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GEGENWIND/850: Kieler Künstler und der Geist der Novemberrevolution


Gegenwind Nr. 376, Januar 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
"Wir Revolutionäre des Geistes (Expressionisten, Kubisten, Futuristen)"
Kieler Künstler und der Geist der Novemberrevolution

von Günther Stamer


Im Jahre eins nach den umfänglichen Kieler Feierlichkeiten zu "100 Jahren Matrosenaufstand und Novemberrevolution" ist das Interesse an diesem Ereignis und den handelnden Personen wieder weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Sinnfälliger Ausdruck war die Schließung der Ausstellung "1918: Die Stunde der Matrosen" im Schifffahrtsmuseum am Tag der Feierlichkeiten zum "Tag der deutschen Einheit".

Bei den traditionellen Gedenkveranstaltungen im November am Beuste-Denkmal im Ratsdienergarten und an den Gräbern der Opfer der Novemberrevolution auf dem Eichhof-Friedhof befand man sich wieder im trauten und überschaubarem Kreise. Wer auch 2019 etwas vom aufrührerischen Geist spüren wollte, der 1918 und in den folgenden Jahren in Kiel und Schleswig-Holstein unter Matrosen, Arbeitern und Intellektuellen herrschte, war auf den Besuch zweier Kunstausstellungen angewiesen: Im Landesmuseum Schloss Gottorf wurden in der Sonderausstellung "Spannungsfeld Weimar" neben Werken von Käthe Koliwitz, George Grosz und Conrad Felixmüller auch Werke schleswig-holsteinischer Künstler gezeigt, so das großformatige Bild Friedrich Peter Drömmers "Revolutionär (Selbstbildnis mit Weinglas)".

Einen vertiefenden Einblick in die "revolutionäre" Künstlerszene Kiels und Umgebung konnten Besucher*innen im November in Ausstellungen im Künstlermuseum in Heikendorf und in der Kieler Stadtgalerie gewinnen.


Schulte-Wülwer: Kieler Künstler Band 3.

Prof Dr. Ulrich Schulte-Wülwer, der Kurator und Initiator dieser Ausstellungen, hat parallel dazu seinen dritten Band über "Kieler Künstler" (die wenigen Künstlerinnen eingeschlossen) veröffentlicht, der den Zeitraum der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus umfasst (1918-1945).

Nicht nur Kunstfreunden (wegen der schönen Bildreproduktionen) ist dieser Band zu empfehlen, sondern auch all jenen, die Interesse an einem plastischen Bild der politischen/kulturpolitischen Kämpfe in Kiel der 20er Jahren haben. Schulte-Wülwer schildert dies auf sechzig Seiten sehr faktenbasiert und mit deutlicher Sympathie für die "Revolutionäre des Geistes". Wohingegen die Darstellung der Zeit des Faschismus auf zwanzig Seiten dann etwas dünn ausfällt - aber das soll hier nicht Gegenstand der Rezension sein.

Den Hauptteil des Buches machen 30 Künstlerbiografien aus, die zu einem Großteil atemberaubend spannend zu lesen sind - spiegeln sich darin doch in den individuellen Schicksalen die politischen Kämpfe der 20er und 30er Jahre wider. Und die Leser*innen sehen hier parallel zu dem Künstler und dessen abgebildeten Werken auch den Menschen: Den Kämpfer, den Resignierten, den Angepassten, den Wendehals, den Verräter.


Künstler als Teil des Kieler "linksradikalen Milieus"

Der Kieler Matrosenaufstand und die Novemberrevolution von 1918 führten in der Reichsmarinestadt auf politischem, wirtschaftlichem und auch kulturellem Gebiet zu einem radikalen Wandel.

Neben den den revolutionären Prozess prägenden Arbeitern und Matrosen, die sich zunächst vorwiegend in der USPD gesammelt hatten und dann teilweise zur KPD und KAPD übergingen, existierte in Kiel eine differenzierte Intellektuellenszene, die sich mit dem Geist der Revolution verbunden fühlte; ein breit gefächertes "links-radikales Milieu". Neben den Wissenschaftlern aus dem Umfeld des Instituts für Weltwirtschaft gehörten dazu vor allem Schriftsteller und Maler der "Expressionistischen Arbeitsgemeinschaft", die sich Ende April 1919 gegründet hatte und deren Repräsentanten Richard Blunk und Peter Drömmer waren. Sie fühlten sich dem Aufruf der "Novembergruppe Berlin" verpflichtet, in dem es u.a. hieß: "Die Zukunft der Kunst und der Ernst der jetzigen Stunde zwingen uns Revolutionäre des Geistes (Expressionisten, Kubisten, Futuristen) zur Einigung und engem Zusammenschluss." Mitglieder der "Novembergruppe" waren u.a. Max Pechstein, Wassily Kandinsky und der Architekt Walter Gropius. In vielen Orten Deutschlands kam es daraufhin zu progressiven Künstlervereinigungen. Die Bekanntesten: "Sezession, Gruppe 1919" in Dresden mit Conrad Felixmüller und Otto Dix, in Düsseldorf der "Aktivistenbund 1919" um Otto Pankok, der "Aktionsausschuss revolutionärer Künstler Münchens" u.a. mit Oskar Maria Graf.


