Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3556: Tarifabschluss im öffentlichen Dienst - Ausverkauf sondergleichen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Ausverkauf sondergleichen

Von Dietmar Henning
15. März 2011


Am vergangenen Donnerstagabend haben die Gewerkschaften für die Beschäftigten der Bundesländer einen Tarifabschluss unterzeichnet. Er beinhaltet eine äußerst magere Lohnerhöhung, die voraussichtlich nicht einmal die Preissteigerungen ausgleichen wird. Vor allem aber opfert der Abschluss die Interessen der Lehrer und der Auszubildenden den "leeren Kassen".

Die beteiligten Gewerkschaften Verdi (öffentlicher Dienst), GEW (Lehrer), DGP (Polizei) und DBB (Beamte) vereinbarten für die rund 600.000 Beschäftigten der Länder in der dritten Verhandlungsrunde eine Einmalzahlung von 360 Euro (für die Auszubildenden sind es 120 Euro) für die Monate Januar bis März. Ab April steigen die Gehälter um 1,5 Prozent und ab Januar 2012 um weitere 1,9 Prozent plus einen Sockelbetrag von 17 Euro (für Auszubildende 6 Euro). Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren bis Ende 2012.

Die Einmalzahlung ist ein gern genutztes Instrument der Arbeitgeber, da sie nicht in die Berechnungsgrundlage für die darauf folgenden Lohnerhöhungen eingeht. Den Gewerkschaften hilft die Einmalzahlung, das Ergebnis schön zu rechnen. So behauptet Verdi, die Gehälter stiegen in diesem Jahr durchschnittlich um 2,3 Prozent und 2012 um 2,55 Prozent. Die Gewerkschaften hatten ursprünglich einen Sockelbetrag von 50 Euro und eine Tariferhöhung von 3 Prozent bei einer Laufzeit von 14 Monaten gefordert.

Bestandteil des Forderungskatalogs war auch eine zweijährige Übernahme der Auszubildenden. Sie ist vollständig dem Deal zwischen den Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) geopfert worden.

Der Verhandlungsführer der größten beteiligten Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, der als Gewerkschaftschef ein Jahresgehalt von rund 160.000 Euro bezieht, behauptete dennoch: "Dies ist ein sehr ordentliches Ergebnis, mit dem aus heutiger Sicht die Reallöhne der Beschäftigten gesichert werden können".

Dies ist mehr als fraglich. Im Februar betrug die Inflationsrate 2,1 Prozent. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) erwartet 2011 eine durchschnittliche Inflationsrate von 2,5 Prozent und 2012 von 2,4 Prozent. Allein aufgrund der Verluste der Krankenkassen von fast einer halben Milliarde Euro im letzten Jahr werden außerdem Zusatzbeiträge auf die Versicherten zukommen, die für sich genommen die Lohnerhöhung neutralisieren können.

Völlig verraten haben Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die 200.000 angestellten Lehrer, die in der laufenden Tarifrunde eine Eingruppierungsregelung forderten, um vergleichbare Gehälter wie ihre verbeamteten Kollegen zu erzielen. Es bleibt bei der alten Regelung, nach der die Länderregierungen nach Gutsherrenart selbst bestimmen, wie sie ihre angestellten Lehrer bezahlen.

Die Länder sind in den letzten Jahren - Sachsen schon vor fast 20 Jahren - dazu übergegangen, Lehrer nicht mehr ins Beamtenverhältnis zu übernehmen, um Kosten zu sparen. Laut Angaben der GEW liegen vergleichbare Anfangsgehälter angestellter Lehrer rund 650 Euro unter denen ihrer verbeamteten Kollegen.

Die Länderminister lehnten in den Verhandlungsrunden eine Gleichbehandlung der Lehrer mit der Begründung ab, sie verursache jährliche Mehrkosten von 280 Millionen Euro. Verdi-Chef Bsirske bezeichnete die Weigerung, die Eingruppierung der Lehrer tariflich zu regeln, als "vordemokratisches Relikt" und empörte sich, die Regierungen behielten so einen Hebel, um "die Lehrkräfte per Gesetz schlechter zu bezahlen als andere Beschäftigte mit gleicher Qualifikation". Doch das hielt ihn nicht davon ab, dieses "vordemokratische Relikt" mit seiner Unterschrift zu besiegeln.

Auch der GEW fiel es sichtlich schwer zu erklären, warum sie ihren Mitgliedern dermaßen in den Rücken gefallen ist.

"Die Arbeitgeber haben den Einstieg in eine per Tarifvertrag geregelte Bezahlung der Lehrkräfte total blockiert. Damit haben sie die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder fast zum Platzen gebracht", beschwerte sich GEW-Verhandlungsführerin Ilse Schaad nach der Einigung vom Donnerstagabend in Potsdam. Doch die GEW rettete offenbar die Verhandlungen, indem sie die Forderung nach einer Eingruppierungsregelung vollständig fallen ließ.

