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GLEICHHEIT/4056: Kältewelle fordert in Osteuropa immer mehr Tote


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Kältewelle fordert in Osteuropa immer mehr Tote

Von Markus Salzmann
3. Februar 2012


Die harsche Kältewelle, die derzeit über weite Teile Europas zieht, hat in den osteuropäischen Ländern binnen weniger Tage bereits über hundert Todesopfer gefordert. Hauptgrund dafür ist der rapide Sozialabbau der vergangenen Jahre, der zu steigender Obdachlosigkeit, grassierender Armut, Privatisierung und Abbau kommunaler Versorgung und Verschlechterung des Gesundheitssystems geführt hat. Viele Menschen sind der Kältewelle schutzlos ausgeliefert.

Allein aus der Ukraine wurden offiziell 63 Kältetote gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen, da in vielen Gebieten keine Statistik geführt wird. Wie das Katastrophenschutzministerium in der Ukraine am Mittwoch mitteilte, wurden viele Menschen erfroren auf der Straße gefunden. Die meisten von ihnen waren Obdachlose. Mehr als 900 Menschen seien wegen Unterkühlung und Erfrierungen in Kliniken behandelt worden. Die Krankenhäuser des Landes sind hoffnungslos überfüllt, da zahlreiche Patienten auch nach ihrer Behandlung in den Kliniken verbleiben.

In der ehemaligen Sowjetrepublik leben nach offiziellen Angaben 100.000 Obdachlose. Inoffiziell wird die Zahl als dreimal so hoch eingestuft. In anderen osteuropäischen Staaten ist die Situation ähnlich.

So ist auch Rumänien von der Kälte stark betroffen. An der Küste gefroren Teile des Schwarzen Meeres. Eisblöcke blockierten die Schiffe im Hafen von Tomis. Innerhalb von 24 Stunden starben hier sechs Menschen nach Angaben des Gesundheitsministeriums an Unterkühlung. Insgesamt sind hier acht Kälteopfer zu beklagen.

Besonders im rumänischen Osten und Süden herrscht klirrende Kälte. Im Kreis Covasna wurden in der Ortschaft Intorsura Buzaului 31 Grad Minus gemessen, knapp unter den Rekordtemperaturen von 2005 mit minus 36 Grad. Extreme Temperaturen um minus 30 Grad herrschten auch im Kreis Maramures, der im Norden an die Ukraine grenzt. In der Hauptstadt Bukarest fiel das Thermometer auf minus 22 Grad.

In Bulgarien meldeten sechzehn Städte die kältesten Temperaturen seit mehr als hundert Jahren. Am kältesten war es in der Kleinstadt Knescha im Nordwesten des Landes. Bei Werten bis minus 29 Grad wurde in ganz Bulgarien die zweithöchste Warnstufe ausgerufen. Hinzu kommt eine Grippewelle, die bereits mehrere Todesopfer - vor allem alte Menschen - gefordert hat. An mehr als 450 Schulen im Land fiel der Unterricht aus. Mindestens acht Menschen sind hier seit dem Kälteeinbruch am Wochenende erfroren.

Auch in den baltischen Staaten forderte die extreme Kälte Opfer. In der litauischen Hauptstadt Vilnius erfroren mindestens zwei Menschen. In der Nacht zum Dienstag wurde im Südosten Estlands mit minus 27,5 Grad eine neue Tiefsttemperatur dieses Winters gemessen. In Lettland und Litauen forderten die Regierungen die Eltern auf, ihre Kinder zu Hause zu behalten. Die Temperaturen sollen in den kommenden Tagen weiter auf stellenweise unter minus 30 Grad fallen.

Im Norden Bosniens sind nach Angaben des Katastrophenschutzes 200 bis 300 Personen, vor allem ältere Menschen, von der Energieversorgung abgeschnitten. Einige Dörfer haben seit mehreren Tagen keinen Strom.

