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GLEICHHEIT/4428: Schießereien an türkisch-syrischer Grenze


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Schießereien an türkisch-syrischer Grenze

Von David Brown
11. Oktober 2012



Seit Tagen kommt es an der syrisch-türkischen Grenze zu Schießereien. Dies nährt die Befürchtung, daraus könnte sich ein Krieg entwickeln, der auf den gesamten Nahen Osten übergreift.

Am Sonntag schlug erneut eine verirrte Granate aus Syrien in der Türkei im Grenzstädtchen Akçakale vor der Lagerhalle der türkischen Getreideverwaltung ein. Es gab keine Personenschäden und nur geringe Gebäudeschäden. Die türkische Armee reagierte mit Artilleriefeuer gegen Syrien.

Die USA unterstützen sowohl die Türkei als auch die syrischen Oppositionskräfte. Dies ist Teil ihres fortgesetzten Stellvertreterkriegs, um den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad aus dem Amt zu drängen. Der jüngste Granatenbeschuss erfolgte, weil die Opposition, die großenteils aus der Türkei heraus unterstützt wird, ihre Angriffe auf die syrische Armee verstärkte, die nahe der türkischen Grenze stationiert ist. Am Samstag nahmen die syrischen "Rebellen" das Dorf Jisr al-Schughur ein und vertrieben eine hier stationierte syrische Armeeeinheit.

Zu der Schießerei zwischen syrischer und türkischer Artillerie kam es am Samstag, nachdem, wie berichtet wurde, zwei syrische Mörsergranaten in dem Ort Guveççi einschlugen. Die Türkei reagierte mit der Beschießung mehrerer syrischer Militärposten, obwohl in der Türkei niemand verletzt worden war.

Guveççi liegt siebzehn Kilometer von dem syrischen Darkusch entfernt, wo die syrischen Oppositionskräfte Armeestellungen angegriffen haben, worauf sich beide Seiten mit Mörsergranaten beschossen. Mindestens sieben verletzte syrische Oppositionskämpfer wurden zur medizinischen Versorgung in die Türkei gebracht.

Der Schusswechsel zwischen der türkischen und syrischen Armee begann am Mittwoch mit einem Einschlag einer syrischen Granate in Akçakale, wo fünf türkische Zivilisten getötet wurden. Die türkische Armee reagierte mit einem Luftschlag auf ein syrisches Armeelager nahe der Stadt Tal Abyad und tötete offenbar drei syrische Soldaten.

Die russische Regierung, ein Verbündeter des syrischen Regimes, erklärte, sie habe die Versicherung aus Damaskus erhalten, dass der syrische Granateneinschlag ein Irrläufer gewesen sei. Der türkische NTV-Sender berichtete, Syrien habe seine Kampfflugzeuge und Artillerieeinheiten angewiesen, sich der Türkei nicht näher als zehn Kilometer anzunähern.

Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan soll den Versicherungen aus Moskau jedoch widersprochen haben. Ein türkischer Sprecher erklärte, der Granatenbeschuss vom Mittwoch sei "von anderer Größenordnung" als bisherige Fälle, in denen Geschosse aus Syrien in der Türkei niedergingen.

Die amerikanische und die türkische Regierung reagieren mit provokativen Kriegsdrohungen gegen Syrien. Seit fast einem Jahr schon versuchen die USA, vom UN-Sicherheitsrat die Erlaubnis für militärische Operationen, wie zum Beispiel eine Flugverbotszone, zu erhalten, um die syrische Opposition aktiv gegen die Regierung unterstützen zu können.

Vergangenes Wochenende hat US-Verteidigungsminister Leon Panetta angedeutet, dass die Kämpfe zwischen Syrien und der Türkei "eskalieren" könnten, und implizit mit einem umfassenden Angriff der Türkei auf Syrien gedroht. Da die Türkei ein Nato-Mitgliedsstaat ist, könnte sie den Bündnisfall erklären, was andere Nato-Mitglieder in Europa und Nordamerika zwingen würde, auf ihrer Seite in den Krieg gegen Syrien einzutreten.

Panetta sprach auf einem Militärgipfel in Paraguay und sagte: "Man wird sehen, ob der Konflikt sich auf die Nachbarländer, zum Beispiel die Türkei, ausdehnt oder nicht. Aber offensichtlich weckt die Tatsache, dass die zwei Länder sich jetzt beschießen, neue Befürchtungen, dass dieser Konflikt sich ausweiten könnte."

Panetta drohte auch dem Hauptverbündeten Syriens in der Region, dem Iran, obwohl lähmende US- und EU-Sanktionen gegen die iranische Ölindustrie heute schon die Preise in die Höhe treiben und im Iran zu Protesten führen. Wenn der Iran amerikanische Forderungen hinsichtlich seines Nuklearprogramms nicht erfülle, drohte Panetta, müsse er sich nicht wundern, "wenn die internationale Gemeinschaft weitere Sanktionen verhängt".

