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GLEICHHEIT/2811: Schweiz verbietet Minarette


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Schweiz verbietet Minarette

Von Marianne Arens
2. Dezember 2009


In der Schweiz wurde am vergangenen Sonntag, den 29. November, per Volksentscheid beschlossen, den Bau von Minaretten zu verbieten. Man muss kein Anhänger des Islam noch sonst einer Religion sein, um diese Entwicklung mit Sorge und Empörung zu betrachten.

Die Entscheidung ist ein neuer Höhepunkt im europaweiten Feldzug der Rechten, der darauf abzielt, Vorurteile gegen Moslems zu schüren und die Arbeiterklasse zu spalten. Frühere Beispiele sind die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten und das Kopftuch-Verbot gegen muslimische Mädchen und Frauen in Frankreich. Schon jetzt wird das Ergebnis des Schweizer Referendums von den reaktionärsten Kräften in ganz Europa als Signal und Ermutigung verstanden.

An der Abstimmung vom Sonntag beteiligte sich mit 53,4 Prozent praktisch die Hälfte der Schweizer Stimmbürger, und 57,5 Prozent davon stimmten der Initiative zu. Auch das erforderliche so genannte Ständemehr, die Mehrheit der Kantone, wurde erreicht. Die Schweiz ist damit das erste Land der Welt mit einem in der Verfassung verankerten Verbot von Minaretten.

Lanciert wurde die Initiative von einem Aktionskomitee, dem so genannten "Egerkinger Komitee", hinter dem die rechtspopulistische SVP (Schweizerische Volkspartei) und eine zweite Partei am rechten Rand des Spektrums, die EDU (Eidgenössische Demokratische Union), standen. Ulrich Schlüer, der Gründer der Anti-Minarett-Initiative, ist Abgeordneter der SVP und war früher Mitarbeiter von James Schwarzenbach, dem Initiator der ersten "Initiative gegen Überfremdung" in den 1970er Jahren, der 300.000 Ausländer aus der Schweiz abschieben wollte.

Das Komitee scheute in den letzten Monaten vor keiner noch so primitiven Holzhammer-Methode zurück, um Angst zu verbreiten und Vorurteile zu schüren. Ein weit verbreitetes Plakat zeigt neben einer schwarz verschleierten Frau mehrere drohende Minarette (schwarz, ohne den üblichen Halbmond), die wie Raketen auf der Schweizer Fahne stehen. Ein Computerspiel wurde in Umlauf gebracht, bei dem es darum geht, emporwachsende Minarette abzuschießen.

Über Monate hinweg führten die rechten Parteien eine breite Kampagne, der die übrigen Parteien wenig oder nichts entgegensetzten. Sie hatten schließlich vor allem in ländlichen Regionen und in der Innerschweiz Erfolg, wo vergleichsweise wenige Moslems leben. In Appenzell-Innerroden (dem Kanton, der 1990 als letzter und zwangsweise das Frauenstimmrecht einführte) erreichte die Initiative gegen die Minarette über siebzig Prozent Zustimmung. In den Kantonen Waadt, Neuenburg, Genf und Basel-Stadt wurde die Initiative dagegen mehrheitlich abgelehnt.

Die Schweiz hat knapp acht Millionen Einwohner, von denen rund fünf Millionen stimmberechtigt sind. Bei schätzungsweise 330.000 Muslimen gibt es rund 150 Moscheen mit gerade mal vier (!) Minaretten in der Schweiz.

Der Bau weiterer Gebetstürme, so behauptete nun die SVP, symbolisiere einen politischen Machtanspruch und leiste gleichzeitig der Anwendung der Scharia Vorschub. Nur um sie gehe es, und nicht etwa um die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit. Das ist absurd. Es ging zu keinem Zeitpunkt um das architektonische Erscheinungsbild oder um stadtplanerische Konzepte. Es ging im Grunde nicht einmal um Religion.

So heißt es auf der Homepage der Volksinitiative: "Wer Minarette baut, will bleiben. ... Für die Bevölkerung sind Moschee und Minarett der unübersehbare Beweis dafür, dass die Einwanderer bleiben wollen." Dieser Satz ist entlarvend. Im Umkehrschluss bedeutet er, dass der Kampf gegen Minarette dazu dient, die unerwünschten Einwanderer - und nicht nur Moslems! - loszuwerden.

