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GRASWURZELREVOLUTION/1580: Juan García Oliver und die Macht als trügerisches Mittel zur Revolution


graswurzelrevolution 410, Sommer 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Wenn wir regieren mussten, dann sollte es die CNT besser alleine tun!"
Juan García Oliver und die Macht als trügerisches Mittel zur Revolution

von Oliver Steinke


Spanien 1936 bis 1939: Die Soziale Revolution wird eingekeilt und aufgerieben. Auf der einen Seite steht der Krieg gegen die erbarmungslosen Francotruppen, auf der anderen Seite die bürgerliche Konterrevolution im eigenen antifaschistischen Lager, vor allem in Gestalt der Stalinisten. Schritt für Schritt werden alle revolutionären Errungenschaften zerstört, schließlich wird das bisher größte anarchistische Experiment der Geschichte scheitern. Dabei entstehen auch Widersprüche zwischen anarchistischer Ideologie und Wirklichkeit. Besonders spektakulär sichtbar werden sie in der Biographie einiger herausragender Aktivisten der CNT (1) und FAI (2), allen voran Juan García Oliver, der sich vom ehemals polizeilich gesuchten Anarchisten zum Justizminister der Spanischen Republik wandelt.


Juan García, Oliver (geboren 1901 in Reus, Katalonien - gestorben 1980 in Guadalajara, Mexiko) war einer der militantesten spanischen Anarchisten der zwanziger und dreißiger Jahre. Er gilt gemeinhin als Gründer der Selbstverteidigungsgruppen, die gegen die Schläger und Auftragsmörder von Unternehmern vor allem in Barcelona gebildet wurden. Aus diesen kleinen, durch persönliche Kontakte lose verbundenen Gruppen entwickelte sich dann später die FAI.

Während seine Freunde und Genossen, Durruti, die Ascaso-Brüder, Jover, Sanz und einige mehr, heute von vielen verehrt werden, verschwanden Vertrauen und Bewunderung für García Oliver fast vollständig. Warum? War er nicht einer der herausragenden Kämpfer am 19. und 20. Juli 1936 in. Barcelona und im anschließenden Krieg gegen Francos Militär? Doch als Experte für Militärfragen und Gründer von Kriegsschulen in der revolutionären Phase erntet er bei gewaltfreien Anarchist*innen keine Sympathie. Weit dunklere Schatten: Martin Baxmeyer bringt ihn in der Graswurzelrevolution Nr. 316 (Februar 2007) mit Kriegsverbrechen an dutzenden Mitgliedern des Klerus in Verbindung. Die Morde sind durch nichts zu rechtfertigen. Auch die Einführung und Rechtfertigung von Arbeitslagern können aus einem anarchistischen Blickwinkel nur abgelehnt und kritisiert werden.(3)

Dazu die Frage der Macht: Bis September war er zunächst der einflussreichste Akteur im "Zentralkomitee der antifaschistischen Milizen", also in der neuen revolutionären Regierung Kataloniens, dann, weitaus fragwürdiger, trat er in die Zentralregierung des republikanischen Spaniens ein (das geschah aber ausschließlich auf nachdrückliches Drängen der CNT-FAI Komitees hin). Von November 1936 bis zum Mai 1937 war er Justizminister in der Regierung Largo Caballero.

García Oliver selbst sagte im Interview: "Mein revolutionäres Leben", dem dieser Artikel zugrunde liegt: "(Zuvor) hatten wir (die CNT) die Möglichkeit, die Macht zu übernehmen, ohne eine Diktatur zu errichten!"

Immerhin versuchte er als Justizminister humanistische Ideale umzusetzen: Als erstes erließ er, früher selbst politischer Gefangener, eine Generalamnestie für alle Vergehen, die vor dem 19. Juli begangen worden waren. Die Gefängnisse leerten sich, auch die Akten gingen in Flammen auf. García Oliver rehabilitierte dann die vor Jahrhunderten vertriebenen spanischen Juden, legalisierte Flüchtlinge aus den faschistischen Diktaturen Deutschland und Italien. Die Kolonie "Spanisch"-Marokko wollte er in die Unabhängigkeit entlassen, was Franco die Unterstützung von Teilen seiner maurischen Truppen gekostet haben dürfte. Zwar Verhandelte er noch von Barcelona aus geschickt mit marokkanischen Führern, konnte sich aber in der republikanischen Regierung nicht durchsetzen.

