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GLEICHHEIT/2997: 60. Berlinale, Februar 2010 - Teil 6


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

60. Berlinale - Teil 6
Rumänien, Bosnien und die Probleme von Einwanderern

Von Stefan Steinberg
16. März 2010
aus dem Englischen (10. März 2010)


Dies ist der sechste Teil in einer Serie über die jüngsten Internationalen Filmfestspiele in Berlin, die vom 11. bis 21. Februar stattfanden. Teil 1 wurde am 27. Februar veröffentlicht, Teil 2 erschien am 3. März, Teil 3 am 4. März, der 4. Teil am 6. März und der 5. Teil am 11. März.


Der rumänische Film hat sich in den letzten Jahren durch eine Serie von Filmen jüngerer Regisseure einen guten Ruf erworben. Diese versuchen, die Folgen der Einführung der kapitalistischen Marktwirtschaft nach dem Zusammenbruch des Stalinismus im Jahre 1989 aufzuarbeiten.

Dazu gehören Filme wie Taxi or Limousine von Titus Muntan (2003), Ryna von Ruxandra Zenide (2005), The Death of Mr. Lazarescu von Cristi Puiu (2005), The Paper Will Be Blue von Radu Muntean (2006), How I Celebrated the End of the World von Catalin Mitulescu (2006) und Love Sick von Tudor Giurgiu (2006).

Pfeifen versilbert

Einen würdigen Platz auf der Liste der Film auf der diesjährigen Berlinale nimmt Pfeifen versilbert ein, der erste abendfüllende Spielfilm des 35-jährigen Filmemachers Florin Serban. Der Film stellt den von einem Laienschauspieler (George Pistereanu) gepielten Silviu in den Mittelpunkt. Der 18-jährige musste dafür von seiner Besserungsanstalt freigegeben werden. Die meisten seiner Mitinsassen in dem Film werden von echten oder ehemaligen Insassen der Anstalt gespielt. Silviu erfährt, dass seine Mutter plötzlich nach langer Zeit wieder aufgetaucht ist und vorhat, seinen kleinen Bruder mitzunehmen, um ihn bei sich aufwachsen zu lassen. Silviu hat seinen geliebten kleinen Bruder aufgezogen und ist bestrebt, ihn aus den Fängen seiner Mutter zu retten.

In seiner wachsenden Verzweiflung und fünf Tage vor seiner vorgesehenen Entlassung, entführt der eigenwillige Silviu eine junge Sozialarbeiterin, in die er sich verliebt hat. Außerhalb des Gefängnisses bekommt der junge Mann seinen ersten wirklichen Vorgeschmack auf die Freiheit als Erwachsener - und gleichzeitig wird sein Schicksal durch die Behörden besiegelt, die ihm dicht auf den Fersen sind.

Wie einige der besseren unter den aktuellen Filmen, weist Pfeifen versilbert auf die scharfen Widersprüche der modernen rumänischen Gesellschaft hin. In der Theorie und auf den Seiten von Hochglanzmagazinen ist vieles möglich. In der Praxis wird ganzen Schichten der Gesellschaft - den Alten, den Armen und breiten Schichten der Jugend - systematisch jede echte Chance auf sozialen Aufstieg verwehrt.

Ein anderer rumänischer Film in Berlin hingegen - Portrait of the Fighter as a Young Man, des 36-jährigen rumänischen Regisseurs Constantin Popescu - weist auf einige der ernsten ideologischen und historischen Hindernisse hin, die nicht nur Künstlern und Filmemachern in Rumänien, sondern in ganz Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion bei ihrer Arbeit zu schaffen machen.

Portrait of the Fighter as a Young Man behandelt sehr selektiv die Opposition in Rumänien, die sich nach der sowjetischen Besetzung des Landes im Jahr 1944 entwickelte. Viele Gruppen leisteten in den Wäldern der Karpaten bewaffneten Widerstand gegen die sowjetischen Truppen und ihre Verbündeten bei der rumänischen Geheimpolizei, der Securitate. Eine dieser Gruppen wurde von Ion Gavril Ogoranu angeführt, dem es bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1976 gelang, unentdeckt zu bleiben. Der Gruppe von Gavril Ogoranu widmet sich Popescus Film.

In einem Interview erklärt der Regisseur: "Ich habe ihn und seine Gruppe nur als junge Männer dargestellt, die den Kampf aufnahmen, ohne genau zu verstehen, was sie taten. Ich habe ihn weder als Helden dargestellt, noch als Monster. Ich bin neutral geblieben und habe nur Tatsachen dargestellt."