Weiter heißt es da: "Der klassische Islam [ist] mehr als eine Religion im modernen westlichen Verständnis ... [vielmehr] eine religiös begründete Gesellschaftsordnung, die auf Dominanz aus ist." Der Islam widerspreche zwangsläufig "den freiheitlich demokratischen Errungenschaften der Schweiz". Deshalb müsse gelten: "Keine Toleranz gegenüber der Intoleranz!"

Das sind dieselben verlogenen Argumente, die den Islam generell mit Gewaltanspruch, mit Intoleranz und Terror gleichsetzen. Es sind Argumente, die seit Jahren dazu dienen, Kriege zu rechtfertigen, die in Wirklichkeit um Öl und strategische Positionen gehen, zum Beispiel gegen den Irak und Afghanistan - beides Länder mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Das Schüren moslemfeindlicher Vorurteile dient auch der staatlichen Antiterror-Aufrüstung im Innern und der Erleichterung von Abschiebungen.


Keine prinzipiellen Gegenargumente

Dieser rechten Kampagne der SVP setzen die etablierten Schweizer Parteien wenig oder nichts entgegen. Der Freisinn, die Christlich-Konservativen, die Sozialdemokratie und die Grünen sprachen sich zwar, wie auch die Schweizer Regierung, ausdrücklich gegen die Initiative aus und forderte dazu auf, mit "Nein" zu stimmen. Aber ihre Argumente waren alles andere als prinzipiell.

Sie konzentrierten sich auf das "Ansehen der Schweiz im Ausland" oder die "Folgen für die Wirtschaft". Zu keiner Zeit entlarvten die Politiker die Initiative als das, was sie war, nämlich eine gezielte Provokation zur Spaltung der arbeitenden Bevölkerung.

Die sozialdemokratische Außenministerin, Micheline Calmy-Rey, argumentierte zum Beispiel, bei Annahme des Minarett-Verbots werde die Schweiz ihren Einfluss bei der Weltbank und beim Internationalen Währungsfonds verlieren. Es sei "unklug", sagte Calmy-Rey einer Schweizer Zeitung, "unsere Partner mit einem Minarett-Verbot vor den Kopf zu stoßen". Auch wirtschaftlich könnte das Exportland Schweiz in Schwierigkeiten geraten, denn: "Die muslimischen Länder gehören ebenfalls zu unseren Kunden."

Übrigens haben die sozialdemokratischen Frauen der Schweiz auch schon öffentlich den Vorschlag der CVP und des Verbands der Ex-Muslime unterstützt, den Ganzkörperschleier, die Burka, zu verbieten.

Der Bundesrat hat ein solches Verbot bisher immer abgelehnt, denn die Verfassung garantiere "das Recht jeder Frau und jedes Mannes, sich aus religiösen Gründen für oder gegen eine bestimmte Kleidung zu entscheiden". Anfang November erklärte die Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf (ehemals SVP) jedoch erstmals, sie könne sich ein solches Verbot vorstellen.

Die Justizministerin Widmer-Schlumpf, die das Minarett-Verbot jetzt in der Öffentlichkeit vertreten und umsetzen muss, stieg vor zwei Jahren in die Schweizer Regierung auf. 2007 wurde sie mit Hilfe der Abgeordnetenstimmen der Grünen und Sozialdemokraten, die sogar eine Demonstration vor dem Bundeshaus für sie organisierten, zur Bundesrätin gewählt.

Damals war Christoph Blocher, der SVP-Führer und Milliarden schwere Industrielle, bei der Neuwahl des siebenköpfigen Bundesrats abgewählt worden. An seine Stelle trat Widmer-Schlumpf. Blocher schloss Widmer-Schlumpf darauf aus der SVP aus und verkündete, er werde in die Opposition gehen.

Schon 2007 warnte die World Socialist Web Site : "Wachsende soziale Spannungen konnten in einem System, in dem alle großen Parteien, einschließlich der Sozialdemokratie, einhellig zusammenarbeiten, keinen politischen Ausdruck finden. Das machte sich Blocher zunutze."



