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GEGENWIND/865: Buchbesprechung - Deutschland und Afrika. Anatomie eines komplexen Verhältnisses


Gegenwind Nr. 379, April 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Interesse am Nachbarn?
Über die Nicht-Politik gegenüber Afrika

von Reinhard Pohl


Eigentlich sieht es logisch aus: Die EU müsste vor allem mit Afrika zusammenarbeiten, bei uns 27 Staaten, dort über 50 Mitglieder der Afrikanischen Union. In Wirklichkeit ist es nicht so, und das liegt auch an der Geschichte.

Das Buch beschäftigt sich vor allem mit der deutschen Politik gegenüber Afrika beziehungsweise den einzelnen Staaten Afrikas. Das ist auch logisch, denn es gibt weder eine einheitliche europäische oder afrikanische Außenpolitik.

Aber Deutschlands Politik leidet auch unter der Vergangenheit - oder, besser gesagt: der Nicht-Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. Deutschland hat sich nach dem Verlust der Kolonien im Ersten Weltkrieg zunächst jahrelang selbst bemitleidet, weil es etwas verloren hatte, was ihm angeblich rechtmäßig gehörte. Und nach dem Zweiten Weltkrieg ging es um die Aufarbeitung der Vernichtung der Juden, da blieben keine Ressourcen, das alte Unrecht zu untersuchen.

Später ging es dann flott: Als Deutschland in den 60er Jahren wieder internationale Beziehungen ausbaute, die Entwicklungshilfe schuf, redete man sich selbst ein, in Wirklichkeit kaum eine koloniale Vergangenheit zu haben. Außerdem standen die Block-Auseinandersetzungen im Vordergrund. Man musste also den Ländern Entwicklungshilfe zusagen, die sonst in Gefahr waren, die DDR anzuerkennen.

Einige Ansätze gibt es allerdings, die es auch Wert sind, weiter verfolgt zu werden. Die Autoren des Buches plädieren ausdrücklich für einige Ansätze, die allerdings immer punktuell sind und leider auch bleiben, es gibt von Deutschland aus kein Konzept für eine Zusammenarbeit. Ein Konzept gibt es erst in den letzten zwanzig Jahren, das lautet aber: Migrationskontrolle. Viele sinnvolle Projekte werden dem inzwischen völlig untergeordnet, und darunter leidet beides, der Inhalt der Zusammenarbeit, aber auch die sinnvolle Migrationspolitik. Versucht wird nämlich nicht, Migration zu verstehen und damit zu arbeiten, sondern versucht wird, Grenzen zu kontrollieren und Migration zu verhindern - und die Staaten zu belohnen, die dabei mitmachen, ohne ihre sonstige Politik in den Blick zu nehmen.

Eine Reihe von Kapiteln widmet sich auch der Politik hierzulande: Wie wird an den Universitäten eigentlich zu Afrika gearbeitet, und wie wird das finanziert? Wer arbeitet die Kolonialgeschichte auf? Wie ist der Umgang mit kolonialem Raubgut? Welchen Stellenwert hat die hier lebende schwarze Minderheit, und wie ist deren Wahrnehmung?

Bei dem Buch handelt es sich um einen Sammelband mit 16 Beiträgen unterschiedlicher Autorinnen und Autoren. Vermutlich kann man sich anders diesem Thema auch nicht nähern.

Das Buch ist ein guter Einstieg in ein unterbelichtetes Thema. Und da das Thema so unterbelichtet ist: Es kann nur ein Anfang sein.


Henning Melber (Hg.):
Deutschland und Afrika. Anatomie eines komplexen Verhältnisses.
Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt 2019. 225 Seiten, 22,90 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 379, April 2020, Seite 74
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2020

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