Tatsache ist, dass Gavril Ogoranu ein führendes Mitglied der antisemitischen und rassistischen "Miscarea Legionara" oder "Legionärsbewegung" war, einer faschistischen Organisation in Rumänien, die 1927 gegründete wurde, und sich der "christlichen und rassischen" Erneuerung des Landes verschrieben hatte. Popescu erhielt für seinen Film Portrait of the Fighter as a Young Man, der die reaktionären Kräfte innerhalb der Widerstandsbewegung rein wäscht, Mittel aus dem staatlich geförderten Cinema Fund.

Popescus Film ist einer aus einer ganzen Reihe von osteuropäischen Filmen (man denke an den lettischen Film Defenders of Riga von 2008), die in den letzten zehn Jahren mit beträchtlicher staatlicher Unterstützung produziert wurden und rechts-nationalistische Elemente, die gegen den Stalinismus eingestellt waren, in dem günstigsten Licht erscheinen lassen.

Portrait of the Fighter as a Young Man erschien nur wenige Wochen, nachdem der scheidende ukrainische Präsident und Führer der vom Westen gesponserten "orangenen Revolution", Wiktor Juschtschenko Stephan Bandera die höchste staatliche Auszeichnung als "Held der Ukraine" zu erkannte. Bandera leitete die ultrarechte und antisemitische Organisation Ukrainischer Nationalisten, eine Gruppe, die 1941 mit der deutschen Wehrmacht bei der Invasion in die UdSSR kollaboriert hatte.


On the Path, Shahada, Die Fremde

Drei Spielfilme auf dem Festival in diesem Jahr beschäftigen sich ausführlich mit den Problemen, denen Einwanderer mit religiösem Hintergrund und Konvertiten zum Islam in der europäischen Gesellschaft gegenüber stehen. Alle drei Filme teilen eine gemeinsame Schwäche. Trotz der lobenswerten Absichten der Filmemacher schenken sie bestimmten sozialen und politischen Kräften in Europa wenig oder gar keine Aufmerksamkeit. Diese Kräfte arbeiten seit einigen Jahren im Rahmen einer breit angelegten Kampagne gegen ausländische Immigranten im Allgemeinen systematisch daran, den Islam zu dämonisieren.

Der neue Film von Jasmila Zbanic (Gewinnerin des Goldenen Bären auf der Berlinale im Jahr 2006 für ihren Film Esmas Geheimnis - Grbavica), On the Path, befasst sich mit dem Einfluss des Islam in ihrer Heimat Bosnien. Die Geschichte konzentriert sich auf die junge Muslimin Luna, die eine innige Beziehung zu ihrem Freund Amar hat. Diese gerät in eine Krise, als dieser seine Sauferei aufgibt und Trost in der konservativen Wahhabiten-Sekte findet.

Der Film hat den Vorzug, dass er fair mit seinen Charakteren umgeht. Die Regisseurin erzählte, sie habe einige Zeit damit zugebracht, sich mit dem Hintergrund der Wahhabiten vertraut zu machen. Amar, der nach seiner Konvertierung den Alkohol aufgibt, sich weigert mit Luna zu schlafen und mit dem das Zusammenleben ganz allgemein unerträglich wird, ist mitfühlend dargestellt.

Wir werden als Publikum aber auch eingeladen, die Geschichte durch die Augen der lebhaften und spontanen Luna zu sehen. Doch stellt sich bald heraus, dass ihr eigenes Gegenmittel gegen Amars religiöse Verbissenheit, d.h. Tanzen, Rauchen und Trinken in einem grellen Nachtclub bis zum Umfallen - keine echte Alternative ist. Dennoch sind einige der Übergänge in dem Film zu flach - vor allem die Geschwindigkeit, mit der sich der ehemals weltliche Amar einer extremen religiösen Überzeugung zuwendet.

In ihren beiden Spielfilmen hat Zbanic sich der Thematik zugewendet, dass Einzelne versuchen, sich in einer traumatisierten Gesellschaft zurechtzufinden: insbesondere in Bosnien im Anschluss an die Konflikte, die nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der 1990er Jahre ausbrachen.