Expressionistisches Dreigestirn: Drömmer, Röhl, Lange

In diesem Umfeld forderten in Kiel Friedrich Peter Drömmer, Karl Peter Röhl und Werner Lange, allesamt Absolventen der Kieler Handwerker- und Kunstgewerbeschule, "mit lautem Pathos eine Neuordnung der politischen und kulturellen Verhältnisse" (Schulte-Wülwer). Charakteristisch für ihr Anliegen war deren Ausstellung in der Kieler Kunsthalle im September/Oktober 1920. Ein Augenzeuge berichtet darüber: "Die Ausstellung wurde zu einem Ereignis von höchster Aggression. Die Räume der Kunsthalle waren vollgestopft mir großformatigen Gemälden, auf denen man nichts erkennen konnte als wirbelnde Formen und Farben. Die drei Maler, die in ihren Werken so provokant ihren expressiven Gleichklang demonstrierten, hatten selbstverständlich gar nicht an eine Kunstausstellung gedacht, sondern nur daran, ihren künstlerischen Protestschrei zu artikulieren. Einen Protest gegen alles: gegen den Krieg, gegen Kapitalismus, gegen Militarismus, gegen Unmenschlichkeit, und alles andere wogegen man sein konnte oder sein mußte." [1]

Förderung erfuhren die Kieler Expressionisten vor allem durch den Kunstsalon der Buchhandlung Lipsius & Tischer (Falckstr.) und das Kunsthaus "tom Kyle" in der Dänischen Straße.

Parallel zum Kreis der expressiven bildenden Künstler entwickelten sich die Kieler Städtischen Bühnen zu einem Ort progressiver Kunst. Der 1922 zum Dramaturgen berufene Carl Zuckmayer scharte einen Kreis gleichgesinnter Schauspieler um sich (Ernst Busch, Hans Söhnker, Bernhard Minetti) und schockierte weite bürgerliche Kreise mit avantgardistischen Inszenierungen und Bühnenbildern. Zu einer geplanten Uraufführung des noch ungespielten "Baal" von Bertolt Brecht kam es indes nicht mehr. Nach einem Theaterskandal nach der Uraufführung der Komödie "Der Eunuch" des römischen Dichters Terenz im Frühjahr 1923 und dem anschließenden polizeilichen Aufführungsverbot "wegen Unsittlichkeit und Verspottung nationaler Güter" wurden Intendant Elwenspoek und Zuckmayer entlassen.


Kulturpolitisches Rollback ab Mitte der 20er Jahre

Gleichzeitig mit dem Aus des progressiven Theaterbetriebs schlossen mit dem Kunstsalon und dem Kunsthaus die exponierten Ausstellungsräume engagierter Kunst in Kiel ihre Pforten und es begann auf breiter Front das kulturpolitische Rollback. Sichtbares Zeichen: Die Herbstausstellung der Kieler Kunsthalle im Jahre 1922 stand unter dem Leitmotiv "Romantik" - ein größerer Kontrast zur politischen und kulturellen Realität war kaum denkbar. Im Grußwort des Reichspräsidenten Ebert (SPD) hieß es u.a.: "Wir müssen uns gerade in der Not der Zeit mehr auf das Gemüt besinnen." Folgerichtig waren in dieser Ausstellung - im Gegensatz zu den Ausstellungen der Vorjahre - keine Werke von Drömmer, Lange oder Röhl vertreten.

Viele der links-engagierten Künstler verließen daraufhin Kiel. Karl Peter Röhl ging nach Weimar und war als Konstruktivist am dortigen Bauhaus tätig. Drömmer fand Dank der Unterstützung des Unternehmers Hugo Junkers Gelegenheit, seine in Kiel begonnenen architektonischen Visionen zu konkretisieren [2]. Werner Lange blieb in Kiel und arrangierte sich mit dem neuen bürgerlichen Zeitgeist. Heinrich Ehmsen erlebte Folterungen im Berliner Gestapo-Keller, Erich Schmidt-Kabul wurde zwangssterilisiert, Richard Grune kam als Homosexueller in ein Konzentrationslager, Hans Ralfs landete in der Psychiatrie. Dagegen stieg Erich Vollbehr mit seinen Propagandagemälden der Reichsparteitage zum Günstling des Führers auf und setzte seine Tätigkeit als gefeierter Künstler nach Kriegsende fort.


Ulrich Schulte-Wülwer: Kieler Künstler Band 3 - In der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1918-1945. Verlag Boyens, Heide 2019, 480 Seiten, 34 Euro


Anmerkungen:

[1] Schulte-Wülwer, S. 120

[2] vgl. hierzu: Detlef Siegfried, Der Fliegerblick. Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914-1934, Bonn 2001

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Quelle:
Gegenwind Nr. 376, Januar 2020, Seite 56-58
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2020

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