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GLEICHHEIT/3207: Die "humanitäre" Kampagne für den Krieg in Afghanistan


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die "humanitäre" Kampagne für den Krieg in Afghanistan

Von Patrick Martin
12. August 2010


Die amerikanischen Medien haben eine Generaloffensive gestartet, um den wachsenden Widerstand gegen den Krieg in Afghanistan einzudämmen. Dabei bedienen sie sich einseitiger Propaganda über Gräueltaten der Taliban, die den mörderischen Charakter der amerikanischen Intervention verschleiern sollen. Nach dem Titelblatt des "Time"-Magazins, auf dem eine von ihrem Taliban-Ehemann verstümmelte junge Frau abgebildet war, konzentriert sich der Medienfeldzug jetzt auf die Ermordung von zehn medizinischen Helfern am Freitag in der nordöstlichen Provinz Badachschan. Sechs von ihnen waren amerikanische Staatsbürger.

Beide Vorfälle sind ohne jeden Zweifel schreckliche menschliche Tragödien. Aber sie werden auf die zynischste Art missbraucht, um das amerikanische Volk einzuschüchtern. Obwohl eine klare Mehrheit den Krieg ablehnt und einen sofortigen Truppenabzug der USA befürwortet, soll die Bevölkerung dazu gebracht werden, eine unbegrenzte Fortführung des Krieges in Afghanistan zu akzeptieren.

Die Kampagne begann mit der "Time" vom 29. Juli. Auf dem Titelblatt war eine junge Frau zu sehen, deren Ohren und Nase abgeschnitten worden waren, weil sie versucht hatte, ihrem Ehemann zu entkommen. Die Überschrift neben dem Bild erklärte diese Gräueltat zu dem, "Was passieren wird, wenn wir Afghanistan verlassen". Die politische Botschaft war unmissverständlich: Die, die sich für einen Abzug der US-Streitkräfte einsetzen, liefern afghanische Frauen einem Blutbad aus.

Redaktionsleiter Rick Stengel gab den Lesern, die sich über die Veröffentlichung des grausigen Bildes durch das Magazin empörten, folgende Erklärung: "Ich hatte das Gefühl, das Foto gibt uns einen Einblick in die Realität dessen, was in einem Krieg geschieht, in den wir alle einbezogen sind - und was geschehen kann. Ich möchte meine Leser lieber mit der Behandlung von Frauen durch die Taliban konfrontieren, als stillschweigend darüber hinwegzugehen. Es ist mir wichtig, dass die Menschen diese Realität kennen, wenn sie sich darüber Gedanken machen, was die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan tun sollen."

Es ist nur fair, an dieser Stelle eine andere Frage zu stellen. Warum hat der Redaktionsleiter der "Time" auf seiner Titelseite kein Foto der vielen tausend unschuldigen afghanischen Männer, Frauen und Kinder veröffentlicht, die durch amerikanische Luftangriffe, Raketen, Artillerie und Mörsergranaten getötet wurden? Er hätte sich auch für die Szene in Kunduz entscheiden können, wo 140 Menschen bei der Explosion eines Tanklasters nach einem Luftangriff in einer Flammenhölle bei lebendigem Leib verbrannten. Oder die Hochzeitsfeier in der östlichen Provinz Nangarhar, wo 47 Menschen, einschließlich die junge Braut, von Bomben und Raketen in Stücke gerissen wurden. Oder die 90 Menschen, die während einer Beerdigungsfeier in der Provinz Herat von US-Helikoptern aus mit Maschinengewehren niedergemäht wurden. Oder irgendeinen der vielen kleineren Vorfälle, bei denen Zivilisten den Tod fanden und die jüngst von WikiLeaks veröffentlicht wurden.

Es gibt genügend Opfer des Imperialismus im Irak und in Afghanistan, um die Titelseiten amerikanischer Nachrichtenmagazine auf Jahrzehnte hinaus zu füllen. Aber die riesigen Konzerne, die die Medien kontrollieren, sind nicht dazu da, das amerikanische Volk über die Gräueltaten zu informieren, die in seinem Namen begangen werden. Ihre Aufgabe ist es, die öffentliche Meinung im Interesse einer Politik zu manipulieren, die von der Finanzaristokratie und ihren politischen Repräsentanten beschlossen wird, und für dieses Ziel arbeiten sie mit voller Kraft.

Das Titelblatt der "Time" stellt auch auf einer anderen Ebene eine Lüge dar. Die furchtbare Behandlung von Frauen unter den Taliban (und ebenfalls zu einem großen Teil unter dem US-gestützten Karzai-Regime) ist selbst das Produkt der amerikanischen Intervention in Afghanistan in den vergangenen drei Jahrzehnten. Die Carter- und die Reagan-Administration versuchten, Widerstand gegen ein von der Sowjetunion gestütztes Regime zu mobilisieren, in dem Frauen, zumindest in städtischen Gegenden, erheblich verbesserte Rechte, Erziehung und soziales Ansehen genossen. Die Mujaheddin wurden aus den rechtesten Elementen der islamischen Welt rekrutiert, von Saudi-Arabien finanziert, vom CIA in Terrortechniken ausgebildet und nach Afghanistan geschickt. Zu ihnen gehörte der zukünftige Führer der al-Qaida, Osama bin Laden.

Die Regierung der Vereinigten Staaten hat absichtlich eine Form des islamischen Fundamentalismus geschürt und verbreitet, die bis dahin keine größere Unterstützung genoss, außer bei einer Handvoll enger Verbündeter der USA wie der Saudi-Monarchie. Als unter den Kriegsherren der Mujaheddin nach dem Abzug der Sowjettruppen ein Bürgerkrieg ausbrach, entschied sich das pakistanische Militär mit der Unterstützung der USA für die Taliban als verlässlicheren Ersatz. Die Taliban haben also, wie al-Qaida, sehr viel von einem Frankenstein-Monster, das sich gegen seinen eigenen Erzeuger gewendet hat, nachdem es im Verlauf des Kalten Krieges mit der UdSSR von ihm aufgezogen worden war.

