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GLEICHHEIT/3052: NRW-Wahl - Auftakt zum Generalangriff auf Löhne, Renten und Sozialstandards


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

NRW-Wahl: Auftakt zum Generalangriff auf Löhne, Renten und Sozialstandards

Von Ulrich Rippert
8. Mai 2010


Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am morgigen Sonntag ist eng mit der rapiden Verschärfung der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise verbunden. Sie leitet eine neue Runde massiver Sozialkürzungen und Klassenauseinandersetzungen ein.

Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bundesland. Obwohl viele Zechen und Stahlwerke an Rhein und Ruhr längst stillgelegt wurden, ist das Ruhrgebiet noch immer einer der größten industriellen Ballungsräume in Europa. Die Wahlen in NRW hatten daher schon in der Vergangenheit große bundespolitische Auswirkungen und wurden als "kleine Bundestagswahl" bezeichnet.

Die morgige Wahl hat noch eine zusätzliche Bedeutung. Denn sie markiert den Stichtag, an dem das Stillhalteabkommen ausläuft, das in Wirtschaft und Politik bisher vereinbart war. Als im Dezember 2008 nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehmann Brothers das internationale Finanzsystem vor dem Zusammenbruch stand und die Bundesregierung im Eilverfahren ein Bankenrettungspaket im Umfang von fast 500 Milliarden Euro durchsetzte, wurde im Kanzleramt entschieden, nicht öffentlich über die unvermeidbaren Sozialkürzungen zu sprechen, die die Bankenrettung erfordert.

Alle Bundestagsparteien waren damit einverstanden, ebenso die Spitzen der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften. Sie alle befürchteten, dass massive Sozialkürzungen im direkten Anschluss an die Milliarden-Geschenke für die Banken, die kurz darauf wieder hohe Profite machten und in den Chefetagen Millionen-Boni austeilten, als gigantische Umverteilung des gesellschaftlichen Vermögens von unten nach oben verstanden würden und sich der Widerstand dagegen nur schwer kontrollieren ließe.

Statt sofortiger Sparmaßnahmen wurden Konjunkturprogramme verabschiedet, das Kurzarbeitergeld mehrfach verlängert und mit Hilfe der Abwrackprämie vielen Menschen der Kauf eines günstigen Neuwagens ermöglicht. So retteten sich die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik über das "Superwahljahr" 2009 mit Europawahl, Bundestagswahl und einer Vielzahl von Landtagswahlen. Dieses Trugbild der Stabilität und des Wirtschaftsaufschwungs sollte bis zur NRW-Wahl am 9. Mai aufrechterhalten und die Katze erst danach aus dem Sack gelassen werden.

Die Griechenlandkrise hat diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kanzlerin Angela Merkel versuchte anfangs noch, das wahre Ausmaß der Krise zu vertuschen, doch die internationale Finanzaristokratie, allen voran die amerikanischen Großbanken und ihre Rating-Agenturen, erhöhten über ständig steigende Zinsen den Druck und verlangten ein beispielloses Sparprogramm. Dieselben Banken, die erst vor wenigen Monaten mehrere Hundert Milliarden Euro aus der Staatskasse bekamen und auf diese Weise die Haushaltskrise verschärften, nutzen nun die Staatsverschuldung, um die Regierungen zu zwingen, Löhne, Renten und Sozialausgaben drastisch zu senken.

Seitdem betont Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dass die Sparmaßnahmen nicht auf Griechenland beschränkt seien. "Wir alle müssen deutlich mehr sparen", sagte der Minister. "Die Schuldenbremse muss eingehalten werden. Bis 2016 darf der Bund nicht mehr als 0,35 Prozent strukturelle Neuverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt aufweisen." Um das zu erreichen seien Einsparungen von jährlich mindestens zehn Milliarden Euro notwendig.

Am Donnerstag gab das Bundesfinanzministerium in Berlin das Ergebnis der jüngsten Steuerschätzung bekannt. Spiegel-Online kommentierte es mit den Worten: "Das Finanzfiasko der öffentlichen Hand gibt es jetzt schwarz auf weiß: Bund, Länder und Kommunen werden in den kommenden Jahren 38,9 Milliarden Euro weniger in der Kasse haben als bisher angenommen." Wobei diese Steuerschätzung von einer konjunkturellen Erholung und künftigem Wirtschaftswachstum ausgeht.

