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GLEICHHEIT/2988: EU warnt - Großbritannien vor griechischen Verhältnissen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU warnt: Großbritannien vor griechischen Verhältnissen

Von Chris Marsden
30. März 2010
aus dem Englischen (22. März)


Die Europäische Kommission warnte, die britische Regierung würde in eine mit Griechenland vergleichbare Lage geraten, falls sie sie sich nicht stärker um die Durchsetzung von Sparmaßnahmen bemühe.

EU-Kommissare stellten fest, dass die AAA-Kredit-Ratings Großbritanniens gefährdet seien, weil die Labour-Regierung Gordon Browns für die Senkung ihrer Schulden keine ausreichend durchschlagenden Kürzungen vorsehe. Mit mehr als 197 Milliarden Euro und zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht Großbritanniens Defizit griechischen Zuständen. In absoluten Zahlen ist es sogar um ein Vielfaches größer.

Der Bericht moniert, der eingeschlagene Kurs Großbritanniens entspreche nicht den EU-Regelungen, nach denen die Staatsdefizite bis 2014 unter 3 Prozent des Bruttosozialprodukts liegen müssen. Großbritannien gehört der Eurozone nicht an, ist jedoch von der europäischen Wirtschaft überaus abhängig.

Im Haushaltsentwurf kündigte Labour Kürzungen von 21 Milliarden Euro an, wodurch das Defizit Großbritanniens bis 2015 auf 4,7 Prozent reduziert werden soll. Schätzungen der Regierung über die danach erforderlichen Kürzungen bewegen sich zwischen 22 und 28 Milliarden Euro.

Der Bericht der Europäischen Kommission stellt ohne Umschweife fest: "Ein überzeugender Zeitrahmen für die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen auf ein nachhaltiges Niveau erfordert weitere, über die derzeit geplanten Schritte hinausgehende finanzielle Einschränkungen."

Weiter stellt der Bericht die Prognosen des britischen Finanzministeriums über ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent für 2010 und drei Prozent für die folgenden vier Jahre in Frage. Wie ein EU-Beamter gegenüber BBC äußerte, "ist Großbritannien, was die Chancen für seine wirtschaftliche Erholung betrifft, viel zu optimistisch. Dort glaubt man, viel schneller heraus zu kommen, als wir das glauben."

Anfangs reagierten die Märkte mit dem Verkauf von Sterling. Im Vergleich zum Dollar fiel das Pfund mit 1,4977 Dollar auf ein Zehn-Monats-Tief und kam damit unter die 1,5 Dollar-Marke. Nachdem sich gegen alle Erwartungen die Immobilienwerte positiv entwickelten, stieg es wieder, aber mit einem Verlust von sieben Prozent zum Dollar blieb es in diesem Jahr die schwächste unter den wichtigen Währungen.

Bloomberg betonte: "Futures Händler notieren das Pfund schwächer denn je, wobei Wetten auf ein schwächelndes Pfund gegenüber dem Dollar zahlenmäßig häufiger sind als umgekehrt, und zwar ...um das Achtfache stärker, als bei dem 1 Milliarden-Dollar-Gewinn von George Soros bei seiner Wette gegen die britische Währung 1992."

Derartige Spekulationen sind nichts als ein Ausdruck des unersättlichen Drangs der globalen Finanzhändler, die Arbeiterklasse für die Bankenrettungen zur Kasse zu bitten und die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse umfassender und nachhaltiger nach ihren Interessen umzugestalten. Ihr Bestreben ist, auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung die Millionensummen zusammenzuraffen, die zur Auffüllung der staatlichen Kassen gebraucht werden. Diese wurden geplündert, um die Finanzhäuser wieder auf die Beine zu bringen, die durch hemmungslose Spekulation gescheitert waren.

Dazu haben sie vor, die elementarsten öffentlichen Dienstleistungen zu beseitigen und Millionen Menschen auf Arbeitslosigkeit und Hungerlöhne zu setzen. Gleichzeitig mästen sie sich wieder einmal und streichen Milliarden ein, indem sie die Zinsen für Staatsanleihen von Ländern hochtreiben, die als hoch verschuldet gelten. Die Entziehung eines AAA-Kredit-Ratings lässt die Kosten für den Schuldendienst bei den Banken in die Höhe schnellen, die von eben diesen Regierungen gerettet wurden, weil sie ganze Staaten mit ihrem möglichen Bankrott in Gefahr brachten.

