Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3045: Schicksal amerikanischer Soldaten - der schreckliche Preis für Washingtons Kriege


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Das Schicksal amerikanischer Soldaten: Der schreckliche Preis für Washingtons Kriege

Von Bill Van Auken
4. Mai 2010
aus dem Englischen (30. April 2010)


Der "Brief der Versöhnung" an das irakische Volk, den zwei ehemalige Kriegsveteranen geschrieben haben, und ihre nachfolgenden Stellungnahmen sind Ausdruck der zunehmenden Ablehnung, die in der amerikanischen Bevölkerung und der US-Armee selbst gegen die andauernden Kriege im Irak und in Afghanistan besteht.

Josh Stieber und Ethan McCord, beide Angehörige einer Sondereinheit der US Armee, die letztes Jahr das Militär verlassen haben, wurden durch die Veröffentlichung des so genannten "collateral murder" Videos bei WikiLeaks dazu veranlasst, ihren Brief zu schrieben. Das Video zeigt ein Massaker in Bagdad vom Juli 2007.

Die zwei Männer waren beide Angehörige der Kompanie, die an diesem Tag zu den Bodentruppen vor Ort gehörte. McCord war unter den Ersten, die am Ort des Geschehens eintrafen und dort das Blutbad vorfanden, das von einem Apache-Helikopter angerichtet worden war.

Als er unter den Opfern zwei verletzte Kleinkinder fand, versuchte er sie zu retten, erntete dafür aber nur Verachtung und Spott von seinen Vorgesetzten.

Die bildlich festgehaltenen Ereignisse in dem WikiLeaks Film - den das Pentagon vehement zu unterdrücken versuchte - sind wirklich entsetzlich und gewähren vielen ihren ersten Einblick in das Blutvergießen, das bei der Berichterstattung der amerikanischen Massenmedien routinemäßig zensiert wird.

Gleichermaßen schlimm, wenn nicht sogar noch erschreckender ist das "Geplaudere" der Hubschrauber Crew, die sich an der Tötung unschuldiger Zivilisten weidet, um die Erlaubnis bittet, auf die Verwundeten schießen zu dürfen und die Verletzung der kleinen Kinder als Fehler ihres Vaters abtut, der sie in ein "Kampfgebiet" - das heißt ihre eigene Wohngegend - mitgenommen habe.

Die beiden US-Veteranen übernahmen ihren Teil der Verantwortung für diesen und ähnliche Vorfälle und baten die irakische Bevölkerung um Vergebung. Darüber hinaus versuchten sie, weitere wichtige Dinge klar zu machen, die im Zusammenhang mit den Geschehnissen stehen, zu deren Zeugen durch die Veröffentlichung des Videos Millionen Menschen wurden.

Als erstes betonen sie, dass das in dem Video zu sehende Blutbad kein Einzelfall war, sondern vielmehr ein exemplarisches Beispiel für "alltägliche Vorkommnisse" im Irak und dass es illustriert, wie die von Amerika geführten Kriege in dieser Region ausgetragen werden.

Das heißt, es war das unvermeidliche Ergebnis einer kolonialistischen Besetzung und von Einsatzregeln, in denen die gesamte Bevölkerung als wirklicher oder vermeintlicher Feind betrachtet wird.

Zweitens treten sie der verständlichen - aber allzu selbstgerechten - Reaktion von vielen entgegen, die das Video gesehen haben, und die darin Verwickelten als gefühllose Monster verurteilen. Ihr grässliches Vorgehen, darauf bestehen die Soldaten, war ebenfalls kein Ausreißer, sondern vielmehr das gewünschte Ergebnis einer systematischen Ausbildung und der Disziplin, die darauf ausgerichtet ist, die US Truppen dazu zu bringen, zu töten, ohne zu fragen oder dabei auf Gefühle zu achten.

Während die beiden Soldaten, die an diesem Einsatz beteiligt waren, um Vergebung gebeten haben und die Verantwortung für "unseren Anteil an den Toten und Verletzten unter euren Angehörigen" übernahmen, bestand die offizielle Reaktion Washingtons aus einer unerschütterlichen Verteidigung des Massakers, verbunden mit Verunglimpfungen und Drohungen gegen die, die das Video veröffentlicht haben.

Robert Gates war zum Zeitpunkt des Massakers Verteidigungsminister unter George W. Bush und behielt seinen Posten, weil Barack Obama ihn wieder zum Verteidigungsminister ernannte. Er rechtfertigte die Aktionen, die in dem Video gezeigt werden, und zwar einschließlich des Maschinengewehrfeuers auf die verletzten Zivilisten und diejenigen, die ihnen zu Hilfe kamen, obwohl das ein lupenreines Kriegsverbrechen war.