Die Ereignisse in Griechenland machen deutlich, dass sich der Druck der internationalen Banken auf die Länder der Eurozone noch deutlich erhöhen wird und eine Wirtschaftsrezession droht, die selbst die große Depression der dreißiger Jahre übertrifft.

Im vergangenen Jahr hatten noch viele Kommentare behauptet, die Regierungen hätten aus der großen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre gelernt. Damals hatte die Politik von Reichskanzler Heinrich Brüning, der mit Hilfe von Notverordnungen dramatische Sparmaßnahmen erzwang, wesentlich zur anschließenden Katastrophe beigetragen. Heute würden die Regierungen dagegen durch Konjunkturprogramme dem wirtschaftlichen Niedergang entgegenzusteuern.

Nun greift die Bundesregierung im Bündnis mit allen anderen europäischen Regierungen und den EU-Institutionen zur selben Politik wie Brüning. Die Medienhetze gegen die griechischen Arbeiter, die angeblich arbeitsscheu seien und seit langem über ihre Verhältnisse lebten, wird sich schon bald gegen die Arbeiter hierzulande richten. Sechs Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, gesetzlicher Kündigungsschutz und allgemein verbindliche Tarifverträge werden als völlig unakzeptable Wettbewerbsnachteile bezeichnet und attackiert werden. Alle sozialen Rechte, die sich die Arbeiterklasse in den vergangenen Jahrzehnten in langen und harten Auseinandersetzungen erkämpft hat, stehen nun auf der Abschussliste.

Wie in Griechenland wird das zu heftigen Klassenkämpfen führen. Einflusseiche Teile der herrschenden Klasse halten die Bundesregierung aus Union und FDP, die seit einem halben Jahr in Berlin regiert, für zu schwach, um den geplanten Sozialabbau gegen den zu erwartenden Widerstand durchzusetzen. Deshalb wurde der Wahlkampf der SPD in NRW aus den Chefetagen der Wirtschaftsverbände und von einem großen Teil der Medien aktiv unterstützt.

Auch in den dreißiger Jahren stützte sich die Regierung des katholischen Zentrumspolitikers Brüning auf eine enge Zusammenarbeit mit der SPD. Wie damals hoffen die Wirtschaftsverbände auch heute, dass die SPD besser und wirkungsvoller als FDP und Union in der Lage ist, in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die sozialen Angriffe durchzusetzen.

Während so in Zusammenarbeit mit der SPD eine Regierung vorbereitet wird, die der Arbeiterklasse den Krieg erklärt, fungiert die Linkspartei als Steigbügelhalterin für die Sozialdemokraten. Ihr gesamter Wahlkampf war darauf ausgerichtet, die SPD als kleineres Übel darzustellen. Damit erfüllt die Linkspartei eine wichtige politische Aufgabe im Interesse der herrschenden Klasse. Sie findet daher in den Medien viel Beachtung und wird in ganzseitigen Artikeln hofiert.

Diese bankrotte Politik muss entschieden zurückweisen werden. Es gibt nichts zu wählen bei den morgigen Wahlen. Es gibt in dieser Wahl nicht eine einzige Partei, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt. Egal, wie die kommende Regierung in Düsseldorf aussehen wird - schwarz-gelb, rot-grün, Große Koalition, Ampel (schwarz-rot-gelb) oder schwarz-grün -, egal wer auf den Regierungs- und wer auf den Oppositionsbänken sitzen wird, es wird sich um eine Allparteien-Koalition gegen die Bevölkerung handeln. Sie wird einen sozialen Kahlschlag einleiten, der alles bisher Bekannte in den Schatten stellt.

Die Arbeiterklasse muss sich auf große soziale Auseinandersetzungen vorbereiten, die unmittelbar nach der Wahl beginnen werden. Das erfordert den Aufbau der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) als Sektion der Vierten Internationale. Die PSG ist die einzig Partei, die aus den großen Tragöden und Niederlagen der dreißiger Jahre Lehren gezogen hat und für ein internationales, sozialistisches Programm kämpft. Die großen Konzerne und Banken müssen enteignet und die Produktion unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden. Nur auf dieser Grundlage kann die Macht der herrschenden Finanzaristokratie gebrochen werden.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.05.2010
NRW-Wahl: Auftakt zum Generalangriff auf Löhne, Renten und Sozialstandards
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2010