Zudem erließ er Gesetze zur Anerkennung nicht verheirateter Paare und zur Gleichstellung von Mann und Frau. Schließlich: Spätestens der Hinrichtungsbefehl (am Todestag von Fuerteventura Durruti) für José Antonia Primo de Rivera, Führer der 'faschistischen Falange und Sohn des früheren Diktators Primo de Rivera, brachte ihn auf der Todesliste der Faschisten ganz nach oben.

In einem Interview, das Freddy Gomez 1977 in Paris mit ihm führte und das bis heute nicht ins Deutsche übersetzt wurde, schildert er die Ereignisse als Zeitzeuge. Man kann über García Olivers Aufgabe anarchistischer Prinzipien enttäuscht sein, (er führte sie allerdings nach eigenen Angaben jedes Mal nur widerwillig und unter Protest im Auftrag der CNT aus), was er zu sagen hat, sollte auch hierzulande in die Aufarbeitung einfließen. So widerspricht er der anarchistischen Doktrin vom spontanen Widerstand der Massen in den Julitagen 1936. Auch gegenüber Durrutis Tod steuert er weitgehend unbekannte Details bei. Somit sind die folgenden Auszüge gleichzeitig Anregung, seine (wenigen) Schriften ins Deutsche zu übersetzen.

Sieg durch Vorbereitung

Freddy Gomez: "Das bringt uns zum Militärputsch vom Juli 1936. Wie hast du die Ereignisse erlebt?"

García Oliver: "Das mag vielleicht anmaßend erscheinen, aber so, wie ich es erwartet hatte. Die Mitglieder des Verteidigungskomitees der CNT Kataloniens begegneten der Militärrevolte so, wie sie es vorhergesehen hatten. Wir wussten, wie die Rebellen vorgehen würden. Auf jeden Fall besaßen sie nicht all zuviel Erfindungsreichtum, was die Durchführung eines Staatstreiches betrifft. Auf der anderen Seite waren wir für sie eine unbekannte Größe. Sie dachten, es würde ein Spaziergang für die Armee werden, mit keinem ernsthaften Widerstand von unserer Seite aus, wie gewöhnlich. Ihre Überheblichkeit war unsere Geheimwaffe. Die Neuigkeit hieß, es gab eine gut organisierte Macht, die Verteidigungskader, die auf einen Kampf brannten."

Freddy Gomez: "Was geschah genau?"

García Oliver: "Vor kurzem waren in einer Anzahl Baracken Soldaten (der rechten Putschisten) einquartiert worden, diese Bauten überragten die Arbeitervororte der Stadt wie ein Fächer. Eine der Entscheidungen, vor der wir standen, war, sollten wir den (feindlichen) Soldaten erlauben, ihre Quartiere zu verlassen oder nicht ... Am Ende gaben wir zwei Leitlinien heraus: Die eine: Diese Truppen sollten die Baracken verlassen, damit sich diese nicht in Festungen verwandeln konnten und gleichzeitig, wenn sie ausgerückt waren, sollten die Sirenen einiger Textilfabriken losgehen, sowie die von Schiffen unten im Hafen, als eine Art psychologische Waffe. Es war ein Wagnis. ... Die Massen folgten uns. ... Als die Arbeiter*innen sahen, wie die CNT Führer von Pueblo Nuevo aus ins Stadtzentrum vorrückten, wussten sie, diesmal war wirklich die Stunde der Revolution gekommen ...

Von hinten angegriffen wurde das Militär überrumpelt und demoralisiert. Als ihre Munition ausging, ergaben sie sich nach und nach. Wenn wir in Barcelona gewonnen haben, dann, weil wir eine militärische Kraft geschaffen hatten, die der Herausforderung gewachsen war.

