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GLEICHHEIT/4278: Deutschland - 600.000 Haushalte pro Jahr ohne Strom


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Deutschland: 600.000 Haushalte pro Jahr ohne Strom

Von Ernst Wolff
30. Juni 2012



Die nordrhein-westfälischen Verbraucherzentralen haben ermittelt, dass in Deutschland derzeit rund 600.000 Haushalten im Jahr der Strom gesperrt wird, weil sie ihre Rechnungen nicht begleichen können. Allein in der Stadt Köln wurden 2008 rund 8.000 Anschlüsse abgeschaltet, 2011 waren es bereits 10.936.

Unmittelbarer Grund ist der rasante Anstieg der Strompreise. Von Januar bis Juni 2012 verteuerte sich die durchschnittliche Kilowattstunde in Deutschland von 24,57 auf 25,04 Cent. 2007 hatte der Preis noch bei 20,63 Cent, im Jahr 2000 bei 13,94 Cent gelegen.

Hinter dieser Entwicklung steht die seit 1998 betriebene Privatisierung des Energiesektors. Die von der EU verordnete "Deregulierung des Marktes" hat dazu geführt, dass sich heute 80 Prozent der stromerzeugenden Betriebe, die früher dem Staat (zumeist den Stadtwerken der Kommunen) gehörten, in privater Hand befinden.

Vier Großkonzerne - RWE, Eon, Vattenfall Europe und EnBW - teilen sich gegenwärtig den Markt. Allein RWE und Eon dominieren mittlerweile mehr als 60 Prozent der Kraftwerkskapazitäten. Vattenfall Europe und EnBW bringen es zusammen auf mehr als 20 Prozent. Den Rest betreiben einzelne Stadtwerke und einige Industriebetriebe wie BASF.

Die von Brüssel geforderte und in ganz Europa vorangetriebene "Liberalisierung" des Energiesektors ist ein anschauliches Beispiel für die verheerenden Folgen der Politik der EU. Während die Großkonzerne profitieren, muss die arbeitende Bevölkerung immer neue Einbußen ihres Lebensstandards hinnehmen.

Bereits in den ersten sieben Jahren nach Beginn der Privatisierung wurden bis 2005 im deutschen Energiesektor auf Grund von Rationalisierungsmaßnahmen und "Anpassungen" 127.000 Arbeitsplätze vernichtet, die meisten davon in der Stromerzeugung. Statt der zuvor versprochenen niedrigeren Preise auf Grund des "Konkurrenzkampfes" sind die Strompreise mittlerweile zwölf Jahre in Folge angestiegen und werden auch in Zukunft weiter steigen.

So erhöhten sechs der sieben Regionaltöchter des größten Stromkonzerns E.ON bereits zum 1. Juni 2012 ihre Preise um 4,0 bis 7,0 Prozent. Die Karlsruher Energieversorgung Baden-Württemberg (EnBW) erhöht ihre Preise zum 1. August 2012 um 2,7 Prozent. RWE kündigte vor wenigen Tagen an, die Strompreise in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zum 1. August um 6,5 Prozent auf 26,18 Cent pro Kilowattstunde heraufzusetzen.

Die von den Energiekonzernen in letzter Zeit angeführten "hohen Kosten der Energiewende" und die Begründung der Preistreiberei mit der EU-Umlage für erneuerbare Energien (EEG) sind reine Augenwischerei. Die Monopolisten versuchen, ihre gigantischen Milliardenprofite kontinuierlich durch Rationalisierungen und Preissteigerungen zu erhöhen, um mit den Gewinnen am Finanzmarkt zu spekulieren und ihre Vorstände auch in Zukunft fürstlich zu entlohnen. Dass sie dabei vor allem die ärmsten Teile der Bevölkerung treffen, interessiert sie nicht im Geringsten.

Dabei ist nicht nur der Bereich der Energieversorgung von dieser Entwicklung betroffen. Mit den Stromerzeugern wurden in den Neunziger Jahren im Einklang mit den Vorgaben der EU weite Bereiche des öffentlichen Dienstes privatisiert - Krankenhäuser, der Nahverkehr oder Sporteinrichtungen wie öffentliche Schwimmbäder sind nur einige Beispiele.

Hintergrund dieser Entwicklung war einerseits die wachsende Verschuldung der Kommunen, andererseits der Hunger des Finanzkapitals nach immer neuen Anlagemöglichkeiten. Während der Verkauf von Krankenhäusern, Verkehrssystemen und Sporteinrichtungen die Kommunen kurzfristig entlastete, bedeutete er für die arbeitende Bevölkerung eine Einschränkung und gleichzeitige Verteuerung des Angebots. Durch die Unterordnung öffentlicher Dienste unter das Profitmotiv entfallen nach und nach all diejenigen Leistungen, mit denen sich kein Geld verdienen lässt.

Vor allem die armen Teile der Bevölkerung trifft diese Entwicklung mit voller Härte. Zu ihnen zählen gemäß der europäischen Statistikbehörde Eurostat knapp sechzehn Millionen Deutsche oder 19,7 Prozent der Bevölkerung. Viele dieser Menschen sind erst in den vergangenen zehn Jahren in die Armut abgerutscht. Ursache war in den meisten Fällen der Übergang in prekäre Arbeitsverhältnisse oder in den Billiglohnsektor.

Dass bereits 600.000 Haushalte nicht mehr in der Lage sind, ihre Stromrechnungen zu zahlen (gesperrt wird am Allgemeinen erst nach fünf nicht erfolgten Zahlungen), ist ein deutliches Alarmzeichen. Es zeigt, dass sich die Lage armer Menschen in Deutschland derzeit drastisch verschärft.

Keinen Strom zu haben, bedeutet nicht nur, auf heißes Wasser und warme Mahlzeiten verzichten zu müssen. Es bedeutet auch, dass Kinder unter Bedingungen aufwachsen, die es seit dem zweiten Weltkrieg in diesem Land nicht gegeben hat. Es bedeutet, dass die elementarsten Grundsätze der Hygiene nicht beachtet werden können, was zur Schwächung der Abwehr vor allem von Kindern, Senioren und kranken Menschen und zur Ausbreitung von Krankheiten führt.

Es bedeutet, dass in der viertstärksten Volkswirtschaft der Welt, in der der Verkauf von Luxusgütern ständig neue Umsatzrekorde verbucht, 600.000 Haushalten eine menschenwürdige Grundversorgung verweigert wird, die bis vor kurzem noch als selbstverständlich galt.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.06.2012
Deutschland: 600.000 Haushalte pro Jahr ohne Strom
http://www.wsws.org/de/2012/jun2012/ener-j30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2012