In Serbien erfroren zwei Menschen, zwei weitere werden noch vermisst. Damit steigt die Zahl der Kältetoten dort auf fünf. "Die Situation ist dramatisch, in manchen Gegenden ist der Schnee fünf Meter hoch", erklärte Milorad Dramacanin, ein Teilnehmer des Rettungseinsatzes in Serbien, gegenüber den Medien.

In Polen starben seit Freitag etwa zwanzig Menschen an der Kälte. Hier ließen die Temperaturen zahlreiche Wasserrohre gefrieren. So waren im oberschlesischen Kluczbork über 7000 Menschen ohne Wasser. Auch in Warschau brach die Wasserversorgung in einigen Vierteln zusammen.

In Tschechien gab der Wetterdienst wegen der extremen Temperaturen eine Unwetterwarnung heraus. Im Osten des Landes starb ein Mann an Unterkühlung. Im Nachbarland Slowakei starb am Montag ein 63-Jähriger in der Ortschaft Sunava bei minus 24 Grad. Auch in der Türkei herrschen chaotische Verhältnisse. Hunderte Dörfer sind wegen der schlechten Wetterbedingungen völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Vor allem in Ostanatolien sind zahlreiche Straßen durch die ungewohnten Schneemaßen völlig unbefahrbar.

Im Norden Griechenlands sanken die Temperaturen laut Wetteramt auf minus zwölf Grad. Viele Fähren fielen wegen Stürmen in der Ägäis aus. In Athen herrschten Temperaturen um den Gefrierpunkt. In der griechischen Hauptstadt, in der 20.000 Menschen obdachlos sind, wurden öffentliche Gebäude geöffnet.

Am härtesten betroffen von den eisigen Temperaturen sind Obdachlose, deren Zahl in Osteuropa in den letzten Jahren stark angestiegen ist. Notunterkünfte und medizinische Hilfe für diese Menschen wurden seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 durch die Sparmaßnahmen weiter heruntergefahren. In Rumänien beschuldigen Experten die Regierung öffentlich und weisen ihr die Verantwortung für viele Kältetote zu.

Das brutale Spardiktat der rechten Regierung von Emil Boc hat staatlichen und kirchlichen Hilfsorganisationen die Mittel drastisch gekürzt oder ganz gestrichen. Die Notunterkünfte sind hoffnungslos überfüllt und reichen bei Weitem nicht aus. In der Hauptstadt Bukarest leben nach offiziellen Angaben - und diese geben kaum ein Bild der tatsächlichen Verhältnisse wider - rund 6.000 Obdachlose. Für das ganze Land werden rund 15.000 angegeben. In Bukarest gibt es lediglich für etwa 300 Menschen Platz in Obdachlosenasylen, und im Rest des Landes sieht es noch schlimmer aus.

Hinzu kommt, dass in allen betroffenen Ländern angesichts steigender Energiepreise und gleichzeitiger Senkung der Löhne und Sozialausgaben viele Familien ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen können. In den EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien haben Schätzungen zufolge mindestens fünfzehn Prozent der Haushalte keinen oder nur unregelmäßigen Zugang zu Strom und Gas.

In Polen starben zwei Menschen an einer Kohlenmonoxidvergiftung, die durch eine defekte Heizung ausgelöst wurde. Medienberichten zufolge wurden seit Ausbruch der Kältewelle etwa dreißig Menschen aufgrund solcher Symptome behandelt.

Die medizinische Versorgung der Kälteopfer ist ebenfalls katastrophal. In vielen Ländern ist eine Versorgung nur gegen Barzahlung möglich. In Bulgarien, wo die Kälte mit der Ausbreitung eines Grippeerregers einhergeht, ist der Impfstoff nicht in ausreichender Menge vorhanden, und viele einfache Familien können ihn gar nicht bezahlen. In den baltischen Staaten ist das Gesundheitssystem nahezu komplett zusammengebrochen. In Lettland wurden in den letzten vier Jahren vierzig Prozent der Kliniken geschlossen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.02.2012
Kältewelle fordert in Osteuropa immer mehr Tote
http://www.wsws.org/de/2012/feb2012/kalt-f03.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2012