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GLEICHHEIT/3067: Drastische Sozialkürzungen in ganz Europa angekündigt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Drastische Sozialkürzungen in ganz Europa angekündigt

Von Bill Van Auken
19. Mai 2010
aus dem Englischen (14. Mai 2010)


Nach der Verabschiedung des 750 Mrd. Euro Rettungs-Programms Anfang der letzten Woche haben Regierungen überall in Europa Sparmaßnahmen angekündigt, die weitgehende Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und soziale Rechte umfassen.

Es ist inzwischen vollkommen klar, dass das 750 Mrd. Euro umfassende Paket von den europäischen Finanzministern nicht nur zusammengestellt wurde, um den Bankrott Griechenlands und anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union abzuwenden, die von der Staatsschuldenkrise erfasst sind.

Es ist gleichzeitig darauf ausgerichtet, den gesellschaftlichen Reichtum von der Masse der Bevölkerung auf die internationalen Banken und Investmentfirmen zu übertragen. Das Programm soll dadurch bezahlt werden, dass die europäischen Regierungen drakonische Angriffe in einem Ausmaß durchsetzen, das Hunderttausende griechische Arbeiter in Streiks und Massenproteste getrieben hat.

Die europäische Bourgeoisie richtet sich nach dem zynischen Sinnspruch: "Lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen". Sie nimmt die dramatischen Ereignisse in Griechenland und den drohenden weltweiten Absturz der Finanzmärkte zum Anlass, um einen Angriff auf die Lebensbedingungen der europäischen Arbeiter zu erzwingen, wie er seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ohne Beispiel ist.

Zu der Vereinbarung über das Euro-Rettungspaket, das Montag früh getroffen wurde, gehörte, ohne dass darüber viel Aufhebens gemacht wurde, auch die sofortige Durchsetzung von Sparmaßnahmen in Spanien und Portugal, deren Staatsdefizite bereits die internationalen Finanzspekulanten angelockt haben, die sich Superprofite davon versprechen, die Zinsen für die Schuldtitel dieser Lände in die Höhe zu treiben.

Nachdem die spanischen Börsenkurse am Montag um schwindelerregende 14,4 Prozent hochgeschossen waren, "dämmerte es den Spaniern, dass nicht Griechenland, sondern die iberische Halbinsel das Hauptziel der Finanz 'Bazooka' der europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds ist", kommentierte die Financial Times am Mittwoch.

Spanien hat das drittgrößte Staatsdefizit der Eurozone und ist zunehmend ins Visier der Finanzspekulanten geraten. Es ist gezwungen, immer höhere Zinsen zu zahlen, um ausländische Kredite zu ergattern.

Der sozialdemokratische Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero kündigte am Mittwoch vor dem Parlament eine ganze Reihe von Sparmaßnahmen an: eine fünfprozentige Kürzung der Löhne der öffentlichen Angestellten, gefolgt von einem Einfrieren der Löhne, das Einfrieren der meisten Renten, die Abschaffung des so genannten Baby-Schecks von 2.500 Euro, einer Unterstützung für Familien mit Neugeborenen, die Abschaffung eines Programms für die Pflege älterer Menschen und die staatliche Finanzierung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

Außerdem sollen sechs Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen zum Beispiel für Verkehrsprojekte gestrichen werden. Weitere Milliarden werden bei der Finanzierung der Kommunen und der Entwicklungshilfe gestrichen, was zu weiteren Entlassungen und Kürzungen führen wird.

Die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt über zwanzig Prozent. Das Sparprogramm wird dazu führen, dass weitere Millionen arbeitslos werden und die Wirtschaft noch stärker in die Rezession getrieben wird, weil der private Verbrauch einbricht.

Als nächstes folgte Portugal am Donnerstag mit seinen Plänen für Kürzungen im öffentlichen Dienst nach dem Rasenmäherprinzip und einer Erhöhung der Mehrwertsteuer.

"Wenn wir es nicht schaffen, glaubwürdige Kürzungen des Defizits durchzusetzen, wird die Auslandsfinanzierung austrocknen", erklärte Portugals Finanzminister Fernando Teixeira dos Santos den Abgeordneten in einer parlamentarischen Debatte über die Kürzungspläne.

Der sozialdemokratische Ministerpräsident José Sókrates verriet nicht, wo die Haushaltsaxt fallen werde, ließ aber durchblicken, dass die Finanzen für die Kommunen nicht ungeschoren bleiben würden, und dass die Maßnahmen zusätzlich zu den schon bekannt gegebenen zu verstehen sind. Zu dem ersten Paket gehörten die Vernichtung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, eine Kürzung des Arbeitslosengeldes, ein Einfrieren der Löhne und der Verkauf staatlicher Unternehmen.

Die Europäische Kommission erinnerte Bulgarien, Zypern und Dänemark am Mittwoch im Auftrag der europäischen und Internationalen Banken daran, dass ihre Haushaltsdefizite zu groß geworden seien, und dass Defizitverfahren gegen sie eröffnet und Termine für die Reduzierung der öffentlichen Ausgaben gesetzt würden.

Der Internationale Währungsfond hat jetzt in Zusammenarbeit mit der EU die letzte Tranche eines "Rettungspakets" für Rumänien freigegeben oder genauer gesagt für die internationalen Finanzinteressen, die rumänische Schuldtitel halten.

