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GLEICHHEIT/4460: Hurrikan "Sandy" und der "freie Markt"


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Hurrikan "Sandy" und der "freie Markt"

Von Barry Grey
2. November 2012



Große gesellschaftliche Ereignisse, die sich auf das Leben von Millionen Menschen auswirken, vor allen Dingen solche wie Hurrikan "Sandy," die verheerende Schäden anrichten, enthüllen grundlegende wirtschaftliche und soziale Widersprüche im Herzen der amerikanischen Gesellschaft.

An der Ostküste sind acht Millionen Menschen ohne Strom, das U-Bahn-System in New York und ein Großteil des öffentlichen Verkehrssystems in New Jersey sind außer Betrieb, die kommerzielle Luftfahrt im Chaos und tausende von Hausbesitzern und Geschäftsinhabern stehen vor dem wirtschaftlichen Ruin. Es ist klar, dass dies eine massive und zentral koordinierte gesellschaftliche Reaktion erfordert.

Die Überschwemmungen durch Hurrikan "Sandy" haben wieder einmal den komplexen und vernetzten Charakter der modernen Gesellschaft und die Notwendigkeit rationeller und an der Gesellschaft orientierter Planung gezeigt.

Die Schäden belaufen sich Schätzungen zufolge auf zwischen 50 und 70 Milliarden Dollar. Amerikanische Versicherungsfirmen zahlen nur für die Hälfte der Schäden durch einen Hurrikan. Sie entschädigen Hausbesitzer nicht für Überschwemmungsschäden. Wie im Falle von Hurrikan "Katrina" und der Ölpest im Golf von Mexiko, werden sich viele derjenigen, die durch "Sandy" finanziell ruiniert wurden, nie davon erholen.

Erforderlich ist vor allem eine riesige Aufwendung von Ressourcen - im Bereich zwei- oder sogar dreistelliger Milliardenbeträge - um das Stromnetz und das öffentliche Verkehrssystem so schnell wie möglich in Stand zu setzen, die Schäden an der Infrastruktur zu reparieren, die Familien zu entschädigen, die von dem Sturm geschädigt wurden und die Hochwasserschutzsysteme, den öffentlichen Verkehr und das Stromgenerator- und Umspannsystem zu modernisieren und aufzurüsten.

Das bestehende kapitalistische System macht dies jedoch unmöglich. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Unterordnung der Wirtschaft unter das Profitstreben der Unternehmen - die Grundlagen des Kapitalismus - verhindern in jeder Hinsicht die Mobilisierung gesellschaftlicher Ressourcen im Interesse der Allgemeinheit.

Angesichts des Sturms verstummte das Gerede vom "freien Markt" und "schlanken Staat" und alle Augen richteten sich nach Washington, das helfen sollte. So äußerte sich der Gouverneur von New Jersey Chris Christie, ein rechter republikanischer Hardliner, lobend über Obama, weil er in seinem Staat den Notstand ausgerufen und staatliche Hilfsgelder bewilligt hatte - nur wenige Tage vor der Wahl.

Aber nach dem Sturm sind sogenannte "finanzielle Zwänge" das Argument, mit dem die Medien und das politische Establishment größeren, zentral organisierten Anstrengungen eine Absage erteilen, die Sturmschäden zu beseitigen und Schritte zu unternehmen, um die Häufigkeit extremer Wetterphänomene und ihre Auswirkungen zu begrenzen.

Präsident Obama versprach zwar, "alle verfügbaren Ressourcen" zur Verfügung zu stellen, erklärte aber gleichzeitig: "Es wird für diese Gemeinden nicht leicht werden, sich zu erholen." Auch der milliardenschwere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg erklärte, die Zerstörungen durch "Sandy" werden "eine ganze Zeit lang spürbar sein."

Das Wall Street Journal schrieb, "Steuerzahler aus Gemeinden, Bundesstaaten und dem ganzen Land werden die Hauptlast der Kosten für den Wiederaufbau der U-Bahnen, Straßen und anderer Infrastruktur zu tragen haben." Mit anderen Worten, es wird keine ernsthafte nationale Reaktion geben.

In einer Gesellschaft, deren grundlegende Produktivkräfte im Privatbesitz sind, bestimmen deren Interessen die Prioritäten von Politikern und Regierungen. Daher wurden alle notwendigen Mittel eingesetzt, um die New Yorker Börse bis Mittwoch wieder in Betrieb nehmen zu können, während Bloomberg die Bewohner von Sozialwohnungen und von Gegenden, die von Stromausfällen betroffen waren, wie in Manhattan, Brooklyn und Queens, darauf rinstimmte, dass es eine Woche oder länger dauern würde, bis sie wieder Strom in ihren Wohnungen haben.

Die "finanziellen Zwänge" haben die US-Regierung auch nicht daran gehindert, Billionen Dollar aus Steuergeldern und Subventionen zu verteilen, um die Wall Street-Banken zu retten und die Vermögen der Finanzspekulanten zu schützen. Ereignisse wie der Hurrikan "Sandy" zeigen die verheerenden Folgen eines Systems, das in massivem Umfang gesellschaftliche Ressourcen abzieht, um eine völlig parasitäre Finanzaristokratie zu schützen.

