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GLEICHHEIT/5275: Israel - Reservisten des Sicherheitsdienstes verweigern Bespitzelung von Palästinensern


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Reservisten des israelischen Sicherheitsdienstes verweigern Bespitzelung von Palästinensern

Von Jean Shaoul
19. September 2014



43 ehemalige Soldaten und Offiziere der hochangesehenen Einheit 8200, die zum israelischen Militärgeheimdienst gehört, weigern sich, weiter an der Ausspähung der palästinensischen Gesellschaft auf der Westbank teilzunehmen.

Ihre Haltung ist der jüngste Ausdruck einer zunehmenden Opposition innerhalb der Streitkräfte gegen die anhaltende Unterdrückung des palästinensischen Volkes.

Lange Zeit war es unter jüdisch-israelischen Jugendlichen undenkbar, dass man den Dienst verweigerte, wenn man nicht gerade zu den Ultraorthodoxen zählte. Aber heute, wie der junge "Refusenik" (Verweigerer) Shaked Harari erläutert, "wundern sich viele nicht mehr, dass wir verweigern. Wir glauben, dass unsere Erklärung zu einem ideologischen Wandel beitragen kann. Das würde nicht passieren, wenn wir nicht dahinter stünden, und es uns nicht ernst wäre."

Die Einheit 8200 gehört zum Militärischen Aufklärungsdirektorat der israelischen Armee (IDF), das eine ähnliche Rolle wie die National Security Agency in den Vereinigten Staaten spielt. Das Direktorat sammelt elektronische Daten (SIGINT) und belauscht z.B. Telefonate, Textnachrichten und Emails. Zweifellos spiegeln die geäußerten Ansichten eine viel breitere Schicht wider, die über die Zahl jener, die den Brief unterzeichnet haben, hinausgeht.

Die Einheit hat sich besonders aufgrund ihrer technischen Fähigkeiten den Status einer Ikone erarbeitet. Mehrere Absolventen von 8200 gründeten oder leiteten anschließend israelische Hightech Startups. Ihre Tätigkeit unterliegt der Geheimhaltung und der Zensur. Ihre führenden Mitarbeiter bleiben grundsätzlich anonym.

Es ist daher umso bedeutsamer, dass der ethische und politische Charakter der Arbeit der Einheit und vor allem ihre Arbeitsmethoden ans Tageslicht gekommen sind. Immer mal wieder kommt es vor, dass Piloten, Soldaten und Offiziere aus Kampfeinheiten, die die tagtägliche Erniedrigung und Verhaftung - und Schlimmeres - von Palästinensern durchzuführen haben, den Dienst verweigern. Dies ist jedoch das erste Mal, dass Mitglieder der elektronischen Überwachungseinheit ihre Stimme erheben und den Dienst verweigern.

Jüdisch -israelische Männer müssen mit achtzehn Jahren einen dreijährigen Militärdienst ableisten, und danach werden sie bis zum Alter von vierzig Jahren jährlich für mindestens einen Monat zum Reservedienst eingezogen. Auch Frauen sind verpflichtet, Wehrdienst zu leisten, müssen aber nicht in Kampfeinheiten dienen, und ihre Dienstzeit ist kürzer.

Die 43 Unterzeichner eines offenen Briefes an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, an die Führung der IDF und ihrer SIGINT Abteilung, die im Laufe eines Jahres zusammenkamen, betonen, dass die Informationen, die sie gesammelt hatten, häufig dazu benutzt wurden, unschuldige palästinensische Zivilisten unter Druck zu setzen und Bewohner der Westbank gegeneinander aufzuhetzen. Gleichzeitig stelle ihre Arbeit, wie sie schreiben, eine Verletzung der Privatsphäre der Palästinenser dar.

Die Reservisten schreiben: "Die palästinensische Bevölkerung, die unter militärischer Herrschaft lebt, ist der Ausspähung und Überwachung durch die israelische Aufklärung völlig schutzlos ausgesetzt. Die Erkenntnisse, die gesammelt werden, schaden unschuldigen Menschen und werden dazu genutzt, Palästinenser politisch zu verfolgen und Spaltungen in die palästinensische Gesellschaft zu tragen, indem Kollaborateure rekrutiert werden und die palästinensische Gesellschaft gegen sich selbst aufgehetzt wird."

In dem Brief heißt es weiter: "Die Ausforschung ermöglicht es, Millionen Menschen ständig zu überwachen, intensiv zu durchleuchten und in die meisten Aspekte ihres Lebens einzudringen. All das macht ein normales Leben unmöglich, führt zu mehr Gewalt und verhindert ein Ende des Konflikts."

Der Brief der Reservisten erinnert an den bekannten palästinensischen Film Omar, der auf der WSWS besprochen wurde. Er zeigt anschaulich den intensiven Druck, den die israelischen Behörden auf Palästinenser ausüben, die unerlaubte Liebesbeziehungen oder homosexuelle Beziehungen unterhalten, oder die medizinische Behandlung für ihre Familienmitglieder benötigen. Sie werden gezwungen, ihre Freunde und Nachbarn auszuspionieren. Auf diese Weise wird ein ausgedehntes Netz von Kollaborateuren und Informanten aufgebaut. Das führt zu einer Situation, in der niemand mehr irgendjemandem traut. Der Freund von heute könnte schon morgen geschlagen, gefoltert oder erpresst und damit gezwungen werden, mit den israelischen Behörden zusammenzuarbeiten.