Die Bedingung für die Freigabe der jüngsten Rate des zwanzig Milliarden Euro Pakets (zwölf Milliarden wurden bisher ausgezahlt) war das Einverständnis der Regierung mit einem Wirtschaftsplan, der das Haushaltsdefizit des Landes bis nächstes Jahr auf 4,4 Prozent des BIP reduzieren soll, gegenüber 7,2 Prozent 2009.

Die rumänische Regierung legte einen Vorschlag für verheerende Haushaltskürzungen vor, darunter die Kürzung der Löhne der Staatsbeschäftigten um 25 Prozent und die Kürzung der Staatsrenten um 15 Prozent. Man schätzt, dass die Kürzungsmaßnahmen bis zu einer Viertelmillion Arbeitsplätze kosten könnten.

Im ganzen Land kam es daraufhin zu Demonstrationen von Arbeitern und Rentnern. Zwischen Rentnern und Sicherheitskräften kam es in der Hauptstadt Bukarest zu Zusammenstößen. Für nächste Woche wurden Streiks angekündigt.

Die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt in Rumänien jetzt schon zehn Prozent. Nach Schätzungen leben sogar Zweidrittel der Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze.

Diese beispiellosen Angriffe sollen in ganz Europa durchgeführt werden. In Deutschland erklärte Roland Koch, stellvertretender CDU-Vorsitzender und möglicher Nachfolger des kränkelnden Finanzministers Wolfgang Schäuble, dass es bei den Kürzungen keine Tabus geben dürfe. Deutschland kämpft mit seinem eigenen 70 Mrd. Euro Haushaltsdefizit und den Kosten für seinen 123 Mrd. Euro Anteil an dem Rettungspaket der EU.

Der Ministerpräsident von Hessen forderte die Kindergartenplatzgarantie für unter Dreijährige zu überdenken. Seine Anregung traf auf Empörung. "Wer über solche Kürzungen spricht, handelt als Brandstifter", erklärte die bayerische CSU-Sozialministerin, Christine Harderthauer der Passauer Neuen Presse. "Wenn wir den Rotstift gerade bei Bildung und Familien ansetzen, dann spielen wir Lotterie mit unserer Zukunft."

Wirtschaftsexperten sagen voraus, dass der Kursverfall des Euro die Reallöhne der Arbeiterklasse in Deutschland und ganz Europa auffressen wird. "Wir können in den nächsten Jahren ein scharfes Anziehen der Inflation erwarten", erklärte der deutsche Ökonom Wolfgang Brachinger gegenüber dem britischen Guardian. "Der Euro verliert an Wert und die Verbraucher werden tiefer in die Tasche greifen müssen."

In Großbritannien beginnt die neue Koalition aus Tories und Liberaldemokraten damit, ihre rechten "Notmaßnahmen" zu enthüllen. Der Gouverneur der Bank von England, Mervin King, erklärte, dass es keine Verzögerung bei der Durchsetzung eines Programms zur Reduzierung des Defizits geben dürfe.

King bezeichnete die Griechenlandkrise als Gelegenheit, "das Haushaltsdefizit in Angriff zu nehmen". Er fügte hinzu: "Das größere Risiko wäre es angesichts der letzten beiden Wochen, wenn die neue Regierung keine klaren und glaubwürdigen Maßnahmen zur Senkung des Defizits ergreifen würde."

Auf der anderen Seite des Atlantiks ließ sich der Haushaltsdirektor der Obama-Regierung in ähnlichem Sinne vernehmen. Er sagte, Washington müsse Schritte zur Senkung seines Defizits ergreifen, das in diesem Haushaltsjahr auf 1,5 Billionen Dollar steigen könnte. Andernfalls hätte das Land "bald mit Problemen zu tun, wie Griechenland heute".

"Ich würde es vorziehen, dieses Problem lieber früher als später in Angriff zu nehmen", sagte Peter Orszag, Haushaltsdirektor des Weißen Hauses zur Nachrichtenagentur Reuters. Orszag lehnte es ab, konkrete Maßnahmen zu diskutieren. Die Regierung wolle die von Obama eingesetzte überparteiliche Defizitkommission erst ihre Arbeit tun lassen.

Diese Kommission hat die sogenannten "Entitlement" Programme im Visier, d.h. die Renten, Medicare und Medicaid, die Gesundheitsprogramme für Rentner und Arme. An ihrer Spitze stehen Alan Simpson, Ex-Senator der Republikaner aus Wyoming und Erskine Bowles, ehemaliger Mitarbeiter der Clinton-Regierung und Investmentbanker. Bowles sitzt im Aufsichtsrat der Wall Street Investmentbank Morgan Stanley, wo er den Entlohnungsausschuss leitet und achtstellige Gehälter und Boni für die führenden Vorstandsmitglieder billigt.

Dass jemand diese beiden Positionen in einer Person repräsentiert, unterstreicht den Klassencharakter der Wirtschaftspolitik der Demokratischen Präsidentschaft Barack Obamas in den USA und der Regierungen in Europa und international. Alle versuchen, die ganze Last der Finanzkrise auf dem Rücken der Arbeiterklasse abzuladen und gleichzeitig den gesellschaftlichen Reichtum den Finanzparasiten zuzuschaufeln, die für diese Krise verantwortlich sind.

Siehe auch:
Kreditkrise erfasst ganz Europa
(30. April 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/apr2010/grie-a30.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.05.2010
Drastische Sozialkürzungen in ganz Europa angekündigt
http://wsws.org/de/2010/mai2010/euro-m19.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2010