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GLEICHHEIT/3253: Koran-Verbrennung - Angst vor Anschlägen in Afghanistan


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Koran-Verbrennung: Angst vor Anschlägen in Afghanistan

Von Bill Van Auken
10. September 2010


Die Ankündigung einer kleinen christlichen Sekte in Florida, den Jahrstag des 11. September durch die Verbrennung von Exemplaren des Korans zu begehen, hat eine Welle von scharfer Kritik ausgelöst.

Washingtons Antwort auf diese widerliche Provokation ist allerdings nicht prinzipieller Art, sondern von der Angst bestimmt, sie könnte die Feindseligkeit gegen den US-Imperialismus in der muslimischen Welt explodieren lassen. Die Obama-Administration und das Pentagon sorgen sich insbesondere darum, dass der Vorfall den bewaffneten Widerstandsgruppen gegen die US-Besatzung Afghanistans weiteren Zulauf bringen könnte.

Die geplante Koran-Verbrennung wird von Terry Jones organisiert, dem Führer des Dove-Outreach-Center in Gainesville, Florida, einer nicht-konfessionellen Kirche, deren Gemeinde nach eigenen Abgaben weniger als fünfzig Mitglieder hat. In derselben Stadt wie die Universität von Florida gelegen, wird die Kirche von Ortsansässigen weitgehend gemieden. Jones versucht seit langem, traurige Berühmtheit zu erlangen, indem er bösartige Kampagnen gegen den Islam inszeniert. Er hat ein Buch mit dem Titel "Islam ist der Teufel" geschrieben und ermutigt seine Gemeindemitglieder, ihre Kinder mit T-Shirts zur Schule zu schicken, auf denen der Titel seines Buches abgebildet ist.

Die schnellste offizielle Antwort auf die geplante Provokation kam von General David Petraeus, dem Oberbefehlshaber der US-Besatzungstruppen in Afghanistan. "Bilder vom Verbrennen des Korans würden zweifellos von Extremisten in Afghanistan - und in aller Welt - benützt, um die öffentliche Meinung anzuheizen und Gewalt zu erzeugen", erklärte der General. Er fügte hinzu, diese Bilder würden sich als "unauslöschlich" erweisen - ähnlich denen, die die Folter und die Sittenlosigkeit im Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak zeigten.

Berichte vom geplanten anti-muslimischen Skandal in Florida haben bereits zu Demonstrationen in der afghanischen Hauptstadt Kabul geführt, wo hunderte Menschen auf die Straße strömten, "Tod den Amerikanern" skandierten und einen vorbeifahrenden US-Militärkonvoi mit Steinen bewarfen.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wiederholte Petraeus' Sorgen am Dienstag und sagte, das Vorhaben der Kirche "stünde in heftigem Widerspruch zu all den Werten, für die wir stehen und kämpfen."

Auch das Weiße Haus schaltete sich am Dienstag in die Debatte ein. "Jede Art von Aktivität in dieser Richtung - die unsere Truppen erhöhter Gefahr aussetzt - würde bei dieser Administration Sorgen auslösen", sagte Robert Gibbs, Sprecher des Weißen Hauses, auf einer Pressekonferenz.

Religiöse Führer hielten in Washington einen "Notgipfel" ab, um den "Hohn und Spott und den unverblümten blinden religiösen Fanatismus", der sich gegen muslimische Amerikaner richtet, zu verurteilen und zu erklären, man selbst sei "angesichts solcher Respektlosigkeit gegenüber einem heiligen Text, der über Jahrhunderte viele der großen Kulturen unserer Welt geformt hat, beschämt."

Ein Sprecher des Außenministeriums nannte die Pläne der Kirche "unamerikanisch". Außerministerien Hillary Clinton nutzte einen Auftritt vor der Gesellschaft für auswärtige Politik, um die geplante Koranverbrennung als "beschämend" zu bezeichnen.