Reaktionen im Ausland

Alle reaktionären Kräfte Europas haben das Ergebnis des Schweizer Referendums als Auftakt für eine neue Rechtswende begrüßt. Als erstes meldete sich Geert Wilders in Holland, der Vorsitzende der rechtsradikalen Partei für die Freiheit (PVV), zu Wort. Er jubelte: "Zum ersten Mal haben sich Menschen in Europa der Islamisierung widersetzt." Wilders hatte 2006 auch als erster die moslemfeindlichen Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten auf seiner Homepage veröffentlicht.

In Italien sagte Minister Roberto Calderoli von der ausländerfeindlichen Lega Nord: "Aus der Schweiz kommt ein klares Signal: Ja zum Kirchturm, nein zum Minarett." In Frankreich forderte Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie Le Pen und Vizepräsidentin des rechtsextremen Front National: "Auch die Franzosen sollen über lokale Moscheebauten abstimmen dürfen." In Österreich forderten beide rechten Parteien, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), ebenfalls ein Minarett-Verbot.

Auch deutsche Politiker begrüßten das Ergebnis des Volksentscheides. Thilo Sarrazin (SPD), einst Berliner Finanzsenator, heute Mitglied des Bundesbankvorstands, äußerte Verständnis für den Schweizer Minarett-Entscheid. "Das Schweizer Volksbegehren zeigt, dass in der Tiefe der Gesellschaft anders gedacht wird, als die politische Klasse und die Mehrheit der Medien glauben wollen", sagte Sarrazin dem Handelsblatt.

Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach forderte, man müsse die Furcht der Bevölkerung vor der Islamisierung ernst nehmen. In der Architektur von Moscheen manifestiere sich "islamischer Herrschaftsanspruch", zitiert der Spiegel Bosbach.

Dabei ist es zweifelhaft, ob das Verbot von Minaretten überhaupt rechtens ist. Ein Sprecher des UNO-Hochkomissariats für Menschenrechte erklärte am Montag, die UNO werde zum Ausgang der Abstimmung Stellung nehmen. UNO-Experten hätten die Schweizer Behörden schon während der Abstimmungskampagne mehrfach gewarnt, dass ein Minarett-Verbot diskriminierend und darum nicht zulässig sei.

In der Schweiz lebende Muslime wollen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen das Verbot anrufen. Der Berner Professor für Völkerrecht, Walter Kälin, sagte der Internet-Zeitung NEWS.CH, am Ende müsse die Schweiz das Minarett-Verbot wieder aufheben. Eine Entscheidung des Straßburger Gerichtshofs sei für die Schweiz zwingend: "Das Völkerrecht kommt vor innerstaatlichem Recht", erklärte Kälin.

Dazu äußerte sich SVP-Führer Christoph Blocher. In der Fernseh-Sendung "Talk täglich" von "Tele Züri" sagte er, falls man aus dem europäischen Ausland versuche, der Schweiz etwas aufzuzwingen, müsse die Schweiz es machen wie der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi. Italien habe sich auch über das EU-Verbot von Kruzifixen in Schulzimmern hinweggesetzt, und Berlusconi habe gesagt: "Wir machen es trotzdem."

Die Kampagne gegen eine "Islamisierung der christlichen Schweiz" fällt nicht zufällig in die Zeit einer tiefen Börsenkrise und sozialen Polarisierung. Erst vor kurzem verschlang die Rettung der Großbank UBS Milliarden an Steuergeldern. Die jüngsten Streiks der Arbeiter von SBB-Cargo und der Bauarbeiter sind ein deutliches Anzeichen dafür, dass sich die Risse in der Gesellschaft vertiefen. Mit dem Feldzug gegen Minarette soll die muslimische Bevölkerung dämonisiert und als Sündenbock hingestellt werden, um die arbeitende Bevölkerung zu spalten. Man will ein "nationales Identitätsgefühl" künstlich schaffen, um von der tatsächlichen Spaltung der Gesellschaft abzulenken.

Die traditionelle Linke in der Schweiz, die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften, haben kläglich versagt. Sie lassen es zu - und unterstützen es sogar -, dass die Einwanderer die ersten Opfer sozialer und demokratischer Angriffe sind. Nichts könnte deutlicher die Notwendigkeit zeigen, auch in der Schweiz eine Sektion der Vierten Internationale aufzubauen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.12.2009
Schweiz verbietet Minarette
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2009