Für das irakische Volk bedeutet der Krieg eine Katastrophe von historischem Ausmaß: Mehr als eine Million Tote, weitere Millionen, die zu Flüchtlingen wurden, und die vollständige Zerstörung der Wirtschaft und Infrastruktur des Landes waren die Folge.

Fast 4.400 Militärangehörige haben ihr Leben im Irak verloren. Dazu kommen 1051, die in Afghanistan getötet worden sind. Ungefähr 37.000 Soldaten wurden in den beiden Kriegen verwundet, viele von ihnen leiden an schweren Kopfverletzungen, dem Verlust von Gliedmaßen und anderen schweren physischen Verletzungen, die in einer Zeit mit weniger weit entwickelter Medizin zum Tod geführt hätten.

Währenddessen kommt es bei jungen Soldaten und Marines, die zu mehreren Pflichteinsätzen im Irak und in Afghanistan abkommandiert waren, und mit der weitgehend feindseligen Bevölkerung konfrontiert sind, zu immer stärkeren Anzeichen von schweren psychischen Traumata.

Einem Bericht zufolge, der letztes Jahr von der Rand Corporation, einem dem Pentagon zuarbeitenden Thinktank, herausgegeben wurde, leiden mindestens 300.000 Veteranen der beiden Kriege an posttraumatischen Belastungsstörungen. Mittlerweile hat sich die Selbstmordrate bei den Truppen seit dem Beginn von Washingtons "Krieg gegen den Terror" im Jahre 2001 mehr als verdoppelt.

Denjenigen, die aus diesen Kriegen in ein Land zurückkommen, das durch die kapitalistische Wirtschaftskrise sozial und wirtschaftlich zugrunde gerichtet wurde, fällt es zunehmend schwerer, den Weg in die Zivilgesellschaft zurück zu finden. Die Arbeitslosenquote unter ihnen beträgt fünfzehn Prozent - über fünfzig Prozent mehr als der landesweite Durchschnitt - und Obdachloseneinrichtungen berichten von einer wachsenden Zahl von Irak- und Afghanistan-Veteranen unter ihren Hilfesuchenden.

Die Antwort des Militärs auf diese psychischen Gesundheitsprobleme besteht darin, die Hilfe suchenden Soldaten zu stigmatisieren und die zugrunde liegenden Probleme mit der ständigen Verabreichung von verschreibungspflichtigen Medikamenten zu überdecken.

Diese Epidemie von mentalen und emotionalen Problemen ist mit dem Wesen der Kriege verbunden. Junge Soldaten, die mit patriotischen Parolen über die Verteidigung Amerikas gegen den Terror und über die "Befreiung" der irakischen und afghanischen Bevölkerung voll gepumpt wurden, werden in unterdrückte Länder geschickt, wo sie keine klare Vorstellung davon haben, gegen wen sie kämpfen und in denen die Opfer amerikanischer Schlagkraft mit größerer Wahrscheinlichkeit unbewaffnete Zivilisten, einschließlich Frauen und Kinder, sind als so genannte "Aufständische".

Die Lügen, die vom Militär benutzt werden, um diese Kriege zu propagieren und die ganz bewusst auf Entmenschlichung zielende Ausbildung, die die Soldaten an Tod und Leid gewöhnen sollen, wollen genau das erreichen. In einem Interview mir der World Socialist Web Site beschreibt Josh Stieber diesen Prozess. Er erinnert sich daran, dass man ihn während seiner Ausbildung Marschlieder singen ließ, die Strophen über das Abschlachten von Frauen und Kindern beinhalteten. " Heute hörst Du so ein Lied und morgen hörst Du dann, wie ein Kaplan alles segnet, was Du tust. Und dann hast Du Angehörige zu Hause, die Dir schreiben, dass du sie beschützt und ihnen hilfst. Darin kann man sich völlig verstricken und es kann Dich psychisch definitiv durcheinander bringen."

Er beschrieb die fast vollständige Desillusionierung der Truppen im Irak: "So gut wie alle, die ich kannte, waren der Meinung, dass das, was wir tun, im Grunde genommen Zeitverschwendung sei. Einige von ihnen gingen weiter und sagten, dass es moralisch falsch sei, und einige gingen noch weiter und sagten, wenn sie dasselbe in ihrem Land erleben würden, würden sie auch zu Aufständischen werden." Am Ende hatten die Soldaten nur noch das eine Ziel, wieder "lebend nach Hause zu kommen."

