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GLEICHHEIT/2432: Deutscher Reifenhersteller kündigt Fabrikschließungen in Europa an


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI)

Deutscher Reifenhersteller kündigt Fabrikschließungen in Europa an

Von Kumaran Ira
27. März 2009
aus dem Englischen (24. März 2009)


Die Entscheidung des deutschen Reifenherstellers und Autoteile-Zulieferers Continental AG, Werke in Frankreich und Deutschland zu schließen, löste in Frankreich auf breiter Front Opposition und Kontroversen aus. Am 11. März gab Continental die Entscheidung bekannt, 1.900 Jobs zu vernichten und Überkapazitäten abzubauen, da die Nachfrage nach Fahrzeugteilen weltweit zusammenbricht.

Die Continental AG ist der zweitgrößte Reifenhersteller in Europa und mit einem Umsatz von 24 Milliarden Euro im letzten Jahr sowie 140.000 Beschäftigten in 190 Werken in 35 Ländern einer der größten Automobilzulieferbetriebe weltweit. In einer Stellungnahme erklärte Continental-Vorstandsmitglied Hans-Joachim Nikolin: "Wir haben verschiedene Optionen geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Reifen-Divisionen nur durch die Schließung der beiden Werke mit den höchsten Kosten zu halten ist. Und das sind für Pkw-Reifen Clairoix und für Nutzfahrzeugreifen Hannover."

Die Lkw-Reifenproduktion im Werk Hannover mit einer Kapazität von 1,4 Millionen Reifen wird gegen Ende des Jahres eingestellt werden, wovon etwa 780 Beschäftigte betroffen sind. Das Pkw-Reifen-Werk in Clairoix, Frankreich wird gegen Ende März 2010 geschlossen werden, wovon 1120 Beschäftigte betroffen sind. Laut Continental hat das Werk in Clairoix die höchsten Produktionskosten von allen Pkw-Reifen-Fabriken in Europa überhaupt. Im letzten Jahr produzierte das Werk 8,7 Millionen Reifen und erwirtschaftete einen Profit von 28 Millionen Euro.

Continental begründet die Werksschließungen und die Verringerung der Produktionskapazitäten mit den sinkenden Autoverkäufen in Europa und weltweit. In der Presserklärung des Unternehmens heißt es: "Im vierten Quartal 2008 ging das Geschäft mit Original-Lkw-Reifen um 20 Prozent zurück und der Verkauf von Ersatzreifen sackte in Europa um 15 Prozent ab. Dieser Trend hat sich in den ersten zwei Monaten des laufenden Jahres dramatisch beschleunigt. Der Verkauf von Pkw-Reifen ging im vierten Quartal 2008 um 20 Prozent zurück und um mehr als 30 Prozent in den ersten zwei Monaten des laufenden Jahres. Der Pkw-Ersatzreifen-Markt zeigt ebenfalls eine beträchtliche Abschwächung der Nachfrage."

Da sich der Markt weder kurz noch mittelfristig ausreichend erholen wird, um die vorhandenen Produktionskapazitäten auszulasten, erklärt Continental, es werde "Schritte unternehmen, um die Produktion in unseren europäischen Reifenwerken an die Nachfrage anzupassen". Das Unternehmen wird die Lkw-Reifen-Produktion in Europa um 27 Prozent und die Pkw-Reifen-Produktion um 17 Prozent drosseln.

Einer der Gründe für die schlechte Lage bei Continental ist die Übernahme des Konzerns im letzten Jahr durch den wesentlich kleineren Kugellagerproduzenten Schaeffler, der jetzt 90,2 Prozent der Continental-Aktien besitzt. Die Continental AG erwirtschaftet dreimal soviel Umsatz wie Schaeffler. Die Schaeffler-Gruppe hat sich wegen einer Kapitalspritze von sechs Milliarden Euro an die deutsche Regierung gewandt, weil sie Schwierigkeiten mit den elf Milliarden Euro Schulden hat, die sie aufgenommen hat, um Continental aufzukaufen.

Dieses Beispiel zeigt, dass unverantwortliche und wirtschaftlich irrationale Fusionen und Übernahmen auch in der produzierenden Wirtschaft weit verbreitet sind - obwohl sie hin und wieder als das Resultat von Wall-Street-Spekulationen oder des von Sarkozy kritisierten "Finanzkapitalismus" dargestellt werden. Laut Reuters vom 12. März hat die "Schaeffler Gruppe von den Gläubiger-Banken mehr Zeit erhalten, sich zu restrukturieren. Die Gläubiger-Banken einigten sich auf eine Zwischenfinanzierung, um die Gruppe abzusichern." Eine diskutierte Option ist der Verkauf von Continental-Anteilen an die Banken, um Schaefflers Liquidität zu erhöhen.

