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GLEICHHEIT/4147: Piscators Film "Aufstand der Fischer" in Berlin vorgestellt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

62. Internationale Filmfestspiele Berlin - Teil 6
Piscators Film Aufstand der Fischer in Berlin vorgestellt

Von David Zöllner und Bernd Reinhardt
30. März 2012



Sechster, abschließender Teil unserer Artikelserie über die 62. Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) vom 9. bis 19. Februar 2012. Der erste Teil der Serie erschien am 25. Februar, der zweite Teil am 3. März, der dritte Teil am 7. März, der vierte Teil am 13. März und der fünfte Teil am 17. März

Im Rahmen der diesjährigen Berlinale-Retrospektive Die rote Traumfabrik kam eine wiedergefundene stumme Fassung von Erwin Piscators Aufstand der Fischer, seine einzige Filmregiearbeit, zur deutschen Erstaufführung. Der Originalfilm in russischer Sprache, entstanden nach Anna Seghers' Novelle Aufstand der Fischer von St. Barbara (1928), hatte seine Premiere 1934 in Moskau.

Erwin Piscator (1893 - 1966) war einer der bekanntesten Theaterregisseure seiner Zeit, der in den 1920er-Jahren in Berlin politische Themen in experimentellen und teils spektakulären Inszenierungen aufgriff. Er mischte sich mit seinen Stücken ins Zeitgeschehen ein und entwickelte für sein Politisches Theater zahlreiche Neuerungen: Erweiterung der Bühne, Verwendung von Texttafeln und Filmprojektion, mechanische Laufbänder usw.

Wie der große Max Reinhardt war Piscator ein Meister der Massenregie. Doch ging es ihm nicht darum das Publikum in eine andere Welt zu entführen sondern zu zeigen, wie sie funktioniert. Sein künstlerisches und politisches Engagement brachte ihn mit einigen sehr bedeutenden Persönlichkeiten und Künstlern zusammen, wie Bertolt Brecht, László Moholy-Nagy, den Brüdern Herzfeld/Heartfield, George Grosz u. a. Bereits 1918 trat er gemeinsam mit John Heartfield und Grosz der KPD, d. h. zunächst dem Spartakusbund, bei.

Der Film Aufstand der Fischer handelt vom Kampf der Fischer des fiktiven Ortes St. Barbara gegen die Ausbeutung durch den Reeder Bredel. Ästhetisch knüpfen eindrückliche Großaufnahmen, z. B. des Streikführers, und aufwendige, mitreißende Massenszenen an die Tradition der Revolutionsfilme an. Untermalt werden sie von atmosphärischen Aufnahmen, z. B. der stürmischen See, die schon bei Panzerkreuzer Potemkin (1925) zum Sinnbild der sich zuspitzenden Konflikte und überschäumender revolutionärer Energie wird.

Zweifellos wollte Piscator mit Aufstand der Fischer dazu beitragen, einen Sieg Hitlers in Deutschland zu verhindern. Der Regisseur erklärte, der Film sei: "ein Stückchen Widerstand gegen die immer frecher werdenden Nazis und ein humanes Bekenntnis zum Gedanken der Solidarität." Der Films appelliert an die unterdrückten Schichten des Kleinbürgertums, sich dem Kampf der Arbeiter anzuschließen.

Der Film ist als politisches Lehrstück konzipiert, so wie Brecht und Piscator es für das Theater entwickelten. So gibt es kommentierende Chöre und Texteinfügungen. Piscator selbst bedauerte, dass ihm im Film die Individualität der Figuren nicht recht geglückt sei. Die einzelnen Charaktere stehen mehr für verschiedene politische Perspektiven.

Der Fischer Kedennek, der zunächst für Bredel aufs Meer fährt, wird durch die frustrierenden Erfahrungen immer militanter und fordert schließlich den Tod der Kapitalisten, allerdings in Form individueller Attentate. Später wird ihn sein individueller Kampf das Leben kosten. Als er mit dem Streikbrecher Kerdhuys aneinandergerät, wird er von Soldaten erschossen, die die Streikbrecher schützen. Zur Beerdigung Kedenneks kommen Fischer mit ihren Familien aus der ganzen Gegend. Hier bricht der Aufstand aus. Geschockt von dem harten Durchgreifen des Militärs, stellt sich Kerdhuys auf die Seite der Streikenden.

Als die ganze Küste gegen Bredel rebelliert, wähnt er das Hauptziel bereits erreicht. "Wir haben es geschafft!" Der kommunistische Arbeiterführer Hull hält ihm entgegen, dass dies nicht reicht, dass man "den Kampf ums Brot um einen Kampf um die Macht" verwandeln muss.

