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GLEICHHEIT/4099: Wahlkampf in den USA - Republikaner Santorum greift Verfassung an


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Wahlkampf in den USA:
Republikaner Santorum greift Verfassung an

Von Barry Grey
2. März 2012


Es kommt nicht oft vor, dass Politiker ihre lächelnden Masken ablegen und ihre wahren Gedanken und Gefühle enthüllen. Zu einem solchen enthüllenden Moment kam es am vergangenen Sonntag, als Rick Santorum, einer der führenden Bewerber um die republikanische Präsidentschaftsnominierung, sich während eines TV-Interviews so ereiferte, dass er fast die Beherrschung verlor.

Im Gespräch mit George Stephanopoulos, dem Moderator der Sendung "This week", ging es um Santorums Bemerkung, er habe sich fast übergeben, als er die berühmte Rede des Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy von 1960 gelesen habe, in der dieser sich zur verfassungsmäßigen Trennung von Staat und Kirche bekannte.

Santorum verteidigte seine Haltung mit den Worten: "Weil die erste wesentliche Aussage in der Rede lautet: 'Ich glaube an ein Amerika, in der die Trennung von Staat und Kirche absolut ist'. Ich (Santorum) glaube nicht an ein Amerika, in dem die Trennung von Staat und Kirche absolut ist. Die Vorstellung, dass die Kirche keinen Einfluss auf den Staat und kein Mitspracherecht bei seinen Entscheidungen haben darf, verstößt in jeder Hinsicht gegen die Ziele und die Visionen unseres Landes."

Der fast schon hysterische Ton, in dem Santorum einen ermordeten US-Präsidenten angriff und gegen dessen Verteidigung eines der Eckpfeiler der in der Freiheitsurkunde niedergelegten Prinzipien wetterte, verdeutlicht seinen abgrundtiefen Hass auf die weltlichen Grundlagen der amerikanischen Republik. Santorum verstieg sich dazu, Kennedys Haltung als "eine absolute Doktrin" anzuprangern, "die grauenvoll war".

Im weiteren Verlauf des Interviews stellte Santorum Kennedys Rede auf den Kopf und behauptete, Kennedys Forderung nach religiöser Toleranz und Freiheit sei ein Versuch gewesen, religiöse Menschen zu unterdrücken. Kennedy, so Santorum, sei der Autor der "Vision" " der versucht, gläubigen Menschen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben... wenn gläubige Menschen, zumindest in den Augen von John Kennedy, in der Öffentlichkeit keine Rolle mehr spielen dürfen."

Weder der erste Zusatzartikel der US-Verfassung, noch Kennedys Verteidigung dieses Artikels legen nahe, dass religiösen Menschen die Teilnahme am politischen Leben verwehrt werden soll. Das Recht der Menschen auf persönliche Überzeugungen wird durch sie nicht eingeschränkt. Es verbietet allerdings religiösen Einrichtungen, in die Politik und das Handeln der Regierung einzugreifen.

Kennedy verkündete in seiner damaligen Rede vor einer Versammlung von Baptistenpredigern in Houston: "Ich glaube an ein Amerika, in dem... keine Kirche oder kirchliche Schule öffentliche Gelder oder politische Sonderbehandlung erhält... Ich glaube an ein Amerika, das offiziell weder katholisch, noch protestantisch, noch jüdisch ist - wo kein Beamter politische Anweisungen vom Papst, dem Nationalrat der Kirchen oder irgendeiner anderen kirchlichen Quelle erbittet oder entgegen nimmt - wo keine religiöse Körperschaft versucht, ihren Willen der Öffentlichkeit oder ihren Vertretern direkt oder indirekt aufzudrängen..."

Santorum tritt für das Gegenteil ein. Er steht für die Macht organisierter Religion, für ihr politisches Diktat in einem breiten Spektrum sozialer Fragen, von Geburtenkontrolle und Abtreibung über die Medien bis hin zu den Künsten. Seine Haltung würde zur Einführung religiöser Überprüfung von Arbeitsplatzbewerbern und zu anderen anti-demokratischen Maßnahmen führen. Seine Ansichten stehen dem klerikalen Faschismus der Franco-Diktatur in Spanien erheblich näher als den in der amerikanischen Verfassung festgeschriebenen Prinzipien.

Diese Einstellungen sind jedoch nur der extremste Ausdruck einer allgemeinen Auflösung der Unterstützung von Bürgerrechten, die sowohl für die Republikanische, als auch für die Demokratische Partei und das gesamte politische und mediale Establishment gilt.

In der Wahl von 2000 stellte der demokratische Kandidat Joseph Lieberman die weltlichen Grundlagen der Verfassung infrage und behauptete, der erste Zusatzartikel garantiere die "Freiheit der Religion" und nicht die "Freiheit von der Religion".

Die weltlichen Prinzipien, die im ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung niedergelegt sind, sind von zentraler Bedeutung für alle Rechte, die in der Freiheitsurkunde verkündet werden. Es ist kein Zufall, dass die amerikanischen Gründerväter die Trennung von Staat und Kirche zum ersten Punkt eines Artikels gemacht haben, der das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht enthält. Als Vertreter der Aufklärung sahen sie die Verwüstungen und die Massaker religiöser Kriege früherer Generationen als das Ergebnis der mittelalterlichen Vorherrschaft der organisierten Religion über das Leben der Bürger.

Thomas Jefferson forderte eine "Trennwand" zwischen Kirche und Staat. James Madison erklärte, die Regierung habe nicht "den Hauch eines Rechts, sich in die Religion einzumischen." Er ist noch heute dafür berühmt, dass er sich der Ausgabe von auch nur "drei Pence" öffentlicher Gelder zu religiösen Zwecken widersetzte.