Wir mussten nur sagen, morgen, um so und soviel Uhr, auf dem und dem Platz. Und sie waren da! Diese Verteidigungseinheiten wurden von trainierten jungen Erwachsenen gebildet, kampfbereit, bewaffnet und zuversichtlich. In Barcelona hat das funktioniert. ..."

Freddy Gomez: "Auf einem Treffen der Lokalen Föderationen der libertären Bewegung, ich glaube, es war Ende August, wirst du mit der Alternative zitiert: "Entweder wir kollaborieren oder wir errichten eine Diktatur!"

García Oliver: "Ich denke, du überspringst ein sehr wichtiges Kapitel in dieser Geschichte. Nicht, dass mich das überrascht, ohnehin wird es im Allgemeinen vermieden. ... Vor dem Treffen, von dem du sprichst, gab es ein Regionales Treffen der Lokalen Syndikate von CNT, FAI und FIJL (4) am 23. Juli. Das war entscheidend. Als wir auf die Situation in Katalonien am Morgen nach unserem Sieg sahen, schlug ich vor, den libertären Kommunismus einzuführen und dafür die komplette Macht zu übernehmen. Das Treffen lehnte das ab. Jeder sollte das heute wissen. Mit der Ausnahme eines Delegierten (mich) lehnte die libertäre Bewegung ab, den libertären Kommunismus einzuführen! Es gab nur eins, was diese Entscheidung bewirkte: dass wir Boden verloren! Mehr denn je war ich dafür, eine vollständige Revolution durchzuführen. Keine halben Sachen ... Wir hatten für die Revolution gekämpft und da waren wir! Wir hätten weiter Druck machen müssen!"

García Oliver aber trug mit seiner "militanten Verantworte" gegenüber den Beschlüssen der CNT-Komitees zum Eintritt in diverse Staatsorgane zum Scheitern des eigenen Traumes bei. Ein Traum von Selbstverwaltung, der in unzähligen von der CNT und der sozialistischen Gewerkschaft UGT (5) dominierten Arbeiter*innenräten und Kollektiven Wirklichkeit geworden war. Diese Räte standen in Konkurrenz mit dem (republikanischen) Staat, der Ende Juli 1936, abgesehen von Barcelona und einigen kleineren Städten Kataloniens, keineswegs entmachtet war und schnell wieder erstarkte.

Die Antwort García Olivers: Kriegsschulen, Militärkommandos, anarchistische Milizen: Ab dem 19. Juli 1936 führte er einen Klassenkrieg, ähnlich wie seinerzeit Trotzki in Russland. Doch dieser Klassenkrieg war nur über den Sieg gegen die Faschisten zu gewinnen, und wollte man nicht alleine gegen sie kämpfen (die eine Möglichkeit); so hieß das, den Klassenstandpunkt aufgeben zu müssen und in einen konventionellen Krieg einzutreten (die andere, dann tatsächlich angewandte Möglichkeit). García Oliver schlingerte hier - und verlor zudem anscheinend bei einzelnen Aktionen, wiederum Trotzki ähnlich, jedes Maß. Obwohl sein scharfer Verstand die Fallstricke für die Revolution viel früher als andere erkannte, verfing er sich in ihnen.

Die Anarchisten schicken Durruti in den Tod!

Als er jedoch von dem Plan erfuhr, Buenaventura Durruti unvorbereitet in die Kämpfe von Madrid zu entsenden, wehrte er sich dagegen. Zitat: "Sie überzeugten ihn, dass nur er Madrid retten konnte. Reine Schmeichelei! Durruti widerstand zunächst, aber schließlich gab er nach. ...

Ich wandte mich an Federica und sagte: 'Was wollt ihr, dass er getötet wird?' Und in der Tat sandten sie ihn in seinen Tod. Die Bedingungen, unter denen Durruti nach Madrid ging, trotzen jeder Vernunft. Was konnten 200 oder 300 Männer an einer Front erreichen, an der bereits 200.000 kämpften? ... Mein Vorschlag war ganz anders: Eine drei Divisionen starke Armeeeinheit unter einem autonomen Kommando (für Durruti).