Nur zwei Tage vor Panettas Äußerungen verabschiedete die türkische Regierung der islamischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) ein Gesetz, das Erdogan ermächtigt, Soldaten "in fremde Länder" zu schicken. Daraufhin wurden die türkische Luftwaffe und Marine unverzüglich mobilgemacht. (Siehe auch: Mass protest against threatened Turkey-Syria war [1])

Dieses Gesetz provozierte sofort Massenproteste in Istanbul. Auch in der türkisch-syrischen Grenzregion kam es zu Demonstrationen gegen den Krieg.

Die Zwischenfälle an der Grenze unterstreichen die Tatsache, dass die USA durch die Unterstützung der "Rebellen" in Syrien einen regionalen Stellvertreterkrieg ausgelöst haben, der sich durchaus zu einem Nahostkrieg oder gar Weltkrieg auswachsen könnte.

Im Kampf gegen eine amerikanische Invasion Syriens könnte sich die russische oder die chinesische Regierung an die Seite des Iran stellen, der einen Beistandspakt mit Syrien hat. Die Vereinigten Staaten würden sich ihrerseits auf die Unterstützung der Nato-Partner verlassen, zu denen auch die Türkei gehört, sondern auch auf die Golfstaaten Saudi Arabien und Katar, welche die US-gestützte syrische Opposition heute schon finanzieren und ausrüsten.

Die Kriegsdrohungen der amerikanischen und türkischen Regierungen beinhalten also die Gefahr, einen militärischen Flächenbrand auszulösen, wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Die Regierung in Washington macht eine Konfrontation umso wahrscheinlicher, als sie den Iran wirtschaftlich durch verheerende Sanktionen erdrosselt, die in erster Linie von den USA und den europäischen Mächten durchgesetzt werden. Der Wert des iranischen Rial fiel vergangene Woche gegen den Dollar um vierzig Prozent, während der Preis von Grundnahrungsmitteln im Land heute achtzig Prozent über dem vom letzten Jahr liegt. Die Hauptlast dieses beinahe-Wirtschaftszusammenbruchs trägt die arbeitende Bevölkerung (siehe dazu: US wages economic war on Iran [2])

Die Washingtoner Regierung versucht, dem Iran wirtschaftlich zu schaden, indem sie ihm seine letzten noch verbliebenen Kunden abspenstig macht: Indien bezahlt bisher seine Öllieferungen aus dem Iran in Dollars über die türkische Halkbank, soll aber in Zukunft 45 Prozent seiner iranischen Ölimporte in eigener Währung, in Rupien, bezahlen. Dadurch hängen die iranischen Ölimporte für Indien in viel größerem Maße davon ab, dass die USA Ausnahmen von den Sanktionen erlauben. Solche Ausnahmen werden zurzeit aber nur für 180 Tage gewährt.

Die EU erwägt, auch die Erdgasimporte aus dem Iran zu verbieten.

Das Konfliktpotential zwischen Israel und dem Iran zeigte sich am Sonntag erneut, als Israel eine kleine, unbewaffnete Drohne über der Wüste Negev abschoss. Die Drohne überquerte den Gazastreifen und flog, offenbar vom Mittelmeer kommend, nach Südisrael, wo sie etwa hundert Kilometer vom israelischen Atomreaktor Dimona entfernt, abgeschossen wurde. Wie vermutet wird, produziert Israel in Dimona waffenfähiges, nukleares Material.

Die israelische Regierung gab keinen offiziellen Kommentar ab, wen sie für den Drohnenflug verantwortlich macht. Nach dem Drohnenabschuss schickte sie jedoch Kampfjets in den libanesischen Luftraum, was nahelegt, dass sie davon ausgeht, die Drohne sei von der Hisbollah im Libanon, einem Verbündeten des Iran, abgeschickt worden. Schon während der israelischen Invasion des Libanon von 2006 hatte Hisbollah einmal eine bewaffnete Drohne in den israelischen Luftraum geschossen.

Im September erklärte Hisbollah-Führer Nasrallah, seine Partei sei in der Lage, den Dimona-Reaktor zu bombardieren.

Der Iran hat erstmals 2010 enthüllt, dass er über bewaffnete Drohnen verfügt, und hat diese Technologie seither verfeinert. Er soll auch davon profitiert haben, dass er US-Drohnen, die den iranischen Luftraum überflogen, beschlagnahmte und von seinen Ingenieuren nachbauen ließ.

Anfang Oktober kündigte der Iran an, er verfüge über eine neue, Raketen-bestückte Drohne mit zweitausend Kilometern Reichweite. Die USA gehen in ihren Berichten davon aus, dass im Iran bewaffnete Drohnenflüge geprobt werden, die gegen Dimona oder Haifa eingesetzt werden könnten.

Verweise:
[1] http://www.wsws.org/articles/2012/oct2012/turk-o06.shtml
[2] http://www.wsws.org/articles/2012/oct2012/pers-o06.shtml

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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.10.2012
Schießereien an türkisch-syrischer Grenze
http://www.wsws.org/de/2012/okt2012/tusy-o11.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2012