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GLEICHHEIT/5021: SYRIZAs Oppositionspose gegen die griechische Austeritätspolitik entlarvt sich


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

SYRIZAs Oppositionspose gegen die griechische Austeritätspolitik entlarvt sich

Von Robert Stevens
14. Februar 2014



Griechenland befindet sich inzwischen im sechsten Jahr harter Kürzungsmaßnahmen, die einen großen Teil seiner Bevölkerung zu Armut verdammen.

Im Gegenzug für die brutalen Kürzungen erhielt Athen aus einem Gesamtpaket im Umfang von 240 Milliarden Euro bis heute Kredite in Höhe von ca. 200 Milliarden Euro von der "Troika" aus Europäischer Union, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank. Diese Maßnahmen haben die griechischen Staatsschulden nicht bremsen können, die sogar weiter auf ca. 340 Milliarden Euro oder 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen sind.

Klar ist, dass der griechischen Regierung keine weiteren substanziellen Kredite mehr angeboten werden. In der letzten Woche enthüllte der Spiegel, dass Deutschland einen zusätzlichen Kredit von 10 bis 20 Milliarden Euro erwägt. Die Zahlen wurden in einem durchgesickerten Papier des Finanzministeriums genannt. Der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, sagte zur selben Zeit, dass weitere Kredite für Athen "deutlich geringer" ausfallen würden als die 240 Milliarden Euro, die bei den beiden vorherigen Rettungsaktionen zur Verfügung gestellt wurden. Schäuble erklärte gegenüber dem Finanzmagazin Wirtschaftswoche: "Sicher ist, dass jede weitere Hilfe sehr viel weniger umfangreich wäre als die bisherigen Hilfen."

Um die mögliche "Hilfe" ins rechte Licht zu rücken: Griechenland sieht sich einem Haushaltsfehlbetrag von über 15 Milliarden Euro über die nächsten zwei Jahre gegenüber und zahlt durchschnittlich 9 Milliarden Euro jährlich nur zu dem Zweck, den existierenden Schuldenberg zu bedienen. Allein die bloße Zinslast würde solch einen "Kredit" bereits aufzehren. Das Dokument aus dem Finanzministerium sieht auch vor, selbst diesen Kredit nur unter der Bedingung zu gewähren, dass Griechenland weitere "strenge" Sparmaßnahmen durchführt.

Aktuelle Zahlen bestätigen die furchtbaren Kosten dieses andauernden sozialen Albtraums für die Bevölkerung. Eine Erhebung des Small Enterprises Institute of the Hellenic Confederation of Professionals, Craftsmen & Merchants befand im letzten Monat, dass das Einkommen von lediglich fünf Prozent der Haushalte von der Krise nicht beeinträchtigt wurde. Die durchschnittliche griechische Familie hatte zwischen 2010 und 2013 Einkommenseinbußen von 40 Prozent zu verzeichnen.

In ca. 40,2 Prozent der Haushalte, annähernd 1,4 Millionen, ist mindestens ein Mitglied arbeitslos. Nur 9,8 Prozent der Arbeitslosen, d.h. weniger als 200.000 Menschen, erhalten Arbeitslosenunterstützung.

Fast die Hälfte der griechischen Familien ist von Rentenzahlungen abhängig. Die durchschnittliche Rente beträgt knapp unter 700 Euro monatlich; 35,9 Prozent der Familien sind auf die Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit angewiesen.

Drei Viertel der Menschen geben an, dass sie heute weniger für Heizung und Verkehrsmittel ausgeben und sechzig Prozent sagen, sie hätten ihr Budget für Nahrungsmittel eingeschränkt. Neun von zehn Haushalten haben ihre Ausgaben für Kleidung und Unterhaltung gekürzt.

Nach der Untersuchung resultieren die Geldnöte bei einem Drittel der Haushalte daraus, dass sie sich gegenüber dem Staat, Banken, Sozialversicherungsträgern oder öffentlichen Einrichtungen im Zahlungsverzug befinden. Über 41 Prozent der Befragten gaben an, sie würden in diesem Jahr nicht in der Lage sein, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.

Vom Beginn der Krise an bot sich die pseudolinke Gruppierung SYRIZA (Koalition der Radikalen Linken) als einzige fortschrittliche Alternative an. Auf dieser Grundlage schnellten ihre Wahlergebnisse von 4,6 Prozent 2009 auf fast 27 Prozent bei den Wahlen 2012 in die Höhe; nur wenige Prozentpunkte fehlten, um stärkste Partei zu werden.

Sie propagierte die Ablehnung des Memorandums und der anhaltenden Austerität sowie das Versprechen, Griechenlands Schulden neu zu verhandeln, sobald sie an die Macht käme.

Auf dieser Basis warb SYRIZA im Einklang mit vielen pseudolinken Bewegungen in Europa für eine Überprüfung der Schulden Griechenlands durch eine "unabhängige Kommission", um festzulegen, welche Schulden "rechtmäßig" und welche " illegitim" seien und nicht zurückgezahlt werden müssten.

Im letzten Monat merkte die Website MacroPolis an, dass eine abschließende Feststellung hinsichtlich der "illegitimen" Schulden noch nicht getroffen worden sei. "Der SYRIZA-Abgeordnete Giorgos Stathakis, Mitglied des Wirtschaftsteams der Partei, habe allerdings jetzt vorgeschlagen, nur etwa fünf Prozent der griechischen Schulden, die am Ende des Jahres wohl 340 Milliarden Euro oder 174.8 Prozent des BIP betragen werden, als illegitim einzustufen."