Das sind die räuberischen Interessen, die in jedem Land die politische Agenda diktieren.

Die britische Regierung verstand den Kommissions-Bericht eher als Drohung, denn als Warnung, besonders weil er im Vorfeld einer bisher zwar noch nicht angekündigten, aber dennoch wahrscheinlich werdenden Unterhauswahl am 6. Mai erschien. In diesem Umfeld werfen die Konservativen der Regierung Unaufrichtigkeit über das Ausmaß der jetzt notwendigen Kürzungen vor.

George Osborne, Finanzminister im Schattenkabinett, sagte: "Die Konservativen argumentieren, für die wirtschaftliche Erholung müssten wir unser Rekord-Haushaltsdefizit schneller abbauen."

Der Vorsitzende der Konservativen, David Cameron sagte, die Wähler hätten die Wahl zwischen einer unglaubwürdigen Labour-Regierung, die schwierige Entscheidungen vor sich herschiebe, und der Konservativen Partei, die bereit sei, die Ärmel hochzukrempeln und sich ans Werk zu machen."

Der finanzpolitische Sprecher der Liberaldemokraten, Vince Cable, sagte, die Parteien müssten zum Beweis ihrer Glaubwürdigkeit deutlich machen, wo sie kürzen wollten.

Brown antwortete darauf, die Konservativen würden mit ihren geplanten Haushaltskürzungen "den Aufschwung zunichte machen." Finanzminister Alistair Darlings Haushaltsplan wurde am Mittwoch veröffentlicht. Er betonte, dass die Europäische Kommission "falsch liege" und der Aufschwung durch gesteigerte Kürzungen beeinträchtigt werde.

In Wirklichkeit hat Labour schon Sparmaßnahmen vorgeschlagen und rühmt sich, es seien die schärfsten und frühzeitigsten Vorschläge zur Reduzierung des Defizits aller führenden G-7-Industriestaaten. Sie beinhalten Ausgabenkürzungen um 42 Milliarden Euro ab 2011 und eine Steuererhöhung um 21 Milliarden Euro ab April. Die Regierung ließ auch keinen Zweifel daran, dass sie noch weiter zu gehen bereit ist. Sie befürchtet jedoch, dass zu rasch durchgezogene Kürzungen die Wirtschaft in eine Rezession zurück werfen könnten. Dieser Standpunkt wird von der Bank von England und den meisten führenden Wirtschaftswissenschaftler geteilt. Zweifelsfrei würde die Zusicherung der derzeit geforderten Maßnahmen die sichere Wahlniederlage für Labour bedeuten. Es geht also nur um taktische Differenzen. Sollten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern oder die Forderungen nach entschlossenerem Handeln lauter werden, wird Labour dem nachkommen.

Wie Staatssekretär Liam Byrne vom Schatzamt bemerkte, gehen die Prognosen der Regierung davon aus, dass durch Wirtschaftswachstum 28 Milliarden Euro zusammenkommen. Wenn dem nicht so sei, müssten die von der Kommission vorgegebenen Kürzungen durchgesetzt werden.

Die Wirtschaft Großbritanniens befindet sich in einer sprichwörtlichen Zwangslage und alles weist darauf hin, dass man sich auf eine Verschlechterung der nationalen und globalen Wirtschaftssituation einstellen muss.

Im Vierteljahresbericht der Bank von England wurde diese Woche angekündigt, Familien hätten ein weiteres Sinken ihres Lebensstandards, sowie effektive Lohneinbußen zu erwarten. Bisher sei auch noch nicht festzustellen, dass die Arbeitslosigkeit ihren Spitzenwert erreicht habe.

Viele Arbeiter stimmen Lohnsenkungen und Teilzeitarbeit zu, aber wie die Bank konstatiert, müssen sie jetzt feststellen, dass die Preise für Waren und Dienstleistungen wahrscheinlich weiter schneller als die Löhne steigen. Die Lohnzuwächse liegen bei jährlich 1,4 Prozent, im Privatsektor sind es nur 0,7 Prozent - was weit unter der Inflationsrate liegt.

