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GLEICHHEIT/3666: Frankfurt - Polizistin erschießt Hartz-IV-Empfängerin im Arbeitsamt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Frankfurt: Polizistin erschießt Hartz-IV-Empfängerin im Arbeitsamt

Von Marianne Arens
24. Mai 2011


Am Donnerstag, den 19. Mai 2011, erschoss eine Polizistin in einem Frankfurter Arbeitsamt im Gallus-Viertel eine 39-jährige Frau. Diese stammte aus Nigeria, hatte aber einen deutschen Pass und wohnte in Frankfurt.

Die Frau war an diesem Morgen aufs Amt gekommen, weil sie offenbar dringend Geld zum Überleben brauchte. Am 10. Mai hatte sie hier einen offiziellen Antrag auf Hartz IV eingereicht. Das Jobcenter ist eine Zweigstelle des Arbeitsamts für Flüchtlinge und Wohnsitzlose und befindet sich in einem Gebäude, das zum Sozialamt gehört.

Der Frau wurde gesagt, sie könne kein Bargeld erhalten, denn das Geld müsse auf ein Konto überwiesen werden. Der Frankfurter Rundschau zufolge ging es "um weniger als fünfzig Euro" und die Frau befand sich offenbar in einer finanziellen Zwangslage.

Angaben der Mitarbeiter zufolge sei die Frau laut geworden und habe sich geweigert, das Haus ohne Geld zu verlassen. Darauf versuchte erst der Sicherheitsdienst des Hauses, sie rauszuwerfen, und um 8:50 wurde die Polizei gerufen.

Kurz darauf traf eine Streife ein, die aus einem 30-jährigen Polizisten und einer 28-jährigen Polizistin bestand. Der Polizist forderte die Nigerianerin auf, ihren Ausweis zu zeigen. Nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Thomas Bechtel zog diese stattdessen ein Messer aus der Tasche, stach damit auf den Polizisten ein und verletzte ihn am Bauch.

In dem Moment zog die Polizistin ihre Waffe und gab damit aus nächster Nähe einen Schuss auf die Nigerianerin ab. Die Kugel durchschlug den Bauch und die Beckenschlagader und führte innerhalb kurzer Zeit zum Tod.

Die Frau starb bei ihrer Einlieferung ins Krankenhaus. Zwei Ambulanzen hatten den Polizisten und die 39-Jährige abgeholt. Der Polizist wurde operiert und war am Abend desselben Tages außer Lebensgefahr.

Schon am nächsten Morgen, d.h. noch ehe überhaupt Ermittlungen eingeleitet wurden, schrieben die Zeitungen unisono, es habe sich um Notwehr gehandelt. "Vieles spricht dafür, dass die Polizistin in Notwehr gehandelt hat, als sie eine Kundin des Jobcenters tötete", schreibt die Frankfurter Rundschau im Untertitel ihrer Berichterstattung vom 20. Mai.

Die Gewerkschaften verloren kein Wort über die Frau, beklagten jedoch sofort "die Gewalt gegen Polizisten" (Polizeigewerkschaft). Am nächsten Tag erklärten Vertreter der Deutschen Polizeigewerkschaft und der Gewerkschaft Komba (der Beschäftigten im Verwaltungsdienst der Kommunen und Länder) gemeinsam in Berlin: "Wie jetzt in Frankfurt, geraten unsere Kolleginnen und Kollegen in lebensgefährliche Auseinandersetzungen" (Komba-Homepage).

Der Fall wirft beunruhigende Fragen auf:

Wenn das Amt an der Mainzer Landstraße, wie es heißt, eine "Anlaufstelle für Flüchtlinge und Obdachlose" sein soll, warum ist es dann für eine Frau, die sich offensichtlich in einer akuten finanziellen Notlage befindet, nicht möglich, die Summe, die ihr zusteht, in bar zu erhalten? Muss man nicht davon ausgehen, dass gerade unter den Menschen, denen hier angeblich geholfen werden soll - Flüchtlinge, Obdachlose, Hartz IV-Empfänger - viele sind, für die der Zugang zu einem eigenen Girokonto nicht selbstverständlich ist?

Wie kann es sein, dass eine Polizistin, welche die Aufgabe hat, eine außer sich geratene und aggressiv reagierende Frau zu entwaffnen und zu beruhigen, sofort einen tödlichen Schuss abgibt? Hat sie keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung? Welches Licht wirft das auf die Ausbildung und Dienstanweisungen für Streifenpolizisten?

Die zwei Gewerkschaften, Komba und Polizeigewerkschaft (die sich bisher als einzige Gewerkschaften zu dem Fall geäußert haben), kritisieren vage die Hartz-IV-Gesetze: Die akuten Probleme in den Jobcentern könnten gemildert werden, "wenn "der Gesetzgeber (...) endlich vernünftige Gesetze machen würde", erklärte der Chef der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. "Wenn die Menschen das Handeln der öffentlichen Verwaltung nicht verstehen können und es gleichzeitig um ihre Existenz geht, dann sind Kurzschlusshandlungen aus Wut und Verzweiflung eben alles andere als unvorhersehbar."

Wendt verschweigt allerdings, dass gerade der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) maßgeblich an der Ausarbeitung der Hartz-Gesetze beteiligt war. Diese haben durch Niedriglohn- und Leiharbeit zu einer akut wachsenden Verarmung der arbeitenden Bevölkerung geführt, und zwar sowohl der ausländischen wie der deutschen. Keine einzige Entscheidung der so genannten "Agenda 2010" der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder wurde ohne Zustimmung des DGB und seines Vorsitzenden, Michael Sommer, beschlossen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.05.2011
Frankfurt: Polizistin erschießt Hartz-IV-Empfängerin im Arbeitsamt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2011