graswurzelrevolution Nr. 426, Februar 2018
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft
Neoliberal und rassistisch
Die rechtsautoritären Pläne der österreichischen Regierung
von Anja Svobodovna
Das Ergebnis der 26. Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 in Österreich ist aus emanzipatorischer und antirassistischer Sicht eine Katastrophe (vgl. GWR 423, S. 2). Die rechtskonservative ÖVP hatte im Wahlkampf Positionen der extrem rechten FPÖ übernommen und bekam 31,5% der abgegebenen Stimmen. Die rechtsnationalistische FPÖ bekam 26% und hat nun mit der ÖVP eine Regierung gebildet. Das 183-seitige Regierungsprogramm der Rechtskoalition unter Kanzler Kurz beleuchtet für die GWR Anja Svobodovna. (GWR-Red.)
Rechtsextreme Rhetorik à la Innenminister Kickl, der behauptet,
dass "diejenigen, die in ein Asylverfahren eintreten, auch
entsprechend konzentriert an einem Ort zu halten"(1) seien, ist
bereits in den ersten Wochen eine Konstante in der neu angelobten
ÖVP/FPÖ-Regierungskoalition in Österreich. Das seit Mitte Dezember
2017 veröffentlichte Regierungsprogramm(2) zeigt die ideologische
Basis der Politik, auf welcher solche Rhetorik gedeiht. Es gibt einen
ersten Ausblick auf die zu erwartende Realisierung in den nächsten
Jahren.
In den mit leeren Schlagwörtern betitelten Kapiteln 'Staat und
Europa', 'Ordnung und Sicherheit', 'Zukunft und Gesellschaft',
'Fairness und Gerechtigkeit' und 'Standort und Nachhaltigkeit'
präsentiert die Regierung ihren Schritt-für-Schritt-Plan hin zu ihrem
rechtsautoritären Staat.
So diffus diese Bereiche auch klingen mögen, die Inhalte sind
klassisch eine Mischung aus neoliberal-kapitalistischem und
rechts-autoritärem Lehrbuch.
Dieser Artikel versucht, einen detaillierteren Überblick über das herrschende Grundprinzip zu verschaffen: Steuersenkungen für Konzerne auf Kosten von Sozialausgaben, legitimiert durch rassistische Hetze und begleitet von Repression.
Die wichtigsten Komponenten des wirtschaftspolitischen Programms sind ein klares Bekenntnis zur EU, zu transnationalen Handelsabkommen (inkl. CETA und TTIP) und Maßnahmen zur sogenannten Steigerung der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit in den Bereichen Steuer-, Bau- und Mietrecht. Das bedeutet konkret einerseits Steuersenkungen für Unternehmen durch die Reduktion der Abgaben- und Körperschaftssteuer, andererseits 'Marktkonformität' von Mietpreisen, welche auf Lasten besonders von sozial schwächeren Mieter*innen gehen.
Der Zugang zu geförderten Gemeindewohnungen wird erschwert: Eine
durchgängig fünfjährige Meldung ist für den Antrag erforderlich, was
die Situation besonders für Neuzugezogene erschwert. Bei einmaligem
Verlust der Wohnung droht der Verlust des Rechts auf einen erneuten
Antrag. Zudem soll die Anhebung des Mietzinses möglich sein, wenn nach
regelmäßiger Evaluierung von Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnbau
festgestellt wird, dass bestimmten Kriterien nicht mehr entsprochen
wird.
'Anpassungen der Mieten an Marktpreise', auch in Vierteln, in denen
die Mietpreiserhöhungen bis jetzt nicht erlaubt waren. 'Marktkonforme
Mietzinsbildung' bei Neubauten und Generalsanierungen.
Familienmitglieder können Mietverträge zu ähnlichen Konditionen nach
dem Tod des Mieters oder der Mieterin nur noch unter beschränkten
Konditionen übernehmen. Diese sogenannte Bekämpfung des "Mietadels"
erlaubt somit Mietpreiserhöhungen z.B. bei einem Sterbefall.
Förderungen für Eigentumswohnungen und somit für jene, die sich
Eigentumswohnungen leisten können.
Kürzere Mietverträge als drei Jahre sollen möglich werden.
Der starke Zusammenhang zu den Wahlkampfspenden von Großindustriellen,
insbesondere von Immobiliengesellschaften, ist unübersehbar.
