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GLEICHHEIT/4189: Spanische Schuldenkrise bringt globale Wirtschaft an den Rand des Abgrunds


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Spanische Schuldenkrise bringt globale Wirtschaft an den Rand des Abgrunds

Von Nick Beams
1.‍ ‍Mai 2012



Kaum vier Monate, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) in die Finanzmärkte eingriff und eine Billion Euro zu extrem niedrigen Zinsen zur Verfügung stellte, um Banken aus den finanziellen Schwierigkeiten zu helfen, steht das europäische Finanzsystem erneut vor einer Krise mit weitreichenden globalen Implikationen.

Die jüngsten Marktturbulenzen sind einerseits Ergebnis der EZB-Maßnahmen nach deren so genannten Longer Term Refinancing Operations (LTRO); gleichzeitig sind sie Folge der Sparprogramme, die auf Betreiben der Finanzmärkte in ganz Europa durchgeführt werden.

Seit der Beinahe-Zahlungsunfähigkeit Griechenlands Ende des letzten Jahres hat sich das Auge des Finanzsturms nach Spanien, der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone, verschoben. Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien auf fast 25 Prozent gestiegen sei.

Dem Sprung in der Arbeitslosenrate ging eine Herabstufung Spaniens um gleich zwei Stufen durch die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) voraus. Damit ist Spanien in nur sieben Monaten um drei Stufen herabgestuft worden.

S&P kommentierte: "Die negative Aussicht unserer längerfristigen Einstufung reflektiert unsere Einschätzung, dass es für Spaniens Wirtschaftswachstum und seine Haushaltspolitik deutliche Risiken gibt. Wir denken, dass diese Risiken Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit des Staates haben werden."

Die Agentur erwartet, dass die spanische Wirtschaft in diesem Jahr um anderthalb Prozent und im nächsten Jahr um ein weiteres halbes Prozent zurückgehen wird. Bisher gingen die Finanzmärkte davon aus, dass die spanische Wirtschaft 2012 um 0,3 Prozent und im nächsten Jahr um ein Prozent wachsen würde.

Der spanische Außenminister Jose Manuel Garcia-Margallo sagte, das Land stehe vor einer "ungeheuren Krise". Die spanischen Banken bräuchten eventuell ein Rettungsprogramm über 120 Milliarden Euro bis Ende des Jahres.

Garcia-Margallo warnte die stärkeren europäischen Mächte, besonders Deutschland, und verglich die Situation mit der Titanic. "Wenn es hier zu einem Untergang kommt, dann ertrinken auch die Passagiere in der ersten Klasse", sagte er.

Es gibt Befürchtungen, dass die spanische Krise sich nach Italien und auf das übrige Europa ausdehnt, wenn sie länger anhält. Das drittgrößte Land der Eurozone, Italien, ist mit fast zwei Billionen Euro verschuldet, mehr als doppelt so viel wie Spanien mit seinen 724 Milliarden Euro. Auch das Kreditrating Frankreichs könnte erneut herabgesetzt werden.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) lenkte vergangene Woche in einer Erklärung die Aufmerksamkeit auf die gefährliche Lage der spanischen Banken. Dort hieß es, der spanische Finanzsektor habe in den letzten vier Jahren eine Krise von "beispiellosen Ausmaßen" erlebt. Das "Platzen der Immobilienblase" berge enorme Risiken. Wie sich gezeigt habe, beinhalteten die Finanzpolitik und die Regulierung große Schwächen, besonders was eine übermäßige Finanzierung über die Finanzmärkte statt über Spareinlagen betreffe.

Ungewöhnlich offen schrieb der IWF über Spaniens Banken: "Um Finanzstabilität zu erhalten, müssen diese Banken, besonders die größte, unbedingt schnelle und entscheidende Maßnahmen ergreifen, um ihre Bilanzen zu stärken und die Management- und Leitungspraktiken zu verbessern." Mit "der größten" ist Bankia gemeint, ein Zusammenschluss von sieben Privatkundenbanken, die besonders gefährdet sind, weil sie bis zum Hals in dem Zusammenbruch des Baubooms stecken.

Aber die Krise hat ihre Ursachen nicht nur in Spanien. Sie ist auch das Ergebnis der angeblichen "Rettungsmaßnahmen" der EZB unter der Bezeichnung LTRO.

Dieses Programm stellte schwachen Banken EZB-Mittel zu einem Zinssatz von nur einem Prozent zur Verfügung, um eine Liquiditätskrise zu verhindern, die sich im ganzen Finanzsystem hätte verbreiten können. Das Programm wurde im Dezember aufgelegt, weil befürchtet wurde, Europa drohe eine Krise im Ausmaß der Lehman Brothers Pleite.