Ethan McCord erklärte die persönlichen Folgen seiner Erfahrung im Irak noch deutlicher, als er sagte, die Szene, die in dem WikiLeaks Video gezeigt wird, habe sich in seinen Kopf eingebrannt, und er durchlebe sie fast jeden Tag aufs Neue.

"Wenn ich die Augen schließe, sehe ich, was an diesem und vielen anderen Tagen passiert ist, wie eine Diashow in meinem Kopf", sagte er der WSWS. Die Gerüche steigen wieder auf und ich höre das Schreien der Kinder. Die Leute, die diese Kriegsmaschine steuern, brauchen sich damit nicht auseinander zu setzen. Sie leben in ihren 36 Millionen Dollar teuren Villen und können nachts gut schlafen."

Tatsächlich lastet das Trauma dieser Erfahrungen hunderttausendfach vervielfältigt auf Truppen, die größtenteils aus den Reihen der Arbeiterklasse rekrutiert wurden, sowie auf deren Familien, Freunden und Gemeinden in ganz Amerika.

Für die, in deren Interesse diese Kriege geführt werden, die Wall-Street-Banker, die Konzernvorstände, die Reichen und ihre politischen Handlanger sowohl in der Demokratischen als auch der Republikanischen Partei, sind die Soldaten nur austauschbare Ware, die auf den Müllhaufen geworfen werden, wenn sie nicht mehr in der Lage sind zu kämpfen. Beide Soldaten äußerten sich enttäuscht, aber nicht wirklich überrascht, dass Obama, der selbsternannte Kritiker von Bushs Kriegen, beide Kriege fortführt, wobei er die US-Intervention in Afghanistan dramatisch eskaliert. "Es scheint, dass sich sehr viel davon auf Geld zurückführen lässt und darauf, wie stark verschiedene etablierte Konzerne und Unternehmen in der Politik mitmischen", sagte Josh Stieber. "Wenn Gewinne wichtiger werden als die Menschen, dann ist das ein Rezept für eine Katastrophe."

Ethan McCord sagte der WSWS: "Es geht nicht um Republikaner oder Demokraten. Es geht um Geld. Es gibt einen Grund, warum Republikaner und Demokraten einmütig im Irak und in Afghanistan bleiben wollen."

Diese tiefgehende Einsicht breitet sich unter der arbeitenden Bevölkerung und den Soldaten immer mehr aus, auch weil die berufsmäßigen Protestler der so genannten Anti-Kriegsbewegung, die sich immer an der Demokratischen Partei orientiert haben, ihren Laden aus Rücksicht auf die Obama-Regierung weitgehend geschlossen haben.

Ehrlicher und entschiedener Widerstand gegen den Krieg wird als Teil einer wieder erstarkten Arbeiterbewegung entstehen, die die Kosten der US Interventionen im Irak und Afghanistan trägt, genau wie sie auch gezwungen wird, für die wirtschaftliche Krise und die Rettung des kapitalistischen Finanzsektors zu zahlen, der sie hervor gebracht hat.

Die Regierung Obama hat sich darauf festgelegt, diese Kriege im Interesse der sozialen Schicht, für die sie steht - die Unternehmens- und Finanzelite - fortzusetzen und auszuweiten. Der breite Widerstand in der Bevölkerung ist in zunehmendem Maße von dem Verständnis geprägt, dass die Kriege im Ausland für die gleichen Interessen des großen Geldes geführt werden, die auch für die Zerstörung von Arbeitsplätzen, Wohlstand und Grundrechten zu Hause verantwortlich sind. Dieser Weg kann nur zu politischen und gesellschaftlichen Aufständen führen.

Nur die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf gegen das kapitalistische Profitsystem, der Quelle des Militarismus, kann den Krieg beenden.

Diese Bewegung der Arbeiterklasse muss mit einem sozialistischen und internationalistischen Programm bewaffnet sein. Sie muss den sofortigen und bedingungslosen Rückzug aller US-Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan fordern und alle für diese kriminellen Angriffskriege Verantwortlichen aus der Bush- und aus der Obama-Regierung zur Rechenschaft ziehen.

Siehe auch:
Amerikanische Soldaten entschuldigen sich wegen
Tötungen im Irak (27. April 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/apr2010/sol1-a27.shtml


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 04.05.2010
Das Schicksal amerikanischer Soldaten:
Der schreckliche Preis für Washingtons Kriege
http://wsws.org/de/2010/mai2010/sold-m04.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2010