Forderungen der Industriellenvereinigung an die Regierungsparteien
wurden teilweise wortwörtlich in das Regierungsprogramm
übernommen.(3)
Unter dem Verweis auf 'Freiheit' wird der Begriff der Freiheit als
'Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben' durch eine Freiheit als
'Marktfreiheit' ersetzt. Motto: "Wir sind Weltmeister im Regulieren
und im Einschränken von Freiheit und Selbstverantwortung."
Das neoliberale Argument, gespeist von den klassischen Verweisen auf
ein proklamiertes Ausufern von "Sozialschmarotzertum", führt zu den im
Folgenden beschriebenen Kürzungen des Sozial- und Gesundheitssystems.
Die wichtigsten Einschnitte verteilen sich über die Bereiche Arbeit,
Gesundheit und Bildung. Sie beinhalten massive Kürzungen von
Sozialleistungen und die Beschneidung von Rechten. Der Argumentation
der Regierung nach sollen diese Kürzungen durch Steuerverbesserungen,
z.B. Senkung der Einkommenssteuer, ausgeglichen werden. Jedoch kommen
diese Steuerverbesserungen nicht allen Menschen zugute, welche von den
Kürzungen betroffen sind. Von Armut Betroffene und Personen mit
prekärem, legalem Status sind disproportional von den
Verschlechterungen betroffen.
Im Folgenden liste ich die wichtigsten Teilaspekte auf.
Einführung des Zwölfstundentags / der Sechzigstundenwoche. Die
geplanten Änderungen sind erstmal auf freiwilliger Basis
geplant.
Arbeitslosengeld NEU und Mindestsicherung: Die Notstandshilfe, welche
bisher nach dem Arbeitslosengeld griff und Menschen nicht auf die
niedrigere Mindestsicherung absinken ließ, wird mit der
Mindestsicherung zusammengelegt, welche zugleich gekürzt wird. Nach
dem Verlust des Arbeitslosengeldes (nach einem Jahr) muss auf die
Mindestsicherung umgestiegen werden. Um diese beziehen zu können,
müssen zudem alle Vermögen bis auf 4000 Euro aufgebraucht sein. Das
gesamte Haushaltseinkommen darf inklusive der Mindestsicherung 1500
Euro nicht überschreiten (ungeachtet der Anzahl der Kinder).
Zudem sind Verschärfungen für Richtlinien darüber, welche Arbeit bei
Arbeitslosigkeit angenommen werden muss, geplant. Bei mangelnder
Teilnahme an Kursen des Arbeitsmarktservice soll eine Person
verpflichtet werden können, gemeinnützige Arbeit zu leisten, um die
Mindestsicherung nicht zu verlieren.(4)
Streichung der Aktion 20.000: Der staatliche Mechanismus zur Schaffung
von gemeinnützig wertvollen Arbeitsplätzen, welche an über 50-Jährige
mit Schwierigkeiten Arbeit zu finden, gegeben werden, wird gestrichen.
Diese Änderung wurde bereits endgültig beschlossen.
"Bekämpfung von Sozialmissbrauch" auch im Bereich Gesundheit, z.B.
durch Präventionen von E-Card-Missbrauch.
"Medizinische und soziale Beratung vor geplanten
Schwangerschaftsabbrüchen" wird angestrebt, was einen massiven
Rückschritt des Rechts auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper
von Frauen darstellt.
Stopp des von der letzten Regierung für 2018 geplanten
Nichtraucher*innengesetzes.
Wiedereinführung von Studiengebühren (welche nachträglich steuerlich
absetzbar sind, sofern Personen regulärer Arbeit innerhalb Österreichs
nachgehen sollten).
Massive Beschneidung der Rechte der Österreichischen
Hochschüler*innenschaft (ÖH): Änderungen sollen nur noch Beratung und
Interessensvertretung von Studierenden, statt wie bisher politische
Arbeit und breite Interessensvertretung ermöglichen.
Wiedereinführung von Ziffernnoten in Volksschulen.
Stärkerer Fokus auf "Wertevermittlung" in Kindergärten, fokussiert auf
"islamische Kindergärten", welche "in letzter Konsequenz bei
Nichterfüllung" der vorgegebenen Werte geschlossen werden
sollen.(5)
Kürzung von Familienbeihilfe für nicht in Österreich lebende
Kinder.