In dem Brief heißt es weiter: "Die angewandten Methoden von Ausspähung und Beobachtung unterliegen keiner Kontrolle, und die Erkenntnisse werden gegen Palästinenser benutzt, unabhängig davon, ob sie etwas mit Gewalt zu tun haben oder nicht." Am Schluss heißt es: "Wir können es moralisch nicht mehr verantworten, einem solchen System zu dienen, das die Rechte von Millionen Menschen verletzt."

Die Unterzeichner fügten jedoch hinzu, dass sie Informationen über feindliche Staaten sammeln würden, und sie erklärten: "Wir verstehen die Notwendigkeit, uns zu verteidigen, und nachrichtendienstliche Tätigkeit ist per Definition schmutzig. Im Vergleich zu anderen Ländern geht es wirklich um Selbstverteidigung."

Einer der Reservisten sagte dem Magazin Siha Mekomit: "Aber bei den Palästinensern geht es vor allem darum, die Militärherrschaft auf der Westbank zu verteidigen. Wir sagen das nicht, weil wir einige Zeitungen oder Blogs lesen, sondern weil wir genau das tun mussten."

Der Brief mit einigen Aussagen der Reservisten kann hier [1] nachgelesen werden.

Darin beschreiben die Reservisten die Ausbildungsmethoden der Einheit und weisen darauf hin, dass sie Informationen sammelten, die nichts mit Sicherheits- und Geheimdienstfragen zu tun hatten. Sie spionierten Leute aus, die völlig unschuldig waren. Es wurden auch Informationen zur Vorbereitung von gezielten Mordanschlägen gesammelt. Einige dieser Informationen wurden nicht an den Sicherheitsapparat weitergeleitet, sondern an Politiker, die sie für ihre eigenen politischen Ziele einsetzten.

In einer Erklärung heißt es: "Alle Palästinenser unterliegen einer Non-Stopp-Überwachung ohne jeden rechtlichen Schutz. Selbst einfache Soldaten können entscheiden, dass über eine Person Informationen gesammelt werden. Es gibt keine Prozedur, wie entschieden wird, dass die Verletzung der individuellen Rechte einer Person der Sache nach gerechtfertigt sei. Die Konzeption von Rechten der Palästinenser existiert schlicht nicht."

Die IDF-Führung zieht sich regelmäßig auf ihr Standardargument zurück, sie folge ethischen Standards, die keinen Vergleich zu scheuen bräuchten. Das ist lächerlich angesichts einer Armee, die 1967 illegal erobertes palästinensisches und syrisches Land und die Stadt Jerusalem besetzt hält und annektiert hat, die ohne Prozess Haft und kollektive Bestrafung praktiziert, die in dem Zusammenhang private Häuser zerstört, die den Gaza besetzt, die foltert und gezielte Morde verübt, die international geächtete Waffen einsetzt und völkermörderische Kriege gegen wehrlose Zivilisten führt.

Alle diese Verbrechen müssten Israel wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht bringen. Das wird nur durch die politische und diplomatische Deckung verhindert, die es von Washington auf internationaler Ebene erhält.

Israels militärische und politische Führung inklusive der Arbeitspartei hat sich auf die Refuseniks eingeschossen. Netanjahu beschuldigt sie "völlig unbegründeter Verleumdung". Verteidigungsminister Moshe Ya'alon verurteilt sie als "kriminell" und droht ihnen mit strafrechtlicher Verfolgung, obwohl unklar ist, was ihnen vorzuwerfen sei. Zumindest droht ihnen unehrenhafte Entlassung aus der Armee.

Der Kommandeur der Einheit 8200 hat sich brieflich an die Einheit gewandt und sie gewarnt, mit Beschwerden an die Öffentlichkeit zu gehen. Ethische Bedenken könnten innerhalb der Einheit besprochen werden. Zweihundert Mitglieder der Einheit haben einen Gegenbrief verfasst, in dem sie ihre Arbeit verteidigen.

Der Brief der 43 ist Teil einer kleinen aber wachsenden Gruppe junger Wehrpflichtiger und Reservisten, die sich dem Wehrdienst entziehen und bereit sind, dafür ins Gefängnis zu gehen. Anfang des Jahres schrieben einige Dutzend Jugendliche im wehrfähigen Alter einen Brief an Netanjahu, in dem sie sich als Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen bekannten und die IDF vernichtend kritisierten. Sie erklärten ihre Opposition gegen die andauernde Besetzung der Westbank und gegen das Eindringen des Militärs in das zivile Leben, das den Chauvinismus, Militarismus, die Gewalt, die Ungleichheit und den Rassismus im Land vertieft.


Anmerkung:
[1] http://leaksource.info/2014/09/13/letter-testimony-from-israels-elite-intelligence-unit-8200-members-refusing-to-spy-on-palestinians/

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.09.2014
Reservisten des israelischen Sicherheitsdienstes verweigern Bespitzelung von Palästinensern
http://www.wsws.org/de/articles/2014/09/19/isra-s19.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2014