"Wir sind ein Land von 310 Millionen Einwohnern und es ist bedauerlich, dass ein Pastor in Gainesville, Florida, mit einer Gemeinde von weniger als fünfzig Mitgliedern eine solch empörende und kränkende Aktion planen und dafür die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ziehen kann", sagte Clinton. Sie gab den Medien die Schuld, der Angelegenheit zuviel Aufmerksamkeit zu widmen.

Dass die PR-Aktion, die Jones und seine Kirche planen, soviel Aufmerksamkeit bekommt und in Afghanistan und der übrigen muslimischen Welt solch hohe Wellen schlägt, liegt daran, dass es sich bei dem Plan, so abstoßend er ist, keineswegs um eine zufällige Fehlentwicklung handelt.

Das Vorhaben muss in einem politischen Zusammenhang gesehen werden. Ein großer Teil der Republikanischen Partei hat die Pläne einer muslimischen Organisation, in Lower Manhattan ein ökumenisches Gemeindezentrum zu bauen, zu einem Hauptwahlkampfthema für die anstehenden Wahlen gemacht. Ultra-Rechte, extreme Zionisten und Islam-hassende Frömmler haben eine nationale Bühne erhalten, um ihren Schmutz auszubreiten und sich als Verteidiger des "heiligen Bodens" des World Trade Center, Schauplatz der Anschläge des 11.Spetember 2001 zu präsentieren. Diese Elemente haben für den kommenden Samstag, den neunten Jahrestag der Anschläge, ihre eigene Demonstration angekündigt.

Im Gefolge einer hartnäckigen Kampagne gegen Einwanderer, die von beiden großen Parteien geführt wird, hat dieser Aufruhr unausweichlich zu einer Reihe von Angriffen auf Moscheen und anderen Gewalttaten geführt.

Darüber hinaus haben Millionen von Moslems in aller Welt ihre eigenen Schlussfolgerungen gezogen, was die Haltung der USA ihnen gegenüber angeht. Sie gründen sich auf die bittere Erfahrung zweier Kriege und Besetzungen, die mehr als eine Million Leben gekostet, Millionen von Menschen zu Flüchtlingen gemacht und die Gesellschaften des Irak und Afghanistans verwüstet haben.

Diese Kriege sind von der absichtlichen Aufheizung anti-muslimischer Stimmungen begleitet, um auf der einen Seite die militärische Aggression ideologisch abzusichern und auf der anderen Seite diejenigen zu demoralisieren, die Widerstand leisten.

Die Entweihung des Koran - amerikanische Gefängniswärter spülen das heilige Buch des Islam Toiletten herunter, spucken und urinieren darauf, treten es durch die Gegend und zerreißen es in Stücke - gehört zur Standardprozedur von Folter, sexueller Erniedrigung und systematischer Misshandlung, die angewandt werden, um den Widerstand der Häftlinge im Guantanamo-Gefängnis auf Kuba, in Abu Ghraib und Bagram in Afghanistan "zu brechen".

Die Obama-Administration und das Pentagon rühmen sich heute ihrer "Sensibilität" gegenüber den religiösen Gefühlen ihrer Häftlinge. Das US-Militär warb kürzlich als Beispiel dieser Sensibilität damit, dass die Zwangsernährung von hungerstreikenden Häftlingen in Guantanamo aus Respekt vor der islamischen Fastenzeit während des Ramadan nur zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang erfolge. Dieses Vorgehen, bei dem an ihren Stühlen festgeschnallten Häftlingen Schläuche durch die Nasenlöcher bis in den Magen geschoben werden, wird von den meisten internationalen Organisationen als Folter eingestuft.