Ich sage es noch einmal: Unter den Bedingungen, unter denen Durruti nach Madrid ging, war sein Tod eine Gewissheit!"

Buenaventura Durruti wurde unter ungeklärten Umständen am 20. November 1936 an der Front von Madrid erschossen.

Der Mai 1937 in Barcelona

Bereits ein halbes Jahr später, Anfang Mai 37, entschied sich das Schicksal der sozialen Revolution in Barcelona: Als der Staat die Selbstverwaltung der Arbeiter*innen angriff. Auslöser war der Sturm neuer Polizeieinheiten auf die von der CNT-UGT kontrollierte Telefonzentrale, wurden überall in der Stadt Barrikaden errichtet. Die chaotischen Kämpfe betrafen jeden, kosteten 500 Menschen das Leben, 1100 wurden verwundet.

Ausgerechnet García Oliver (wieder im Auftrag des nationalen Komitees der CNT-FAI) überredete in Rundfunkansprachen die Arbeiter*innen zum Aufgeben, einige Kämpfende auf den Barrikaden zerrissen daraufhin ihre CNT-FAI-Mitgliedskarten.

Oliver gab jetzt die zuvor von ihm selbst eingeforderte revolutionäre Machtübername auf, sah in den Arbeiter*innen von Provokateuren Verführte, deren Aktionen den Sturz der sozialistischen Regierung Caballero bewirken sollten (der allerdings auch eintrat). Im entscheidenden Augenblick stellte er sich nicht auf die Seite der Basis, die instinktiv die proletarische Selbstverwaltung und Bewaffnung gegen den wieder erstarkten Staat verteidigte. Seine Wort hatte (ein letztes Mal) Gewicht, doch es war gegen den eigenen Traum gerichtet.

Insgesamt gilt, (wie bereits von vielen Historikern zu recht festgehalten): Die anarchistische Bewegung wurde nicht durch innere Widersprüche, sondern durch Bedingungen eines mörderischen Krieges gegen die Faschisten, die Politik Stalins sowie der imperialistischen Demokratien Europas besiegt. Eine Warnung bleibt: Eine unbekannte Zahl Anarchist*innen beteiligte sich an Kriegsverbrechen. Dies kann nicht überraschen, Hass verblendet und brutalisiert, moralisch erhöhte Selbstbilder machen niemanden zum besseren Menschen, Krieg kehrt das Schlimmste hervor.

Im Krieg gibt es keine Gewinner!

Heute hingegen ist es, anders als vor, 80 Jahren in Spanien, zumindest in Europa möglich, den Kampf für eine bessere Welt gewaltfrei zu führen. Gewaltfreie Aktionen öffnen die Türen zum Neuen. Im Krieg hingegen gibt es niemals Gewinner, alle verlieren! Eine anarchistische Ordnung auf Grundlage von Gemeineigentum muss den "Besiegten" zusichern können, unter gleichen Bedingungen wie die "Sieger" neu beginnen und rechtssicher leben zu können.


Anmerkungen:

1) Die spanische Confederación Nacional del Trabajo (CNT) war und ist eine Konföderation anarchosyndikalistischer Gewerkschaften und Mitglied der Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation (AIT). Mit rund 2 Millionen Mitgliedern war sie eine der wichtigsten Organisationen im Widerstand gegen die Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg.

2) Federación Anarquista Ibérica (FAI): Iberische Anarchistische Föderation

3) Michael Seidman: Gegen die Arbeit. Über die Arbeitskämpfe in Barcelona und Paris 1936-38, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2011, S. 158ff.

4) Federación lbérica de Juventudes Libertarias (FIJL): Anarchistische Jugend Föderation Spaniens

5) Unión General de Trabajadores (UGT): Sozialistische Gewerkschaft Spaniens

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 410, Sommer 2016, S. 11
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2016

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