Die Produktionskürzungen von Continental, die vom Standpunkt der Profitinteressen des Konzerns angemessen sind, werden einen Teufelskreis einleiten, der die Wirtschaftstätigkeit dämpft und die Wirtschaftskrise verlängert, da die Continental-Arbeiter verarmt werden. Mit der Schließung der Werke in Hannover und Clairoix versuchen das Continental-Management und die kapitalistischen Politiker die Kosten dieser objektiven Anarchie des Marktes den Arbeitern aufzubürden.

Während des Präsidentschaftswahlkampfs von 2007 setzte das Continental-Management eine Abstimmung über die Rückkehr von der damals üblichen 35-Stunden- zur 40-Stunden-Woche im Werk Clairoix an. Die Arbeiter sollten mit der Drohung, das Werk könnte andernfalls geschlossen werden, dazu gebracht werden, den Vorschlag anzunehmen. Obwohl die Mehrheit der Arbeiter den Vorschlag ablehnte, wurde wenige Monate später ein Abkommen zwischen dem Management der Fabrik und den mehrheitlich vertretenen Gewerkschaften CFTC und CGC unterzeichnet. Unter dem Druck der Gewerkschaften und mit dem Versprechen, damit ihren Arbeitsplatz zu erhalten, akzeptierten die Arbeiter die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich.

Jetzt sind diese Versprechungen null und nichtig geworden. David Coupin, 42, Fabrikarbeiter, erklärte gegenüber Reuters : "Ich habe 21 Jahre für Continental in Clairoix gearbeitet, es war ein Schock, davon zu erfahren. Wir haben in den letzten Jahren so viele Opfer gebracht, wir haben akzeptiert, 40 Stunden die Woche ohne Lohnerhöhung zu arbeiten. Ich arbeite sogar an Wochenenden und Feiertagen."

Seit dem Wirtschaftsabschwung im letzten Herbst hat die Firma neue Maßnahmen durchgeführt - Reduzierung der Arbeitsstunden, längere Kurzarbeit, Kappung der Verträge für Zeitarbeiter - um die Produktion zurückzufahren. "Angesichts der hartnäckigen Wirtschaftskrise und angesichts des enormen Ausmaßes sind die kurzfristigen Maßnahmen, die uns zur Verfügung stehen, nicht länger ausreichend", erklärte Vorstandsmitglied Nikolin.

Aufgrund ihrer wachsenden Furcht vor sozialen Unruhen, haben französische Regierungsbeamte versucht, Mitgefühl mit der Notlage der Arbeiter zu heucheln. Der französische Regierungssprecher und Industrieminister Luc Chatel erklärte: " Wenn der Konzern auf seinen Restrukturierungsplänen beharrt, wird er die Gründe und Motive für solche Entlassungen vor den Gerichten rechtfertigen müssen."

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy sprach das Thema bei einem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am 12. März in Berlin an, das als Vorbereitung auf den G-20-Wirtschaftsgipfel im nächsten Monat stattfand. Er erklärte, er verstehe die Schwierigkeiten von Continental, er wolle jedoch sichergehen, dass Continental die Versprechungen einhalte, die in der Vergangenheit gemacht wurden, und die französischen Gesetze einhalte.

Die Arbeiter im Werk Clairoix in Nordfrankreich protestierten wütend angesichts der Nachrichten über die Werksschließung. Am 16. März versammelten sich ca. 1000 Demonstranten in Reims im nordöstlichen Frankreich, wo ein Managementtreffen stattfand. Eine Gruppe Demonstranten stürmte in das Sitzungszimmer, beschimpfte die Manager und bewarf sie mit Eiern und Schuhen.

Der CGT-Delegierte Xavier Matthieu kritisierte die heuchlerische und opportunistische Reaktion der Politiker auf die Schließung von Continental und bemerkte: "Wir hören die Abgeordneten und Senatoren hier und dort sagen, die Bosse von Continental seien Abschaum. Aber sie sind diejenigen, die das zulassen, sie machen die Gesetze. Wenn die Bosse sich wie Abschaum benehmen können, dann deshalb. weil die Abgeordneten und Senatoren keine Gesetze gemacht haben, die sie daran hindern."

Etwa 10.000 Menschen marschierten am 19. März, dem von den französischen Gewerkschaften kürzlich organisierten Aktionstag, durch Clairoix, um gegen die Werksschließung zu protestieren.

Siehe auch:
Frankreich: Was ist das Programm der Demonstration
vom 19. März? 19. März 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.03.2009
IWF-Direktor warnt vor Krieg
http://wsws.org/de/2009/mar2009/cont-m27.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009