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GLEICHHEIT/3963: Moody's stuft Ungarn auf Ramschstatus ab


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Moody's stuft Ungarn auf Ramschstatus ab

Von Markus Salzmann
1. Dezember 2011


Mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit Ungarns auf Ramschstatus hat die Schuldenkrise auch Osteuropa voll erfasst. Die Ratingagentur Moody's begründete die Herabstufung am vergangenen Freitag mit der starken Abhängigkeit Ungarns von ausländischen Geldgebern, den schlechten Konjunkturaussichten und dem Schuldenberg von 82 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Regierung von Viktor Orban steht vor einem Scherbenhaufen.

Seit der nationalkonservative Bürgerbund (Fidesz) im Mai 2010 mit einer Zweidrittelmehrheit die Regierung übernahm, bemüht sich Orban, den Haushalt durch eine Kombination von Sozialabbau und finanziellen Tricks zu sanieren. Neben Entlassungen und Gehaltssenkungen im Öffentlichen Dienst hat seine Regierung das Arbeitsschutzgesetz ausgehöhlt und verpflichtende Arbeitsdienste für Arbeitslose eingeführt.

Ende letzten Jahres verstaatlichte die Regierung die privaten Pensionskassen und steckte über 10 Millionen Euro, die ungarische Bürger für ihre Rente zurückgelegt hatten, in die Staatskasse. In diesem Jahr weist der ungarische Haushalt deshalb einen Überschuss aus. Im kommenden Jahr soll das Haushaltsdefizit unter 3 Prozent liegen, weil Sondersteuern für den Telekom- und Energiesektor weitere Millionen in den Haushalt spülen. Ab 2013 wird das Defizit dann nach Berechnungen der EU wieder ansteigen.

Um die Unzufriedenheit mit seiner Sparpolitik zu dämpfen, spielte Orban die nationalistische Karte aus und gebärdete sich als Widersacher ausländischer Banken. Im September erließ er ein Gesetz, das die Banken verpflichtet, in ausländischer Währung vergebene Kredite zu einem festen Kurs in ungarische Forint umzuwandeln. Die Differenz zum aktuellen Wechselkurs müssen die Banken tragen; das Gesetz kommt also einer Art Schuldenschnitt gleich.

Vor allem diese Maßnahme dürfte das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte in die Regierung Orban erheblich gedämpft und zum verstärkten Druck auf ungarische Staatsanleihen und den Forint beigetragen haben. Letzte Woche sah sich die Regierung deshalb gezwungen, den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Unterstützung zu bitten.

Das kam einer öffentlichen Demütigung gleich. Noch wenige Tage vorher hatte Wirtschaftsminister György Matolcsy vor dem Parlament einen Hilferuf an den IWF kategorisch ausgeschlossen. Premier Orban hatte den IWF immer beschimpft. Seine Fidesz hatte ihren Wahlsieg vor allem dem Umstand zu verdanken, dass sich die Vorgängerregierung des Sozialisten Ferenc Gyurcsany 2008 an den IWF gewandt hatte, um einen Staatsbankrott abzuwenden, und als Gegenleistung für IWF-Kredite massive Kürzungen bei Gehältern und Sozialleistungen durchgesetzt hatte.

Nun musste sich auch die Regierung Orban an den IWF wenden. Sie hoffte, so eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes zu vermeiden - vergeblich, wie sich am Freitag zeigen sollte. Seither steht Ungarn unter massivem Druck. Nach der Herabstufung der Kreditwürdigkeit stieg die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen zeitweilig auf nahezu 10 Prozent - weit mehr als die 7 Prozent, jenseits derer ein Ausbrechen aus der Schuldenfalle als unmöglich gilt.

Die ungarische Währung verliert gegenüber dem Euro rapide an Wert. Seit Jahresbeginn ist der Wechselkurs um 13 Prozent gefallen. Auch die ungarische Börse geriet am Freitag ins Trudeln und verlor rund 5 Prozent. Am Montag erhöhte die ungarische Notenbank schließlich den Leitzins von 6,0 auf 6,5 Prozent, um den Verfall der Währung zu bremsen. Damit verschärfte sie aber auch die Gefahr einer Rezession.

Die rasante Abwertung der ungarischen Währung bedroht die Existenz zahlreicher ungarischer Bürger, Unternehmen und Kommunen, die wegen der niedrigen Zinsen Kredite und Hypotheken in Euro oder Schweizer Franken aufgenommen haben. Die Gesamtsumme solcher Fremdwährungskredite beläuft sich auf 4,8 Billionen Forint oder 16 Milliarden Euro, das sind etwa 17 Prozent des ungarischen Bruttoinlandsprodukts. Mit der Abwertung des Forint steigen die Zinsen und Raten für diese Kredite in astronomische Höhen.