Die Ermordung der medizinischen Missionare in Badachschan ist jetzt ins Zentrum des flächendeckenden Medieninteresses gerückt. Viele wichtige Fragen des Massakers bleiben im Dunkeln, einschließlich der Identität der Mörder. Obwohl sich die Taliban zu der Tat bekannt haben, gibt es Vermutungen, es handle sich um Banditen, die einen Raub geplant hatten. Die meisten Aufeinandertreffen zwischen unbewaffneten westlichen Helfern und aufständischen Kräften sind in Entführungen für Lösegelder oder Propagandazwecke geendet und nur eine Handvoll haben - wenn auch publizistisch ausgeschlachtet - zur Ermordung der Opfer geführt.

Wie auch immer die genauen Umstände, solche Gräueltaten sind ein vollkommen unvermeidbares Nebenprodukt eines Krieges zur Niederschlagung von Aufständischen, den ein imperialistischer Staat mit überwältigender Feuerkraft gegen einen Feind führt, der in einer Stammesgesellschaft verwurzelt ist, die sich ausländischen Besetzern gegenüber äußerst feindselig verhält.

Die Medienberichterstattung in den USA konzentrierte sich zunächst auf die einzelnen medizinischen Helfer, ihre langen Mühen in Afghanistan und die traurigen Auswirkungen auf ihre Familien und Kollegen. Inzwischen aber hat man damit begonnen, den Vorfall für die Kriegshetze auszuschlachten. Ein New Yorker Boulevardblatt veröffentlichte seinen Bericht unter der gigantischen Schlagzeile "Wilde" und stellte damit bewusst oder unbewusst eine Verbindung zwischen der US-Politik in Afghanistan und der versuchten Ausrottung amerikanischer Ureinwohner im 19. Jahrhundert her.

Die Obama-Administration begann am Sonntag, die erwünschten politischen Schlussfolgerungen aus dem Vorfall zu ziehen. Außenministerin Hillary Clinton gab eine Erklärung ab und verurteilte den "abscheulichen Vorfall krimineller Gewalt", der die "verdrehte Ideologie" der Taliban enthülle. Sie bekräftigte die Entschlossenheit ihrer Regierung, den seit fast neun Jahren andauernden Krieg fortzusetzen.

Bezeichnenderweise zog das Wall Street Journal in einem Leitartikel vom Montag mit der Überschrift "Die Taliban-Methode" die weitgehendsten und reaktionärsten Schlussfolgerungen und nannte die Morde "besonders bemerkenswert als Anschauungsunterricht über den Charakter unseres Feindes".

"Die Morde zeigen die Bedrohung, der Tausende von Afghanen tagtäglich ausgesetzt sind, wenn sie es wagen, mit der afghanischen Regierung zu kooperieren", fuhr das Wall Street Journal fort. "Die Morde und Verstümmelungen (das Abtrennen von Ohren oder Armen) sind eine Kriegstaktik, hinter der die Absicht steckt, es der Regierung zu erschweren, Informationen zu sammeln und Dienstleistungen zu vollbringen, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen."

Die ignoriert die Tatsache, dass die große Mehrheit des afghanischen Volkes die US-geführte Besetzung ihres Landes und Washingtons korrupte Marionettenregierung in Kabul ablehnt. Darüber hinaus verursacht die vom Pentagon betriebene High-Tech-Kriegsmaschine an den Körpern ihrer Opfer viel schrecklichere Verletzungen, ohne dass die hoch bezahlten Reaktionäre in amerikanischen Redaktionsstuben auch nur eine Träne darüber vergießen würden.

Das Wall Street Journal beschließt seinen Bericht mit den Worten: "Das strategische Hauptziel in diesem Krieg ist die Selbstverteidigung, um al-Qaida einen Zufluchtsort zu verwehren. Aber unsere Beweggründe schließen auch die moralische Verpflichtung ein, den Sieg islamischer Radikaler zu verhindern, der ihnen die Möglichkeit geben würde, Tausende von Unschuldigen zu verstümmeln und zu ermorden."

Dies vereint die Lüge, die ursprünglich die Basis für die Invasion Afghanistans bildete - der Krieg als Rache für die Terrorangriffe vom 11. September - mit den "moralischen" und "humanitären" Gründen, die jetzt so beflissen von den amerikanischen Medien verbreitet werden.

In seiner Erklärung, warum das "Time"-Magazin das Titelbild veröffentlicht hatte, macht Redaktionsleiter Stengel eine enthüllende Anspielung auf die Tatsache, dass "die vielbeachtete Veröffentlichung von Geheimdokumenten durch WikiLeaks die Auseinandersetzung um den Krieg bereits verschärft hat." Ein Hauptgrund für die wütende Feindseligkeit gegenüber WikiLeaks ist die Tatsache, dass diese kleine Internetplattform die von den großen Medien praktizierte Selbstzensur durchbrochen hat.

Die Entscheidungsträger, die Redakteure der führenden Zeitungen und Magazine, die Manager, Produzenten und Moderatoren der großen Fernsehanstalten, kennen den Charakter des Krieges in Afghanistan sehr genau. WikiLeaks war für sie keine Enthüllung. Diese Menschen verschweigen die Brutalität des amerikanischen Krieges absichtlich und vorsätzlich und leisten damit ihren Beitrag, die Verbrechen des Imperialismus zu ermöglichen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.08.2010
Die "humanitäre" Kampagne für den Krieg in Afghanistan
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2010