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GEGENWIND/861: Buchbesprechung - Wir Herrenmenschen. Unser rassistisches Erbe. Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte


Gegenwind Nr. 378, März 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Über Kolonialismus und Rassismus
Wir Herrenmenschen. Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte

von Reinhard Pohl


Eigentlich muss es zusammen gedacht und zusammen bearbeitet werden, wird es oft nicht: Kolonialismus und Rassismus. Es sind Zwillinge, das eine ohne das andere nicht denkbar. Insofern will dieses Buch nicht in der Vergangenheit bleiben, sondern die Gegenwart erklären. Und das gelingt gut.

Der Autor, langjähriger Afrika-Korrespondent des "Spiegel", setzt sich zunächst vor allem mit der Kolonialpropaganda auseinander. Das bekannteste Buch in der Weimarer Republik war "Heia Safari!", und auch die Märchen vom "treuen Askari", dem einheimischen Kolonialsoldat unter deutschem Kommando, hält sich bis heute. Dabei waren zum Beispiel die schwarzen Hilfssoldaten in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, keineswegs Einheimische, sondern aus guten Gründen heuerte die deutsche Kolonialverwaltung dafür Söldner aus dem Sudan an. Später wurde ausgenutzt, dass "schwarz" = "einheimisch" bei den meistens ohne Rückfrage funktionierte.

Der Autor erlautert in eigenen Kapiteln die Anfänge der deutschen Landnahme, nicht nur in Afrika, sondern auch in Südamerika oder anderen Gegenden der Welt. So gab es auch mal die Idee, ein Stück Land zwischen den USA und Mexiko mit deutschen Siedlern zu bestücken und als Kolonie Deutschlands einzurichten, was natürlich nicht funktionieren konnte. Aber die Begründung des Kolonialismus war in der Regel rassistisch: Beklagt wurde oft, dass es aus Deutschland eine große Auswanderung gäbe, die Auswanderer dann aber als Siedler in den USA, in Brasilien oder in Australien "verloren" wären, Deutschland könnte nicht mehr von ihnen profitieren. So war ein Motiv, Kolonien zu schaffen, verbunden mit der Idee, die deutsche Auswanderung könnte dann dorthin gelenkt werden.

Das war teils mit dem "Wert des deutschen Blutes" begründet, das ja irgendwie besser als das aller anderen Menschen der Welt wäre, deshalb dürfe es nicht verloren gehen. Es gab aber auch Pläne, ähnlich wie Großbritannien und Australien diejenigen, die zu Hause unerwünscht waren, in Kolonien abzuschieben - teils ging es um Häftlinge oder Prostituierte, wie Großbritannien es betrieb. Zum Teil ging es aber auch um die Entschärfung sozialer Konflikte. Denn Land wurde in Deutschland oft an den ältesten Sohn vererbt, die anderen Kinder gingen leer aus und suchten oft vergeblich Arbeit in der beginnenden Industrie. Wenn man ihnen Plantagen in Übersee anbieten könnte ...

Die Darstellung der Kolonien bezeichnet der Autor als "Disneyland". Als Gegensatz dazu beschreibt er die Suche nach einen entführten Schädel, der nach der Hinrichtung eines einheimischen Anführers vermutlich abschnitten und nach Deutschland gebracht wurde. Hier wurden solche Schädel teils gesammelt - nicht als Trophäe für irgend einen Sieg, sondern um sie und eine große Zahl weiterer Schädel zu vermessen und damit die Unterschiede zwischen "Rassen" biologisch erforschen und darstellen zu können. Sie wurden oft unzureichend katalogisiert, dass es heute oft schwer ist, die einzelnen Schädel klar zu identifizieren. Meistens kann man noch sagen, ob sie aus Togo, Kamerun, Namibia oder Tansania stammen. Aber aus Namibia wurden nach dem Völkermord eine große Zahl Schädel von Toten aus den Konzentrationslagern nach Deutschland gebracht, die vorher von namibischen Hilfskräften präpariert wurden, sie mussten das Fleisch vom Knochen schaben. Die sind oft nur summarisch erfasst. Und da die "Wissenschaft" dahinter ohnehin Humbug ist, liegen sie heute oft in Kisten im Keller eines Museums oder eines Krankenhauses.

Stichwort Völkermord: Hier ist der Autor bekanntlich anderer Meinung als die Historiker, im "Spiegel" gab es ja auch öffentliche Diskussionen dazu. Dabei bezweifelt der Autor nicht, was geschehen ist, es geht nur um die juristische Bewertung. Da ist einfach das Problem, dass der Autor eine falsche Definition von "Völkermord" verfolgt, er diskutiert deshalb auch nicht über die juristische Einordnung, sondern über Zahlen von Getöteten - eine Diskussion, die für Juristen keine Rolle spielt. Aber der Autor gehört nicht zu den "Leugnern", zu denen ein Teil der Nachfahren der deutschen Siedler gehört.

Das Schlusskapitel widmet sich den "Herrenmenschen", den Deutschen, die im kolonialen Blick gefangen sind. Und das ist wohl keine Minderheit der Bevölkerung, wenn man sich die heutige Berichterstattung zu Afrika ansieht: Zu viele Kinder, zu viele Kriege, selbst schuld.


Bartholomäus Grill: Wir Herrenmenschen.
Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte.
Siedler Verlag, München 2019 (2. Auflage),
299 Seiten, 24 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 378, März 2020, Seite 67-68
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2020

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