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GLEICHHEIT/4105: Italien - Regierung Monti dereguliert Arbeitsmarkt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italien: Regierung Monti dereguliert Arbeitsmarkt

Von Marianne Arens
6. März 2012


Seit die "Experten"-Regierung von Mario Monti vor drei Monaten in Italien die Amtsgeschäfte übernahm, hat sie keine Zeit verstreichen lassen. Bereits im letzten Jahr hat das Parlament ein Sparpaket über 80 Milliarden Euro verabschiedet, das das Renteneintrittsalter deutlich hinaufsetzt und einkommensschwache Schichten durch die Erhöhung von Mehrwert- und Energiesteuern schröpft. Nun ist sie dabei, den Arbeitsmarkt zu deregulieren.

Am vergangenen Donnerstag verabschiedete der Senat ein Deregulierungsgesetz, das die Konzessionen für Taxibetriebe, Apotheken und andere Dienstleistungen freigibt und bestimmte Privilegien der katholischen Kirche beschneidet. Mario Monti verknüpfte die Entscheidung im Senat mit einer Vertrauensabstimmung, um zu vermeiden, dass über 1.700 Zusatzanträge einzeln abgestimmt werden muss. Nun muss das Gesetz noch von der Abgeordnetenkammer beschlossen werden.

Eine Entscheidung über den Paragrafen 18 des Strafgesetzbuches, der den Kündigungsschutz regelt, wurde vorläufig ausgeklammert, da die Regierung eine Übereinkunft mit den Gewerkschaften sucht. Sie soll noch vor Ende März erzielt werden, wie Monti den Medien erklärte.

Unternehmer, Politiker und Medien führen seit langem eine vehemente Kampagne gegen den Paragrafen 18, den sie als veraltetes Relikt aus der Geschichte darstellen. Der Paragraf ist eine Errungenschaft der militanten Arbeitskämpfe der 1960er Jahre. Er knüpft Entlassungen in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten an strenge Voraussetzungen. Die offizielle Propaganda stellt ihn als unberechtigtes "Privileg" von Arbeitern mit festem Arbeitsplatz dar, das Unternehmen daran hindere, Jugendliche und Arbeitslose einzustellen.

Die Aufweichung oder Abschaffung des Paragrafen 18 gilt in Wirtschaftskreisen als Kernelement der Arbeitsmarktreformen, die den Arbeitsmarkt deregulieren, flexiblere Arbeitsbedingungen schaffen und das Lohnniveau deutlich senken sollen.

Reuters schreibt: "Das Risiko besteht darin, dass das Land zwar eine schwindelerregende Schuldenkrise vermieden hat, dass es jedoch ohne größere Deregulierung und Arbeitsmarktflexibilität nach wie vor in der Falle von Niedrigwachstum und Hochverschuldung stecken bleibt, in der es mehr als zehn Jahre lang dümpelte."

Regierungschef Monti erklärte im Fernsehen, Jugendliche sollten sich besser "an die Vorstellung gewöhnen, keinen Arbeitsplatz für ihr ganzes Leben mit festem Arbeitgeber an der gleichen Arbeitsstelle" zu bekommen. Um ihnen Arbeit zu verschaffen, müsse man "jene, die zurzeit vom Gesetz sehr, sehr stark beschützt werden, etwas weniger schützen".

Wie schon bei der Verabschiedung des Sparpakets kann sich Monti auch bei der Abschaffung des Kündigungsschutzes auf eine breite Parteienkoalition stützen, die vom "Volk der Freiheit" (PdL) seines Vorgängers Silvio Berlusconi bis zu den Demokraten und anderen Nachfolgeorganisationen der Kommunistischen Partei reicht.

Auch die Gewerkschaften stehen voll hinter Montis Plänen, selbst wenn sie sich manchmal gezwungen sehen, symbolische Proteste zu organisieren, um ein Ventil für die Empörung der Arbeiter zu schaffen. So haben der größte und traditionell militanteste Gewerkschaftsverband CGIL und die ihm angegliederte Metallergewerkschaft FIOM für den 9. März einen achtstündigen Metallarbeiterstreik angekündigt. Er soll Dampf ablassen und von der Tatsache ablenken, dass die Gewerkschaftsführer bei der Abschaffung des Kündigungsschutzes eng mit der Regierung zusammenarbeiten.