Das zentrale Anliegen des Films ist der gemeinsame Kampf von Arbeitern und unterdrückten Kleinbürgern gegen den Kapitalismus bzw. gegen den Faschismus. Ohne Frage hat diese Frage eine große Bedeutung. Ein erfolgreicher Kampf sowohl gegen die Nazis als auch für eine Arbeiterregierung ist unmöglich, ohne die breite Unterstützung kleinbürgerlicher Schichten zu gewinnen. Doch es gibt bezüglich dieser Frage einige Ungereimtheiten im Film.

Hull spricht an Kedenneks Grab von einer Einheitsfront. Er erklärt, dass die Matrosen sich mit den Fischern bereits in einem gemeinsamen Kampf befinden. "Unsere Reihen sind geschlossen. Vorwärts die rote Einheitsfront der Werktätigen der See! Ballen wir die Finger zur Faust - Rot Front!"

Ist der Weg zu sozialistischen Überzeugungen so leicht?

Und sind kleine Selbständige "Werktätige der See"? Vielleicht wäre Piscator die Frage spitzfindig vorgekommen, gehören doch die Fischer zum unterdrückten Teil des Kleinbürgertums. Und geht es nicht darum, alle Unterdrückten gegen die Unterdrücker zu mobilisieren?

Die Frage der Einheitsfront spielte in der Arbeiterbewegung der zwanziger und frühen dreißiger Jahre eine zentrale Rolle. Gemeint waren damit Aktionsbündnisse unterschiedlicher Arbeiterorganisationen und parteiloser Arbeiter zur Verteidigung elementarer Arbeiterrechte gegen die Reaktion Eine gemeinsame Front zwischen KPD und SPD gegen die Nazis entsprach dem Gefühl vieler Arbeiter. Sie wurde sabotiert durch Stalins Politik des "Sozialfaschismus", die die KPD aufforderte, die SPD als faschistische Organisation zu bekämpfen.

Als nach Hitlers Machtergreifung Sozialdemokraten und Kommunisten gleichermaßen von den Nazis verfolgt und inhaftiert wurden, hielt die stalinisierte Kommunistische Internationale an der Politik der Arbeiterspaltung fest. Trotzki betrachtete dies als Wendepunkt. Die Komintern hatte ihre Reformunfähigkeit gezeigt und war zu einem Werkzeug der Konterrevolution geworden. Trotzki bestand auf der Notwendigkeit einer neuen Internationale.

1935 wurde auf dem 7. Weltkongresse der Komintern die Politik der Volksfront zur offiziellen Linie. Das politische Ziel der alten kommunistischen Bewegung, die politische Unabhängigkeit der Arbeiter, wurde damit endgültig begraben. Der Kampf gegen den Kapitalismus wurde vom Kampf gegen den Faschismus getrennt und bürgerlich-liberale Parteien und Regierungen zu Partnern erklärt. Sehr weit fasste der KPD-Führer Walter Ulbricht (späterer Staatratsvorsitzender der DDR) die prinzipienlose Bündnispolitik der Volksfront gegen den Faschismus. In einer Radiorede "An Deutsche Arbeiter, Bauern und Mittelständler im Reichsheer" warb er auch um "schaffende Volksgenossen in der SA und in der Hitlerjugend."

Die Einführung der Volksfront, die scheinbar die Spaltung der Arbeiter überwand, führte zu großer Verwirrung. Das galt besonders für zahlreiche linke Intellektuelle, deren politische Erfahrung und Wissen nicht ausreichte, um den Charakter dieser Politik zu durchschauen und abzulehnen. Auffällig ist beispielsweise bei Brecht aber auch in Piscators Film, dass die Frage von Sozialismus und Revolution sowie der Beziehung der Klassen zueinander, ziemlich vordergründig auf ökonomische Aspekte reduziert wird. Das führt letztlich dazu, politisch-ideologische Probleme der Arbeiterbewegung gegenüber organisatorischen Fragen zu unterschätzen.

Im Film Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? (1932) von Slatan Dudow (unter Mitarbeit von Brecht) werden Solidarität und Einheit sehr stark im Sinne von Einheit "organisieren" aufgefasst, nicht als Einheit durch die Klärung politischer Fragen und Differenzen. Bei Piscator werden die diszipliniert, weil organisiert, streikenden Fischereimatrosen dem chaotischen ersten Aufbegehren der Fischer gegenübergestellt. Und der Kommunist Hull macht klar, dass ein einzelnes Messer keine Lösung ist, dass man die vielen "Kedenneks" zusammenschließen muss. Die treibende Kraft zum Sozialismus ist die unmittelbare Kampferfahrung - bis zum "Kampf um die Macht".