"Während die Lohndrosselung in der Rezession zur Rettung von Arbeitsplätzen beitrug, dämmert den Arbeitern jetzt, dass dies für beachtliche Zeit so weiter gehen muss, wenn keine Arbeitsplätze während der Erholungsphase verloren gehen sollen. Das wird die Gutwilligkeit der britischen Arbeiter bis zur Grenze fordern", so der Bericht.

Weiter heißt es darin, dass "das Risiko fortgesetzten Beschäftigungsabbaus bleibt....Betriebe könnten auf alle zukünftigen Gewinneinschränkungen reagieren, indem sie Personal abbauen."

Kate Baker, Bankensprecherin und Mitglied des finanz- und geldpolitischen Ausschusses, räumte ein, die Wirtschaft könne dieses Jahr wieder in eine Rezession schlittern.

John Philpott, Chefökonom des Chartered Institute of Personnel and Development (CIPD) meinte: " Der CIPD macht sich schon seit einiger Zeit Sorgen, dass eine Erholung nur wenige neue Arbeitsplätze schafft oder sogar weitere Verluste bringt."

Nach offiziellen Zahlen ging die Arbeitslosigkeit im Januar um 33.000 auf 2,45 Millionen oder 7,8 Prozent zurück. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit maskiert dennoch ein Vierzehn-Jahres-Tief in der britischen Arbeitslosenstatistik. Das nationale Statistikamt bestätigt, dass derzeit 8,16 Millionen als "wirtschaftlich inaktiv" eingestuft werden. 20 Prozent der erwachsenen Personen hat die Arbeitssuche aufgegeben.

Die Langzeitarbeitslosigkeit stieg um 61.000 auf 687.000. Die Jungendarbeitslosigkeit liegt bei einer Million, ebenso die Teilzeitarbeit. Zusätzlich begannen 100.000 Menschen mit einer schulischen Ausbildung, weil es keine Arbeit gibt. Dies bringt die Zahl der in schulischer Ausbildung Befindlichen auf die Rekordhöhe von 2,3 Millionen.

Folglich ist die Gesamtzahl der Arbeitslosen oder wirtschaftlich Inaktiven 10,6 Millionen, oder 28 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung.

Unter diesen Bedingungen sollen jetzt weitere Kürzungen durchgesetzt werden. Jeremy Warner schrieb im Telegraph : "Wettet nicht auf die Märkte und wartet bis nach dem Wahltermin. Währungs- und Finanzkrisen tendieren zu plötzlichen Entwicklungen, ohne vorherige Warnung. Wir könnten uns nahe am Absturz befinden."

Am eindrücklichsten schrieb die amerikanische Rating-Agentur Moody's in einem Bericht zu den Auslandsschulden über den Charakter der gegenwärtig ablaufenden Krise. Auch im Telegraph bezog sich Ambrose Evans-Pritchard auf Moody's Einschätzung, dass nämlich die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien in einem wahren Drahtseilakt versuchten, die öffentlichen Finanzen unter Kontrolle zu bekommen, ohne dass auch nur ein Hauch von Erholung zu erspüren wäre."

Moody's warnte, dass ein zu frühzeitiges Zurückfahren von Konjunkturstützungsmaßnahmen die Gefahr eines konjunkturellen Rückschlags beinhalte, und betonte weiterhin, dass nach einer Studie des IWF die Politik des leichten Geldes die Kreditkosten um 40 bis 100 Basispunkte gesenkt habe. Zu lange zu warten sei jedoch "nicht minder riskant."

Pierre Cailleteau, der federführende Autor des Berichts schloss mit ernüchternden Worten und warnte die herrschende Elite vor den Implikationen ihres eigenen Vorgehens:

"Die Erhaltung bezahlbarer Schulden auf einem den AAA-Ratings entsprechenden Niveau wird unabdingbar finanzpolitische Anpassungen in einer Höhe erfordern, die in einigen Fällen den sozialen Zusammenhalt auf den Prüfstand stellen wird.... Wir reden nicht von Revolution, die Schwere der Krise wird jedoch Regierungen zu schmerzlichen Entscheidungen zwingen, durch welche Schwächen in der Gesellschaft offenkundig werden."

Siehe auch:
Europäische Union über Griechenlandkrise gespalten
(25. März 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/mar2010/grie-m25.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.03.2010
EU warnt: Großbritannien vor griechischen Verhältnissen
http://wsws.org/de/2010/mar2010/brit-m30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2010