Zu diesem Zweck wurde Anfang Februar im Arbeitsministerium eine Art runder Tisch eingerichtet, an dem Arbeitsministerin Elsa Fornero und Arbeitgeberpräsidentin Emma Marcegaglia Hand in Hand mit den Chefs der wichtigsten Gewerkschaftsverbände Platz nehmen, darunter auch Susanna Camusso, die Chefin der CGIL.

An dieser Verschwörung beteiligen sich alle Gewerkschaften. Auch die Metallarbeitergewerkschaft FIOM, die sich gerne als "links" gebärdet, bildet da keine Ausnahme. Erst kürzlich ist bekannt geworden, dass die FIOM bei der Einführung neuer, massiv verschlechterter Arbeitsverträge beim Autokonzern Fiat eng mit Vorstandschef Sergio Marchionne zusammenarbeitete, obwohl sie sich öffentlich als unversöhnliche Gegnerin der neuen Verträge darstellte.

Marchionne erzählte am 24. Februar in einem Interview mit der Zeitung Corriere della Sera, er habe sich vor einem Jahr mehrmals im Geheimen mit FIOM-Vertretern getroffen. "Es gab spezielle Treffen mit FIOM", sagte er. "Die intelligentere Linke hat versucht, den Bruch zu kitten. Doch es hat nichts gebracht."

FIOM-Führungsmitglied Giorgio Airaudo bestätigte auf Nachfrage des Corriere die geheimen Treffen mit Marchionne. "Es gab mehrere Treffen. Sie waren sehr, sehr lang: Wir haben uns alles Nötige gesagt", berichtete er. Die Treffen seien vom damaligen Turiner Bürgermeister Sergio Chiamparino (Demokraten) organisiert worden und hätten im Zeitraum Februar bis März des letzten Jahres stattgefunden.

Laut Airaudo legte die FIOM damals dem Fiat-Chef mehrere Kompromiss-Vorschläge für das Werk Bertone vor, in dem die FIOM die Mehrheit der Vertrauensleute stellt. "Marchionne sagte, er müsse es überlegen. Ich dachte, dies sei ein Hoffnungsstrahl."

In Wirklichkeit nutzte Marchionne die heimlichen Zugeständnisse der FIOM, um die Angriffe gegen die Fiat-Arbeiter umso rigider durchzusetzen. "Hätte es auch nur die Möglichkeit wirklicher Verhandlungen gegeben, dann hätten wir sie genutzt", bedauert Airaudo heute.

In den letzten acht Jahren hat FIOM gemeinsam mit den anderen Metallgewerkschaften immer wieder Abkommen unterzeichnet, durch die tausende Arbeitsplätze vernichtet wurden. In dieser Zeit schrumpfte die Turiner Fiat-Belegschaft von 21.000 auf 14.000.

Nun droht Marchionne mit der Schließung zweier weiterer Fiat-Werke in Italien. Dem Corriere sagte er, wenn es Fiat nicht gelinge, in die Vereinigten Staaten zu exportieren, "müssen wir uns aus zweien der heute fünf aktiven Werke zurückziehen".

Fiat hat im vergangenen November schon das sizilianische Werk Termini Imerese geschlossen. Heute arbeiten neben den Werken in Turin noch die Betriebe in Cassino, Atessa, Melfi und Pomigliano. Über Turin-Mirafiori sagte Marchionne, es sei nicht statthaft, "die Werksparkplätze mit unverkauften Fahrzeugen zu füllen".

Der Fiat-Chef betrachtet Montis "Reformen" als große Chance, die geplanten Entlassungen leichter durchzusetzen. Er lobte die neue Regierung, sie habe der Welt "in kürzester Zeit ein Land gezeigt, das sich ändern kann". Falle der Paragraf 18, würden auch ausländische Unternehmen wieder in Italien investieren.

Die Arbeitsmarktreform, vor allem die Aufhebung des traditionellen Kündigungsschutzes, wird es Unternehmen wie Fiat erleichtern, die bisher gültigen Tarifverträge zu knacken und die Wirtschaftskrise Italiens noch stärker auf den Rücken der arbeitenden Bevölkerung abzuwälzen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.03.2012
Italien: Regierung Monti dereguliert Arbeitsmarkt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2012