Erneut wurde argumentiert, dass der neu vorgeschlagene "Familienbonus"
die Kürzungen ausgleichen soll. Dieser kommt jedoch hauptsächlich
besserverdienenden Familien zu Gute und bringt kaum Zuschüsse für
ärmere Familien.
Quer durch alle Kapitel des Regierungsprogramms ziehen sich die
Begriffe Migration, Sicherheit, Terrorismus wie ein roter Faden, mit
dem die oben angeführten Änderungen als notwendig dargestellt werden.
Zusätzlich zu der Verfestigung des rassistischen Feindbildes, sind
auch viele konkrete Änderungen im Asyl- und Migrationsbereich geplant,
welche Grundrechte von Personen im und nach dem Asylverfahren
grundlegend zertrümmern:
Bei Asylantragstellung Abnahme von Bargeld (für die "Deckung der
Grundversorgungskosten") und Handy ("zur Erhebung der Reiseroute und
bei Unklarheit von Identität"). Während des Asylverfahrens nur noch
Sachleistungen statt bisherigem 40 Euro-Taschengeld.
Durch die Einführung der Mindestsicherung Light (greift, wenn nicht
fünf der letzen sechs Jahre in Österreich verbracht wurden), erhalten
anerkannte Geflüchtete nur noch 365 Euro im Monat.
Da das Haushaltseinkommen inklusive der Mindestsicherung 1500 Euro
nicht überschreiten darf, um diese beanspruchen zu können, sind
besonders Familien mit vielen Kindern betroffen.
Die Unterkunft während des Asylverfahrens in Privatunterkünften soll
verboten werden. Stattdessen soll die eingangs zitierte
"konzentrierte" Unterbringung z.B. in Kasernen mit Ausgangssperre und
Lagern in weniger besiedelten Gebieten wie z.B. am Stadtrand, als
potentielle Optionen präsentiert werden.(6)
Gemeinnützige Arbeit für Personen im Asylverfahren soll verboten
werden, da keine "integrationsfördernden Maßnahmen" gesetzt werden
sollen.
Die Konsequenzen für Personen im Asylverfahren sind dramatisch, die
Vorschläge sind entwürdigend. Die Teilnahme an sozialem Leben wird de
facto verunmöglicht.
Die rassistische Argumentationslinie findet sich auch im letzten
fundamentalen Teil der vorgeschlagenen Neuerungen.
Durch die Beschwörung von terroristischer Gefahr wird die Beschneidung
von Datenschutz und stärkere Überwachung durch z.B. höheren
Datenaustausch legitimiert.
Der Ausbau elektronischer Überwachung (durch z.B.
Gesichtsfelderkennun),
Bundestrojaner zum Auslesen von Smartphones, Chats etc.
"Individualisierungspflicht" von IP-Adressen und Speicherung von Daten
vereinfacht,
Digitale Überprüfung von Personen, die einen Asylantrag stellen,
Ausbau von Befugnissen zur Datenübermittlung zwischen Behörden.
Zudem ist es besorgniserregend, dass alle Ressorts mit Kompetenzen zur
Überwachung von FPÖ nominierten Minister*innen geleitet werden und
somit auch Bundesheer, Polizei und Bundeskriminalamt, sowie
Verfassungsschutz und alle Geheimdienste unter dem Kommando einer
extrem rechten Partei stehen.(7)
Die Liste an Plänen im Regierungsprogramm ist lang. Entsprechende
Beschlüsse werden bereits gefällt oder zumindest medial vorbereitet.
Selbst wenn einige der geplanten Änderungen in Konflikt mit (noch)
geltenden Gesetzen und Richtlinien stehen, scheint das ihrer
Verwendung keinen Abbruch zu tun.
Von liberaler Seite oft genannt sind internationale und EU-weite
Abkommen zu Asyl- und Flüchtlingspolitik, welche eine rechtsextreme
Migrationspolitik mit einem Bekenntnis zur EU und europäischen Werten
unvereinbar machen sollen.
Das Regierungsprogramm ist ein gutes Beispiel für den Falschschluss
hinter solchen Annahmen.
Die neoliberalen Regierungspläne zusammen mit dem Bekenntnis zu einer
richtige[n], ihrem Grundgedanken entsprechende[n]" EU, erinnern auf
unbewusst pointierte Weise an den Kern und das Wesen der EU.
