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GEGENWIND/862: Buchbesprechung - Geschichte der deutschen Kolonien


Gegenwind Nr. 378, März 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Systematische Untersuchung zum deutschen Kolonialismus
Geschichte der deutschen Kolonien

von Reinhard Pohl


Wenn es um die "Schatten der Vergangenheit" geht, ist meistens die Zeit des Nationalsozialismus gemeint. Der deutsche Kolonialismus ist den meisten gar nicht so genau bekannt, auch weil Deutschland seine Kolonien schon 1914 faktisch und 1919 entgültig verlor. Dennöch lohnt es sich, sich auch mit diesem Teil der deutschen Geschichte zu beschäftigen.

Das vorliegende Buch von Professor Horst Gründer gilt als Standardwerk zu diesem Thema. Systematisch wird zunächst die Kolonialbewegung vorgestellt - vor allem im 19. Jahrhundert war sie sehr stark und von keinerlei Selbstzweifeln geplagt. Auch innerhalb der Sozialdemokratie, die sich eher gegen den Kolonialismus stellte, gab es kaum Zweifel, dass der weiße Mann allen Schwarzen überlegen ist und durchaus aufgerufen, die Zivilisation nach Afrika zu bringen. Man wendete sich allerdings gegen die Mission und teils auch gegen die militärische Gewalt. Der Autor unterscheidet dabei zwischen der "organisierten Kolonialbewegung" und dem Finanzkapital.

Die nächsten Kapitel widmen sich Bismarck, der sich vom Gegner zum Befürworter des Kolonialismus wandelte, allerdings nie ein wirklicher Anhänger des Kolonialismus wurde, zumindest lagen seine Schwerpunkte immer woanders. Der Autor gibt außerdem eine Übersicht über die Positionen der Parteien, die sich natürlich auch wandelten - außerdem gab es sowohl bei den Liberalen wie den Konservativen auch Parteien, die verschwanden, und andere, die sich neu gründeten.

Der Erwerb von Kolonien geschah vor allem "privat" durch Firmen und ihre Vertreter in Afrika. Es gab keinen Plan, eher Konkurrenz, und die deutschen Firmen konnten nicht mit Großbritannien oder Frankreich konkurrieren, sondern mussten nehmen, was übrig blieb. Die Unterstützung dieser Erwerbungen durch das Reich geschah auch in einzelnen Schritten und unsystematisch, erst 1884 entschloss sich das Reich zur Übernahme von "Schutzgebieten", die man (noch) nicht Kolonien nennen wollte.

Schließlich ergab es sich, dass vier Gebiete in Afrika, drei im Pazifik und eins in China übernommen wurden. Die Phasen waren in jeder Kolonie anders. Das Fehlen eines Plans, eines Konzeptes zeigte sich auch daran, dass anfangs jedes "Schutzgebiet" eine andere Verwaltungsstruktur hatte, die Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege überall unterschiedlich waren. Teils schrieben die Gouverneure irgendwelche Regeln und Gesetze voneinander ab, erst später gab es von Berlin aus klarere Vorgaben.

Dennoch war der Umgang mit den Einheimischen sehr verschieden. So wurden von der deutschen Verwaltung in Kamerun Sklavinnen und Sklaven gekauft, auch öffentlich ausgepeitscht, während die deutsche Verwaltung in Togo sich um ein gutes Auskommen mit den Einheimischen bemühte. Teils wurde der Landkauf durch Plantagenkonzerne eingeschränkt, teils militärisch unterstützt. Teils gab es eine Art Autonomie, zum Beispiel eine einheimische Rechtsprechung, teils führte die Kolonialherrschaft zu militärischen Auseinandersetzungen bis hin zum Völkermord in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

Nach dem Verlust aller Kolonien, der spätestens 1919 akzeptiert werden musste, gab es eine längere Phase des Kolonialrevisionismus. Der wurde teils durch Hitler und die NSdAP noch angeheizt, später aber verboten. Seit 1945 überlagert die Aufarbeitung der Geschichte 1933 bis 1945 alle anderen "dunklen Stellen" der Geschichte, so dass die Kolonialzeit teils sogar in Vergessenheit geriet.

Im Anhang des Buches findet sich eine Liste aller führenden Kolonialbeamten, außerdem lange Listen mit Literatur zum Thema. Das Buch ist zur Zeit in der 7. Auflage im Buchhandel.


Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien. 7. Auflage,
UTB-Verlag (Verlag Ferdinand Schöningh 2012), Paderborn 2018,
368 Seiten, 24,99 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 378, März 2020, Seite 69
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2020

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