Man kommt als Zuschauer nicht auf die Idee, dass Sozialismus und revolutionärer Kampf eine wissenschaftliche Grundlage haben und Arbeiter diese Wissenschaft studieren müssen. Es scheint etwas zu sein, wie Brecht schon in dem Gedicht Lob des Kommunismus erklärt, das relativ leicht zu verstehen ist, weil es "vernünftig" ist und weil: "Du bist doch kein Ausbeuter."

Piscator benutzt in Aufstand der Fischer den Begriff der Einheitsfront, nicht der Volksfront, erklärt aber später, dass der Film "in der damaligen Situation eine Art Volksfrontverbindung gegen den Nationalsozialismus propagieren sollte."

Aufstand der Fischer hinterlässt trotz beeindruckender Bilder insgesamt einen zwiespältigen Eindruck. So klar und einfach die Schilderung des Aufstands auch ist, so schematisch, didaktisch wirkt sie. Das Revolutionspathos kann die Abstraktheit des Films nicht verdecken. Der Film will die Menschen gegen die faschistische Gefahr wachrütteln, doch wichtiger wäre gewesen, darüber nachzudenken, warum große Teile des deutschen Kleinbürgertums nicht der stalinistischen KPD sondern den Nazis gefolgt war.

Stalin kritisierte, Berichten zufolge, den Film aus anderen Gründen. "Überhaupt muß man aufhören, den Zuschauer mit alten Themen, selbst wenn sie nicht schlecht sind, vollzustopfen [...]."

Der Film verschwand schnell aus der Öffentlichkeit. Offensichtlich war Stalin ein Dorn im Auge, dass der Film immer noch der Revolution die Treue hielt, zu internationaler Solidarität aufrief und das spontane Aufbegehren der Massen gegen Unterdrückung zeigt.

Der Übergang der stalinistischen Bürokratie zur Volksfront, der Hintergrund zu Piscators Aufstand der Fischer, stellte eine weitere Stufe des Verrats am Sozialismus und am Kampf gegen den Faschismus dar. Viele Intellektuelle und talentierte Künstler verstrickten sich, in besten Absicht, im stalinistischen Spinnennetz. Nicht wenige fielen dem Großen Terror zu Opfer.

Auch gegen Piscator hatten 1936 bereits erste Verhöre begonnen, als er die Möglichkeit bekam, offiziell nach Paris zu reisen. Er kehrte nicht in die Sowjetunion zurück, was ihm wahrscheinlich das Leben rettete. Piscator emigrierte nach Amerika und verließ die USA während der McCarthy-Ära. Er starb in Westdeutschland (BRD).

Ob die heutige Unvollständigkeit von Aufstand der Fischer auf Zensur, Schlamperei oder beides zurückzuführen ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Von den offenbar schon unvollständigen und zerstückelten Fassungen des Films, die Piscator zu Lebzeiten noch zu Gesicht bekam, (in der BRD und der DDR wurde er erstmals in den 60er Jahren gezeigt.) distanzierte er sich empört: "Die Kopie des Films, die ich sah, ist so ungeheuer schlecht, daß ich - wenn ich die Macht dazu hätte - sie verbieten würde."


Teil 1 der Artikelserie siehe unter:
Internationale Filmfestspiele Berlin 2012
Einige Glanzstücke der 62. Berlinale
http://www.wsws.org/de/2012/feb2012/berl-f25.shtml

Teil 2 der Artikelserie siehe unter:
62. Internationale Filmfestspiele in Berlin - Teil 2
Politische Filme bei der Berlinale
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/ber2-m03.shtml

Teil 3 der Artikelserie siehe unter:
62. Internationale Filmfestspiele in Berlin - Teil 3
Diese Filme sind ein Versprechen, dass es anders sein kann.
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/roth-m07.shtml

Teil 4 der Artikelserie siehe unter:
62. Internationale Filmfestspiele Berlin 2012 - Teil 4
Eisensteins Film Oktober - ein gewaltiger Torso
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/eise-m13.shtml

Teil 5 der Artikelserie siehe unter:
62. Internationale Filmfestspiele Berlin - Teil 5
Linke deutsche Filme der zwanziger Jahre -
und die Probleme, die sie offenbaren
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/berl-m17.shtml

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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.03.2012
62. Internationale Filmfestspiele Berlin - Teil 6
Piscators Film "Aufstand der Fischer" in Berlin vorgestellt
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/pisc-m30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2012