"Sandy" war ein gigantischer und höchst zerstörerischer Sturm. Aber seine Folgen wurden durch jahrzehntelange gesellschaftliche Nachlässigkeit, fehlende Vorbereitung und den Verfall der wichtigsten Infrastruktur noch verschlimmert. Auch dies hat seine Wurzeln im kapitalistischen Privateigentum und den Prioritäten des Profitsystems.

Am Mittwoch meldete die New York Times, dass Wissenschaftler städtische und staatliche Behörden New Yorks seit Jahren vor dem Fall einer Wetterkatastrophe mit schweren Überschwemmungen und Schäden am Elektro- und Transitsystem gewarnt haben. Sie sagten, der Klimawandel führe zu "steigendem Meeresspiegel, häufigeren Überschwemmungen und extremen Wetterlagen."

Im Jahr 2007 wurde vom New Yorker Verkehrsbetrieb Metropolitan Transportation Authority eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, die vor genau der Art von Überschwemmung von U-Bahn-Tunnels warnte, wie sie diese Woche geschah. Sie forderte den Bau von "strategischen Sturmbarrieren für den Hafen und das Mündungsgebiet."

Der Times-Artikel mahnt jedoch an, dass angesichts der Finanzlage der Bau solcher Sturmbarrieren ein "großes Unterfangen" wäre. Die geschätzten Kosten - zehn Milliarden Dollar - sind jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu den hunderten Milliarden Dollar aus Steuergeldern, die den Banken mit Hauptsitz in Manhattan von den Präsidenten Bush und Obama ausgehändigt wurden.

Was New Yorks "Finanzlage" angeht, so haben Obama, Bürgermeister Bloomberg und der Gouverneur von New York Andrew Cuomo jede Steuererhöhung für Hedgefonds oder Banken abgelehnt und fordern stattdessen weitere drakonische Kürzungen bei Sozialprogrammen, Arbeitsplätzen und Löhnen im öffentlichen Dienst.

Das Elektrizitätssystem ist ein weiterer Fall für sich. Unternehmen im Privatbesitz wie die New Yorker Consolidated Edison (Con Ed) haben jahrzehntelang die Wartung vernachlässigt, ganz zu schweigen von der Modernisierung, um ihre Gewinne zu erhöhen. Letzten Sommer hatte Con Ed jedoch Zeit und Geld, um seine Arbeiter fast einen Monat auszusperren, um sichere Renten für neu eingestellte Arbeiter abzuschaffen und höhere Beiträge für die betriebliche Krankenversicherung durchzusetzen.

Das bestehende System zur Stromerzeugung in den USA ist ein irrationaler, veralteter und schlecht funktionierender Mischmasch aus konkurrierenden Unternehmen. Es gibt mehr als 3.100 Elektrizitätsunternehmen, 73 Prozent der Kunden des Landes werden von profitorientierten Unternehmen bedient.

Die American Society of Civil Engineers gab dem Stromnetz des Landes im Jahr 2009 die Note D- (entspr. 4-) und erklärte, dass die Investitionen in neue Übertragungsnetze in den letzten 30 Jahren zurückgegangen seien oder stagniert haben. Es wird geschätzt, dass die Investitionen ins Stromnetz bis 2030 um 1,5 Billionen Dollar erhöht werden müssen.

Ohne einen radikalen Wechsel des Kurses und der gesellschaftlichen Prioritäten, inklusive einer Politik zur Begrenzung des Klimawandels und der Verbesserung der grundlegenden Infrastruktur werden Katastrophen wie Hurrikan "Sandy" ein zunehmend häufigeres Phänomen des Lebens in den USA und der Welt werden. Angesichts einer weltweiten Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit werden die Folgen für Millionen arbeitender Menschen noch brutaler werden.

Um auf diese Bedrohung zu reagieren, muss die arbeitende Bevölkerung verstehen, dass das kapitalistische System selbst die Wurzel des Problems ist und sich bewusst dafür entscheiden, eine unabhängige Bewegung aufzubauen und für den Sozialismus zu kämpfen. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln muss abgeschafft werden, die Großkonzerne und Banken verstaatlicht und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt werden.

Dies wird die Grundlage sein für eine Arbeiterregierung, die den Reichtum der Gesellschaft gleich verteilt und die Wirtschaft rational plant, um statt privatem Profitstreben und persönlicher Gier die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu befriedigen.

Der Mensch kann Naturkatastrophen nicht verhindern, aber er kann ihre Häufigkeit und ihre Auswirkungen begrenzen und zum Wohle der Allgemeinheit darauf reagieren. Dazu muss er erst die Kontrolle über seine eigene Gesellschaft übernehmen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.11.2012
Hurrikan "Sandy" und der "freie Markt"
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2012