Die Maßnahmen der EZB boten allerdings keine langfristige Lösung. Sie haben das Problem in Wirklichkeit verschärft. Denn die schwachen Banken, die Mittel bekommen hatten, nutzten sie nicht, um die Realwirtschaft mit Krediten zu versorgen, sondern kauften Staatsanleihen in der Hoffnung auf einen schnellen Profit. Infolgedessen ist das Schicksal der schwächsten Banken jetzt mehr denn je mit dem Schicksal der Regierungen mit den größten Schuldenproblemen verbunden.

Die Schritte der EZB boten den Finanzmärkten in den ersten vier Monaten des Jahres zwar eine kurzfristige Atempause, aber die Unruhe kehrt in noch virulenterer Form zurück. Es kommt die Sorge auf, die Banken hätten kein Geld mehr, Staatsanleihen zu kaufen.

Diese Befürchtungen spiegeln sich in den jüngsten Zinssteigerungen für spanische und italienische Staatsanleihen wider. Die Zinsen für spanische Schuldtitel haben in den letzten Tagen die kritische Marke von sechs Prozent erreicht. Die italienischen Zinssätze, die im März auf 4,5 Prozent gefallen waren, nachdem sie im Januar an der sieben Prozent Marke gekratzt hatten, zogen wieder auf 5,63 Prozent an.

Hedgefonds sollen schon wieder gegen die Volkswirtschaften der Eurozone wetten, weil sie der Meinung sind, dass die Stärkung der Liquidität kein Beitrag zu einer dauerhaften Lösung sei. Einem Bericht in der Financial Times zufolge wetten zahlreiche Hedgefonds "schon ganz direkt darauf, dass Europas Probleme so tief sitzen, dass sie in den kommenden Monaten noch viel schlimmer werden als das, was die Eurozone bisher erlebt hat".

Die Unsicherheit im Finanzsystem wird durch die Sparprogramme weiter verschlimmert, die die europäischen Volkswirtschaften immer weiter in die Rezession treiben. Gerade das führt zu einem Teufelskreis. Wenn das Wirtschaftswachstum zurückgeht, sinken die Steuereinnahmen, und das führt zu einer Verschlimmerung der Schuldensituation und lässt die Zinsen für Staatsanleihen weiter steigen.

Das beste Beispiel dafür ist Spanien. Die Steuereinnahmen werden wahrscheinlich um eine Milliarde Euro geringer ausfallen, weil in den ersten drei Monaten des Jahres 374.300 Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Gleichzeitig haben spanische Banken ca. 316 Milliarden Euro bei der EZB geliehen. Das entspricht elf Prozent ihrer gesamten Bilanzsumme. Alles was über zehn Prozent liegt, wird als "kritisch" angesehen und erfordert dringend die Zufuhr neuer Eigenmittel.

Ex-US-Finanzminister Lawrence Summers gab in einem Kommentar in der Financial Times vom Samstag den Befürchtungen amerikanischer Finanzinstitutionen Ausdruck. Er wies darauf hin, dass das Bereitstellen von Liquidität durch die EZB kaum mehr als eine Beruhigungspille sei. "Schwache Banken, besonders in Spanien, haben mehr Schuldtitel ihres schwachen Staates gekauft, während Ausländer ihre Portfolios bereinigt haben. Die Märkte sehen, dass die Banken immer nervöser werden. Europa und die globale Wirtschaft nähern sich schon wieder dem Abgrund."

Die spanische Krise wird Wirkung über die Grenzen von Europa und den USA hinaus entfalten. Letzte Woche schrieb der IWF in einem Bericht zu Asien, die globale Wirtschaft bliebe "ungewöhnlich verwundbar", und weitere "Rückschläge" würden "große Auswirkungen" in Asien haben. "Besonders ein starker Rückgang der Exporte in die fortgeschrittenen Länder und eine Umkehr der Kapitalströme würden schwere Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität in der Region haben", heißt es in dem IWF-Bericht.

Vieles deutet darauf hin, dass die Umkehr der Kapitalströme schon begonnen hat. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nannte Zahlen, denen zufolge europäische Banken in den letzten drei Monaten von 2011 schon hundert Milliarden Dollar aus Asien abgezogen haben.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.05.2012
Spanische Schuldenkrise bringt globale Wirtschaft an den Rand des Abgrunds
http://www.wsws.org/de/2012/mai2012/span-m01.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2012