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GLEICHHEIT/3171: Merkel in China


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Merkel in China

Von Stefan Steinberg und Alex Lantier
24. Juli 2010
aus dem Englischen (23. Juli 2010)


Mit ihrem Chinabesuch vergangene Woche anerkannte Kanzlerin Angela Merkel die wachsende Rolle Asiens in der Weltpolitik. Er war außerdem Ausdruck der zunehmenden Schwierigkeiten Berlins mit seinen traditionellen Verbündeten, den USA und Westeuropa.

Zu Merkels Delegation gehörten deutsche Industrielle und Politiker aller Parteien. Stationen der Reise waren auch Russland und Kasachstan. Zur Delegation gehörten auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer und André Brie, ein Führer der Linkspartei. Brie ist außerdem Mitglied des deutschen Leitungskomitees der Petersburger Dialoggruppe. Diese Gruppe wurde 2001 von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und dem damaligen russischen Präsidenten, Wladimir Putin, ins Leben gerufen, um die deutsch-russischen Beziehungen zu vertiefen.

Merkels Reise fällt in eine Zeit, in der die herrschenden Klassen weltweit zu drastischen Sparmaßnahmen übergehen, wie sie vergangenen Monat auf dem G-20-Gipfel vereinbart wurden. Das markanteste Beispiel dafür sind wohl die massiven Sozialkürzungen des britischen Premierministers David Cameron. Merkel hat diese Politik stark befürwortet, aber die Sparmaßnahmen stellen die deutsche Außenpolitik vor große Herausforderungen. Sie bilden den Hintergrund für das neue, verstärkte Auftreten des deutschen Imperialismus auf Weltebene.

Die Sparpolitik wird den Lebensstandard der Arbeiterklasse in Europa und den USA stark absenken, sie untergräbt die traditionellen Exportmärkte Deutschlands. Die deutsche herrschende Klasse hat zwar keine Gewissensbisse, Arbeiter in die Armut zu treiben, aber sie muss ihre Exportmärkte verteidigen. Fast die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts wird exportiert. Verbesserte Beziehungen zu den wachsenden, kapitalkräftigen Regionen Asiens sind deshalb für den deutschen Kapitalismus ein Gebot der Stunde.

Gleichzeitig geraten die traditionellen Beziehungen Berlins immer stärker unter Druck, besondern was das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten betrifft. Die amerikanisch-deutschen Beziehungen haben schon unter dem Irakkrieg gelitten; sie verschlechterten sich weiter, als die USA den Angriff Georgiens auf Russland 2008 unterstützten. Das Debakel der von Washington angezettelten Nato-Besetzung Afghanistans belastet sie ebenfalls. Die griechische Schuldenkrise brachte neue, scharfe Differenzen mit Washington auf, als es um das Timing der Sparmaßnahmen ging. US-Präsident Barack Obama kritisierte Deutschland öffentlich für seine geringen Importe.

Während des China-Besuchs sicherte nun die deutsche Delegation heimischen Großkonzernen wie Daimler Benz, Siemens, BASF und Volkswagen Milliardenaufträge.

Merkel drängte China, seine Märkte für deutsche Exporte weiter zu öffnen: "Chinesische Firmen, wie die vieler anderer Länder, haben einen sehr guten Zugang zum deutschen Markt. Wir hoffen, dass deutsche Unternehmen einen genauso guten Zugang zum chinesischen Markt erhalten", sagte sie. Merkel fügte hinzu, der chinesische Markt sei für deutsche Exporte nicht so offen, dass man von einer Marktwirtschaft sprechen könne.

Neben dem wachsenden Handelsvolumen spielt China auch auf den europäischen Finanzmärkten eine immer wichtigere Rolle. Es unterstützt die Finanzierung europäischer Länder, die ins Visier der Finanzmärkte geraten. China hat bedeutende Anteile an griechischen Häfen und öffentlichen Infrastrukturprojekten erworben und denkt über weitere Akquisitionen nach. Zudem kaufte China nach dem Treffen der G-20-Finanzminister im südkoreanischen Busan im Juni große Mengen spanischer Staatsanleihen.