Schaad beklagte sich zwar, die Arbeitgeber hätten sich "als obrigkeitsstaatliche Vordemokraten geriert", obwohl die GEW angeboten habe, "stufenweise in eine tarifliche Regelung für die Lehrkräfte einzusteigen". Das hätten "die Arbeitgeber schlicht vom Tisch gewischt". "Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) wollte den Kotau der GEW. Sie verlangte von uns einen vertraglich besiegelten Freibrief dafür, dass sie so weiter machen können wie bisher. Da haben wir nicht mitgespielt", behauptete sie.

In Wirklichkeit hat die GEW mitgespielt und den geforderten Kotau erbracht. Den Zeremonienmeister gab dabei Frank Bsirske. Das sehen auch die meisten GEW-Mitglieder so. "Ich bin so enttäuscht", "Schämt euch!" und "Ich frage mich, wozu die GEW-Mitgliedschaft?" zitiert die Süddeutsche Zeitung aus dem Mitglieder-Blog der GEW.

Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder waren von Anfang an ein abgekartetes Spiel. Die Gewerkschaftsfunktionäre stehen den öffentlichen Arbeitgebern viel näher, als den Beschäftigten, die sie angeblich vertreten. Oft verfügen sie über dasselbe Parteibuch und wechseln von den Gewerkschaftszentralen in hochrangige öffentliche Ämter und zurück. So sorgte Verdi-Chef Bsirske als Personaldezernent der Stadt Hannover für den Abbau von 1.000 der insgesamt 16.000 Arbeitsplätze, bevor er im Jahr 2000 an die Spitze der Gewerkschaft wechselte.

Die Gewerkschaften teilen das Ziel der Länder, die verschuldeten Haushalte durch Einsparungen bei den Personalkosten zu sanieren. Deshalb stellten sie eine äußerst niedrige Forderung auf und einigten sich bereits in der dritten Verhandlungsrunde auf einen Abschluss. Die isolierten und völlig wirkungslosen Warnstreiks, die sie vorher organisierten, dienten ausschließlich dazu, das Gesicht zu wahren und Dampf abzulassen.

Dass die Gewerkschaften eine Mobilisierung der Mitgliedschaft um jeden Preis verhindern wollten, beweist auch die Tatsache, dass Bsirske mit dem Verhandlungsführer der Länder, dem niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), Stillschweigen vereinbarte, nachdem dieser am Mittwoch ein Angebot vorgelegt hatte. Bsirske wollte nicht, dass die Beschäftigten Wind davon bekamen, bevor die Gewerkschaften den Vertrag unterschrieben hatten. Er nannte die Geheimhaltungsvereinbarung laut Reuters "ein Zeichen dafür, dass der Fortschritt am Verhandlungstisch und nicht über die Öffentlichkeit gesucht werde".

All das hindert die Gewerkschaften nicht daran, die Verantwortung für den miserablen Abschluss im Nachhinein den Beschäftigten zuzuschieben. Dass es nicht klappte, die Eingruppierungsregelung für die Lehrer durchzusetzen, werde "im Gewerkschaftslager mit den Machtverhältnissen erklärt", berichtet die Süddeutsche Zeitung. Von den 1,7 Millionen Beschäftigten der Länder hätten sich nur 80.000 an den Warnstreiks vor der entscheidenden Verhandlungsrunde beteiligt.

Auch Verdi argumentiert in diese Richtung: Die Tarifrunde 2011 habe gezeigt, dass es nicht nur auf "die besseren Argumente" ankomme. "Denn wenn die Arbeitgeber auf stur schalten, zählt nur die Stärke und Mobilisierungsfähigkeit."

In Wirklichkeit haben die Beschäftigten in dieser und früheren Tarifrunden wiederholt ihre Bereitschaft beweisen, für ihre Forderungen zu kämpfen. Die Lehrer gingen noch am vergangenen Dienstag, einen Tag vor der dritten Verhandlungsrunde, zu Zehntausenden auf die Straße. Doch die Gewerkschaften sind ihnen in den Rücken gefallen.

Die Bundestarifkommissionen von Verdi und der GEW haben die Tarifeinigung nahezu einstimmig angenommen. In den nächsten Wochen sind die Gewerkschaftsmitglieder aufgerufen, über die Annahme des Verhandlungsergebnisses abzustimmen. Die WSWS und die Partei für Soziale Gleichheit rufen alle Verdi- und GEW-Mitglieder auf, den Ausverkauf der Gewerkschaft zurückzuweisen und mit "Nein" zu stimmen.

Das bedeutet aber gleichzeitig, dass sie neue Basis-Organisationen in den Betrieben, Schulen und Ämtern unabhängig von Betriebs-, Personalräten und Gewerkschaften aufbauen müssen, um einen wirkungsvollen Kampf für ihre Interessen vorzubereiten. Denn solange Verdi und GEW das Heft in der Hand halten, sabotieren deren Funktionäre die Stärke und Mobilisierungsfähigkeit der Beschäftigten und ordnen ihre Interessen dem angeblichen Sachzwang "leerer Kassen" unter.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2011 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 15.03.2011
Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Ausverkauf sondergleichen
http://www.wsws.org/de/2011/mar2011/verd-m15.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011