Santorums TV-Bekenntnisse zu Fragen der Erziehung waren nicht weniger reaktionär als die zur Trennung von Staat und Kirche. Er zog gegen die höhere Schulbildung für Jugendliche aus der Arbeiterklasse zu Felde und denunzierte Universitäten als Bastionen liberalen und weltlichen Gedankengutes.

Er verteidigte seine Verurteilung Obamas als "Snob", weil dieser Jugendlichen empfohlen hatte, wenigstens ein Jahr höherer Schulbildung zu erwerben und sagte: "... es gibt viele Menschen in diesem Lande, die nicht den Drang verspüren, zur Universität zu gehen, weil sie Fähigkeiten, Wünsche und Träume haben, die die Universität nicht mit einschließen."

Santorum weiß sehr genau, dass es heutzutage fast unmöglich ist, ohne eine über die High-School hinausgehende Ausbildung einen vernünftig bezahlten Job zu bekommen. Er äußerte ein paar Worte über Technikschulen und berufsvorbereitende Maßnahmen und unterschlug dabei die Tatsache, dass die Fördergelder für solche Programme drastisch gekürzt wurden und er selbst für eine noch weitergehende Kürzung all dieser Programme steht.

Er beschwerte sich darüber, "wie liberal unsere Universitäten sind" mit "ihrer politisch korrekten linken Doktrin" und versprach, dafür zu sorgen, dass sich "mehr konservative Prinzipien in unseren Universitätskursen und in unseren Universitätsprofessoren widerspiegeln werden".

Santorum, dessen eigene Kinder zu Hause erzogen werden, ist ein entschlossener Gegner der staatlichen Bildung. Auch in diesem Bereich unterstützt er den Einfluss der Kirche.

Kennedy, ein Katholik, musste sich gegen Befürchtungen wehren, ein katholischer Präsident - den es bis 1960 nicht gegeben hatte - stünde unter dem direkten Einfluss der katholischen Geistlichkeit. Er bewarb sich zu einer Zeit um das Präsidentenamt, als es noch weitverbreitete anti-katholische Vorurteile gab und erhebliche Vorbehalte gegen den Einfluss des Papstes auf das politische Leben Amerikas bestanden.

Kennedy verteidigte die Trennung von Staat und Kirche und genoss damals noch breite Unterstützung im politischen Establishment. Seine Regierung war keinesfalls der Inbegriff von Demokratie. Sie verband Appelle an den Idealismus und demokratische Vorstellungen mit einer rücksichtslosen Verteidigung der Interessen des amerikanischen Imperialismus. Nichtsdestoweniger repräsentierte seine Regierung noch vor einem halben Jahrhundert eine vollständig andere Epoche als heute.

Seit damals hat es endlose Anschläge auf das demokratische Bewusstsein gegeben, die allesamt von Angriffen auf die Arbeiterklasse und der Zunahme sozialer Ungleichheit begleitet waren. Das gesamte politische Establishment ist scharf nach rechts gerückt. Die Republikaner versuchen, unter den rückständigsten und reaktionärsten Teilen der Bevölkerung Anhänger zu finden, indem sie sich auf sogenannte "gesellschaftliche Fragen" wie Abtreibung, Geburtenkontrolle und gleichgeschlechtliche Ehen stürzen.

Die liberalen und pseudo-linken Anhänger Obamas und der Demokraten - das Magazin Nation und ähnliche linksliberale Publikationen, die International Socialist Organization - werden Santorums Breitseite gegen demokratische Rechte zweifellos benutzen, um die öffentliche Ablehnung dieser Haltung in die Bahnen von Obamas Wiederwahlkampagne zu lenken.

Die Wahrheit aber ist, dass weder Obama, noch irgendein prominenter Demokrat und kein Präsidentschaftskandidat beider großer Parteien Kennedys Rede von 1960 und die darin formulierten Prinzipien heute uneingeschränkt verteidigen würde.

Der Angriff auf die Trennung von Staat und Kirche ist Teil einer breiteren Offensive gegen demokratische Rechte, die unter Obama intensiviert wurde und die Zurückweisung von habeas corpus, die Abschaffung des Rechts von Angeklagten, ihren Anklägern gegenüberzustehen, die Abschaffung des generellen Rechts auf ein Gerichtsverfahren, die Auflösung des Folterverbots, der staatlichen Tötung und der Spionage gegen die eigene Bevölkerung umfasst.

Der verbrecherische Charakter des Vorgehens der amerikanischen herrschenden Klasse - in der Form von Aggressionskriegen und der Plünderung des nationalen Wohlstands durch die Finanzoligarchie - sind unter der gegenwärtigen Regierung noch hemmungsloser geworden. Die soziale Kluft zwischen Reich und Arm hat zugenommen und der demokratischen Herrschaft jegliche Grundlage entzogen.

Obamas eigene doppelzüngige Kapitulation vor dem Angriff der Kirchen und der religiösen Rechten auf die Rechte der Arbeiterklasse zeigte sich erst vor wenigen Wochen, als er seine Politik des kostenlosen Zugangs zu Verhütungsmitteln für die Angestellten kirchlicher Einrichtungen umstieß. Dieses feige Nachgeben öffnet weiteren Angriffen auf Arbeiterrechte unter dem Vorwand religiöser Überzeugung Tür und Tor.

Als er seine Kapitulation verkündete, sagte Obama, er handle "als Bürger und als Christ". Die Tatsache, dass Obama, angeblich Verfassungsjurist, seine Religion herbeizitiert, um seine Sozialpolitik zu rechtfertigen, zeigt, wie sehr die Grundprinzipien der Freiheitsurkunde im politischen Establishment zur hohlen Phrase verkommen sind.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.03.2012
Wahlkampf in den USA: Republikaner Santorum greift Verfassung an
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2012