zeichen, das die Dringlichkeit des Klimawandels zum Ausdruck bringt und haben bei guter Vorbereitung eine empowernde Wirkung auf die Beteiligten. Da sie die staatlichen Zugeständnisse an legalem Protest ignorieren, taugen sie außerdem dazu, eine weitreichendere Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu üben.

Die transportierte Aussage ist klar: "Eure Gesetze haben für uns keine Relevanz, sie sichern die Zerstörung der Lebensgrundlagen ab."

Die Kampagne WeDontShutUp

Weitere Infos:
www.wedontshutup.org

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Quelle:
graswurzelrevolution, 48. Jahrgang, Nr. 438, April 2019
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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Internet: www.graswurzel.net
 
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Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2019

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