Die Herabstufung durch Moody's schwächt auch die ungarische Verhandlungsposition gegenüber dem IWF. "Der Spielraum für die Orban-Regierung wird kleiner. Ohne die Herabstufung hätte sie bei den Verhandlungen mit EU und IWF flexibler sein können. Jetzt braucht Budapest dringend ein Abkommen", sagte Sandor Richter vom Wiener Osteuropainstitut WIIW dem österreichischen Standard.

Westeuropäische Banken sind ebenfalls von der Krise in Ungarn betroffen. Insbesondere österreichische Banken, die sich seit den neunziger Jahren stark in Osteuropa und auf dem Balkan engagiert haben, sind in Gefahr. Die drei größten Wiener Geldhäuser - Bank Austria, Raiffeisen und Erste Bank - sind die größten Kreditgeber in der gesamten Region. Nach Angaben der Österreichischen Nationalbank (ÖNB) hatten sie Ende 2009 allein in Bulgarien, Rumänien und Serbien ausstehende Kredite und andere offenen Forderungen von etwa 35 Milliarden Euro.

Die Citigroup veröffentlichte am Donnerstag eine Analyse, wonach der österreichischen Ersten Bank durch die Krise in Ungarn ein Verlust von bis zu einer Milliarde Euro droht. Dies wäre der Fall, wenn die Regierung alle Fremdwährungskredite auf Kosten der Banken zwangsweise in Forint umwechseln ließe. Auch MKB, eine Tochter der Bayrischen Landebank, sowie italienische Großbanken wären davon stark betroffen.

Zahlreiche Geldhäuser planen inzwischen, Tochtergesellschaften in Osteuropa abzustoßen und die Kreditvergabe drastisch zu senken. Laut einer Umfrage der polnischen Notenbank im November haben die Geldhäuser ihre Kreditvergabekriterien bereits verschärft. Vor allem in Ungarn und dem Baltikum ist die Kreditvergabe schon länger rückläufig. Da der Markt in Osteuropa von Banken aus der Eurozone dominiert wird, würde eine Fortsetzung dieses Trends eine Kreditklemme und eine Rezession auslösen.

Zahlreiche osteuropäische Länder stecken jetzt schon in Schwierigkeiten. So befindet sich die tschechische Krone auf den tiefsten Stand seit eineinhalb und der polnische Zloty auf dem tiefsten Stand seit zweieinhalb Jahren. Lettland sagte am Dienstag wegen mangelnder Nachfrage die Auktion einer zehnjährigen Staatsanleihe ab. Als Grund nannte die lettische Regierung die Nervosität der Investoren und die schlechte Stimmung an den europäischen Märkten.

Bereits vor den Verhandlungen mit dem IWF hat die ungarische Regierung ihre Angriffe auf die Bevölkerung weiter verschärft. Obwohl die Teuerung bei lebensnotwendigen Gütern (Grundnahrungsmittel, Wohnen, Energie) jetzt schon um ein Vielfaches über der offiziellen Inflationsrate liegt, hat das Parlament am Montag die Anhebung der Mehrwertsteuer von 25 auf 27 Prozent und sowie zahlreiche weitere Abgaben beschlossen. Haftpflichtversicherer müssen 30 Prozent der Versicherungsbeiträge an den Staat abführen. Erhöht wurden zudem die Kfz-Steuer und die Anmeldegebühr für Gebrauchtwagen. Der einfache Steuersatz steigt von 30 auf 37 Prozent des Gewinns, was zahlreiche Kleinunternehmer enorm belasten wird.

Die Möglichkeit, frühzeitig in Rente zu gehen, wird trotz hoher Arbeitslosigkeit massiv eingeschränkt. Frührentner, die bisher aus der Rentenkasse bezahlt wurden, werden zu Sozialhilfeempfängern degradiert und müssen dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen. Invalidenrentner müssen sich einer peniblen staatlichen Überprüfung unterziehen. Rund 350.000 Frührentner müssen in Zukunft 16 Prozent Einkommesstuer auf ihre Rente zahlen.

Die Unterstützung für die Regierung Orban nimmt inzwischen massiv ab. Obwohl die Fidesz nach der Regierungsübernahme alle hohen Staatsämter unter ihre Kontrolle gebracht und die Pressefreiheit praktisch abgeschafft hat, um ihre Herrschaft auf Jahre zu sichern, ist ihre Unterstützung von 52 Prozent bei der Wahl im April 2010 auf 32 Prozent gesunken. Laut einer Umfrage des Fidesz-nahen Instituts Nezopont würden nur noch knapp 1,2 bis 1,5 Millionen Wähler ihre Stimme der Orban-Partei geben, die bei der letzten Wahl noch 3 Millionen Stimmen erhalten hatte. Statt 65 würden nur noch 40 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne gehen


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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.12.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2011