Anti-muslimische Ausschreitungen wie die, die von der christlichen Sekte in Florida geplant werden, haben das Potential, massive Aufstände zu entzünden, wie die Erfahrung der vergangenen Jahre mehrfach gezeigt hat. Im November 2005 hat die Veröffentlichung von Berichten über die Entweihung des Korans durch Wärter und Folterknechte in Guantanamo eine Reihe von gewalttätigen Krawallen ausgelöst, die in Afghanistan siebzehn Menschenleben forderten und sich auf andere muslimische Länder ausweiteten. In ähnlicher Weise fachte eine rechtsgerichtete dänische Zeitung provokativ anti-muslimische und Anti-Immigranten-Stimmungen an, als sie satirische Comics veröffentlichte, die den Propheten Mohammed als Terroristen zeigen.

Das Evangelium nach Terry Jones ist so reaktionär, wie auch abstoßend, aber es ist nicht ohne Vorgänger. Ein große Anzahl führender Persönlichkeiten auf der christlichen Rechten hat den Islam verteufelt und sich so bemüht, Kriegen den Stempel pseudo-religiöser Rechtfertigung aufzudrücken, deren Ziel die halbkoloniale Kontrolle über die energiereichen und vorherrschend muslimischen Regionen am Persischen Golf und in Zentralasien ist.

So hat Franklin Graham, der Sohn des bekannten Evangelisten Billy Graham, den Islam als "eine sehr böse und sehr niederträchtige Religion" gebrandmarkt. Pat Robertson, Ex-Bewerber um die republikanische Präsidentschaftsnominierung, hat den Koran mit Adolf Hitlers "Mein Kampf" verglichen. Und der verstorbene Jerry Falwell, Gründer der "Moralischen Mehrheit" und prominente Figur in rechtsgerichteten christlich-republikanischen Kreisen, sagte: "Für mich war Mohammed ein Terrorist."

Die geplante Koran-Verbrennung in Florida steht in Einklang mit dieser bigotten Theologie. Wenn man an die rechtsgerichteten Kräfte denkt, die von der amerikanischen herrschenden Elite als Basis für die Unterstützung des Militarismus im Ausland und der Angriffe auf demokratische Rechte im Inneren gehätschelt werden, dann ist es kein Zufall, dass die Dove-Sekte die Methoden der Bücherverbrennung wieder aufleben lässt, die 1933 durch die Nazis in Deutschland berühmt-berüchtigt wurden.

Im 19. Jahrhundert schrieb der deutsche Dichter Heinrich Heine prophetisch: "Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen."

Das Bemerkenswerteste an dieser ganzen Kontroverse ist jedoch das Maß an Hysterie, das sie erzeugt hat. Ganz offensichtlich fürchten die US-Regierung und das Militär, dass die Situation in Afghanistan außer Kontrolle gerät und dass selbst die Taten einer isolierten Sekte in Florida das afghanische Volk noch mehr gegen die US-Besetzung ihres Landes zu den Waffen greifen lässt. Die von Obama angeordnete Erhöhung der Truppenstärke um 30.000 hat die Feindseligkeit des afghanischen Volkes gegen das US-Militär weiter verstärkt, während die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung und bei den amerikanischen Truppen nach wie vor zunimmt.

Zur gleichen Zeit macht sich Washington Sorgen, dass das Schauspiel der Koranverbrennung in Florida einen Schatten auf seine Versuche werfen könnte, als "Friedens"-Vermittler im Nahen Osten aufzutreten. Wobei die israelisch-palästinensischen Gespräche ohnehin größtenteils nur deshalb ins Leben gerufen wurden, um rechtsgerichtete arabische Regimes mit einem Deckmantel zu versehen, wenn sie sich hinter die US-Aggression im Iran stellen.

All dies hat zu der ungewöhnlichen Situation geführt, dass fast der ganze US-Regierungsapparat flammende Appelle an einen religiösen Fanatiker und Soziopathen richtet, der einer Gemeinde von nicht einmal fünfzig Mitgliedern vorsteht.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.09.2010
Koran-Verbrennung: Angst vor Anschlägen in Afghanistan
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2010