Der Artikel zitiert Kommentare von Stathakis gegenüber dem Radiosender Sto Kokkino, in denen er "die Waffenbeschaffungsprogramme und die Elektrifizierung der Hellenischen Eisenbahn (OSE) als illegitim definierte, die niemals stattgefunden hat". Er führte aus, "Über 90 Prozent der Schulden sind traditionelle, öffentliche Schulden gegenüber den Märkten, mit anderen Worten Anleihen. Es gibt keine legale Möglichkeit, um dies in Frage zu stellen."

Stathakis Kommentare führen die Anti-Austeritäts-Rhetorik von SYRIZA ad absurdum. Sie verpflichten SYRIZA, als führende Regierungspartei oder in der Koalition mit anderen Austeritätsparteien, die große Mehrheit der Schulden Griechenlands zurückzuzahlen.

Das ergibt sich aus dem zentralen Programmpunkt SYRIZAs, um jeden Preis in der Europäischen Union zu verbleiben und die Schulden "neu zu verhandeln".

Am Dienstag vergangener Woche sagte der Führer von SYRIZA, Alexis Tsipras, eine Regierung unter SYRIZA beabsichtige nicht, unilateral in Zahlungsverzug zu geraten, doch "eine Waffe, die wir nutzen könnten, wenn sich unsere Partner als sehr, sehr hart erweisen sollten, ist es, Zinszahlungen zu stoppen, um die griechische Wirtschaft zu finanzieren. Aber das ist nicht unsere Absicht. Wir wollen eine Konsenslösung finden."

SYRIZAs Abkehr von ihrem vormaligen radikalen Getue geschieht im Kontext der jüngsten Diskussion in den griechischen Medien und Parlamentsparteien über die Möglichkeit einer zukünftigen Koalitionsregierung unter Einschluss von SYRIZA und der regierenden Neuen Demokratie (ND). Der SYRIZA-Abgeordnete Manolis Glezos fragte in Kommentaren, die er später als sarkastisch bezeichnete: "Wird die Regierung ihre Kreditpolitik aufgeben? Wird sie aufhören, die Menschen zu bestehlen, um die Banken zu retten? Wenn sie das tut, dann glaube ich nicht, Kollegen von SYRIZA, dass wir sie (eine Koalition, der Verf.) ablehnen".

Als Antwort hierauf fragte die rechtsstehende Zeitung Kathemerini, weshalb "in Zeiten einer solch beispiellosen Krise, die Analysten veranlasst, die Gefahr eines neuzeitlichen Weimar (eher weit hergeholt als real) oder die Konsolidierung eines Bürgerkriegsklimas heraufzubeschwören", die griechischen Parteien "unfähig sind, sich wenigstens über die Grundlagen zu verständigen?"

Sie fügte hinzu, "In allen Ländern der europäischen Peripherie, in denen es ähnliche Krisen gab, wurde entweder gemeinsam mit der Opposition regiert oder es wurden gemeinsam die Memoranden unterzeichnet (Portugal, Irland)."

Im vergangenen Monat wies eine Studie der US-Investmentbank JPMorgan darauf hin, dass SYRIZA nach einer Meinungsumfrage im Schlüsselwahlkreis "Athen B" mit sieben Prozent in Führung liege und höchstwahrscheinlich die nächsten Parlamentswahlen gewinnen werde. Sie folgerte, dass keine griechische Partei in der Lage sein werde, allein eine Regierung zu bilden und eine Koalition zwischen SYRIZA and ND erwogen werden sollte.

Ministerpräsident Antonis Samaras (ND) schloss eine Koalition mit SYRIZA zwar aus, sagte über die Partei von Tsipras aber, er hoffe "sie überzeugen zu können, eine glaubwürdige und verantwortungsbewusste Regierung zu werden."

SYRIZA ist schon seit dem Beginn der globalen Finanzkrise 2008 auf einem guten Weg "eine glaubwürdige und verantwortungsbewusste Regierung" zu sein. Auf einer Reise in wichtige Hauptstädte sagte Tsipras [1] im Januar 2013 der Brookings Institution in Washington, "Ich hoffe, ich habe Sie überzeugt, dass ich nicht so gefährlich bin, wie manche denken."

SYRIZAs Ruck nach rechts wurde kürzlich durch die Nominierung des Pro-Austeritäts-Kandidaten Odysseas Voudouris für die bevorstehenden Kommunalwahlen unterstrichen. Voudouris war Abgeordneter der verhassten sozialdemokratischen PASOK, die für das erste Memorandum der Regierung von Giorgos Papandreou verantwortlich war. Im Dezember 2011 besuchte das Team von Voudouris die Stadt Kalamata in seinem Wahlkreis Messinia und wurde mit Demonstraten konfrontiert, die "Kollaborateure, verlasst unsere Stadt" skandierten.


Anmerkung:
[1] https://www.wsws.org/en/articles/2013/01/26/tsip-j26.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.02.2014
SYRIZAs Oppositionspose gegen die griechische Austeritätspolitik entlarvt sich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2014