Geschaffen als gemeinsamer Wirtschaftsraum wird sie immer zuallererst
ein Projekt der Förderung europäischer ökonomischer Interessen auf
Kosten marginalisierter Regionen bleiben.
Dadurch und in der Gewissheit, dass die EU-weite Migrationspolitik
ebenfalls eine der Ausgrenzung und Internierung ist, kann sich das
Bekenntnis zur EU nahtlos in das rechte Regierungsprogramm
einfügen.
Wenn die Regierungspläne in der Grundlogik 'Steuersenkungen für
Konzerne auf Kosten von Sozialausgaben, legitimiert durch rassistische
Hetze und begleitet von Repression' analysiert werden, erhalten auch
Aussagen wie jene des Innenminister Kickls zu "Konzentration" eine
zusätzliche Bedeutung.
Neben der faschistischen tritt auch die tagespolitisch strategische
Bedeutung von rassistischer Hetze deutlich hervor.
Strategisch, weil Aufmerksamkeit von viel kritisierten Änderungen zum
Beispiel im Bereich Mindestsicherung durch polarisierende Themen wie
Migration abgelenkt werden kann.
Strategisch, weil sich aufbauende Kritik aus den Reihen von
FPÖ-Wähler*innen durch denselben Mechanismus von der Ausrufung von
Bedrohungsszenarien und hart durchgreifenden vermeintlichen Lösungen
beschwichtigen lässt. Strategisch, weil Rassismus die hegemonial weiße
Nation mithilfe eines migrantischen Feindbildes vereint.
(1) https://derstandard.at/2000072175894/Asylwerber-konzentriert-halten-Was-bewegt-FPOe-Politiker-zu-diesen-Aussagen
(2) Das Regierungsprogramm ist im Volltext hier verfügbar:
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/documents/131008/569203/Regierungsprogramm_2017%E2%80%932022.pdf/b2fe3f65-5a04-47b6-913d-2fe512ff4ce6
(3) Klare Überlappungen (inkl. wortwörtliche Zitate) zwischen
Regierungsprogramm und dem Forderungskatalog der
Industriellenvereinigung an die Regierung können unter folgenden Links
nachgelesen werden:
https://www.die95prozent.at/aufgedeckt-regierungsprogramm-von-bonzen-und-immobilienhaien-abgeschrieben/
http://urbanizm.net/4890664/wie-sich-die-immobilienwirtschaft-das-regierungsprogramm-eingebracht-hat/
(4) Ausführlichere Artikel zu den geplanten Änderungen an der
Mindestsicherung:
https://mosaik-blog.at/schwarz-blau-regierungsprogramm-gemeinheiten-mieten-mindestsicherung-abtreibung-zwangsarbeit/
http://reflektive.at/regierungsprogramm/mindestsicherung-viel-laerm-um-peanuts
(5) Ausführlicher zu Kindergärten:
http://reflektive.at/regierungsprogramm/elementare-luecken-in-der-elementarpaedagogik/#more-239
(6) https://derstandard.at/2000071489594/Strache-will-Asylwerber-in-Wien-in-Kasernen-unterbringen
https://derstandard.at/2000070661775/Gudenus-will-Asyl-Massenquartiere-am-Stadtrand-von-Wien
(7) Detaillierter Artikel zu den Änderungen im Bereich IT und
Datenschutz:
https://mobil.derstandard.at/2000070494894-2000070496531/regierungsprogramm-oevp-fpoe-kurz-strache-ueberwachung
WEITERE INFOS
Zum Weiterlesen über die aktuelle politische Situation in Österreich:
https://mosaik-blog.at
Zeitschrift und Plattform für Blogger*innen, welche aus
unterschiedlichen sozialen Perspektiven aktuelle politische
Geschehnisse reflektieren.
http://www.anschlaege.at
Kritisches Magazin mit weiter Bandbreite an feministischen Artikeln zu
unterschiedlichen, unter anderem tagespolitischen Themen.
http://reflektive.at
Blog ehemaliger grüner Parlamentsabgeordneter, welcher gut
recherchierte Informationen aus (parteipolitisch) grüner Perspektive
darstellt.
*
Quelle:
graswurzelrevolution, 47. Jahrgang, Nr. 426, Februar 2018, S. 1+8+9
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Telefon: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net
Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3,80 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.
veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2018
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