Das größte Anliegen der Regisseurin ist, wie sie in Interviews erzählt, die Integrität des Einzelnen gegen "die ideologische Einmischung eines Anderen in das Leben des Einzelnen" zu verteidigen (als Beispiel für ihren ideologischen "Anderen" nennt sie Religion, Nationalismus und Sozialismus). Während man Zbanics Anliegen wegen des wachsenden Einflusses religiöser Sekten in Bosnien teilen kann, führt ihre grundsätzliche Ablehnung jeder Ideologie und ihre Weigerung, umfassendere Fragestellungen zu untersuchen, in eine künstlerische Sackgasse, die sich in dem ungelösten und unbefriedigenden Ende von On the Path widerspiegelt.

Shahada, ist der erste Spielfilm des jungen deutsch-afghanischen Regisseurs Burhan Qurbani. Er erzählt die Geschichte von drei jungen in Deutschland geborenen Muslimen, die darum kämpfen, den Glauben und die Traditionen ihrer Familie mit einem westlichen, modernen Lebensstil in Einklang zu bringen. Das erklärte Ziel Qurbanis ist es, einen Dialog über das Wesen und die zahlreichen Formen des islamischen Glaubens zu fördern. Es gibt einiges an diesem Film, was einer genaueren Untersuchung in diesem Artikel Wert wäre, aber es ist einfach zu viel, was Qurbani in seinen Film gepackt hat.

Wir erleben ein deutsch-muslimisches Mädchen in zweiter Generation, das abtreibt und durch diese Erfahrung so traumatisiert ist, dass sie sich dem Fundamentalismus zuwendet. Darunter mischt sich die Geschichte eines jungen Muslimen afrikanischer Herkunft, der mit seiner zutiefst religiösen Mutter zusammen lebt und sich mit seiner eigenen Homosexualität zurechtfinden muss. Und schließlich gibt es noch die Geschichte eines traumatisierten (muslimischen) Polizisten, der sich in eine inoffizielle Immigrantin verliebt, die er Jahre zuvor bei einem Einsatz angeschossen hatte.

Qubanis atemlose Übergänge von einer Figur und Krise zur nächsten lässt einem wenig Zeit, sich mit den Charakteren des Films wirklich zu identifizieren oder über sie und die wenigen, oberflächlichen Hinweise auf die sozialen und politischen Faktoren nachzudenken, die eine Integration in die moderne deutsche Gesellschaft so schwer machen.

Der Beste von den Filmen, die sich mit diesem Thema befassen, war Die Fremde vom österreichischen Filmemachers Feo Aladag. Der Film ist eine bewegende und einfühlsame Behandlung einer Thematik - der Frage der Ehrenmorde -, die 2005 in Deutschland in die Schlagzeilen gelangte, als ein junger türkischer Mann auf einer Straße in Berlin seine eigene Schwester am helllichten Tag ermordete. Der Bruder war der Meinung, seine Schwester habe Schande über ihn und seine Familie gebracht, weil sie nicht in Übereinstimmung mit seinem strengen Kodex gelebt habe.

Zum Zeitpunkt des Mordes gab es religiöse und politische Interessensgruppen, die versuchten, mit Hilfe dieses Vorfalls die islamische Religion als Ganzes zu diffamieren, und behaupteten, dass sich zugewanderte Familien mit muslimischem Hintergrund nur allzu oft "nicht integrieren ließen". Dieses Argument lässt außen vor, dass der deutsche Kapitalismus kläglich scheitert, wenn es darum geht, Arbeitsplätze und Perspektiven anzubieten und so Jugendliche zur Integration zu ermutigen. Die Fremde ignoriert diese umfassenderen Fragen weitgehend und konzentriert sich auf das Milieu einer einzelnen türkischen Familie.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die deutsch-türkische Frau Umay (gut von der Schauspielerin Sibel Kekilli dargestellt), die nicht mehr bereit ist, mit ihrem Mann weiter zusammen zu leben, den sie aufgehört hat zu lieben. Die Entscheidung, ihren Mann in der Türkei zu verlassen und mit ihrer Familie Zuflucht in Deutschland zu suchen, setzt eine Reihe von tragischen Entwicklungen in Gang. Dem Film fehlen die Schauspielkunst und die Ausschweifungen Shahadas. Stattdessen stellt er mit viel Mitgefühl den Leidensweg einer Familie dar, die ihre Wurzeln in einer rückständigen bäuerlichen Region hat und ihr möglichstes tut, um sich an die deutsche Gesellschaft anzupassen.

Wird fortgesetzt


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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.03.2010
60. Berlinale - Teil 6
Rumänien, Bosnien und die Probleme von Einwanderern
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2010