Der chinesische Premierminister Wen Jiabao betonte, dass China seine finanzielle Unterstützung für den Euro fortsetzen werde.

Die Londoner Financial Times kommentierte: "In den letzten zwanzig Jahren haben die Europäer meistens die USA als wichtigste Macht im globalen Finanzsystem betrachtet. Aber die Busan-Episode zeigt, wie sich das jetzt verändert - über die Eurozone hinaus."

Die öffentlichen Erklärungen beider Regierungschefs trugen deutliche Züge einer gemeinsamen Zurückweisung der amerikanischen Kritik an China und Deutschland. Über die Exportstärke der beiden Länder sagte Wen: "China und Deutschland sollten für ihre Wirtschaftspolitik gelobt und nicht kritisiert werden." Merkel fügte hinzu: "Deutschland ist stolz auf seine Konkurrenzfähigkeit."

Beide Politiker betonten, ihre Haushaltspolitik werde sich nach wie vor darauf richten, den gegenwärtigen Verschuldungsgrad nicht zu überschreiten - was bedeutet, dass sie ihre restriktive Ausgabenpolitik fortsetzen wollen.

Deutschlands führende Wirtschaftszeitung, das Handelsblatt, schrieb: "Kritik aus Washington kann für China und Deutschland nur Grund sein, die Reihen zu schließen." Die Zeitung fügte hinzu, die amerikanische Kritik sei ein Grund dafür, dass Merkel in Peking so herzlich empfangen worden sei.

Für die Arbeiterklasse müssen diese Spannungen eine scharfe Warnung sein. Der Kampf der Imperialisten um Märkte und strategischen Einfluss hatte im zwanzigsten Jahrhundert die Verarmung der Arbeiter zur Grundlage, und er führte zum Weltkrieg. Die kriminelle Politik der deutschen herrschenden Klasse und ihr Drang, sich nach Osten auszudehnen, spielten dabei eine zentrale Rolle.

Seit Jahren besetzen die Imperialisten den Irak und Afghanistan, und mittlerweile bedrohen sich die Großmächte auch wieder gegenseitig. Dadurch wird der politische Kampf gegen Krieg zur entscheidenden Aufgabe der Arbeiterklasse.

Gleichzeitig entwickeln sich in Europa und in China Bedingungen für ein scharfes Aufbrechen von Klassenkonflikten. Es ist bekannt, dass die wirtschaftliche Stärke Chinas auf der rücksichtslosesten Ausbeutung der Arbeiterklasse beruht. Die herrschenden Klassen Europas versuchen ebenfalls die Ausbeutung der Arbeiterklasse in ihren Ländern stark zu steigern und mittels Kürzungspolitik den Sozialstaat zu zerstören.

In diesem Zusammenhang war die Rolle von DGB-Chef Sommer besonders bezeichnend. Er führte laut der Tagesschau Gespräche mit Chinas Staatsgewerkschaften und kam zu der Einschätzung, dass sie sich "auf einem guten Weg" befinden. Das sehen die Massen der chinesischen Arbeiter anders, die sich in ihren Autowerken und Elektronikfabriken im Streik gegen niedrige Löhne befinden und eine unabhängige Vertretung verlangen. Auch Arbeiter, die in Europa gegen Entlassungen, Lohnkürzungen und Sparpolitik streiken, haben dazu eine andere Meinung.

Die Banken und die internationale Bourgeoisie werden weiter in die Offensive gehen, um die chinesische, europäische und amerikanische Arbeiterklasse noch tiefer in die Armut zu treiben. Dagegen müssen die Arbeiter ihre eigene, unabhängige, sozialistische Strategie entwickeln und eine neue internationale Partei aufbauen.

Siehe auch:
Wirtschaftlicher Rückgang in China befürchtet
(9. Juli 2010)

Honda-Arbeiter in China kehren an die Arbeit zurück
(12. Juni 2010)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.07.2010
Merkel in China
http://wsws.org/de/2010/jul2010/chin-j24.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010