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GLEICHHEIT/3369: Europarat wirft Griechenland Misshandlung von Flüchtlingen vor


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europarat wirft Griechenland Misshandlung von Flüchtlingen vor

Von Elisabeth Zimmermann
23. November 2010


Das Antifolterkomitee des Europarats hat Mitte November einen Bericht über die Zustände in griechischen Abschiebezentren und Gefängnissen veröffentlicht. Der Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei und Grenzschutzbehörden, dokumentiert zahlreiche Fälle von Misshandlungen und erhebt in einigen Fällen den Vorwurf der Folter.

Eine Delegation des Antifolterkomitees hatte vom 17. bis 29. September 2009 zahlreiche Polizeistationen, Gefängnisse und Abschiebezentren in Griechenland besucht. Ihr Bericht reiht sich in ähnliche Warnungen des Flüchtlingsrats der Vereinten Nationen und von Flüchtlingshilfeorganisationen wie Pro Asyl ein, die seit mehreren Jahren auf die unwürdigen Bedingungen aufmerksam machen, unter denen Tausende von Asylsuchenden und Gefangenen in Griechenland leben. Ihre Aufforderung, diese Zustände zu ändern, blieb bisher weitgehend ohne Erfolg.

Das Antifolterkomitee berichtet über "Tritte, Schläge, Stöße und Hiebe mit Schlagstöcken und anderen Gegenständen, einschließlich auf Fußsohlen und Finger, die hauptsächlich während Vernehmungen durch die Sicherheitspolizei, aber auch während der Festnahme ausgeführt wurden". In einigen Fällen seien die angeführten Misshandlungen so schwerwiegend gewesen, dass sie Folter gleich kamen.

In einem Fall in Serres hätten Beamten der Sicherheitspolizei einem Verdächtigen während der Vernehmung eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt, in einem anderen Fall in Thessaloniki Polizisten einem Gefangenen in sehr drastischer Form mit Vergewaltigung gedroht. Die Berichte der Gefangenen über Misshandlungen konnten teilweise durch Untersuchungen der Ärzte der Delegation bestätigt werden.

Das Antifolterkomitee hat während der letzten fünf Jahre vier Mal griechische Gefängnisse und Abschiebehaftanstalten besucht. Jedes Mal stellte es fest, dass es von Seiten der griechischen Behörden keine ernsthaften Anstrengungen gibt, die Mängel zu beheben, die Misshandlungen zu verhindern und die menschenunwürdigen Bedingungen zu verbessern.

So heißt es in dem jüngsten Bericht: "Was die Situation in den Gefängnissen angeht, so stellen die enorme Überfüllung in einer Reihe von Gefängnissen zusammen mit ernstem Personalmangel, schlechter Gesundheitsversorgung, Mangel einer sinnvollen Gefängnisorganisation und unzureichenden materiellen Bedingungen heute für das Komitee einen noch größeren Grund zur Sorge dar als in der Vergangenheit."

Das Antifolterkomitee weist in seinem jüngsten Bericht auf zahlreiche Zustände hin, die es bereits bei früheren Besuchen aufgegriffen und bemängelt hatte. So auf Metallcontainer im Hafen von Patras, in denen Flüchtlinge gefangen gehalten werden, und auf den Umstand, dass Flüchtlinge aufgrund der überfüllten Gefängnisse oftmals Wochen und Monate in Polizeistationen in heruntergekommenen Zellen mit unzureichenden sanitären Anlagen festgehalten werden.

Angesichts der drastischen Sparmaßnahmen, die die EU und die griechische Regierung der Bevölkerung derzeit mit brutaler Härte aufzwingen, ist derzeit eher mit einer Verschlimmerung als mit einer Verbesserung der Situation zu rechnen.

Die hohe Zahl von Flüchtlingen und Asylsuchenden, die versuchen, über Griechenland nach Europa zu gelangen, ist eine Folge der rigorosen Abschottungspolitik der Europäischen Union. Die Fluchtroute über die Türkei nach Griechenland ist für Schutzsuchende aus Afghanistan, dem Irak, Iran und Somalia eine der letzten Möglichkeiten, überhaupt nach Europa zu kommen.

Da der Seeweg über die Ägäis mittlerweile weitgehend abgeriegelt wurde, ist die Zahl der Einreiseversuche an der griechisch-türkischen Landgrenze im Evros-Gebiet stark angestiegen. Nach Polizeiangaben sind dort allein in diesem Jahr bereits 34.000 Flüchtlinge und Migranten aufgegriffen und inhaftiert worden. 2009 waren es nur 9.000.

Selbst Flüchtlinge, denen die Weiterreise nach Italien oder Deutschland gelingt, werden in der Regel umgehend nach Griechenland zurückgeschickt. Die Europäische Union hat nämlich bereits 2003 im Dublin-II-Abkommen festgelegt, dass die Aufnahme eines Flüchtlings und das Asylverfahren in dem EU-Staat erfolgen müssen, den dieser als ersten betreten hat.

In Deutschland hatten Union, SPD und FDP schon 1993 die Sichere-Drittstaaten-Regelung im Grundgesetz verankert. Danach dürfen Flüchtlinge, die über "sichere Drittstaaten" eingereist sind, in Deutschland kein Asyl beantragen. Da Griechenland, wie alle anderen EU-Mitglieder auch, als "sicherer Drittstaat" gilt, werden Flüchtlinge, die über Griechenland eingereist sind, sofort wieder dorthin abgeschoben. Als Folge ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland von 440.000 im Rekordjahr 1992 unter 28.000 im Jahr 2009 gesunken, während sie in Griechenland und anderen Ländern an der südlichen EU-Grenze stark angestiegen ist.

Aufgrund der katastrophalen Zustände in Griechenland konnte die Abschiebung von Flüchtlingen aus Deutschland dorthin in mehr als 300 Fällen durch Klagen vor Verwaltungsgerichten zumindest vorläufig gestoppt werden. Demnächst wird sich auch das Bundesverfassungsgericht damit befassen, ob Asylsuchende ohne Prüfung in andere EU-Staaten abgeschoben werden dürfen.

Die Bundesregierung reagiert darauf, indem sie die Abwehr von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen verschärft. So hat sie Beamte der deutschen Bundespolizei im Rahmen des Frontex-Einsatzes an die griechisch-türkische Grenze geschickt. Die von der EU finanzierte Frontex-Agentur riegelt die EU-Außengrenzen ab. Ihr Haupteinsatzgebiet ist bisher das Mittelmeer, wo sie nationale Einsatzkräfte bei der Küstenüberwachung und der Abwehr von Flüchtlingsbooten dirigiert. Seit November helfen Frontex-Kräfte aber auch bei der Überwachung am türkisch-griechischen Grenzfluss Evros, um den Landweg für Flüchtlinge zu verschließen.

siehe auch:
Der Bericht des Europarats
http://www.cpt.coe.int/documents/grc/2010-33-inf-eng.htm


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.11.2010
Europarat wirft Griechenland Misshandlung von Flüchtlingen vor
http://www.wsws.org/de/2010/nov2010/folt-n23.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2010